Kaffeebaby

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„Fallen Dir die Augen zu, trink Kaffee oder geh zur Ruh“, sagt eine alte kalifornische Bauernregel.
Es war früh am Morgen und ich gerade dabei aufzustehen, aber die bleischwere Decke presste mich gnadenlos ans Bett. Es schien wie immer paradox. Meine Decke war normalerweise federleicht, und der sanfteste Windstoss oder die vorsichtig-leidenschaftlichste Sexposition brachten sie üblicherweise zur sofortigen Flucht aus dem Bett auf den Boden.

Zeitig in der Früh aber, bevor noch die Sonne die ersten Strahlen ins Schlafzimmer schoss, klammerte sich meine Decke plötzlich mit einem Lebendgewicht von zehn ausgefressenen Eichhörnchen an mich und war nicht einmal durch meine durchtrainierten Muskeln auch nur einen Millimeter zu bewegen.

Natasha, meine russische Freundin, half mir bei diesem Phänomen immer sanft säuselnd „Wenn-du-fauler-Sack-nicht-sofort-aufstehst-dann-gibt-es-zwei-Wochen-Liebesentzug“ und zog mir mit einem Ruck die tonnenschwere Daunendecke weg.

Gegen diese frühmorgendlichen Grausamkeiten musste ich etwas tun, es half nur eine gute Tasse Kaffee. Zum Glück gibt’s an jeder Ecke in Kalifornien den Inbegriff amerikanischer Kaffeehauskultur namens „Starbucks“. Ich schlurfte noch schlaftrunken in die nächstgelegene Filiale, reihte mich gähnend in die dort wartende Spätnachmittagsschlange ein und wäre auch sonst noch meinen Gedanken nachgegangen, hätte mir nicht jemand unvermittelt auf die Schulter geklopft.

Adi, mein Freund aus Israel, stand vor mir. Seine Augen traten hervor, als ob ein naiver Jüngling zum ersten Mal eine nackte Frau erblickt hätte.
„Was ist denn mit Dir passiert? Du siehst ja zum Fürchten aus“, frug ich Adi.
„Lange Geschichte“, wunk er beschwichtigend ab, „Ich stehe heute schon zum achten Mal in der Warteschlange und habe bereits sieben Riesenbecher von diesem grauslichen Gesöff intus.“

Es war zu früh am Morgen. Ich verstand kein Wort von dem was Adi sagte. „Du stehst schon zum achten Mal hier an und saufst dich mit Kaffee an?“ Ich kratzte mich verwirrt zwischen den Beinen.

„Ja, genau. Du hast mich richtig verstanden.“ Adi schwappte verschwörerisch mit seinem Kaffeebecher und beugte sich zu mir vor. „Du weißt doch, Inbal - meine Frau – und ich erwarten ein Baby. Und wir suchen noch einen Namen für das Baby.“ Er versuchte mir mit seinem linken Auge zuzuzwinkern, aber es knirschte nur verrostet.

Ich verstand nach wie vor nichts. „Und deshalb kaufst du wie blöde Kaffee bei Starbucks?“

„Genau!“ Er strahlte mich an.

„Aber was hat Kaffee mit einem Babynamen zu tun?“

„Das ist doch ganz einfach.“ Er kam näher zu mir und flüsterte mir ins Ohr. „Jedes Mal, wenn du bei Starbucks Kaffee bestellst, musst du deinen Namen angeben.“ Er sah sich misstrauisch um, dann setzte er fort. „Damit rufen sie dich aus, sobald deine Bestellung fertig ist und du dir den Kaffee holen kannst.“

„Ja und?“

„So warte doch.“ Kaum noch hörbar wisperte er in mein Ohr. „Bei jeder Bestellung gebe ich einen neuen Namen an und teste, welchen davon die Kellner richtig aussprechen. Sieben Namen habe ich schon ausprobiert, ein Reinfall nach dem anderen, sage ich dir. Birgit wurde zu Brischitt, Sabine zu Seybeini, Jutta zu Tschutta. Der reinste Namenstsunami.“

In diesem Moment war Adi mit der Bestellung dran. „Ihr Name bitte?“ kam die Frage.
Adi warf mir einen viel sagenden Blick zu, wandte sich an den Kellner und artikulierte laut und deutlich: „Leila“.

Kaum hatte er den Namen ausgesprochen, als aus den verschiedenen Ecken, Eingangstüren und Kellerlöchern des Kaffeehauses mehrere Bodybuilder in dunklen Anzügen und schwarzen Sonnenbrillen auf den überraschten Adi stürzten und ihm nach einem hangreiflichen Austausch von Höflichkeiten Handschellen anlegten.

„Ist er das?“ rief einer der muskelbepackten Anzugträger.
„Ja, genau der ist es“ antwortete der Kellner. „Gibt schon zum achten Mal einen anderen Namen an und jetzt auch noch einen arabischen. Außerdem schaut er gar nicht aus wie ein Mädchen.“

„Sie haben das Recht zu schweigen. Alles was sie jetzt sagen, kann gegen sie verwendet werden“, zitierte einer der Bodybuilder, bevor sie Adi in einen scheinbar aus dem Nichts vor dem Kaffeehaus aufgetauchten Polizeiwagen schubsten.

„Und ihr Name?“ tönte es an mein Ohr. Ich war mit meiner Bestellung dran.

„Maria, ääääh Mario natürlich“, stammelte ich überrumpelt. Der Kellner beäugte mich misstrauisch.

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Einige Wochen später - ich hatte den Vorfall schon längst vergessen - flatterte eine Geburtsanzeige von Adi und Inbal ins Haus. Eine Karte mit einem entzückenden Babyfoto und einer Mitteilung schlüpfte aus dem Umschlag. Natasha und ich lasen gerührt: „Wir freuen uns, die Geburt unserer Tochter Coffelia bekannt zu geben. Gewicht: 3,5 Liter Kaffee mit Milch. Augenfarbe: Cappucinobraun. Seither brauchen wir auch keinen Kaffee mehr, um aufzuwachen. Darum kümmert sich nun unsere Tochter.“
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
ei,

wie wird die kleine begeistert sein, wenn sie begriffen hat, wie sie heißt. das wird sie spätestens, wenn einer Cafelatrine zu ihr sagt. Coffelia wäre doch viel hübscher, ne?
ein herrlicher unfug, deine geschichte.
lg
 
Coffelia klingt tatsächlich besser. Ich hatte an Melangine, Espressa oder Cappucina gedacht, aber Coffelia mag ich am besten. Vielleicht ändere ich's noch auf diesen Namen.
Und ja: Caffelatrina, diese Assoziation hatte ich auch schon ;-)

Marius
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
aber

im nachhinein fiel mir ein, dass Kaffeelattine praktisch ein zusätzlicher gag ist. zwar nicht jedermanns geschmack, kommt drauf an, für welches publikum du liest.
lg
 



 
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