Katholische Paartherapie

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zola

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Katholische Paartherapie

Als es endlich so weit war, hatte Nicoletta drei Wochen Zeit gehabt, ihre Wut über Monsignore Gastagers Vorschlag , wir sollten gemeinsam eine Paartherapie aufsuchen, verrauchen zu lassen.
Der Eingang zur ehepsychologischen Beratungsstelle der Erzdiözese Freising lag versteckt im Hauseingang einer Gasse der benachbarten Kleinstadt. Kein Nachbar sollte es sehen, wenn die Paare aus glücklichen Ehen aus abbezahlten Einfamilienhäusern sich hier zur Offenbarung ihrer gescheiterten Ehen einfanden.
Nach dreiwöchiger Wartezeit hatten Nicoletta und ich einen Termin bekommen, der so lag, daß wir rechtzeitig zum Mittagessen zurück sein würden, um den Kindern mittags eine heile Familie vorzuspielen.
Der Ehetherapeut, war Diplompsychologe Herbert Rittinger, ein bärtiger Gesundheitsschuhträger im grünen Sweatshirt, bat uns mit einem amüsierten Blick in ein kahles Zimmer, wo wir auf Kissen Platz nahmen. Wie jeder gute Therapeut sagte er gar nichts. Da auch Nicoletta schwieg, begann ich:
„Wir leben mit unseren Kindern auf einem Bauernhof bei Steinkirchen. Wir kommen aus Berlin. Ich liebe Nicoletta und habe totale Sehnsucht nach ihr, aber sie kann meine Liebe überhaupt nicht annehmen. Ich darf sie nicht einmal berühren. Sie-„
„Und Sie?“, wandte er sich Nicoletta zu.
„Ich habe das Gefühl, eine Gefangene von ihm zu sein. Ich möchte mich trennen, aber dafür ist kein Geld da.“
„Warum möchten Sie sich trennen?“
„Er hat mich so alleine gelassen, als es mir schlecht ging. Er sieht nur sich und sein Bild von einer heilen Welt.“
Das Letztere stimmte völlig. In meiner heilen Welt bildete meine schöne Nicoletta unwidersprochen den Mittelpunkt. Selbstzufrieden lächelte ich in mich hinein.
„Ihr Mann scheint das zu genießen“, bemerkte der Therapeut.
„Passen Sie auf“, begann sie mit einer verschwörerischen Geste, „Er wird so tun, als ob es gar nichts zu ändern gäbe. Er wird Sie verführen, ihm zu glauben.“
„Keine Sorge“, beruhigte er sie, „aber es geht hier um Sie beide, nicht nur um ihn.“
Nicoletta geriet langsam in Rage. Sie schüttelte unwillig den Kopf und sagte mehr zu sich selbst: „Er wird sich rausreden. Er wird alles als mein Problem darstellen. Er wird die anderen Männer für sich gewinnen…“
Insgeheim freute ich mich, dass der Therapeut von Anfang an merkte, dass nicht ich, sondern sie das Problem in unserer Ehe war. Dummerweise spielt es aber bei einer kaputten Ehe nicht die geringste Rolle, wer der beiden schuld ist. Jeder für sich reicht bereits zur vollständigen Zerrüttung aus.
Nach eineinhalb Stunden verabschiedete er uns und bot uns an, in zwei Wochen wiederkommen zu dürfen. Wir blieben noch in der Kleinstadt und kauften einen Sancerre und frischen Thunfisch, um unsere erste gemeinsame Therapiestunde gebührend zu feiern.
Als unsere Buben um zwei aus der Schule zurückkamen, fanden sie einen festlich gedeckten Tisch vor. Eine Literflasche Cola kündete vom Verwöhnungsdrang der Ernährer. Wenn uns jetzt Monsignore Gastager so gesehen hätte – der Dank für die Erhörung der Gebete für die verlorene Hippiefamilie wäre dem Herrn gewiss gewesen. Um dem Ganzen noch eine übermütige Krone aufzusetzen, ordnete ich ein väterliches Tischgebet an. Zwar spürte ich, dass Nicoletta nur mitmachte, weil sie gerade zu müde zum streiten war, aber immerhin fügten die Kinder meiner „gesegneten Mahlzeit“ je ein deutlich vernehmbares „Amen“ hinzu. Und, der Teufel hole mich, wenn es nicht stimmte: Nicoletta drückte mir einen dicken, fast zärtlichen Kuß auf die Wange. Träumte ich? Waren wir bereits nach einer Therapiestunde bei der Caritas dabei, katholisch zu werden?
Ich sah zu Nicoletta hinüber, die abwesend und melancholisch, aber durchaus entspannt zum Fenster hinaussah. Sie beantwortete meinen Blick mit einem kurzen, koketten Lächeln. Sie genoß meine Begierde und glaubte, sie dadurch am besten zu pflegen, daß sie sie nie erfüllte. Ich spürte aber auch, dass sie all das nicht wirklich wollte, ohne dabei die Kraft für einen Ausbruch zu haben.
