Kalt und blass

3,30 Stern(e) 3 Bewertungen

Selbstlos

Mitglied
Kalt und blass

Die S-Bahn stand schon im Bahnhof und wartete auf die Abfahrt. Ich wählte ein recht leeres Abteil in einem der hinteren Waggons. Es war, bis auf einen älteren Herrn mit Zylinder, Frack und Spazierstock und einer ebenfalls ziemlich altmodisch gekleideten Dame, leer. Meine Augen blieben für einen kurzen Moment an ihrer langen Halskette hängen, an der ein Medaillon baumelte. Mir war, als hätte die kleine Figur, die vorne drauf gemalt war, zugezwinkert. Etwas verwirrt nahm ich ganz in der Nähe am Fenster Platz. Ich konnte das seltsame Paar sehen wenn ich mich zur Seite beugte, doch ich zog es zunächst vor, aus dem Fenster zu schauen.
Draußen liefen Menschen wild umher. Einigen stiegen in den Zug ein, andere sahen sich suchend um und wieder andere standen dicht an der Bahn und streckten die Hände aus, um den Reisenden durch die Tür noch die Hand zu drücken. Ich war viel zu sehr in meine Beobachtungen versunken, als dass ich gemerkt hätte, dass niemand außer mir in dieses Abteil gestiegen war. Eine Großmutter steckte ihrer Enkelin noch ein Stück Schokolade zu, als die Mutter gerade nicht hinsah. Großmutter und Enkelin tauschten noch einen geheimnisvollen Blick. Da ertönte ein Piepen, die Türen schlossen sich und die Bahn fuhr mit einem Ruck an. Die Bahn gewann schnell an Tempo und ließ den Bahnsteig hinter sich. Die zurückgebliebenen Menschen waren nur noch kleine Punkte. Ich lehnte mit in meinem Sitz zurück und mich überkam plötzlich ein Gefühl von Traurigkeit. Mich hatte niemand am Bahnsteig verabschiedet. Auch hatte niemand auf mich gewartet. Ich war allein gekommen, reiste allein und wollte eigentlich auch allein sein. Hoffnungslose Melancholie hatte Besitz von mir ergriffen und zog mich mit sich in ein tiefes schwarzes Loch. Ich hatte es nicht mehr ausgehalten und hatte getan, was ich immer tat, wenn ich glaubte die Welt würde untergehen; ich stieg in die nächste Straßenbahn und ließ mich treiben. Ich war durch die ganze Stadt gefahren, ohne Ziel und Hoffnung. Ich versuchte mich abzulenken. Das klappte eigentlich immer. Ich musste nur so lange aus dem Fenster schauen bis die Welt anfing an mir vorbei zu ziehen. Dieses mal wusste ich, dass ich lange fahren müsste, um alles an mir vorbeirauschen zu lassen. Ich hatte ein Ticket gelöst, von dem ich glaubte, dass ich damit recht weit kommen würde, vielleicht ein wenig aus der Stadt raus. Und jetzt saß ich hier in diesem Abteil in Richtung Nirgendwo.
Ohne dass ich es gemerkt hatte, waren mir heiße Tränen über die Wangen gelaufen. Wie plötzlich aus einem Traum gerissen schreckte ich auf. Die Dame mit der Halskette hatte sich über mich gebeugt und begutachtete mich eindringlich. Ich nahm einen zarten Lavendelduft war, was mich eigentümlich beruhigte. Der Zug ratterte vor sich hin. Es erschien mir sehr weit weg. Die Lavendeldame sprach kein Wort, sah mich nur weiter mit besorgten Augen an und schüttelte schließlich kaum merklich den Kopf. Dann verschwand sie. Als sie zurückkehrte hatte sie ein Glas in der Hand und den älteren Herrn im Schlepptau. Durch den Dampf, der aus dem Glas aufstieg nahm ich unscharf sein freundliches Gesicht war. Das Glas verströmte einen intensiven Duft nach Kräutern und etwas, dass ich nicht recht definieren konnte. Ich war so müde. scheinbar hatte ich ziemlich lange aus dem Fenster gestarrt und still geweint. Die Zeit war an mir vorbei gerauscht. Ich merkte kaum was um mich geschah. Hatten wir irgendwo gehalten? Waren andere Menschen im Waggon? Wo waren wir überhaupt? Ich konnte es nicht sagen.
Die Lavendeldame hielt mir das Glas an die Lippen. Woher kam es plötzlich, was roch da so eigentümlich, wer war sie? Ich war viel zu schwach um mich zu wehren. Gehorsam trank ich das Glas ganz leer. Ich konnte nicht sagen warum, aber ich vertraute ihr blind. Sie lächelte, als ob sie mir sagen wollte, dass ich sehr tapfer war. Wie man es zu einem kind sagt, dass bittere Medizin schlucken muss. Die Flüssigkeit in dem Glas schmeckte jedoch angenehm süß. Mit einem letzten Gedanken an mein warmes Bett schlief ich schließlich ein, das Quietschen der Bremsen noch im Ohr und eine leise Stimme, die aus dem Lautsprecher drang.
