Klecks

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Klecks

Kennen Sie das Staatliche Institut für gemeingefährliche Erfindungen? Nein, sie brauchen gar nicht erst im Branchen- oder Telefonbuch nachzuschlagen; Sie werden es dort nicht finden. Ich jedoch weiß, dass es das Staatliche Institut für gemeingefährliche Erfindungen gibt - ich arbeite nämlich dort als Hausmeister, und wenn ich davon ausgehe, dass ich nicht ein absolut durchgeknaller Psychopath bin, der sich das alles nur einbildet, dann ist dieses Institut so wirklich wie es Lamas in den Anden gibt.
Das Staatliche Institut für gemeingefährliche Erfindungen ist in einem komplexen Gebäude in der Nähe der Universität untergebracht. Dass es niemand kennt liegt hauptsächlich daran, dass kein Schild darauf hinweist, was sich in dem Haus befindet. Es gibt nur ein paar alte, vergilbte Namensschilder neben den Klingelknöpfen. Die meisten dieser Klingeln sind abgeklemmt, nur zwei oder drei funktionieren noch. Dort, wo mein Vorgänger mit Kugelschreiber ´SIgE´ hingeschrieben hat, dort muss man läuten. Dann meldet sich die mürbe Stimme des Pförtners aus dem Lautsprecher und fragt nach, zu wem und in welche Abteilung man will. Es gibt nämlich eine ganze Menge Abteilungen und fast genau soviel Mitarbeiter. Die Prospektverteiler und Staubsaugervertreter haben es schon vor Jahren aufgegeben, ins Innere zu gelangen. Ab und an begehren die Zeugen Jehovas Einlass, aber die erkennt der Pförtner gleich wenn sie „Glauben Sie an Gott?“, oder ähnliche Gegenfragen über die Sprechanlage stellen, und er tippt dann kurz auf den Türöffner; so kurz, dass die Leutchen draußen gar nicht so schnell reagieren können, um das schwere Portal aufzudrücken. Es summt, die Zeugen plagen sich ab, er lacht sie aus und unterbricht die Verbindung. Deswegen melden sich auch viele Mitarbeiter aus den Abteilungen freiwillig als Mittagsvertretung für den Pförtner - weil sie hoffen, dass auch sie sich mal einen Scherz erlauben können. Bislang sind die Zeugen mittags aber noch nicht aufgetaucht.
Ansonsten geht es im SIgE aber recht streng zu. Äußerste Geheimhaltung und so. Die eine Abteilung weiß noch nicht einmal, was die andere gerade macht. Manchmal arbeiten sie an ähnlichen Erfindungen und das Problem, das die einen schon gelöst haben, bereitet den anderen noch Kopfzerbrechen und umgekehrt.
Aber ich, als Hausmeister, habe Einblick in alle Abteilungen.
„Hey!“ rufen die Kerle in ihren weißen Mänteln „Wechsle doch mal die Glühbirne aus.“ Oder „Tony, der Wasserhahn lässt sich nicht mehr richtig zudrehen. Das Getropfe stört uns beim Denken.“ Dann packe ich meine Werkzeugkiste und behebe die Mängel so gut es geht. Dabei kann ich mir Zeit lassen. Würde ich schneller arbeiten, dann müsste ich bald das ganze Haus renovieren. Nein nein, gut Ding will Weile haben.
Vor circa einem halben Jahr haben die Jungs aus der neunten Etage eine neue, gemeingefährliche Erfindung gemacht. Sie rangieren jetzt unter den Favoriten im Institut, haben das selbstzerstäubende Geschoss aus der Pyrotechnischen und das Reimgas von Hammerwills Gruppe übertroffen. Dabei fand ich das Reimgas recht originell. Die Probanden, alles verlotterte Waisen der untersten Kaste, reimten sich, nach dem sie von dem Zeugs geschnüffelt hatten, zu Tode. Der größte Nachteil der Erfindung war die miserable Qualität der Verse. „Springt im Walde eine Laus, trägt der Köter sie nach Haus.“ „Morgen singen wir im Chor, zeigen unsre Schniepel vor, wird die Oma dann noch geil, reibt am Stuhl ihr Hinterteil, wird sogar der Opa fit, doch sein Herz macht nicht mehr mit, ...“ undsoweiter. Auf die Dauer hält das kein Mensch aus.
Was die Jungs aus der Neunten erfunden haben, nennt sich Klecks.
Stellen Sie sich folgendes Szenario vor:
Sie kommen nach Hause. Auf Ihrem echten Berberteppich, den Sie im letzten Marokkourlaub von einem geschniegelten Geschäftsmann gekauft und den Sie - Junge, was sind Sie nur für ein Fuchs - im Preis ganz schön gedrückt haben, ist ein kleiner grauer Fleck. Sie müssen schon sehr genau hinsehen, um ihn überhaupt zu erkennen. Wenn wir ehrlich sind, wird kein Mensch jeden Tag seinen Teppich nach Flecken untersuchen; vor allem dann nicht, wenn dort nichts verschüttet worden ist. Aber gesetzt den Fall, Sie finden den Fleck, was werden Sie tun? Sofort in den nächsten Supermarkt rennen und Reinigungspulver besorgen? Sicher nicht. Der Fleck ist viel zu klein und farblos, als dass man gleich einen solchen Aufstand deswegen machen müsste. ´Morgen, nach der Arbeit´ denken Sie. Am nächsten Tag ist der Fleck schon dunkler... und er ist gewachsen. Aus einem daumennagelgroßen Klecks ist ein Fleck von gut und gerne zwanzig Zentimetern geworden. Er hat seltsame, verfranzte Ausläufer am Rand und sieht richtig abscheulich aus. Sie heben den Teppich hoch, aber auf der Unterseite ist nichts zu sehen. Ein gutes Zeichen. Das edle Stück ist noch nicht völlig ruiniert. Jetzt rücken Sie dem Flecken mit allerlei Pulver und Schaum zu Leibe, aber das bringt überhaupt nichts. Er scheint sich nur zu vergrößern. Also wollen Sie ihn morgen in die Reinigung bringen. Aber da ist es schon vorbei, die Falle hat zugeschnappt. Spätestens am nächsten Morgen werden Sie von dem tiefschwarzen Klecks aufgesaugt und schwups, verschwinden auf Nimmerwiedersehen.
