JuliNacht

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claudi

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JuliNacht

Leander schlief.
Blasses Mondlicht fiel durch die Dachfenster und zeichnete zarte Bilder auf seine nackte Brust. Traumblüten.
Leander. Er war schön. Der tätowierte Drache auf seiner Schulter schimmerte samtschwarz, die Haut darunter wie flüssiges Karamell. Das Verlangen, ihn zu berühren, kribbelte Maia in allen Fingerspitzen. Aber sie wollte ihn nicht wecken. Ein Abschied ohne Worte sollte es sein.
Leander. Ihr Körper war noch warm von seiner Umarmung, das Haar im Nacken noch feucht von Schweiß. Sie lächelte, als er sich im Schlaf bewegte. Dann lag er wieder reglos, die Lippen leicht geöffnet, sodass sie die kleine Lücke zwischen den Schneidezähnen erkennen konnte. Er duftete nach Nähe, nach Liebe, nach Wir. Einem Wir, das es nie gegeben hatte. Die Sprachlosigkeit hatte sie von Anfang an begleitet. Das Ende würde nicht anders sein.
Was hast du dir zum Geburtstag gewünscht?
Ein Gewitter, sagte Maia.
Du bist verrückt! Leander rollte sich auf den Bauch und lachte, bis er Schluckauf bekam. Willst du nach draußen?
Nein, sagte Maia. Ich mag deine Wohnung. Ich kann von hier aus den Himmel sehen.
Leander. Sie saß neben ihm auf dem Bettrand, in den Händen das rote Kleid und betrachtete ihn. Lange. Ein letztes Mal. Der Gedanke an die, die nach ihr kommen würden, um den Platz an seiner Seite einzunehmen, brannte wie Feuer. Ein heiseres Keuchen stahl sich aus Maias Mund und erschreckt presste sie die Hand auf die Lippen.
Doch Leander schlief weiter. Ahnungslos, tief. Nur eine winzige Falte zeigte sich auf seiner Stirn, als sei etwas in seinen Traum eingedrungen und hätte ihn verwirrt.
So ähnlich hatte er ausgesehen, als sie sich zum ersten Mal begegnet waren. An einem Taxistand ohne Taxis, fluchend, im strömenden Regen.
Ich bin Atheist, sagte Leander. Der alte Herr lässt mich jeden Tag aufs Neue dafür büßen.
Maia blinzelte. War verunsichert. Wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Als hätte sie verlernt, mit fremden Männern zu sprechen. Kein Grund zu weinen, sagte Leander. Wischte ihr die Regentropfen von den Wangen und lachte. Kein Spott blitzte aus seinen blauen Augen. Nur jungenhafte Neugier.
Sie waren in ein Café geflüchtet und hatten sich verliebt. Absichtslos, aber mit einer Heftigkeit, die Leander faszinierte und Maia bestürzte. Er hatte ihr nasses Haar mit einer Serviette getrocknet, jede Strähne einzeln liebkost, bis ihr ganzer Körper von Gänsehaut überzogen war. Sie hatte geraucht, um ihre Verlegenheit zu verbergen, doch es war zu spät. Sie wussten es beide. Ihr erster Kuss schmeckte nach Nikotin und Hemmungslosigkeit. Leanders Hände waren warm und liebevoll. Hast du Angst?
Nein, sagte Maia und meinte es ernst.
Über ihr Alter sprachen sie nicht. Überhaupt redeten sie nicht viel. Lachen, das taten sie. Sie badeten in ihren Gefühlen wie Kinder, planschten herum, vergnügten sich und später gingen sie zum Abendessen. Verwöhnten sich mit vegetarischen Häppchen und teurem andalusischen Sherry. Stolperten einander zu Flamencoklängen über die Füße, denn keiner von ihnen hatte tänzerisches Talent. Aber sie gaben nicht auf. Lachten sich müde dabei.
Meine Zauberfee, nannte Leander sie zärtlich. Was hast du eigentlich an diesem Taxistand gemacht?
Ich wollte mein Kleid retten, sagte Maja. Vor dem Regen.
Es war nicht wert, gerettet zu werden, sagte Leander. Es war viel zu blau. Blau steht dir nicht, Zauberfee.
Sie trafen sich wieder. Maia spielte Klavier. Leander lag nackt auf dem Teppich und lauschte. Was ist das für Musik?