Ich wachte auf, als sich der ältere Herr über mich beugte und mich freudig anstrahlte. Genauso vornehm wie er gekleidet war sprach er auch. Zwar etwas altmodisch, aber sehr höflich und gewählt. Ich wunderte mich allerdings mehr darüber, dass er sprach. Bevor ich eingeschlafen war hatte er neben meinem Sitz gestanden und ebenso wie die Lavendeldame kein Wort gesprochen. Er fragte mich leise nach meinem Befinden und ob ich gut genächtigt hätte. Was? Wie spät war es denn nur? Waren wir schon angekommen? Nein, nein, beruhigte er mich, der Zug habe eben die Strecke verlasssen und sei auf dem Weg nach Nirgendwo. Ach ja, dass hatten wir ja schon geklärt. Nirgendwo, genau da wollte ich doch hin. Bevor ich mich weiter wundern konnte, kam auch die Lavendeldame auf mich zu und erkundigte sich ebenfalls nach meinem Befinden. \"Nicht war, eine Zugreise ist doch wesentlich angenehmer als diese unbequemen Postkutschen?\" ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte. Ich starrte sie stumm an. \"Ich bin froh, dass du den Weg zu uns gefunden hast, Liebes. Ich denke, es wird die guttun wieder Gesellschaft um dich zu haben.\" Sie lächelte wieder und ging mit raschelnden Röcken davon. Ich folgte ihr mit den Augen durch den Waggon. Der Boden war mit dunklem Teppich, die Wände und die Decke mit rotem Samt ausgekleidet. Obwohl von der Decke nicht mehr viel zu sehen war, denn da hingen plötzlich fünf riesige Kronleuchter, an denen unzählige Kerzen brannten und das Abteil beleuchteten. Nach einer normalen S-Bahn sah mir das nicht mehr aus. Eher wie der Salon einer Villa aus einer längst vergangenen Zeit. Zudem war das Abteil plötzlich voller Menschen, die ich zuvor nicht bemerkt hatte. Wo kamen die alle her? Waren sie auf der Strecke irgendwann eingestiegen? Es waren junge Männer und kichernde Mädchen, Brandy trinkende Männer und Damen mit langen Röcken, hochaufgetürmten Frisuren und weißen Gesichtern. Sie ähneltem mehr oder weniger der Lavendeldame und ihrem Begleiter mit der blassen Haut, die sich angeregt mit einem Mann unterhielten, der noch etwas vornehmer war als die anderen. Er schien eine Art Autorität zu sein. Denn als er die Stimme erhob, wurden alle still und wandten ihm ihre fröhlichen Gesichter zu. Er kam mit großen Schritten auf mich zu und nahm meine Hand, um mit einer tiefen Verbeugung einen Handkuss anzudeuten. \"Willkommen an Bord dieses Zuges, junges Fräulein! Es ist mir eine Ehre, Ihnen eine Zugfahrt der ganz besonderen Art bieten zu dürfen. Genießen Sie Ihren Aufenthalt! Ich darf Ihnen, auch im Namen der anderen Fahrgäste, noch eine angenehme Reise wünschen.\" So langsam verstand ich gar nichts mehr. Die Lavendeldame hatte sich in der Zwischenzeit zu mir gesetzt. Noch immer lächelte sie. Seltsam war sie, so bleich und freundlich. Auch die Gesellschaft war recht nett. Die Männer hatten angefangen Karten zu spielen und unterhielten sich über Politik. Die jungen Leute saßen beisammen und scherzten, während einige Damen sich mit edlen Fächern Luft zuwedelten. Jemand hatte mir ein Getränk gebracht, dass mich von innen wärmte und mich meine düsteren Gedanken vergessen ließ.
Anscheinend näherten wir uns dem Ziel. Einige der Fahrgäste fingen an ihre Sachen zusammen zu packen. Die Damen rafften ihre Röcke, die Herren tranken ihre Gläser aus und ließen die Spielkarten in ihren Westentaschen verschwinden und die jungen Leute wurden noch ein wenig unruhiger. Ich fragte mich wohin mein Traum mich noch führen würde. Denn ich hatte beschlossen, dass das alles nur ein Traum sein konnte. War ich nicht eingeschlafen? Eben. Ich träumte noch immer. Bis jetzt hatte es mir recht gut gefallen. Und daher beschloss ich meinen Traum weiter zu genießen. Doch fing ich an zu überlegen, wo wir aussteigen würden. Ich hatte nicht erwartet an ein Ziel zu gelangen. Mir wurde etwas mulmig in der Magengegend. Mit dem Piepton öffneten sich die Türen. Ich stieg aus und zu meiner größten Verwunderung befand ich mich wirklich in einem Salon. Er sah aus wie der Waggon. Der Waggon? Wo war er? Als ich mich umschaute war er verschwunden, so dachte ich zunächst. Als ich ein lautes Dröhnen vernahm, schaute ich in den Himmel und entdeckte, dass die S-Bahn sich in schwindelnder Höhe über uns befand. Die Decke des Hauses existierte nicht. Stattdessen schwebte die Bahn unter den Sternen. Mit einem Pfiff und lautem Geratter entfernte sich die Bahn in die Dunkelheit.
Die Gesellschaft war noch da. So als ob nie etwas geschehen wäre.
Ich spürte die Blicke der Leute auf mir ruhen. Ich schaute an mir hinab und sah mich in einem bodenlangen Kleid aus hellgelber Seide. Meine Haare türmten sich zu einem riesigen Bienenstock und Ringe blinkten an meinen behandschuhten Fingern. Ich sah aus, als gehörte ich je her zu der feinen Gesellschaft. Auch fühlte ich mich gar nicht fremd. Es war, als ob ich alle kennen würde. Ich schaute mich um. Da kam durch den Raum jemand auf mich zugeschwebt. Leichtfüßig, blass, doch elegant, meine Großmutter. Großmutter? Nein, sie war doch lange tot. Das Bild meines Traumes wurde unscharf, ich fiel zu Boden. Als ich erwachte, blickte ich direkt in das weiße Gesicht meiner Großmutter. Alles schien wirklich und real. Eine unerklärliche Angst kam in mir auf. Doch gleichzeitig wurde mir klar, dass ich mich nicht fürchten müsse. Ich war schließlich da angekommen, wo ich hingewollt hatte. Jetzt spürte ich erst, wie kalt Großmutter war. Hatte ich es wirklich nicht gemerkt?
 

