Kein Hund bellt seinem Herren ewig

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Aus der Reihe "Ich, ZigZag, 2003 und Nachgeburt"



Kein Hund bellt seinem Herren ewig



Seht, unter meinem Fingernagel blüht
Der Schmutz der letzten Wochen
Und die streunenden Köter dort,
das ist mein Arabergestüt
zitternd, frierend und gebrochen
nähr ich sie mit meinem Wort

Ich sage ihnen, dass ich sie liebe!
Den großen Braunen, den würd ich schon vermissen
Der hält mich nachts als Decke warm
Und wenn der kleine Pinscher mir nicht bliebe
Dann hätte ich kein weiches Kissen
Und wäre doch genauso arm

Ich bin so reich in meinem Elend
Du mein Stadtpark, du mein trauriges Quartier
Wie oft hab ich in dir schon bitterlich gefroren
Wie eine Gans, die keine Daunen kennt
Ich heulte manche Nacht wie ein verstoßnes Tier
Und hab doch noch nicht den Mut verloren

Gleich morgen,
wenn die Sonnenstrahlen Wünsche weben
werd ich von meinem Freund, dem Strauch
mir einen dicken Knüppel borgen
und Steuern auf den Park erheben!
Die Herrn Politiker, die tun das auch

Und warum soll ich nicht besser sein, als sie?
Wer will mir dieses Recht verwehren?
Ich bin mir selbst das Steueramt
Und zwinge jeden Säumer in die Knie
Ich werde sie schon Demut lehren!
Ich kleide mich in teuren Samt

Und bin nur noch mir selbst der Herr

Ach, nur heute Nacht muss ich noch frieren
Kommt, ihr haarigen Gesellen
Und lasst mich nicht den Mut verlieren
Kein Hund wird seinem Halter ewig bellen
 

lapismont

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Markus,

sehr intensiv und überzeugend. Passt sich gut in den Zyklus ein. Durch die Tiere wird es sogar menschlicher, irgendwie.

cu
lap
 
L

Lotte Werther

Gast
Ja, Markus, das sind Verse, die unter die Haut gehen und nicht nur an der Oberfläche kleben wie Schminke.
Und wenn du die Tiere mit deinem Wort nährst, oder die Sonnenstrahlen Wünsche weben läßt, dann sind das suggestive Sätze, die sich einnisten wie der Schmutz, der unter den Nägeln blüht.

Traurig und erlebnisstark.

Lotte Werther
 
Hallo,
danke euch beiden für euren Zuspruch. Ich kann mich gerade von dieser Gedichtsform nicht losreißen, deshalb auch drei Gedichte innerhalb von drei Tagen.
Die ganze Geschichte ist natürlich von Francois Villon, interpretiert von Klaus Kinski, insperiert. Ich hörte ihn sehr gern, bis ich festgestellt habe, wieviel er uns eigentlich heute noch zu geben hat.
Die kompromislose Anklage ist gerade in einer Zeit der Ziellosigkeit und verwaschenen Leitfiguren, eine Art der Gegenwartsbewältigung, die ich nicht unterschätzen will.
Die Bewegung des Punk hat sich vielleicht längst in das große Waschhaus der deutschen Modeformen eingegliedert, aber sie hatte einmal den Willen und die Möglichkeit, sich dieser Gesellschaft zu entziehen und sie anzuklagen.

Die kompromislose Anklage schafft vielleicht keine Antworten, sie ist aber bereit, Fragen zu stellen. Fragen, die vielleicht längst beantwortet sind, aber von Menschen, die nie als Kläger auftraten.

Keine Sorge, ich lebe nicht im Park. Ich frage mich nur.

Gruss, Marcus
 



 
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