Meine eigene, sagte Maia und errötete. Gefällt sie dir nicht? Ich kann nichts anderes spielen.
Doch, sagte Leander. Das kannst du. Komm her. Spiel noch ein bisschen mit mir.
Sie gingen ins Kino. Dort, im Dunkeln, fühlte Maia sich wohl. Sie liebte Filme, den Geruch nach frischem Popcorn, das Füßescharren, das unterdrückte Husten.
Leander kuschelte sich an ihre Schulter. Gähnte.
Du kitzelst mich, sagte Maia vorwurfsvoll. Dein Haar! Ich verpasse den Film.
Vergiss den Film, sagte Leander und küsste sie aufs Ohr.
Maia vergaß den Film. Atmete Nähe und weinte. Als sie das Kino verließen, war sie in Tränen aufgelöst. Leander brauchte lange, um sie zu trösten. Was ist los mit dir?
Ich weiß nicht, sagte Maia. Vielleicht nichts.
Er fragte nicht weiter. Liebte sie. Langsam, geduldig.
Aber es waren zu viele Jahre, die sie trennten. Und Maia war zu alt, um an das ewige Glück zu glauben. Sie wollte gehen, bevor er es tat. Bevor sein Lachen den unbeschwerten Klang verlor und seine Begeisterung allmählich umschlug in Gereiztheit. Sie wollte gehen, bevor sein Verlangen sich trübte und seine Lust im Alltag versickerte. Er sich an sie gewöhnte wie an ein allmorgendliches Zahnputzritual.
Sie wollte wieder allein sein. Allein mit sich. Aufatmen. Nicht länger den Haaransatz nachfärben, den Bauch einziehen, die Müdigkeit wegschminken. Nur noch sie selbst sein.
Die sanften Spuren der Vergänglichkeit zulassen. Ohne Angst, ohne Trauer. Das war an Leanders Seite nicht möglich. Wenn sie blieb, würde ihre Fremdheit weiterwachsen. Jeden Tag ein Stückchen mehr. Und sie wusste, er würde es nicht verstehen.
Das rote Kleid. Sein Geburtstagsgeschenk. Ein sündhafter Traum in Rot. Wehmütig strich Maia über den kühlen Stoff, der sich weich um ihre Knie schmiegte. So zärtlich wie unnahbar. War sie das für ihn?
Zieh es an, sagte Leander, die Stimme rau vor Lust. Ich will dich darin sehen.
Ängstlich war sie hineingeschlüpft. Hatte befürchtet, es könnte zu eng sein. Doch es passte perfekt. Für einen Mann besaß Leander ungewöhnliches Augenmaß.
Wow, murmelte er. Ich wusste es! Du siehst fantastisch aus, Zauberfee. Er vergrub sein Gesicht im Duft ihres frisch gewaschenen Haares und biss sie ins Ohrläppchen. Wie machst du das bloß?
Was? fragte Maia.
Du haust mich um! Seine Umarmung wurde drängender.
Maia schwieg und ließ es geschehen. Es tat gut, sich begehrenswert zu fühlen. Begehrt zu werden. Sie wollte nicht, dass es aufhörte.
Sehnsüchtig glitt ihr Blick ein letztes Mal über den schlafenden Geliebten. Leander. Sie hatten etwas geteilt, das nur im Heute stattfinden konnte. Wenn Maia die Augen schloss, verlor sie ihre Vergangenheit und er seine Zukunft. Es war an der Zeit, die Augen zu öffnen.
Das Mondlicht war entschwunden, ohne dass sie es bemerkt hatte. Nachtschatten strömten durch die Dachfenster und tauchten Leanders Körper in Dunkelheit. Aus der Ferne grollte ihr Geburtstagsgewitter herauf.
Stumm erhob sich Maia von der Bettkante, auch das rote Kleid gab keinen Laut von sich, der Stoff zu fein, um zu rascheln. Behutsam wand sie sich hinein und zog die hauchdünnen Träger über die Schultern.
Ich werde es tragen, versprach sie. Heimlich. Zur Erinnerung an dich und die Zeit, die du mir geschenkt hast.
Sie hauchte einen letzten Kuss in Richtung des schwarzen Drachens, sammelte ihre Schuhe auf und schlich barfuß aus der Wohnung. Trug den Schmerz mit sich fort.
Die Luft im Treppenhaus war kühl und schwer. Maia stieg die Stufen hinab. Trat hinaus in die Nacht. Tränenlos.
Weit oben, unter dem Dach, schlief Leander.
 



 
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