AdamSmith

Mitglied
Das war alles?????

Hallo Selbstlos,
zuerst muss ich sagen: Ich finde deine Geschichte große Klasse (8 Punkte)

Und jetzt zu der Kritik:

1. Die melancholische Stimmung am Anfang ist so wunderschön - warum hälst du sie nur so kurz??? Ich fände ein bißchen mehr "Begeisterung" gut - schwelge doch länger darin!

2. Warum bekommen wir kein Ende? Natürlich sollte eine Kurzgeschichte grundsätzlich offen bleiben - aber du überlässt es dem Leser selber zu verstehen, was du sagen willst - Ist deine Hauptfigur tot? Durch die Zeit gereist? In einer anderen Dimension? Ich glaube aber, dass du weiter führen willst und finde ich sehr schade, dass du dem Leser nicht noch einen Tritt in die richtige Richtung gibst.

3. Das mit dem Entschluss, dass es ein Traum ist finde ich falsch aufgebaut - du solltest es früher einfügen und dann öfter wiederholen - bis zu der Stelle mit der Großmutter, wo plötzlich klar wird, dass dies kein Traum ist - wie wäre es mit Verschwommenheit der Umgebung oder änhlichen Hinweisen auf einen Traum?

4. Ich finde S-Bahnen so unromantisch! Das Wort alleine ist schon total technokratisch - wie wäre es mit einem Zug oder etwas in der Art - das lässt mehr Platz!

