Komm, wir fahren nach Amsterdam

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Martin Iden

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Die gute "Ramboschore" trieb meinen Konsum hoch, und ich mußte mich nach der Decke strecken, um das Dope finanzieren zu können. Ich tauchte nur noch sporadisch an der Uni auf. Immerhin bekam ich die Zwischenprüfung auf die Reihe und den Französischsprachtest. Als ich Zwischenprüfung machte, mußte ich aber um 8.00 Uhr früh den Iraner aus dem Bett klingeln, um überhaupt aufstehen und mich anziehen zu können. Mit einem tüchtigen Cocktail, "Herroinn" mit Koks konnte mir dann aber nichts mehr passieren, schließlich bin ich ein guter Historiker. Zwischendurch mußte ich aber noch einmal auf dem Klo verschwinden, um mir einen Druck zu machen, und ich glaube nicht, daß mein blutbeschmierter Ärmel einen besonders guten Eindruck auf Prof. Dr. Rudolf von Th. gemacht hat, einen Junker der alten Schule. Ich begann zunehmend das Heroin zum Mittelpunkt meines Denkens zu machen. Ich rechnete nicht in DM, Stunden oder Tagen, sondern in Schore. Ein Tag, das waren vier Spritzen. Mein Körper lebte ohnehin nach dem Opiatmetabolismus. Schore war Geld, Schore war Sicherheit, Erlösung vor dem Affen und den Grausamkeiten der bösen Welt. Heroin, das war Macht, Ansehen, Wohlbefinden. Wenn ich Schore hatte, dann fraßen sie mir alle aus der Hand. Erlösung war schon für 25 Mark zu haben, ein McDonaldslöffelchen. Man konnte Glückseligkeit in der Hosentasche mit sich tragen oder auch per Post verschicken. Doch eines gab es nicht, niemals, Vergebung der Schulden!

Natürlich hätte ich gerne aufgehört, morgen jedenfalls oder übermorgen. Heute noch einmal satt sein, den Genuß der Erleichterung verspüren, wenn das Blut wie eine purpurne Wolke in die Spritze aufsteigt und sich die bernsteinfarbene Flüssigkeit in die Vene entlädt. Morphinismus ist auch eine Art von Vampirismus, Schore bedeutet Leben, hat man keine, dann zerfällt man zu Staub.

Was mich damals sehr verbitterte, war die Verbissenheit, mit der damals in der BRD das Pro und Kontra von Methadon diskutiert wurde. Wir brauchten das Zeug, um überhaupt mal wieder Boden unter die Füße zu bekommen, doch man gab es uns einfach nicht! Ich hielt eine Substitutionstherapie für die einzige Möglichkeit, dauerhaft vom Heroin wegzukommen.Ich stehe dem Zeug heute sehr kritisch gegenüber, doch kann es Süchtigen sehr große Erleichterung verschaffen, und natürlich wäre es wünschenswert, wenn seine Vergabe nicht total bürokratisiert wäre. Heute ist immerhin eine flächendeckende Versorgung in der BRD gewährleistet, wenn es auch immer noch sehr schwierig ist. Damals aber wurde uns praktisch jede wirksame Hilfe verweigert. Ja, man kriminalisierte sogar die wenigen engagierten Mediziner.

Ich lernte Peter W. kennen, einen Berliner mit einem treffsicheren Humor. Er war Internist und Facharzt für Suchtkrankheiten, sein eigener Sohn war durch den Junk und die Folgeerscheinungen zugrundegegangen. Peter W. und seine Frau, eine echte Lady, gehörten zu den Wenigen, die Suchtkranke nicht aus finanziellen Gründen behandelten, denen das schicksal ihrer Patienten wirklich naheging. Doch weil er sich nicht an das damalige Methadonverbot gehalten und dennoch Süchtige damit behandelt hatte, wurde er von einem übereifrigen Staatsanwalt wegen Verstoßes gegen das BtMG und Körperverletzung verklagt, und wagte es nicht, weitere Patienten aufzunehmen.

