Kaufrausch

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Kaufrausch

Endlich Montag! Ab 9 Uhr hatten die Geschäfte in der Innenstadt wieder geöffnet. Wie lang doch so ein Wochenende sein konnte! Zwar hatten die meisten Läden jetzt auch am Samstag bis abends geöffnet, aber der Sonntag, meine Güte, da war nichts los in der Stadt, nicht der kleinste Laden hatte auf. Keine Hektik herrschte dann in der Stadt und außer dem Glockenläuten vom Dom wurde die Ruhe durch nichts unterbrochen. Nur vereinzelte Blumenläden und Bäckereien hatten stundenweise geöffnet. Charlotte seufzte: „Was soll ich mit Blumen, die habe ich selbst im Garten und Kuchen? Der schmeckt selbst gebacken sowieso am besten.“

Der Sonntag war für die attraktive Endfünfzigerin der langweiligste Tag der Woche. Nach dem Mittagessen ging sie in den Garten, und machte es sich mit der Zeitung auf einer Liege im Schatten der Bäume bequem. Charlotte bereitete sich innerlich bereits auf den Montag vor. Wohlige Schauer rannen ihr über den Rücken, als sie die vielen Sonderangebote studierte. "Ich werde mich früh auf die Socken machen müssen, ehe mir die anderen das Beste vor der Nase weggeschnappen", dachte sie. Dieses aufgebrezelte Weib fiel ihr ein, die ihr letztens in einem der Kaufhäuser eine ungewöhnlich schicke Bluse fast aus den Händen gerissen hatte und damit schnurstracks zur Kasse lief. „Noch nicht einmal anprobiert hat die das gute Stück, Hauptsache, sie hat die Bluse ergattert, ob sie passt oder nicht.“, dachte Charlotte sauer. Tagelang war sie wegen diesem Teil unterwegs, immer in der Hoffnung, dass es heruntergesetzt wurde. Und als es dann endlich soweit war, kam ihr diese Zimtzicke zuvor. Das sollte ihr so schnell nicht noch mal passieren!

Schlag neun war Charlotte, tiptop gestylt, in der Stadt. Ach ja, shoppen war die schönste Sache der Welt. Was es nicht alles zu sehen gab in diesen wundervollen Einkaufstempeln. All diese herrlichen Sachen anfassen, fühlen und dann ab damit zur Kasse. Die ganze Welt versank um sie herum. Machten sich ihre Füße bemerkbar, ging sie in ihr Lieblingscafe. Bei Kaffee und Kuchen sinnierte sie darüber, woran es wohl lag, dass ihre Füße manchmal so schmerzten. Komisch, immer wenn sie mitten im Kaufrausch war, musste sie diesen unterbrechen und ein wenig ruhen. Plötzlich wusste sie den Grund. Es lag an ihren Schuhen, eindeutig! Das sie darauf nicht gleich gekommen war. Sofort mussten neue her. Gleich um die Ecke hatte doch ein neues Schuhgeschäft aufgemacht, dort würde sie jetzt flugs hineilen. Wie elektrisiert sprang Charlotte auf. Mit fahrigen Fingern zog sie einen Geldschein aus dem Portemonnaie und legte ihn auf das kleine Tischchen. Hastig schnappte sie sich Taschen und Tüten, rief der Bedienung zu: „Stimmt so!“, und flitzte eilig aus dem Laden, verfolgt von den erstaunten Blicken der Serviererin.

Gott sei Dank fand sie in dem neuen Laden nach langer Suche tatsächlich passendes Schuhwerk. Das war gar nicht so einfach, denn Charlotte hatte sehr komplizierte Füße. Sie waren leider sehr groß, was sie stets bedauerte, weil es ihrer Meinung nach die allerschönsten Schuhe immer nur in den kleinen Größen gab. Außerdem waren ihre Füße sehr schmal und äußerst druckempfindlich. Italienische Modelle kamen eh nicht in Frage, denn die sind generell nicht so bequem und gut verarbeitet erst recht nicht. Umringt von mindestens 20 Paar Schuhen, hielt sie der Verkäuferin triumphierend die eleganten Pumps mit der schwarzen Lackspitze hin: „Hier, die nehme ich, sie passen topp zu meinem gerade gekauften Rock und bequem sind sie auch noch, toll.“ Die Verkäuferin wischte sich den Schweiß von der Stirn, nahm wortlos die Schuhe entgegen und brachte sie zur Kasse. Mit einem gemurmelten: „Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag“, suchte die Geplagte das Weite. Glücklich über die schicke Neuerwerbung, schlenderte Charlotte weiter durch die Einkaufsmeile.

