KIRCHENASYL

Manfred Ach

Mitglied
Ist eine Andacht möglich
vor Plakatwänden und Leuchtschriften,
sind Stoßgebete ausreichende Notwehr
gegen stachelbewehrte Schreihälse?

Heillose Verstrickung
schnürt uns die Kehle zu.
Von Bildschirmen geblendet,
eine Höhlensehnsucht.

Tatsächlich lässt sich am besten
in Schiffsbäuchen beten,
in stillen Domen,
die uns Asyl gewähren,
uns schützen vor Spaß
und Eitelkeit und Gier,
vor den Schlächtern
und der Ausschlachtung des Elends.
 

Otto Lenk

Foren-Redakteur
Teammitglied
Wenn ich etwas von dem Wohlfühlort "Kirche" lese, muss ich immer an die Worte von Hermann van Veen denken:........

Geschichte von Gott
Autoren: T:H. van Veen; Dt:T. Woitkewitsch

Als Gott nach langem Zögern wieder mal nach Hause ging, war es schön; sagenhaftes Wetter!
Und das erste, was Gott tat, war: die Fenster speer- angelweit zu öffnen, um sein Häuschen gut zu lüften.
Und Gott dachte: Vor dem Essen werd` ich mir noch kurz die Beine vertreten.
Und er lief den Hügel hinab zu jenem Dorf, von dem er genau wußte, daß es da lag.
Und das erste was Gott auffiel, war, daß da mitten im Dorf während seiner Abwesenheit etwas geschehn war, was er nicht erkannte. Mitten auf dem Platz stand eine Masse mit einer Kuppel und einem Pfeil, der pedantisch nach oben wies.
Und Gott rannte den Hügel hinab, stürmte die monumentale Treppe hinauf und befand sich in einem unheimlichen,
naßkalten, halbdunklen, muffigen Raum.
Und dieser Raum hing voll mit allerlei merkwürdigen Bildern, viele Mütter mit Kind mit Reifen überm Kopf
und ein fast sadistisches Standbild von einem Mann an einem Lattengerüst.
Und der Raum wurde erleuchtet von einer Anzahl fettiger,
gelblich-weißer, chamoistriefender Substanzen, aus denen Licht leckte.
Er sah auch eine höchst unwahrscheinliche Menge kleiner Kerle herumlaufen mit dunkelbraunen und schwarzen Kleidern und dicken Büchern unter müden Achseln, die selbst aus einiger Entfernung leicht modrig rochen.
"Komm mal her! Was ist das hier?"
"Was das ist hier? Das ist eine Kirche, mein Freund. Das ist das Haus Gottes, mein Freund."
"Aha...Wenn das hier das Haus Gottes ist, Junge,
warum blühen dann hier keine Blumen, warum strömt dann hier kein Wasser und warum scheint dann hier die Sonne nicht, Bürschen?!"
"...Das weiß ich nicht."
"Kommen hier viele Menschen her, Knabe?"
"Es geht in letzter Zeit ein bißchen zurück."
"Und woher kommt das deiner Meinung nach? Oder hast du keine Meinung?"
"Es ist der Teufel. Der Teufel ist in die Menschen gefahren. Die Menschen denken heutzutage, daß sie selbst Gott sind und sitzen lieber auf ihrem Hintern in der Sonne." Und Gott lief fröhlich pfeifend aus der Kirche auf den Platz. Da sah er auf einer Bank einen kleinen Kerl in der Sonne sitzen.
Und Gott schob sich neben das Männlein, schlug die Beine übereinander und sagte:"...Kollege!"

Habe ich übrigens schon erwähnt, dass ich das Männlein auf der Bank war ;-)

Liebe Grüße Otto
 

Manfred Ach

Mitglied
Lieber Otto Lenk,

danke für den gelungenen Text!
Ich bin in "Kirchenasyl" auf "Schiffsbäuche" und stille ("Felsen")-"Dome" ausgewichen - eine "Höhlensehnsucht", denn - und da gebe ich dir und v.Veen völlig recht - die "Plakatierungen" in unseren Kirchen schnüren mir auch oft die Kehle zu. Aber: Ich suche die Kirche jenseits der Schlächter, möglicherweise ist es ein Asyl auf der Flucht vor einer schweigenden und kalten Kirche.
Lieben Gruß, durchaus österlich,
Manfred
 

Otto Lenk

Foren-Redakteur
Teammitglied
Diese "Orte" haben seltenheitswert in einer von gierigen Eitelkeiten zerfressenen Spaßgesellschaft. Ich finde diesen Ort ab und an in mir.

Mit durchaus österlichen Grüßen Otto
 



 
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