So, das war erst mal alles! Nach dem nächsten Lesen kommt mehr!

Liebe Grüße
Adam
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
Korrekturvorschläge:

Kalt und blass
Veröffentlicht von Selbstlos am 12. 01. 2005 16:32
Kalt und blass

Die S-Bahn stand schon im Bahnhof und wartete auf die Abfahrt. Ich wählte ein recht leeres Abteil in einem der hinteren Waggons. Es war, bis auf einen älteren Herrn mit Zylinder, Frack und Spazierstock und einer ebenfalls ziemlich altmodisch gekleideten Dame, leer. Meine Augen blieben für einen kurzen Moment an ihrer langen Halskette hängen, an der ein Medaillon baumelte. Mir war, als hätte die kleine Figur, die vorne drauf gemalt war, (mir) zugezwinkert. Etwas verwirrt nahm ich ganz in der Nähe am Fenster Platz. Ich konnte das seltsame Paar sehen(Komma) wenn ich mich zur Seite beugte, doch ich zog es zunächst vor, aus dem Fenster zu schauen.
Draußen liefen Menschen wild umher. [red] Einigen [/red] (Einige) stiegen in den Zug ein, andere sahen sich suchend um und wieder andere standen dicht an der Bahn und streckten die Hände aus, um den Reisenden durch die Tür noch die Hand zu drücken. Ich war viel zu sehr in meine Beobachtungen versunken, als dass ich gemerkt hätte, dass niemand außer mir in dieses Abteil gestiegen war. Eine Großmutter steckte ihrer Enkelin [blue] noch [/blue] (überflüssig) ein Stück Schokolade zu, als die Mutter gerade nicht hinsah. Großmutter und Enkelin tauschten noch einen geheimnisvollen Blick. Da ertönte ein Piepen, die Türen schlossen sich und die Bahn fuhr mit einem Ruck an. Die Bahn gewann schnell an Tempo und ließ den Bahnsteig hinter sich. Die zurückgebliebenen Menschen waren nur noch kleine Punkte. (Absatz)Ich lehnte [red] mit [/red] (mich) in meinem Sitz zurück und mich überkam plötzlich ein Gefühl von Traurigkeit. Mich hatte niemand am Bahnsteig verabschiedet. Auch hatte niemand auf mich gewartet. Ich war allein gekommen, reiste allein und wollte eigentlich auch allein sein. Hoffnungslose Melancholie hatte Besitz von mir ergriffen und zog mich mit sich in ein tiefes schwarzes Loch. (Absatz)Ich hatte es nicht mehr ausgehalten und hatte getan, was ich immer tat, wenn ich glaubte(Komma) die Welt würde untergehen; ich stieg in die nächste Straßenbahn und ließ mich treiben. Ich war durch die ganze Stadt gefahren, ohne Ziel und Hoffnung. Ich versuchte mich abzulenken. Das klappte eigentlich immer. Ich musste nur so lange aus dem Fenster schauen(Komma) bis die Welt anfing(Komma) an mir vorbei zu ziehen. Dieses mal wusste ich, dass ich lange fahren müsste, um alles an mir vorbeirauschen zu lassen. Ich hatte ein Ticket gelöst, von dem ich glaubte, dass ich damit recht weit kommen würde, vielleicht ein wenig aus der Stadt raus. Und jetzt saß ich hier in diesem Abteil in Richtung Nirgendwo.
Ohne dass ich es gemerkt hatte, waren mir heiße Tränen über die Wangen gelaufen. Wie plötzlich aus einem Traum gerissen(Komma) schreckte ich auf. Die Dame mit der Halskette hatte sich über mich gebeugt und begutachtete mich eindringlich. Ich nahm einen zarten Lavendelduft[red] war[/red] (wahr), was mich eigentümlich beruhigte. Der Zug ratterte vor sich hin. Es erschien mir sehr weit weg.(was erschien weit weg?) Die Lavendeldame sprach kein Wort, sah mich nur weiter mit besorgten Augen an und schüttelte schließlich kaum merklich den Kopf. Dann verschwand sie. Als sie zurückkehrte(Komma) hatte sie ein Glas in der Hand und den älteren Herrn im Schlepptau. Durch den Dampf, der aus dem Glas aufstieg(Komma) nahm ich unscharf sein freundliches Gesicht war. Das Glas verströmte einen intensiven Duft nach Kräutern und etwas, [red] dass [/red] (das) ich nicht recht definieren konnte. Ich war so müde. scheinbar hatte ich ziemlich lange aus dem Fenster gestarrt und still geweint. Die Zeit war an mir vorbei gerauscht. Ich merkte kaum(Komma) was um mich geschah. Hatten wir irgendwo gehalten? Waren andere Menschen im Waggon? Wo waren wir überhaupt? Ich konnte es nicht sagen.
