Kindliches Vertrauen

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„Mama, was passiert eigentlich, wenn man tot ist?“ Erwartungsvoll blickte Sophie ihre Mutter an. Unschuldig und engelhaft sah sie aus, mit ihren goldgelben Locken, ihren blauen Kulleraugen und den kokett aufschlagenden Wimpern.
Überraschend war die Frage nicht. Sandy wunderte sich vielmehr, dass sie diese Frage nicht schon früher gestellt hatte. Sophie war ein intelligentes, kleines Köpfchen und hatte im Eilschritt die Trotzphase hinter sich gelassen. Sie war vernünftig - oft zuverlässiger als sie selbst, musste sich Sandy eingestehen - und sie konnte mit ihr reden, als wäre sie bereits erwachsen. Sie legte zögernd das feuchte Geschirrtuch aus der Hand und trocknete ihre Hände an der Schürze ab.
„Weißt du, mein Kind, das ist eine schwierige Frage. Ich kann sie nicht so leicht beantworten, weil ich es leider nicht sicher weiß“, sagte Sandy nachdenklich.
„Wieso weißt du das nicht? Wer weiß es denn? Ich will es wissen“, sagte das Mädchen, nun
von der Neugierde gepackt.
„Weißt du, Sophie, es gibt Menschen, die glauben nach dem Tod ist es aus, die glauben da kommt nichts mehr“, begann Sandy zu erklären.
„Aber das glaubst du doch nicht, oder?“ Gespannt richteten sich ihre Augen auf ihre Mutter.
„Nein“, sagte sie lächelnd, „das glaube ich nicht.“
„Und was glaubst du dann?“, fragte das Mädchen, ihren Blick fest auf Sandys Augen fixiert.
Sandy schmunzelte. Ihre Tochter war stets wissbegierig. War sie einmal von einer Frage besessen, ließ sie nicht mehr so schnell locker. Ihre Intuition sagte ihr, dass dies so eine Frage war. Sie ließ sich deshalb Zeit mit der Antwort. Auf seriöse Fragen wollte sie nicht ausweichend mit nichtssagenden Floskeln, sondern ernsthaft und mit Bedacht antworten.
„Ich denke, dass Gott alle Menschen liebt. Er will nicht, dass wir verloren gehen und er will uns bei sich haben. Wenn wir tot sind, holt er uns zu sich. Genau wie die Tiere, die holt er auch zu sich.“
„Und wo ist er?“ Verständnislos sah sich das Mädchen um. „Ich kann ihn nicht sehen.“
Sandy lächelte wieder. „Niemand kann ihn sehen, mein Kind. Das ist auch der Grund, warum du nur glauben kannst, aber nicht wissen. Du siehst ihn nicht in dieser Welt, nicht in diesem Universum. Er beschützt uns, aber das funktioniert nur, weil er unsichtbar ist. Er ist kein Gegenstand, den du anfassen kannst.“
„Aber was hab ich dann davon, wenn ich ihn nicht sehen kann?“ Noch immer verwirrt wurde Sophie langsam ungeduldig.
„Du kannst darauf vertrauen, dass er auf uns aufpasst. Du kannst nur hoffen, Sophie. Darauf, dass er uns alle zu sich in den Himmel holt, wenn wir tot sind. Uns und die Tiere. Weil er uns so liebhat.“ Zärtlich strich sie ihrer Tochter über die Wange.

