Katheterlegen

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plosiv

Mitglied
Was für ein Zustand! Ich bin es ebenso gewohnt wie leid, dass die ambulante Pflege keinen guten Ruf hat. Aber ein Krankenhaus kann dich töten! Ich nehme also einen Patienten nach einer Routineoperation wieder zu hause auf. Er ist alt genug, um wirklich ernsthaft und vielleicht tödlich krank zu sein. So ist das Leben, immer ein Sterben. Aber er konnte, schmerzlich zwar, laufen, als ich ihn das letzte Mal sah. Jetzt ist er ans Bett gefesselt, was für ein treffender Ausdruck. In jungen Jahren mag es ja einen gewissen Reiz haben, vielleicht aus amourösen Gründen ans Bett gefesselt zu sein, doch nun besteht sein ganzer Kosmos aus einer 90 x 200 cm Matratze. Das kann selbst dem liebestollsten Paar zuviel werden. Ich suche den ganzen ausgemergelten Körper nach Druckstellen und -geschwüren ab, finde natürlich einge davon in den verschiedensten Zuständen, pumpe mich schon innerlich gegen diese infamen Pflegefehler der stationären Einrichtung auf und entdecke einen Katheter! Und die Vorhaut ist nicht zurückgezogen! Höllische Schmerzen wegen des gestörten Rückflusses des Blutes aus der Eichel! Ich versuche die Vorhaut wieder zurückzustreifen, was natürlich nicht mehr funktioniert. Ich dokumentiere den Zustand des Patienten genau, mache meine Fotos. Ich habe eine unbändige Wut auf das offensichtlich nicht qualifizierte Pflegepersonal. Ich informiere meine Chefin und die Hausärztin, setze mich umgehend aber vergeblich da Wochenende mit dem Urologen in Verbindung und übergebe meinen Patienten an den Wochenenddienst.

Am Montag eröffnet mir meine Chefin, dass ich verzweifelt versucht habe, einem beschnittenen Mann die Vorhaut zurückzuziehen.

Nun bin ich mit dem Krankenhauspersonal versöhnt und schaue lieber zweimal hin...
 

Antilope

Mitglied
Ungewöhnliches Thema aus der Sicht eines Durchschnittslesers.
Was ich sehr reizvoll finde. Kreativität sollte sich auf allen Bereichen des Lebens äußern - auch nicht Halt machen vor Dingen, die nur bestimmten Personengruppen zugänglich sind ...um zu merken, da wird auch nur mit Wasser gekocht? Nein, im Ernst: Was an deinem Text spannend ist, ist daß ihn verschiedene Personen anders mit ihm umgehen. Ein "normaler" Leser stolpert erstmal über Begriffe wie Katheter, Vorhaut, Eichel...Worte, die der Normalmensch eigentlich vorwiegend im sexuellen Bereich benutzt. (Katheter natürlich nicht, aber es hat schon mal was Pikantes. Und der Rest - naja, ich bin kein Mann, vielleicht sieht man das als solcher anders.)
Erst nach dem Stolpern erkennt man den Sinn des Ganzen - ein allgemeinmenschliches Prinzip, das irgendwie jedem vertraut ist. Also doch ganz einfach.
Ein Arzt oder vielleicht überhaupt Krankenhauspersonal, wäre vielleicht schwerer vom Inhalt dieses Textes zu verblüffen. Oder zu schockieren. Aber wohl nicht jeder Arzt würde auf die Idee kommen,über sowas zu schreiben.
(Gibt es eigentlich viele schreibende Ärzte, nebenbei gefragt? Man stellt sich die immer so in einer anderen Welt vor. Sie laufen ja auch immer in Weiß rum ;) )

Also, kurz gesagt, eröffnet sich eine völlig andere Perspektive.

Ich mag Interdisziplinarität.

Beste Grüße
Antilope
 
Hallo plosiv

Sollte man deinen Text wirklich als Tagebucheintrag stehen lassen?
Wäre Satire nicht wesentlich angebrachter?
Habe den Text sehr gerne gelesen.

Genau so........Stephanie
 

Antilope

Mitglied
Also ich persönlich würde den Text nicht unter "Satire" stellen. Ich finde, das es ihm die Authentizität nehmen würde. Ein satirischer Text ist meistens übersteigert. Also denkt der Leser, das dieses Getue mit Vorhaut und Katheter fiktiv ist oder zumindest übertrieben. Absichtlich, Um den Leser aufmerksam zu machen.

Denke ich jedenfalls

Freundliche Grüße
Antilope
 

plosiv

Mitglied
Hm, mein Leben ist offensichtlich eine Satire, diese Episode ist mir leibhaftig und in Wirklichkeit passiert! Ich schreibe hier über das, was ich erfahre. Vielleicht betrachte ich mich sehr augenzwinkernd...

Liebe Grüße

p.
 



 
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