Ich konnte es nicht fassen, Körperverletzung! Diesen Kerlen war es doch sonst auch egal, was mit Süchtigen geschah. Die freuten sich doch noch über jeden toten Junkie, solange er nicht so unverfroren war, in ihrem Wohnviertel abzukratzen. Eine einzige Schweinerei, wenn ich daran denke, was für Betrügereien sich manche Ärzte geleistet haben, ohne jemals angeklagt zu werden.

Er sagte, daß es, wenn überhaupt, noch gut und gerne fünf Jahre dauern könne, bis Methadon einmal in Deutschland abgesegnet werde. Na, großartig, aber so lange konnte ich wirklich nicht warten.

Ich beschloß, in Holland Methadon zu besorgen, doch das war ein sehr gefährliches Abenteuer. Ich kannte auf der ganzen Welt nur einen einzigen Menschen, der für so etwas zu gebrauchen war, und der verschlagen und abgebrüht, aber gleichzeitig auch ehrenhaft und vertrauenswürdig war.

Ich verbündete mich daher mit meiner alten Bekannten H- Erika. Sie war genau die Richtige für ein solches Unternehmen. Erika war absolut ehrenhaft, eine der wenigen Leute, denen man Geld mitgeben konnte. Außerdem hatte sie einen siebten Sinn für Opiat und konnte welches auftreiben, sofern es überhaupt etwas zu kaufen gab. Sie besaß ein natürliches Talent für den Handel wie eine listige, verschlagene Marketenderin, und sie war mehr Mann, als die meisten Kerle, die ich jemals getroffen habe. Mit dieser Mutter Courage also fuhr ich nach Amsterdam, es wurde die absolute Chaostour!

Erika hatte etwas Schore als Reiseproviant mitgenommen, doch unser Affe brauchte gar zu viel Zucker,so daß wir in Frankfurt Rast machen mußten. Auf der Szene in der Taunusanlage kauften wir uns ein Pack. Doch die Frankfurter Schore taugte nichts, und schon hinter Montabaur war die Wirkung verflogen. Lange vor der Grenze wurden wir wieder übel suchtkrank.

Wir machten daher einen Umweg über Aachen und besuchten Erikas Verteiler in einem Dorf hinter der Grenze. Dieser war, wie fast alle Kokainisten, ein ungeheurer Paranoiker, und ich mußte daher im Auto warten, suchtkrank!
"Ich bin gleich wieder da, muß nur vorher noch ganz kurz was besprechen, keine Angst, ich bin gleich wieder bei dir!"

Erika blieb geschlagene zwei Stunden weg, ich hätte sie glatt erschlagen können! Als sie wieder kam, war sie ganz satt, man konnte es an ihrer Stimme hören. Ich wollte ihr Vorwürfe machen, aber sie winkte mit einem fetten Beutel. "Gleich gehts dir wieder gut, entschuldige bitte, aber ich bin da drin glatt umgegegangen, das ist mir noch nie passiert! das zeug ist fast so gut, wie dem Rambo seine Schore, und er hat noch etwas Koks dazugegeben. Das ist aber erst ein edler Stoff! Komm, schnall deinen Gürtel ab, jetzt kriegst du einen Cocktail, und ich kann auch noch einen vertragen, zur Feier des Tages!" Erika kochte einen fetten Druck auf und gab dann in die braune Suppe etwas Kokain, das sich wie Schnee auflöste. Koks wird niemals aufgekocht. Ich war bereits übel suchtkrank, und die zwei Stunden kamen mir wie eine Ewigkeit vor. Meine gewohnte Vene war verstopft, dreimal war ich bereits drin, aber meine Hand zitterte, und ich rutschte immer wieder heraus. Ich mußte eine Vene in der rechten Armbeuge nehmen, kam aber nicht zurecht, weil ich mit links spritzen mußte. Erika gab sich problemlos eine Kokaininjektion und begann permanent zu reden. Sie lächelte. "Na, dann wollen wir dich mal verarzten, warte ich gib sie dir! Sie klopfte auf die Vene und ließ die Spritze ganz sanft hineingleiten. Ich spürte es erst, als sie abdrückte. Es war der absolute Hammer, das Koks mußte einen unglaublichen Reinheitsgrad gehabt haben, und die opiatdurstigen Zellen saugten die gute Hollandschore wie ein Schwamm auf. Kühne, verwegene Gedanken explodierten, während mich die warme Opiateuphorie wie ein Zobelmantel einhüllte. Keinen Druck habe ich jemals mehr genossen, als diesen. Es war wie ein Orgasmus, und es drückte mich in den Sitz. Meine Lippen wurden taub vom Kokain, und sofort war ich wieder im Olymp.