Die Lavendeldame hielt mir das Glas an die Lippen. Woher kam es plötzlich, was roch da so eigentümlich, wer war sie? Ich war viel zu schwach(Komma) um mich zu wehren. Gehorsam trank ich das Glas ganz leer. Ich konnte nicht sagen warum, aber ich vertraute ihr blind. Sie lächelte, als ob sie mir sagen wollte, dass ich sehr tapfer war. Wie man es zu einem [red] kind [/red] (Kind) sagt, [red] dass [/red] (das) bittere Medizin schlucken muss. Die Flüssigkeit in dem Glas schmeckte jedoch angenehm süß. Mit einem letzten Gedanken an mein warmes Bett schlief ich schließlich ein, das Quietschen der Bremsen noch im Ohr und eine leise Stimme, die aus dem Lautsprecher drang.
Ich wachte auf, als sich der ältere Herr über mich beugte und mich freudig anstrahlte. Genauso vornehm(Komma) wie er gekleidet war(Komma) sprach er auch. Zwar etwas altmodisch, aber sehr höflich und gewählt. Ich wunderte mich allerdings mehr darüber, dass er sprach. Bevor ich eingeschlafen war(Komma) hatte er neben meinem Sitz gestanden und ebenso wie die Lavendeldame kein Wort gesprochen. Er fragte mich leise nach meinem Befinden und ob ich gut genächtigt hätte. (Absatz)Was? Wie spät war es denn nur? Waren wir schon angekommen? Nein, nein, beruhigte er mich, der Zug habe eben die Strecke [red] verlasssen [/red] (verlassen) und sei auf dem Weg nach Nirgendwo. Ach ja, [red] dass [/red] (das) hatten wir ja schon geklärt. Nirgendwo, genau da wollte ich doch hin. (Absatz)Bevor ich mich weiter wundern konnte, kam auch die Lavendeldame auf mich zu und erkundigte sich ebenfalls nach meinem Befinden. \"Nicht[red] war[/red] (wahr), eine Zugreise ist doch wesentlich angenehmer als diese unbequemen Postkutschen?\" [red] ich [/red] (Ich) wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte. Ich starrte sie stumm an. \"Ich bin froh, dass du den Weg zu uns gefunden hast, Liebes. Ich denke, es wird die gut(getrennt)tun(Komma) wieder Gesellschaft um dich zu haben.\" (Absatz)Sie lächelte wieder und ging mit raschelnden Röcken davon. Ich folgte ihr mit den Augen durch den Waggon. Der Boden war mit dunklem Teppich, die Wände und die Decke mit rotem Samt ausgekleidet. Obwohl von der Decke nicht mehr viel zu sehen war, denn da hingen plötzlich fünf riesige Kronleuchter, an denen unzählige Kerzen brannten und das Abteil beleuchteten. Nach einer normalen S-Bahn sah mir das nicht mehr aus. Eher wie der Salon einer Villa aus einer längst vergangenen Zeit. Zudem war das Abteil plötzlich voller Menschen, die ich zuvor nicht bemerkt hatte. Wo kamen die alle her? Waren sie auf der Strecke irgendwann eingestiegen? Es waren junge Männer und kichernde Mädchen, Brandy trinkende Männer und Damen mit langen Röcken, hoch(getrennt)aufgetürmten Frisuren und weißen Gesichtern. Sie [red] ähneltem [/red] (ähnelten) mehr oder weniger der Lavendeldame und ihrem Begleiter mit der blassen Haut, die sich angeregt mit einem Mann unterhielten, der noch etwas vornehmer war als die anderen. Er schien eine Art Autorität zu sein. Denn als er die Stimme erhob, wurden alle still und wandten ihm ihre fröhlichen Gesichter zu. Er kam mit großen Schritten auf mich zu und nahm meine Hand, um mit einer tiefen Verbeugung einen Handkuss anzudeuten. \"Willkommen an Bord dieses Zuges, junges Fräulein! Es ist mir eine Ehre, Ihnen eine Zugfahrt der ganz besonderen Art bieten zu dürfen. Genießen Sie Ihren Aufenthalt! Ich darf Ihnen, auch im Namen der anderen Fahrgäste, noch eine angenehme Reise wünschen.