Die Frage ihrer Tochter beschäftigte Sandy mehr, als sie zugeben wollte. Gedankenverloren ließ sie die Milch für Sophies Kakao überkochen, bekleckerte sich mit Kaffee und verbrannte die Plätzchen im Ofen. Genervt stöhnte sie auf. Zwangsläufig musste sie sich nun doch für Croissants mit Nougatcreme entscheiden.
„Sophie, Kakao ist fertig!“, rief Sandy lautstark in Richtung Kinderzimmer.
Das Mädchen kam hüpfend in die Küche und kletterte auf ihren Stuhl. Sophie strahlte übers ganze Gesicht, eine Welle von Freude durchflutete den Raum. Sandy dachte oft, ihre Tochter hatte eine außergewöhnliche Begabung. Sie war gehorsam und doch aufgeweckt, hübsch, aber nicht eingebildet. Gott hatte es wohl gut mit ihr gemeint. Dieser Gedanke schien sie festzunageln.
Ein lautes Quieken schreckte sie aus ihren Gedanken.
„Das ist Chiquitita!“, flüsterte Sophie erschrocken. Das Chinchilla verhielt sich in letzter Zeit merkwürdig, aber es lebte auch schon einige Jahre länger als es für diese Tiere üblich war. Vorigen Dienstag hatte es das Wassertrinken komplett verweigert. Sandy erinnerte sich daran und sie hatte es schon an diesem Tag als böses Omen gedeutet.
Sophie sprang auf und lief eilig in ihr Zimmer. Mit einem unguten Gefühl im Bauch ging Sandy ihrer Tochter nach. Im Käfig erhaschte sie einen Blick auf das, was tatsächlich vor sich ging. Das Tierchen wand sich am Boden und gab spitze, nach Hilfe schreiende Töne von sich. Sein sonst so weiches Fell erweckte den Anschein als wäre es borstig und die Pupillen traten aus den Augenhöhlen hervor.
„Lass uns zu einem Tierarzt fahren.“ Sophies Stimme klang entschlossen.. „Bitte!“ Sie drängte.
„Gut, wenn du es willst, dann fahren wir.“ Sandy hob vorsichtig den Käfig auf und drückte ihn Sophie in die Hand. „Halt mal kurz“, dann verschwand sie im Nebenraum.
Sie schlüpfte rasch in ihren dunkelgrauen Mantel und wickelte sich einen Schal um den Hals. Nachdem sie ihre Stiefel anhatte, nahm sie Sophie den Käfig ab und gebot ihr sich zu beeilen. Das Mädchen huschte durch die Küchentür ins Vorzimmer und rannte zum Garderobenschrank.
Das Tier quiekte noch immer, aber mit deutlich verringerter Lautstärke. Doch plötzlich wurde es ganz ruhig. Sandy beobachtete, wie sein Körper sich noch einmal aufbäumte und im aufgedunsenen Zustand zu verharren schien. Dann kapitulierte es. Es sackte wie ein Ballon in sich zusammen. Sandy beäugte es betrübt und wartete einen Moment, doch es regte sich nicht mehr. Es war tot. Schnell blickte Sandy sich um, zum Glück war Sophie noch mit dem Anziehen beschäftigt. Gott hatte ihr wohl ersparen wollen, den Todeskampf ihres Tieres miterleben zu müssen.
„Ich bin fertig, lass uns fahren!“ Sophie schrie, ihre Wollmütze zur Hälfte über die Ohren gezogen und die Jacke schief zugeknöpft.
Sandy hatte mittlerweile den Käfig abgesetzt und kam nun langsam auf sie zu. Sophies Begeisterung senkte sich erheblich, als sie aus den traurigen Augen ihrer Mutter las.
„Sie ist tot, nicht wahr?“ Ihre Stimme war leise geworden, sie klang zaghaft, wie das Säuseln eines Windes und ihre einst strahlenden Augen waren zu einem kalten Blaugrau verblasst.
Sandy nickte wortlos. „Komm her“, sagte sie und nahm die Kleine in ihre Arme.
Sophie schmiegte sich fest an sie, als wollte sie nicht mehr loslassen. Minuten standen sie so da, ohne ein Wort zu sprechen. Als Sandy merkte, dass ihr selbst die Tränen kamen, löste sie sich aus der Umarmung ihrer Tochter und sah sie direkt an.
„Du darfst auch weinen, mein Kind, das sollst du wissen. Das gehört auch zum Leben. Du brauchst dich nicht deswegen zu schämen.“ Sanft streichelte sie über ihre Haare. „Weinen ist ein Teil des Trauerprozesses. Du zeigst, dass du traurig bist.“
„Aber wieso soll ich eigentlich traurig sein? Wir haben doch die Hoffnung, dass wir Chiquitita wiedersehen. Oder nicht? Gott holt sie doch zu sich. Wir müssen doch nur darauf vertrauen? Wir werden sie ja wiedersehen.“
 