Plötzlich hörte sie ein: „Huhu, Charlotte“, rufen. Sie blickte sich um und entdeckte ihre beste Freundin Ines, die, ebenfalls stramm bepackt, im Laufschritt auf sie zueilte. „Hallo, Ines“, begrüßte Charlotte ihre Freundin mit einem Bussi rechts und links, erfreut. „Hast du Zeit? Komm, lass uns ein wenig zusammen bummeln gehen. Oh, hast du einen neuen Duft?“, sie schnüffelte. „Riecht nicht schlecht, vielleicht ein bisschen zu süß, was ist es?“ Ines gluckste: „Weiß ich, ehrlich gesagt, gar nicht. Habe im Vorbeigehen bei Douglas mal eben ein Probefläschchen geschnappt und mich eingesprüht. Wir könnten ja nachher in die Filiale am Domplatz gehen, ich wollte mir sowieso einen neuen Duft gönnen.“ „Gute Idee“, meinte Charlotte bereitwillig“, „meine Tagescreme geht auch langsam zur Neige. Sie sollen jetzt eine sensationelle Antifaltenserie haben.“ „Brauchen wir das denn schon in unserem Alter?“, fragte die 60jährige Freundin skeptisch. „Ich finde, meine Haut sieht doch noch super glatt aus.“ Charlotte grinste: „Na ja, wenn man von den kleinen Knitterfältchen und dem leicht schrumpeligen Hals bei dir absieht.“ Empört funkelte Ines ihre beste Freundin an: „Meinst du das etwa im Ernst? Theo findet ich sehe noch fantastisch aus. Und wo wir schon mal beim Thema sind. Soll ich dir mal vom Zustand deiner Haut erzählen? Außerdem hast du um die Hüften in letzter Zeit ordentlich Fett angesetzt.“

Charlotte schnappte nach Luft. Doch ehe sie der Freundin eine giftige Antwort entgegenschleudern konnte, entdeckten sie fast gleichzeitig den Wäschestand vor einem der vornehmeren Geschäfte. „Oh, schau mal“, sagte Ines atemlos, und hielt ihrer Freundin ein zartes Gebilde in rot vor die Nase. „Das müsste wohl passen, was denkst du? Ich werde meinem Theo mal wieder eine kleine Freude machen. Du weißt ja, kleine Geschenke erhalten die Freundschaft.“ Die Freundin kicherte geistesabwesend, denn ihr gefiel das spitzenbesetzte Dessous, das eine andere Dame ihr gegenüber in den Händen hielt. „Hoffentlich legt die es gleich wieder hin“, zischte sie Ines zu, „genau das fehlt mir noch in dieser Farbe.“

„Wie wär´s mit einem Kaffee?“, fragte Ines, während sie etwas später in einem eleganten Geschirrladen vor einem heruntergesetzten Service eines bekannten Herstellers standen. Charlottes Kopf flog hoch und starrte sie an: „Ich hatte schon einen.“ „Ich aber nicht“, schmollte Ines. „Na gut“, gab Charlotte seufzend nach, „aber nicht lange hinsetzten, es ist bald Ladenschluss. Hoffentlich setzen sie bald mal durch, dass die Läden rund um die Uhr öffnen dürfen, immer diese Hektik. Ich schlage vor, wir gehen eben nach Tchibo.“ Also stellten die beiden sich dort an einen Stehtisch und während sie in kleinen, hastigen Schlucken den heißen Kaffee schlürften, besahen sie sich die angebotenen Sonderartikel in dem Stehcafe. „Übrigens, ich bin etwas knapp“, flüsterte Charlotte. „Wem sagst du das “, flüsterte Ines zurück, „ob wir gleich mal unser Glück bei der Bank versuchen? Das Konto sieht zwar mau aus im Moment, doch wenn der dicke Hartmann hinterm Schalter sitzt, haben wir eine Chance. Bei dem haben wir bisher noch immer was gekriegt.“ Charlotte lachte und wisperte ihr zu: „ja, stimmt. Ich glaube, der ist scharf auf uns. Los komm, wir versuchen es.“

Als sie das Bankgebäude betraten, war von Herrn Hartmann nichts zu sehen. Ihnen schwante Schlimmes. Eine Angestellte teilte ihnen mit, dass der Kollege für drei Wochen auf den Seychellen in Urlaub war. So ein Pech. Verdrückt dieser Kerl sich glatt für volle drei Wochen und lässt sich die Sonne auf den dicken Bauch scheinen, Herrschaftszeiten! Wie sollten sie jetzt über den Monat kommen? Die vorher so ausgezeichnete Laune der Freundinnen schlug um. „Blöder Hund“, sagte Ines, „was machen wir denn jetzt?“ Schweigend gingen sie nebeneinander her, bepackt wie die Esel. „Ich habs“, jubelte Charlotte plötzlich so laut, das die anderen Passanten zu ihnen herüber sahen. „Los erzähl schon, aber sei gefälligst leiser“, stieß Ines hastig hervor. „Hast du denn noch nicht gehört dass hier in der Stadt ein Pfandhaus aufgemacht hat?“, raunte Charlotte. „Dort kann man Schmuck oder andere Wertgegenstände hinbringen und bekommt Bares dafür. Innerhalb einer bestimmten Frist kann man die Sachen wieder auslösen. Wenn wir es raffiniert anfangen, bekommt zu Hause niemand etwas davon mit.“
„So was Tolles gibt es hier?“, fragte Ines begeistert. „Klar, das machen wir! Ich habe zum Beispiel das alte Silber von Oma noch im Schrank, das benutze ich sowieso nie. Dafür geben die mir sicher einige Euros.“ Die gute Laune war zurückgekehrt, doch dann fiel ihnen ein, dass sie ja noch nichts zum Abendessen eingekauft hatten. Schnell ging es noch zum Fleischer um die Ecke, um irgendetwas an Aufschnitt für die Lieben daheim zu kaufen.