Die Kleckse halten sich natürlich nicht nur auf Berberteppichen. Sie entfalten sich auf Parkettböden ebenso gut wie auf den Fliesen in der Küche oder dem Läufer im Flur.
Ja, die Jungs aus der Neunten hätten sich eine Gehaltserhöhung wirklich verdient. Statt dessen wird der Fonds für die Forschung in der neunten Etage aufgestockt. Sie sind noch daran, ihr Projekt zu verbessern. Der Klecks soll Zukunft nur noch maximal fünf Zentimeter groß werden, erst dann wollen sie es der Regierung melden. Man stelle sich vor: Ein fünf Zentimeter großer Fleck verschlingt einen Menschen! Keine Leiche, und das beste: Nach der Sättigung löst sich der Klecks von selbst auf. Die ´Inkubationszeit´ soll von drei Tagen auf drei Stunden herunter geschraubt werden.
Ich vermute, Sie glauben mir nicht, schütteln den Kopf oder schmunzeln in sich hinein - also werde ich etwas tiefer ins Detail gehen, soweit es mir meine Beobachtungen erlauben.
Am 12. August letzten Jahres erfanden die Jungs aus der Psychopharmakaabteilung eine Haftcreme, praktisch als Abfallprodukt ihrer gemeingefährlichen Forschung an Amok-Tabletten. Wenn man etwas Organisches damit in Verbindung brachte, verlangsamte es dessen Atome bis zum völligen Stillstand und konnte es so, gelinde gesagt, verschwinden lassen. Die Menge der Haftcreme stand aber in keinem Vergleich zu der Masse die verpuffte. Für ein ausgewachsenes Kaninchen hätte man etwa anderthalb Tonnen Creme verbraucht. Das Zeug wanderte in den Keller zu den anderen missglückten Experimenten und fristete sein Dasein neben dem singenden Toaster, bis sich ein gewiefter Kerl (Der Name wird von der Abteilung des neunten Stockwerks wie ein Staatsschatz gehütet, aber wir alle nehmen an, dass es sich um den magersüchtigen Johannes handelt.) an das Nebenerzeugnis machte und es mit seinen Kollegen überarbeitete.
Als erstes stellten sie so etwas wie ein Haftcremekonzentrat her, dann versahen sie es mit den physikalischen Eigenschaften eines Schwarzen Loches und implizierten das Phänomen der Kugelschreiber, die bekanntlich ständig verloren gehen. (Bitte, fragen Sie mich nicht, wie das vor sich ging. Ich bin nur ein kleiner Hausmeister, der mit Ach und Krach den Qualifizierten Hauptschulabschluss hingekriegt hat.) Heraus kam der Klecks; überraschend schnell und ebenso überraschend effektiv. Zu Anfang gab es noch Probleme mit der Sättigung. Inzwischen ist man soweit, dass sich der Klecks erst dann auflöst, wenn er mindestens 50 Kilo aufgesaugt hat. Das hat seine Gründe. Überlegen Sie einmal:
Irgendein südamerikanischer Diktator soll von der Bildfläche verschwinden. Unser Agent, mit der neuen, ausgereiften Version des Klecks bewaffnet, gelangt in den Palast des Tyrannen. Er hat sich vielleicht als Fotograph für ´Schöner Wohnen´ ausgegeben, hat dem korrupten Schwein von einer Wache ein paar harte Dollars oder weiche Euros in die Hand gedrückt, und flaniert jetzt durch die Gemächer - knips, hier ein Foto, knips, dort ein Foto - und während er so herum marschiert verliert er rein zufällig im Badezimmer den Klecks, der die ganze Zeit an seiner Schuhsohle hing und nur darauf wartet, abgesetzt zu werden. Dann bedankt er sich bei dem Wachsoldaten für die ausgiebige Führung und fliegt wieder zurück in sein Hauptquartier. Soweit so gut. Sagen wir mal, der Klecks hätte nun ein Sättigungslimit von fünf Kilo, das heißt, er würde sich erst dann auflösen, wenn er mindestens fünf Kilo zu sich genommen hat. Was könnte passieren? Der Diktator kommt nach einer Massenerschießung nach Hause, sein krankes Gehirn tut ihm höllisch weh weil er sich immer neue Grausamkeiten ausdenken muss. Er geht ins Bad um sich den Kopf mit kaltem Wasser zu waschen, tritt vor den Spiegel... aber halt! Da kommt sein dämlicher, völlig verfetteter Dackel angerannt, tappt in den Klecks und schon ist er verschwunden. Nun ja, der Diktator wird ziemlich sauer sein und die Garnison der wachhabenden Soldaten exekutieren lassen, aber das war doch nicht ganz unser Anliegen. Also haben die Jungs den Sättigungsgrad der Kleckse auf 50 Kilo gesetzt, damit ihnen die diversen Haustiere keinen Strich durch die Rechnung machen.
Die Erprobungsphase läuft zur Zeit auf Hochtouren. Die Ergebnisse sind zufriedenstellend. Nach den langen Monaten der internen Testreihen haben sich die Verantwortlichen durchgerungen auch Versuche im Freiland zu genehmigen. Freiland bedeutet hier natürlich nichts anderes als außerhalb des Instituts. Adrette Avonberaterinnen verschütten vermeintliches Parfum in den Wohnzimmern („Entschuldigen Sie vielmals. Gott sei Dank war es ja nur ein geruchloser Achselschweißstopper.“), Briefträger bringen Telegramme mit verschwommenen Inhalten und der Vertreter letztens wollte doch auch nur den Fuß über die Schwelle bringen.
Ich habe mir schon überlegt, ob ich nicht einem unserer Außendienstmitarbeiter meine Adresse zuschieben soll. Meine Alte nörgelt und meckert ständig herum, dass sie damals besser auf ihre Mutter gehört hätte, dass ich es nie zu Etwas bringen werde, und lauter solchen Müll. Es wäre eine Gnade für mich, - und für die Welt, glauben Sie mir, - wenn sie ohne Vorwarnung aus diesem Leben verschwinden würde.
 