\" (Absatz)So langsam verstand ich gar nichts mehr. Die Lavendeldame hatte sich in der Zwischenzeit zu mir gesetzt. Noch immer lächelte sie. Seltsam war sie, so bleich und freundlich. Auch die Gesellschaft war recht nett. Die Männer hatten angefangen(Komma) Karten zu spielen und unterhielten sich über Politik. Die jungen Leute saßen beisammen und scherzten, während einige Damen sich mit edlen Fächern Luft zuwedelten. Jemand hatte mir ein Getränk gebracht, [red] dass [/red] (das) mich von innen wärmte und mich meine düsteren Gedanken vergessen ließ.
Anscheinend näherten wir uns dem Ziel. Einige der Fahrgäste fingen an(Komma) ihre Sachen zusammen zu packen. Die Damen rafften ihre Röcke, die Herren tranken ihre Gläser aus und ließen die Spielkarten in ihren Westentaschen verschwinden und die jungen Leute wurden noch ein wenig unruhiger. Ich fragte mich(Komma) wohin mein Traum mich noch führen würde. Denn ich hatte beschlossen, dass das alles nur ein Traum sein konnte. War ich nicht eingeschlafen? Eben. Ich träumte noch immer. Bis jetzt hatte es mir recht gut gefallen. Und daher beschloss ich(Komma) meinen Traum weiter zu genießen. Doch fing ich an zu überlegen, wo wir aussteigen würden. Ich hatte nicht erwartet(Komma) an ein Ziel zu gelangen. Mir wurde etwas mulmig in der Magengegend. (Absatz)Mit dem Piepton öffneten sich die Türen. Ich stieg aus und zu meiner größten Verwunderung befand ich mich wirklich in einem Salon. Er sah aus wie der Waggon. Der Waggon? Wo war er? Als ich mich umschaute(Komma) war er verschwunden, so dachte ich zunächst. [blue] Als ich ein lautes Dröhnen vernahm, [/blue] (Ich vernahm ein lautes Dröhnen,) schaute ich in den Himmel und entdeckte, dass die S-Bahn sich in schwindelnder Höhe über uns befand. Die Decke des Hauses existierte nicht. Stattdessen schwebte die Bahn unter den Sternen. Mit einem Pfiff und lautem Geratter [blue] entfernte sich die Bahn [/blue] (entfernte sie sich) in die Dunkelheit.
Die Gesellschaft war noch da. [blue] So [/blue] (überflüssig) als ob nie etwas geschehen wäre.
Ich spürte die Blicke der Leute auf mir ruhen. Ich schaute an mir hinab und sah mich in einem bodenlangen Kleid aus hellgelber Seide. Meine Haare türmten sich zu einem riesigen Bienenstock und Ringe blinkten an meinen behandschuhten Fingern. Ich sah aus, als gehörte ich je her zu der feinen Gesellschaft. Auch fühlte ich mich gar nicht fremd. Es war, als ob ich alle kennen würde. (Absatz)Ich schaute mich um. Da kam durch den Raum jemand auf mich zugeschwebt. Leichtfüßig, blass, doch elegant, meine Großmutter. Großmutter? Nein, sie war doch lange tot. Das Bild meines Traumes wurde unscharf, ich fiel zu Boden. Als ich erwachte, blickte ich direkt in das weiße Gesicht meiner Großmutter. Alles schien wirklich und real. Eine unerklärliche Angst kam in mir auf. Doch gleichzeitig wurde mir klar, dass ich mich nicht fürchten müsse. Ich war schließlich da angekommen, wo ich hingewollt hatte. Jetzt spürte ich erst, wie kalt Großmutter war. Hatte ich es wirklich nicht gemerkt?
Mir gefällt diese leicht gruselige Geschichte. Bin gespannt auf weiteres von dir.
lg
 



 
Oben Unten