Erledigt, voll gepackt mit Tüten und Päckchen, ging es nach Hause. Natürlich nahmen sie ein Taxi, denn mit ihren vielen Einkäufen in einen vollbesetzten Feierabendbus steigen war nicht ihr Ding. Nach einer Viertelstunde verabschiedete sich Charlotte von ihrer Freundin, die noch ein paar Straßen weiter fahren musste.
Gerade steckte Charlotte den Schlüssel ins Schloss, als auch schon ihre neugierige Nachbarin Erika Schäfer im Treppenhaus erschien: „Ach, guten Abend Lottchen, wieder auf Shoppingtour gewesen?“, fragte sie süffisant. Charlotte fuhr herum: „Wie du siehst, Erika“, antwortete sie gallig, öffnete die Tür, schob all ihre Schätze in den Flur und schlug sie hinter sich zu. Diese hausbackene Erika ging ihr gehörig auf die Nerven. Außerdem hasste sie es, wenn man sie Lottchen nannte. Vor einiger Zeit sah die Sache noch anders aus, da verstanden sich die beiden prächtig. Zusammen machten sie die Innenstadt unsicher und pilgerten mit großer Lust von Laden zu Laden. Als aber Erikas Gatte den Geldhahn zudrehte, hörte der Spaß abrupt auf. So ein elender Matcho, gönnte seiner Frau aber auch nicht nur eine Kleinigkeit! Von da an verfolgte Erika sie mit ihrem Neid.

Charlotte atmete tief durch. Jetzt war erstmal ein Fußbad und bequeme Kleidung angesagt. Das war aber auch immer eine Hatz! Kein Wunder, dass sie nach solch einem Tag so müde war, dass sie am Abend vor dem Fernseher regelmäßig einschlief.
Nun ging es ans auspacken, eine herrliche Angelegenheit! Sie freute sich über jedes ausgepackte Teil, als sehe sie es zum ersten Mal. Oh, diese wundervolle, heruntergesetzte Handtasche, sie passt zu den neuen Schuhen, wie die Faust aufs Auge. Wie gut, dass sie auch noch zu dem günstigen Pulli den passenden Lippenstift gefunden hat. Der rosa Bademantel wäre eigentlich nicht nötig gewesen, da sie ja schon vier im Schrank hatte, jeden in einer anderen Farbe, aber für den Preis konnte man ihn doch nicht hängen lassen! Das blaue T-Shirt und die beiden Oberhemden, schnappte sie noch schnell vom Grabbeltisch für ihren Gatten Heinz, auf dem Weg zur Kasse. Er hatte zwar schon zehn gestreifte Hemden, aber egal, ihm musste sie ja auch etwas mitbringen und außerdem, Hemden konnte ein Mann nie genug haben. Damit beruhigte Charlotte ihr schlechtes Gewissen ihm gegenüber ein wenig.
Das neu erstandene Kostüm mit passender Bluse, befreite sie sofort von den Preisschildchen und hängte es in ihren Kleiderschrank, damit Heinz erst gar nicht in die Lage käme, über ihre Verschwendungssucht zu lästern, was sie immer sehr ärgerte. Würde er sie beim ersten Tragen erstaunt fragen: „Oh, ist das neu?“, bekäme er wie so oft zur Antwort: „Aber Heinz, das hängt doch schon eine Ewigkeit im Schrank, ich habe es bisher nur noch nicht getragen.“ Und damit war für sie der Fall erledigt.

Als Charlotte noch schnell Kassensturz machte, wurde ihr fast schlecht, obwohl sie das Gefühl gut kannte, es war ja ihr ständiger Begleiter. Morgen musste sie unbedingt in ihr Lieblingsbekleidungsgeschäft. Die neue Herbstkollektion sollte vorgestellt werden. Aus dem Anlass wurden ein paar sündhaft teure Kleidungsstücke stark reduziert. Bestimmt war da so ein Sahnestück für sie dabei. Auch wenn Charlotte noch nicht wusste zu welchem Anlass sie das Kleid oder den Hosenanzug tragen konnte oder ob sie das Teil überhaupt brauchte. Sie seufzte deprimiert. Das Leben war schon eine teure Angelegenheit und das schöne Geld ungerecht verteilt. Zum Glück fiel ihr das neu eröffnete Pfandhaus wieder ein und ihr Herz machte einen Hüpfer. Gleich nach dem Abendessen, wenn Heinz bei den Nachrichten sitzt, will sie mal sehen, was sich so alles in ihren Schränken und Schubladen verbirgt, das man versilbern kann. Bestens gelaunt deckte Charlotte den Tisch an diesem Abend besonders liebevoll.

Märchentante
 



 
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