Keimfrei

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Tartan

Mitglied
Keimfrei

Steril, so sage ich, müsste man sein. Keimfrei, von den Spuren des Lebens und unantastbar für das, was da noch kommen mag. Nur noch hinter einer dicken Glasscheibe lebend, ohne Zuneigung, körperlicher Nähe oder gar Sex.
Unantastbar wollte ich sein für die Qualen des Menschseins, denn schon zu Viele haben mich gebrochen.

Nur die Erinnerung an Vergangenes kann ich einfach nicht verdrängen und so sehe ich oft vor meinem inneren Auge diesen Mann auf mich zukommend, der mich dreht und wendet, wie ein geschnürtes Stück Fleisch. Er hat mich verletzt. Innen wie außen.

Doch ich ließ mir nichts anmerken, denn damals ist mir niemand begegnet, der ein Ohr dafür zu haben schien. Solche Themen waren einfach nur unerwünscht.
Schließlich wollte man die Anständigkeit eines gutbürgerlichen Lebens nicht beschmutzen.

Und doch war ich schmutzig und bin es noch,-
denn die hässlichen Narben, Exponate meiner Erinnerungen, werden wohl nie verschwinden.

Trotz vieler Versuche fand ich nie wieder zu mir selbst, und so verbringe ich einen Großteil meiner Zeit, mich keimfrei zu waschen.
 
Liebe Tartan,

sicherlich war es nicht ganz leicht, diese Zeilen zu schreiben, HIER zu schreiben, in der sogenannten Öffentlichkeit, die doch gerne wegsieht von solchen Dingen, die sie nicht hören will, und lieber so tut, als hätte man nichts gesehen oder gehört.

Und dennoch. Was wäre, wenn wir keimfrei wären?

Wo bliebe der individuelle Duft, an dem eine Mutter ihr Kind, ein Mensch seinen Partner, Kinder ihre Eltern wiedererkennen? Wo bliebe die damit so innig verbundene Zuneigung? Wo bliebe auch die eigene Identität? Sterilität hilft nicht, denn Gedanken kann man nicht fortwaschen. Man kann versuchen mit ihnen zu leben. Gib ihnen einen Ort, an den sie zurückkehren können, wo sie ruhen und bleiben können.

einen herzlichen Ostergruß
schickt Dir

Klabautermann

(ps. offene Ohren gibt es mehr, als man zuweilen glaubt.)
 

Tartan

Mitglied
Lieber Klabautermann,

ich hatte zwar schon fast befürchtet, dass dieser Text vielleicht so ankommen würde, obwohl ich ihn wirklich nicht mit dieser Intention geschrieben habe, aber für mich war es wirklich nur ein Gehversuch in der Prosa. Sonst nix.

Natürlich, weil ich es aus der Ich-Perspektive heraus geschrieben habe, ist es einfach, dies mit einem persönlichen Erlebnis gleich zu setzten. Würde ich auch tun. ( Hab ich auch schon öfter, fälschlicher Weise.:D )
Ich hätte, wenn es autobiographisch gewesen wäre, sicherlich meinen Text in die Rubrik Tagebuch gestellt, wo es dann auch einfacher für den Autor wäre zu schlucken, wenn dann mal niemand was dazu schreibt.

Auch wenn jetzt Osterzeit ist, wollte ich niemals, dass man mich wie ein rohes Ei behandelt. Das entspricht nicht meiner Natur. ( Wirst schon sehen, denn ich werde mich weiter in der Kurzprosa versuchen...:D )

Zu dem Inhalt dieses Textes:

Nun ja, Erfahrungen zu diesem Thema habe ich zur Genüge gemacht, denn ich habe genug Frauen kennengelernt, die tatsächlich so mit der Tatsache, dass sie missbraucht wurden, umgegangen sind.
Und ja, mir ist so ein Missbrauch vor Ewigkeiten auch passiert, doch ich hege weder solche Gefühle, noch solche Zwänge und bin dankbar für offene und ehrliche Kritik an diesem Fetzen und freue mich über gute Textarbeit. Auch wenn dies ein delikates Thema ist. Die muss es halt auch geben...

Mich freut natürlich trotzdem deine Anteilnahme und Betroffenheit ( kann man das schreiben? ) und ich finde es gut, dass du es gewagt hast, als erster endlich mal einen Kommentar drunter zu schreiben. :):):)

Dir auch noch ein paar wunderbare und gesellige Feiertage zusammen mit deinen Lieben.

Grüßle,
Tartan
 
Liebe Carol,

zugegebenermaßen verleitet die ICH-Form hier zu der Annahme, es handle sich zumindest teilweise um autobiograpisches... Falls Dir das bei diesem oder anderen Texten schon einmal passiert ist, würde ich dies evt. ändern, denn damit bringst Du den Leser in eine ganz andere, als von Dir beabsichtigte Richtung und der Fokus auf den Text an sich mag möglicherweise "verloren" gehen.

Du willst Textarbeit? Nun, die sollst Du gerne haben :)

Steril, so [blue]sage [/blue][red]würde hier entweder alles in der 1. Vergangenheit schreiben, oder aber die folgenden Verben ins Präsens setzen. Vergangenheit fände ich jedoch wg. des Schlusses logischer. [/red]ich, müsste man sein. Keimfrei, von den Spuren des Lebens und unantastbar für das, was da noch kommen mag. Nur noch hinter einer dicken Glasscheibe lebend, ohne Zuneigung, körperlicher Nähe oder gar Sex.
Unantastbar wollte ich sein für die Qualen des Menschseins, denn schon zu [blue]Viele [/blue][red]viele [/red]haben mich gebrochen.

Nur[red], Komma[/red] die Erinnerung an Vergangenes kann ich einfach nicht verdrängen und so sehe ich oft vor meinem inneren Auge diesen Mann auf mich [red]zukommen[/red], der mich dreht und wendet, wie ein geschnürtes Stück Fleisch. Er hat mich verletzt. [blue]Innen wie außen[/blue]. würde hier die beiden Worte umdrehen. [red]"Außen. Doch noch viel mehr im Inneren."[/red]

[strike]Doch [/strike]ich ließ mir nichts anmerken, denn damals ist mir niemand begegnet, der ein Ohr dafür zu haben schien. Solche Themen waren einfach nur unerwünscht.
Schließlich wollte man die Anständigkeit eines gutbürgerlichen Lebens nicht beschmutzen.
[red]Hier wäre eine Gegenüberstellung von "nicht beschmutzen", aber der Tatsache, dass sich der Protagonist schmutzig fühlt, sehr passend und eine gute Überleitung. Vielleicht findest ja eine schöne Verbindung?[/red]
Und doch war ich schmutzig und bin es noch,-
denn die hässlichen Narben, Exponate meiner Erinnerungen, werden wohl nie verschwinden.[red] Auch hier. Das Verschwinden finde ich nicht so gelungen im Bezug auf Narben. Narben haben ja die Angewohnheit, zu bleiben. Ändere hier vielleicht das Wort in "verblassen" oder den ganzen Halbsatz: "werden wohl für immer als raue Stellen meine Seele / mein Herz verunzieren/entstellen".[/red]

Trotz vieler Versuche fand ich nie wieder zu mir selbst, und so verbringe ich einen Großteil meiner Zeit, mich keimfrei zu waschen.

Den Schluss find ich gut, er stellt einen guten Bezug auch zum Anfang wieder her.
herzliche Grüße

Klabautermann
 



 
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