Julia

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DarkskiesOne

Mitglied
Julia ist ein wirklich schöner Name. Ich werde dich Jule nennen, wenn du es mir erlaubst. Ja, das gefällt mir. Wo bleibst du bloss? Ein ungeduldiger Blick auf meine Armbanduhr. Ich fürchte, du kommst zu spät. Ich mag es nicht, wenn man mich warten lässt. Aber da es unser erstes Treffen ist, werde ich darüber hinwegsehen. Bestimmt hast du einen guten Grund für dein Zuspätkommen. Ein Sprichwort sagt, es gibt keine zweite Chance, um einen ersten Eindruck zu hinterlassen. Was für ein dummes Sprichwort. Und da bist du ja auch schon. Stehst ein wenig verloren im Eingang des Restaurants und blickst dich suchend nach mir um. Ich bin mir sicher, dass du es sein musst. Auch wenn ich dich bisher nur auf einem Foto gesehen habe. Dein widerspenstiges, dunkles Haar. Wildes Lockengewirr. Schlank bist du nicht, aber das ist nicht weiter schlimm. Ich mag Frauen, die sich nach mehr anfühlen. Ich schenke dir ein aufmunterndes Lächeln und du kommst zögernd näher. Wie schüchtern du schaust. Kein Wunder. Schliesslich kennen wir uns nur auf dem Papier. Aber das wird sich hoffentlich bald ändern. Ich bin zuversichtlich. Die Übereinstimmung auf den Bögen des Partnervermittlungsinstituts betrug fast 94 %. Ein Volltreffer, würde ich sagen. Ich erhebe mich von meinem Platz, rücke deinen Stuhl für dich zurecht. Ich weiss, was sich gehört. Dein Foto war vielversprechend. Aus der Nähe und in natura betrachtet, kannst du einem Mann den Atem rauben. Ich möchte, dass der Abend unvergesslich wird. Aber das ist vielleicht ein bisschen zu viel verlangt. Ich muss meine Erwartungen auf ein realistisches Mass herunterschrauben. Du sollst dich wohlfühlen in meiner Nähe. Wir werden uns viel Zeit lassen. Du sollst mich erst richtig kennenlernen. Jule. Ich koste den Klang deines Kosenamens ganz still für mich auf meinen Lippen, lasse ihn in meinem Kopf widerhallen. Es klingt wahnsinnig schön. Ich glaube, ich könnte dich sehr liebhaben. Aber soweit sind wir beide noch lange nicht. Jetzt werden wir erst einmal versuchen, uns bei einem zwanglosen Essen an diesem neutralen Ort, einem italienischen Restaurant, näher kennenzulernen. Vielleicht feststellen, ob wir eine gemeinsame Zukunft haben könnten, irgendwann. Keine einfache Aufgabe. Aber ich habe schon weitaus grössere Herausforderungen gemeistert. Nervös war ich nur beim ersten Mal. Und eines Tages werde auch ich die Frau fürs Leben finden. Manchmal muss man eben lange suchen. Ich reiche dir die Speisekarte. Du vergräbst dein interessantes Gesicht dahinter, als könnten Scampi und Tortellini alla Panna dir über deine rührende Unsicherheit hinweghelfen. Ich finde dich unglaublich anziehend. Dann bestellst du Pasta und ein Glas Rotwein. Eine gute Wahl. Manchmal hilft der Alkohol, ein bisschen unverkrampfter an eine Verabredung heranzugehen. Nur zu viel darf man sich nicht gönnen. Ich trinke lieber Wasser bei solchen Gelegenheiten. Du tust mir ein bisschen leid. Sehr aufgeregt bist du und wunderst dich bestimmt insgeheim, weshalb ich so gelassen bleibe. Schliesslich kannst du nicht wissen, dass es für mich nicht das erste Mal ist. Ich werde versuchen, dir deine Scheu zu nehmen. Lächelnd beginne ich eine charmante Unterhaltung. Es ist wirklich ein Genuss, mit dir zu plaudern. Du bist zwar noch ein wenig zurückhaltend, doch nach und nach beginnst du aufzutauen. Erkundigst dich nach meinem Job, zeigst Interesse an meinen Hobbies. Fragst nach dem letzten Urlaub, meiner Labradorhündin und den Katzen. Eine ganze Weile später, unendlich vorsichtig, nach meiner Exfrau und meinen beiden Töchtern. Ich möchte dich küssen, weil du so behutsam mit mir umgehst. Die Leute beim Partnervermittlungsinstitut verstehen ihr Handwerk. Überlassen nichts dem Zufall. Und du hast deine Hausaufgaben gemacht. Kennst meine Vergangenheit bis ins kleinste Detail.
„Es war eine sehr schöne Zeit“ sage ich. Die Trennung von meiner Familie war ein tiefer Schock für mich. Aber ich denke, dass ich ihn überwunden habe. Die Zeit heisst es, heilt alle Wunden. Nein, ich habe den Kontakt komplett abgebrochen. Sie sind fortgezogen. Weit weg. In eine andere Stadt. Es ist besser so. Ich möchte ein neues Leben beginnen. Vielleicht mit dir an meiner Seite. Die Vergangenheit endgültig hinter mir lassen.

