Kleiner Brief an den Generalsstab

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Kleiner Brief an den Generalstab



Ach, das war ein wundervoller Tag,
wisst ihr´s noch, damals vor einer halben Ewigkeit
als ich mit dieser kleinen, feisten Maus in inniglicher Zweisamkeit
beim Baden lag?

Wisst ihr´s noch?

Dann wisst ihr auch, dass diese Menschensammler
Wie Schmeißfliegen an meinem Hintern klebten
An meinem Hintern, du mein kleiner, fauler Gammler
Wie oft haben sie dir schon in das Maul getreten?

Du bist ganz wund vom Strammstehen.

Ach, wenn wir marschieren,
dann ist mein Blick so leer
und mein Verstand, der kriecht auf allen vieren
und meine Beine sind wie Blei, so schwer

Das erinnert mich ein jedes Mal daran,
dass ich nicht mal einem Fähnrich in den Hintern treten kann.
So schwer sind sie.

Ach, wisst ihr noch, wie es damals war,
als wir bis zum Morgengrauen liefen,
einfach so, weil uns so war
und wir dann bei den Apfelbäumen schliefen

Wisst ihr´s noch?

Heut spür ich nur noch
Den Stiefelknecht
Und in meiner Stirn da klafft ein Loch
So groß, wie eine Faust

Das ist mehr als ungerecht,
dass mich hier so der Affe laust
und mir meine Träume stielt
nur weil man mich für patriotisch hielt.

Ich bin doch nur ein Mensch.
Und ich habe nur zwei Hände.

Reicht es ihnen etwa nicht,
dass sie mit Apfelblüten spielen
solln sie deshalb vor ein Kriegsgericht
weil ihnen ihre Mordwerkzeuge nicht gefielen

Ach, ihr kleinen Fingerspitzen,
ihr kleinen, faulen Müßiggänger,
ihr spieltet schon an manchen Ritzen
und wart die schönsten Blütenfänger.

Ich seh es gar nicht ein,
dass ihr jetzt hier stramm steht
ihr seid für mehr bestimmt, als Knecht zu sein
auch wenn euch bald der Rohrstock lädt

Das ist doch nur wie Frühlingswind
Nach einer sternenklaren Nacht
Wir ziehen uns warm an, mein Kind
Und warten, dass die Sonne lacht

Nachwort:

Manchmal möchten meine kleinen Hände
Schon was zu packen kriegen
Und auch mein Arsch würd gern mal, wenn’s sich fände
In manchem Generalsstab auseinander fliegen.

Aber ich bin leider nur ein Mensch,
verzeiht,
und ich habe nur zwei Hände
 

george

Mitglied
Sehr nachdenklich macht dieser Text, Markus.

Jeder, der selbst mal so marschiert ist und jenseits der Vorschriften mal irgendwo geschlafen hat, wird sich erinnern. Doch dein Text geht weiter zurück in der Geschichte als diese Friedenszeit, die wir das Privileg hatten, zu erleben. Der Rohrstock deutet für mich entweder auf die Zeit des ersten Weltkriegs oder auf die französische Armee. Dort war der Rohrstock selbst vor Jahren noch in Benutzung.

Einen kleinen Holperer fand ich:
"dass ihr jetzt hier stramm steht"
würd' ich umschreiben zu:
"dass ihr jetzt stramm hier steht".

Grüße
 
Hallo George,
der Rohrstock ist vielleicht ein alter Begriff, diente mir hier aber nur als Sinnbild.
Der Holperer, je öfter ich das Gedicht lese, desto mehr entdecke ich selbst, ist es eigentlich nicht. Es geht mir hier um die Art, wie das Gedicht vorgetragen wird.

leise, und auf die `Blumigkeit´ der vorhergehenden Strophe verweisend : "ich seh es garnicht ein,"
dann sehr laut, fast schreiend: "daß ihr jetzt hier strammsteht!"
dann Pause und ruhiger weiter: "Ihr seid für mehr bestimmt, als Knecht zu sein, auch wenn euch bald der Rohrstock lädt."

Aus diesem Grund lese ich auch Holperer in dem Gedicht, die beim "Lesen" nicht auffallen.

Ich denke, du weißt, was ich meine. Jeder hat doch eine Vorstellung davon, wie sein Gedicht vorgetragen werden muss.
Mir ist das sehr wichtig.

Gruss, Marcus

PS: Lasse mir deinen Vorschlag trotzdem durch den Kopf gehen. Ich weiß zwar, wie ich es hören will, aber nicht, wie es sich "gut" anhört.
 

george

Mitglied
Die Stärke dieses Textes ist ja gerade, dass man beim Lesen förmlich selbst vorträgt, selbst wenn man das vielleicht gar nicht vorhatte. Mir ging's jedenfalls so. Ich habe mich nicht "festgelesen", sondern "festvorgetragen".

Der Text lebt ja geradezu von der sich ändernden Lautstärke, dem Verschieben der Betonungen, dem Anheben oder dem Abfallen der Satzmelodie, kurz, dem Engagement.

Ich fand keine anderen Holperer, Markus. Was ich angemerkt habe, war das einzige, was mir beim "Vortragen" auffiel.

Grüße
 

GabiSils

Mitglied
Hallo Markus,

ich nehme an, du meinst den Generalstab (Definition: Gruppe von hohen Offizieren zur Unterstützung der Heeresleitung u. des Oberbefehlshabers), nicht den Generals[red]s[/red]tab, oder?

Gruß,
Gabi
 
George,
der Gedanke, die Zeile anders zu forulieren, ist an sich und überhaupt nicht falsch. Wahrscheinlich hast du vollkommen recht. Ich könnte mir vorstellen, daß man die ganze Zeile von

"daß ihr jetzt hier strammsteht"

in:

"daß auch ihr jetzt stramm hier steht"

uändert. So kommt sogar noch stärker der Vergleich zum Strammstehen des Hinterns.
Also, wie gesagt, deine Anmerkung hört sich richtig an. Sie wird mir hier, als Kritikpunkt nicht davonfliegen, solange das Gedicht hier steht.

Gruss, Marcus


PS: Gabi,
ich lief gestern die ganze Zeit durch die Gegend und dachte, mhm, also eigentlich heißt es doch Generalstab.
"Generalsstab", dachte ich, mhm, nein.
Danke für den Hinweis.
 



 
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