„Mama, was passiert eigentlich, wenn man tot ist?“ Erwartungsvoll blickte Sophie ihre Mutter an. Unschuldig und engelhaft sah sie aus, mit ihren goldgelben Locken, ihren blauen Kulleraugen und den kokett aufschlagenden Wimpern.
Überraschend war die Frage nicht. Sandy wunderte sich vielmehr, dass sie diese Frage nicht schon früher gestellt hatte. Sophie war ein intelligentes, kleines Köpfchen und hatte im Eilschritt die Trotzphase hinter sich gelassen. Sie war vernünftig - oft zuverlässiger als sie selbst, musste sich Sandy eingestehen - und sie konnte mit ihr reden, als wäre sie bereits erwachsen. Sandy legte zögernd das feuchte Geschirrtuch aus der Hand und trocknete ihre Hände an der Schürze ab.
„Weißt du, mein Kind, das ist eine schwierige Frage. Ich kann sie nicht so leicht beantworten, weil ich es leider nicht sicher weiß“, sagte Sandy nachdenklich.
„Wieso weißt du das nicht? Wer weiß es denn? Ich will es wissen“, sagte das Mädchen, nun
von der Neugierde gepackt.
„Weißt du, Sophie, es gibt Menschen, die glauben nach dem Tod ist es aus, die glauben da kommt nichts mehr“, begann Sandy zu erklären.
„Aber das glaubst du doch nicht, oder?“ Gespannt richteten sich ihre Augen auf ihre Mutter.
„Nein“, sagte sie lächelnd, „das glaube ich nicht.“
„Und was glaubst du dann?“, fragte das Mädchen, ihren Blick fest auf Sandys Augen fixiert.
Sandy schmunzelte. Ihre Tochter war stets wissbegierig. War sie einmal von einer Frage besessen, ließ sie nicht mehr so schnell locker. Ihre Intuition sagte ihr, dass dies so eine Frage war. Sie ließ sich deshalb Zeit mit der Antwort. Auf seriöse Fragen wollte sie nicht ausweichend mit nichtssagenden Floskeln, sondern ernsthaft und mit Bedacht antworten.
„Ich denke, dass Gott alle Menschen liebt. Er will nicht, dass wir verloren gehen und er will uns bei sich haben. Wenn wir tot sind, holt er uns zu sich. Genau wie die Tiere, die holt er auch zu sich.“
„Und wo ist er?“ Verständnislos sah sich das Mädchen um. „Ich kann ihn nicht sehen.“
Sandy lächelte wieder. „Niemand kann ihn sehen, mein Kind. Das ist auch der Grund, warum du nur glauben kannst, aber nicht wissen. Du siehst ihn nicht in dieser Welt, nicht in diesem Universum. Er beschützt uns, aber das funktioniert nur, weil er unsichtbar ist. Er ist kein Gegenstand, den du anfassen kannst.“
„Aber was hab ich dann davon, wenn ich ihn nicht sehen kann?“ Noch immer verwirrt wurde Sophie langsam ungeduldig.
„Du kannst darauf vertrauen, dass er auf uns aufpasst. Du kannst nur hoffen, Sophie. Darauf, dass er uns alle zu sich in den Himmel holt, wenn wir tot sind. Uns und die Tiere. Weil er uns so liebhat.“ Zärtlich strich sie ihrer Tochter über die Wange.