„Ich hasse Menschen mit Vergangenheit“, sage ich unvermittelt. Der Satz hängt zwischen uns in der Luft. Das Schweigen, das meinen ungewollt heftigen Worten folgt, ist unbehaglich. Du schaust mich irritiert an. Fragend. Ein bisschen ängstlich sogar. Ich habe dich erschreckt. Das wollte ich nicht! Du versuchst, in meinem Gesicht zu lesen. Ich schaue dich an. Lächle entschuldigend. Nach einer ganzen Weile lächelst du ebenfalls. Dieses Lächeln, das mich schon den ganzen Abend in seinen Bann zieht. „Aber“, höre ich dich sagen, „unsere Vergangenheit ist es doch zu einem nicht unerheblichen Teil, die uns zu dem Menschen macht, der wir genau in diesem Augenblick sind.“ Das hat mir so noch niemand gesagt. Du hast recht. Du triffst mich mitten ins Herz. Auch ich habe eine Vergangenheit. Vielleicht bist du die richtige Frau für mich? Die Frau, nach der ich so lange gesucht habe? Wie sehr ich es mir wünsche! Ich möchte nicht mehr einsam sein. Die Kerze auf unserem Tisch ist fast völlig heruntergebrannt. Sehr lange schon sitzen wir beide hier beisammen. Es gibt noch so unendlich viel zu sagen. Ich weiss, dass ich nicht fragen sollte, aber ich möchte dich noch nicht gehen lassen. Will nicht, dass unser gemeinsamer Abend bereits zu Ende ist.

Der Kaffee, den ich für uns gekocht habe, ist stark und schwarz. Ich bin ein wenig überrascht, wie schnell du eingewilligt hast. Du bist nicht so zurückhaltend, wie ich zuerst dachte. Stille Wasser, denke ich verträumt und berühre fast unmerklich deine Schulter. Ich spüre, dass dir meine Berührung nicht unangenehm ist. Du geniesst sie und ich erlaube mir ein wenig mehr Kühnheit. Wie scheu du meine Küsse erwiderst. Ich möchte dir näher sein. Viel näher. Sanft beginne ich, deine Bluse aufzuknöpfen. Du lässt es widerstandslos geschehen. Ich werde noch ein wenig mutiger jetzt. Streife dir die Bluse ab. Öffne deinen BH. Meine süsse Julia. Hat dich jemals ein Mann so geliebt, wie ich es tue? Deine Brüste sind weiss und weich. Makellos. Zärtlich umschliesse ich sie mit meinen Händen. Meine Liebe zu dir ist unmenschlich. Dieses Mal werde ich einfach nicht hinsehen. Bitte, lass` mich blind sein, bete ich tonlos. Ich wage kaum, dich anzuschauen. Habe Angst vor dem, was ich sehen könnte. Als du dann völlig nackt vor mir stehst, fühle ich eine nie gekannte Zärtlichkeit in mir aufsteigen. Kann das die Erlösung sein? Habe ich dich endlich gefunden? Ich möchte weinen.
Liebevoll blicke ich dich an. Du süsser Engel.
Und dann offenbart sich mir in aller Gnadenlosigkeit auch deine unerträgliche Wahrheit.
Die Abdrücke unzähliger Hände auf deinem nackten Körper. Unauslöschlich in die Zartheit deiner Haut gebrannt. Verräterische Spuren gieriger Lippen, die durstig an dir gesaugt haben. All die Jahre, bevor wir beide uns trafen. Vampire der Vergangenheit. Ich kann ihnen nicht entkommen. Sie sind überall. Keine von euch ist rein. Ich hasse Frauen mit Vergangenheit. Ich hasse Frauen mit Zukunft. Ihr solltet allein dem Augenblick gehören.
Dieser rote Schleier vor meinen Augen. Meine Frau hat ihre Zukunft an dem Tag verloren, an dem ich sie mit ihrer Vergangenheit überraschte. Es schmerzt immer noch. Aber von Mal zu Mal lässt der Schmerz ein wenig nach. Ich frage mich, wie lange es dauernd wird, bis ich sie völlig vergessen kann.
Ich frage mich, wann sie dich finden werden.
 
M

Minds Eye

Gast
Wow! Tief und gruselig. Tolle Geschichte. Trifft bei mir ins Schwarze.
Ich steh auf Suspense.
Grüße,
ME.
 

DarkskiesOne

Mitglied
Hi Gandl...

vielen Dank für dein tolles Lob! Und Julia dankt natürlich aus dem Jenseits für die Höchstnote! Manchmal könnte ich mich glatt vor mir selbst gruseln...;-)
lg
DO
 
Hallo DarkskiesOn,

die Geschichte gehört wohl eher ins Krimiforum, oder? Je nachdem auch nach Horror.

Hm, du solltest mehr Absätze mache, vielleicht kommen daher meine Eindrücke. Mir fehlt es an Atmossphäre, an Gefühl. Die Sätze wirken abgehackt, leblos, ohne jegliches Gefühl.

Schade eigentlich, da die Idee wirklich klasse ist. Aber bei mir kommt beim Lesen keine Atmossphäre auf, und die wäre bei dieser Geschichte besonders wichtig.

Bis bald,
Michael
 

DarkskiesOne

Mitglied
Hi Michael,

schade, dass meine Story dich nicht angesprochen hat. Gerade die kurzen, abgehackten Sätze dienen dazu, einen Eindruck davon zu vermitteln, wie der Protagonist meiner Story denkt. Kalt. Kurz. Abgehackt. Er kann nicht anders. Wer aufmerksam liest, wird den einen oder anderen Wink auf ein eher unangenehmes Ende eventuell gefunden haben. Den Rest der Leserschaft trifft der Psycho eben eiskalt. Deshalb muss ich aber die Story nicht ins Horrorforum stellen. Und ein Krimi isses auch nicht!
lg
DO
 

Traumtod

Mitglied
Wow!

Hallo DarkskiesOne,

auch von mir viele Punkte - Gruselig, überraschend und wundervoll beschrieben.

Einfach klasse!

Liebe Grüße
traumtod
 



 
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