Mazirian

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Find ich gut

Das ist ungeheuer und locker und unverkrampft geschrieben. Hat einen sehr schönen, fließenden Plauderton. Es nimmt einen von der ersten Zeile an sofort mit. Auch sehr bildhaft, man kann fast immer "sehen" was gerade passiert oder wo man ist. Gefällt mir sehr, sehr gut.
Nur die technische Beschreibung und die Entwicklung des Kleckses scheinen mir ein bißchen lang geraten zu sein... man kann ja zwei Kleckse machen, wenn das Opfer ein Haustier hat... oder zehn, wenn abends Besuch kommt... oder was wäre mit einem "völlig verfetteten Neufundländer"? Für den sind selbst 50 kg zu wenig ;).
Die Pointe am Schluß könnte man evtl. noch ein bißchen "fetter" machen, etwa durch eine unvorhergesehene/unbedachte Eigenschaft des Flecks oder so. Die nervende Ehefrau liegt ja sehr nahe. Aber gut, das ist sicher Geschmackssache und soll nicht mehr zur Kritik gehören.
Und wo ich grad dabei bin, noch ein bißchen Erbsenzählerei:

...Dort wo mein Vorgänger... dort muß man läuten... Ein "dort" kann weg, am besten das zweite.

Kann es mehr Abteilungen als Mitarbeiter geben? Hört sich zumindest seltsam an.

Oder: "Tony...usw. (Doppelpunkt)

verfranzt = ausgefranst (sich verfranzen heißt ugs. sich verfahren/verirren)

Ist mit Inkubationszeit die Zeit bis zur Auflösung oder bis zur Aktivierung gemeint.

Ein Kaninchen, das unter 1,5 to Creme liegt ist eh verschwunden :)

Hm, sonst find ich nix. Gute Geschichte!

schönen Gruß

Achim
 

jon

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Teammitglied
Wirklich nicht schlecht. Vielleicht eine Nuance zu lang – aber das ist Geschmackssache.

Das allergrößte Manko an dem Text ist die absolut lasche Pointe. Die finde ich in hohem Maße enttäuschend. Dass der Hausmeister sich Gedanken macht, wo er den Klecks gebrauchen könnte, ist an und für sich schon lasch (weil mehr als nur naheliegend. ja geradezu zwingend), aber dass es dann auch noch die Ehefrau ist…
An der Stelle, wo der Erzähler den Erfindern aus der Neunten eine Gehaltserhöhung wünscht/gönnen würde, dachte – hoffte – ich einen Moment lang auf die Wendung, dass die Mitarbieter aber aus unerklärlichen Gründen seit kurzem eine Neigung zum plötzlich Verschwinden entwickelt hätten, was man natürlich nicht honorieren dürfte. Ist zwar auch keine wirklich pfiffige Idee, aber pfiffiger als die "originale" schon…

Vielleicht fällt dir aber noch was Putziges ein…
 



 
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