"Oh, jahh! Das ist es, das Pharmakon nepenthes!" "Häh, was?" "Ach, vergiß es, ein Kumpel sagte immer, wenn es was besseres gibt, dann hat es Allah für sich selbst behalten!" "Ein wahrer Poet, dein Freund, das ist gut!" Sie kicherte, dann löste mich Erika ab und übernahm das Steuer, total auf Koks und Schore!

Wir erreichten Amsterdam gegen Mitternacht, stellten das Auto am Bahnhof ab und genehmigten uns noch einen fetten Cocktail, mitten auf dem Zeedijk! Erika kochte die Schore in ihrem Löffel auf, von hinten nahte eine Polizeistreife, doch sie focht das nicht an. "Ganz cool bleiben, Martin, wir sind hier im Land der Freiheit! Die interessieren sich nicht für deutsche Junkies, die wollen nur sehen, ob du das Auto nicht geklaut und genug Geld hast. Echte Freunde und Helfer, die passen schön auf deine Karre auf, sei mal ein bißchen höflich!" Zwei Polizeibeamte schauten zum Fenster herein, während sie gerade, ganz frech, zwei Spritzen aufzog. Ich konnte es nicht fassen, aber sie wollten wirklich nur davon überzeugen, daß wir das Auto nicht stehlen wollten. Wir mußten nur den Autoschlüssel vorzeigen, nicht einmal die Papiere. Nur eine halbe Stunde und eine Kokaininjektion später kam die nächste Streife, genau das selbe Spielchen, das waren wirklich pragmatische Polizeibeamte! Diesmal mußten wir nur den Geldbeutel vorzeigen, und sie überzeugten sich, daß wir liquide waren. "Typen wie euch haben wir hier nämlich schon mehr als genug", sagten sie.

Erika war blendend gelaunt, in einer richtigen Husarenstimmung. Sie hatte Pupillen wie ein Waldkauz und redete wie ein Wasserfall. "Na, du alter Raubritter, heute haben wir es gut gebracht, was! Ich hab es dir ja gleich gesagt. Komm, ich will dir noch ein bißchen die Stadt zeigen, damit du daheim etwas zu erzählen hast, in der Prinsengracht oder im Rijksmuseum siehst du so etwas nicht. Ah, buena cocaina! Ich bin ein wildes Weib mit Koks im Leib, soll sich bloß keiner heute Nacht mit mir anlegen! Komm, nimm deine Kanone mit, ich lade dich zum Frühstück ein. Du mußt kräftig essen, sonst wirst du keine dreißig. Wenn du erst mal in meinem Alter bist, wirst du das wissen!" Wir schlenderten über den Zeedijk, und sie redete ohne Punkt und Komma.Vom Kokain berauscht konnten wir nicht schlafen und gingen so lange in der Stadt spazieren, bis gegen fünf Uhr morgens die ersten Läden öffneten. Wir besichtigten die berühmt berüchtigten Nutten in den Schaufenstern und waren auf der Hut. Es war nicht ganz so krass wie in Hamburg, aber das war ein anderes Pflaster, als Kassel oder Hannover.