Vielleicht begann das Katholisch-Sein damit, dass wir uns beide in unser Schicksal ergaben? Vielleicht war das Akzeptieren des eigenen, von Gott gegebenen Lebens der eigentliche Sinn der Religion, während das Gebet mit all seinen Wünschen und Hoffnungen sich doch im Grunde genau gegen dieses Schicksal wehrte?
Schließlich beteten doch alle, um gesünder und reicher, glücklicher und erfolgreicher zu sein:
„Heilige Maria
Mutter der Gnade
Bitte für uns jetzt
Und in der Stunde unserer Ewigkeit.“
Das Bitten war geradezu eine Verneinung des gottgegebenen Schicksals. Ein Aufstand. Eine Revolution.
Herr gib, das alles ganz anders wird!
Ich beschloß, mich auf die Seite des Schicksals zu schlagen, in dem ich ja in einer intakten und gesunden Familie lebte. Warum sollte ausgerechnet ich diese Idylle zerstören? Mit diesem Gedanken im Kopf sass ich zwei Wochen später bei Diplom Psychologee Herbert Rillinger, während Nicoletta wieder davon erzählte, wie ich, ihr Vater und überhaupt alle Männer sie immer enttäuscht hätten.
„Aber Frau Doktor“ – es gefiel mir sehr, dass er sie zu ihrem großen Ärger so nannte, „es bringt doch nichts, wenn sie immer nur Ihre Vergangenheit beklagen. Was erwarten Sie denn jetzt von Ihren Mann?“
„Dass er mir und den Kindern eine den Hof und Unterhalt bezahlt und auszieht.“
„Und Sie“, fragte er sichtlich ermüdet.
„Ich bin bereits Alleinernährer. Und wenn Nicoletta auszielen möchte, soll sie das selbst tun. Sie möchte weg, nicht ich.“
Wenn sie schon ihr Schicksal ändern wollte, dann konnte sie nicht erwarten, dass ich es für sie tun würde.
Rillinger blickte abwechselnd zu uns beiden und ich ging davon aus, dass er unsere Probleme ausgesprochen lächerlich fand. Wie sollte ausgerechnet ein Paartherapeut der Caritas zu einer Trennung raten, wenn weder häusliche Gewalt, noch unüberwindliche Streitigkeiten um Zahnbürsten, geöffnete Toilettenbrillen und Taschengeld, noch wilde Affären das alltägliche Schicksal zur Hölle machten? Ohne einen ganz erheblichen Leidensdruck (und den konnte gerade Nicoletta mit ihren gebetsmühlenartigen Klagen über Männer paradoxerweise nicht vermitteln), würden die Therapiesitzungen keine konkreten Ergebnisse bringen.
Nicoletta’s Versuche, mich für die Trennung zu begeistern, verwandelten sich in Anwesenheit von Rillinger in die Frage, was denn durch die Trennung für wen besser würde. Und dass Nicoletta, die täglich darüber stöhnte, wie sehr sie durch Haushalt und Küche in ihrer Entfaltung behindert wurde, ausgerechnet als allein erziehende Mutter ohne Job die erhoffte Selbstverwirklichung auf dem Silbertablett serviert bekommen würde, war auszuschließen.
Das Geheimnis der katholischen Paartherapie, so schien es mir jedenfalls, bestand darin, die möglichen Gründe für die Zerstörung einer Familie ans Tageslicht zu fördern. Es zeigte sich dann schnell, dass allenfalls vage Vorstellungen von Selbstverwirklichung und Freiheit bestanden. Man würde schon wirklich fremd gehen oder schwer erkranken müssen, um eine stichhaltiges Trennungsargument zu gewinnen.
Monsignore Gastager waren die Sitzungen in der Kleinstadt offenbar nicht verborgen geblieben. Als wir sonntags wie immer gut versteckt irgendwo zwischen der 10. und der 20. Reihe rechts saßen, in der Hoffnung, nicht zur Psalmlesung aufgerufen zu werden, konnten wir folgende Passage in seiner Predigt vernehmen:
„Heute gilt es für Männer wie für Frauen als modern, der Familie den Rücken zu kehren, um alleine zu leben. Immer mehr Singles und allein erziehende Mütter künden von diesem Aufbruch. Aber was sie nicht wissen ist, ist, dass es viel schwieriger ist, eine Familie zu gründen, als eine Familie aufzugeben.“
Während dieser Passage blickte ich verstohlen zu Nicoletta, die mit hochgezogenen Augenbrauen signalisierte, was sie von Monsignore Gastager, dem versammelten Patriarchat und mir hielt.
Ich würde nicht damit rechnen können, daß Nicoletta das Leben je anders als widerwillig mit mir teilen würde.
 



 
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