Die Frage ihrer Tochter beschäftigte Sandy mehr, als sie zugeben wollte. Gedankenverloren ließ sie die Milch für Sophies Kakao überkochen, bekleckerte sich mit Kaffee und verbrannte die Plätzchen im Ofen. Genervt stöhnte sie auf. Zwangsläufig musste sie sich nun doch für Croissants mit Nougatcreme entscheiden.
„Sophie, Kakao ist fertig!“, rief Sandy lautstark in Richtung Kinderzimmer.
Das Mädchen kam hüpfend in die Küche und kletterte auf ihren Stuhl. Sophie strahlte übers ganze Gesicht, eine Welle von Freude durchflutete den Raum. Sandy dachte oft, ihre Tochter hatte eine außergewöhnliche Begabung. Sie war gehorsam und doch aufgeweckt, hübsch, aber nicht eingebildet. Gott hatte es wohl gut mit ihr gemeint. Dieser Gedanke schien sie festzunageln.
Ein lautes Quieken schreckte sie aus ihren Gedanken.
„Das ist Chiquitita!“, flüsterte Sophie erschrocken. Das Chinchilla verhielt sich in letzter Zeit merkwürdig, aber es lebte auch schon einige Jahre länger als es für diese Tiere üblich war. Vorigen Dienstag hatte es das Wassertrinken komplett verweigert. Sandy erinnerte sich daran und sie hatte es schon an diesem Tag als böses Omen gedeutet.
Sophie sprang auf und lief eilig in ihr Zimmer. Mit einem unguten Gefühl im Bauch ging Sandy ihrer Tochter nach. Im Käfig erhaschte sie einen Blick auf das, was tatsächlich vor sich ging. Das Tierchen wand sich am Boden und gab spitze, nach Hilfe schreiende Töne von sich. Sein sonst so weiches Fell erweckte den Anschein als wäre es borstig und die Pupillen traten aus den Augenhöhlen hervor.
„Lass uns zu einem Tierarzt fahren.“ Sophies Stimme klang entschlossen.. „Bitte!“ Sie drängte.
„Gut, wenn du es willst, dann fahren wir.“ Sandy hob vorsichtig den Käfig auf und drückte ihn Sophie in die Hand. „Halt mal kurz“, dann verschwand sie im Nebenraum.
Sie schlüpfte rasch in ihren dunkelgrauen Mantel und wickelte sich einen Schal um den Hals. Nachdem sie ihre Stiefel anhatte, nahm sie Sophie den Käfig ab und gebot ihr sich zu beeilen. Das Mädchen huschte durch die Küchentür ins Vorzimmer und rannte zum Garderobenschrank.
Das Tier quiekte noch immer, aber mit deutlich verringerter Lautstärke. Doch plötzlich wurde es ganz ruhig. Sandy beobachtete, wie sein Körper sich noch einmal aufbäumte und im aufgedunsenen Zustand zu verharren schien. Dann kapitulierte es. Es sackte wie ein Ballon in sich zusammen. Sandy beäugte es betrübt und wartete einen Moment, doch es regte sich nicht mehr. Es war tot. Schnell blickte Sandy sich um, zum Glück war Sophie noch mit dem Anziehen beschäftigt. Gott hatte ihr wohl ersparen wollen, den Todeskampf ihres Tieres miterleben zu müssen.
„Ich bin fertig, lass uns fahren!“ Sophie schrie, ihre Wollmütze zur Hälfte über die Ohren gezogen und die Jacke schief zugeknöpft.
Sandy hatte mittlerweile den Käfig abgesetzt und kam nun langsam auf sie zu. Sophies Begeisterung senkte sich erheblich, als sie aus den traurigen Augen ihrer Mutter las.
„Sie ist tot, oder?“ Ihre Stimme war leise geworden, sie klang zaghaft, wie das Säuseln eines Windes und ihre einst strahlenden Augen waren zu einem kalten Blaugrau verblasst.
Sandy nickte wortlos. „Komm her“, sagte sie und nahm die Kleine in ihre Arme.
Sophie schmiegte sich fest an sie, als wollte sie nicht mehr loslassen. Minuten standen sie so da, ohne ein Wort zu sprechen. Als Sandy merkte, dass ihr selbst die Tränen kamen, löste sie sich aus der Umarmung ihrer Tochter und sah sie direkt an.
„Du darfst auch weinen, mein Kind, das sollst du wissen. Das gehört auch zum Leben. Du brauchst dich nicht deswegen zu schämen.“ Sanft streichelte sie über ihre Haare. „Weinen ist ein Teil des Trauerprozesses. Du zeigst, dass du traurig bist.“
Sophie hob fragend den Kopf. „Aber wieso soll ich eigentlich traurig sein? Wir haben doch die Hoffnung, dass wir Chiquitita wiedersehen. Oder nicht? Gott holt sie doch zu sich. Wir werden sie ja wiedersehen.“
 
T

Thys

Gast
Tja, machmal denken Kinder einfach nur unverbogen gerade aus. Gefällt mir, Deine Geschichte.

Gruß

Thys
 
freut mich, dass sie dir gefällt :)

und nur so nebenbei...die fragen von kindern können mütter und väter glaub ich ganz schön ins grübeln bringen...

lg, n
 
T

Thys

Gast
Ja, weil Kinder direkt sind, oft noch nicht verbogen. Die denken noch nicht so in festgefahrenen eingegleisten Kategorien. Und sie sind extrem unkonventionell :)
 



 
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