Die ganze Stadt wimmelte damals von Deutschen, manche, vor allem ältere Niederländer, sagten die "Moffen". Alle hatte die Hofnung hier Methadon zu bekommen hergetrieben. In der Damstraat befand sich der Methadonschwarzmarkt. Die kleinen weißen Tabletten wurden für zwei Gulden das Stück gehandelt. Na, das konnte ja heiter werden, wer konnte so viele Tabletten auf Echtheit prüfen, wenn man über 100 Pillen kaufen will? In Sachen Koks und Schore war Erika die ungekrönte Königin der Nacht, doch im Umgang mit Ärzten und Pharmazie war ich ihr überlegen, und ich schlug vor, lieber den Medizinmännern auf die Pelle zu rücken, als auf dem Schwazmarkt die Katze im Sack zu kaufen denn ein Bekannter in Kssel hatte mir ein paar Adressen gegeben. Offenbar hatte sie kein Vertrauen in meine Fähigkeiten, und sie wollte gerade mit einem Holländer, einem total kaputten Typen, verhandeln.

"He, Erika, du solltest echt mal ein bißchen Vertrauen zu mir haben! Laß mich nur machen, ich bin doch Vizekoordinator vom Junkiebund, keine Ahnung, wer mich gewählt hat, aber auch ich kenne bedeutende Zeitgenossen!" Sie blickte mich ganz mitleidig an, als sei ich ein armer Irrer. "ich glaube, das Koks ist dir zu Kopf gestiegen, Vizekoordinator! Und ich bin die Queen Victoria, hast du gewußt, daß die auch auf Kokain war?" "Wo du es schon erwähnst! Wenn wir Glück haben, können wir uns davon noch etwas zu naschen kaufen, wenn nicht, die Polaszene rennt uns nicht weg. Aber bitte, wenn du zwei Gulden für eine Pille bezahlen willst! Ich frage mich nur, wie du den Stoff prüfen willst, du kannst es nämlich nicht."

Meine Argumentation, vor allem das mit dem Koks überzeugte sie. Doch anfangs hatten wir kein Glück. Eine Ärztin, bei der wir vorstellig wurden, zeigte uns die kalte Schulter. Erika fiel mit der Tür ins Haus und legte ihr einfach einen Geldschein auf den Tisch, doch das war zu plump. Ein Deutscher erzählte uns, daß man vor kurzem beschlossen habe, den "Moffen" die kalte Schulter zu zeigen, und radikal alle Deutschen abzuwimmeln. "Entmoedigungsbeleiding", Entmutigungsbeleidigung oder so ähnlich nannte man das in der Bürokratensprache.

Ein freundlicher Arzt, ich habe seinen Namen leider vergessen, nahm sich wirklich viel Zeit und telefonierte wegen uns mit einem Kollegen von der Amsterdamer Jellinekklinik und bei einer anderen Adresse, ich weiß nicht mehr wo. Er war ein engagierter Mann, ein freundlicher alter Herr mit einer toleranten, liberalen Gesinnung. Er beeindruckte mich vor allem deshalb,weil er keinen Grund hatte, die Deutschen zu lieben, denn sein älterer Bruder war von der deutschen Besatzung umgebracht worden. Er fragte Erika nach ihrer Krankenkasse und konnte es überhaupt nicht fassen, daß wir nicht nur der Krankenkasse keinen reinen Wein einschenken konnten, sondern ins Loch kommen würden, wenn unser Ausflug ruchbar würde. Schließlich lud er uns sogar zum Essen ein, ich habe heute noch manchmal Gewissensbisse, daß wir ihm eine Räuberpistole aufgetischt haben, denn die Wahrheit war krass genug. Wir bekamen über 100 Tabletten, und auf Koks kamen wir auf eine besonders blöde Idee, wie wir den Stoff schmuggeln konnten: Wir packten die Pillen in Senfkübel und verschickten das Zeug unter fingierter Adresse an uns selbst, aber alles ging gut.

Auf dem Rückweg ging uns das Geld aus, wir hatten zuviel Koks genommen, und Erika mußte für ihren Sohn unbedingt noch ein Stofftier kaufen. Sie brachte ihm immer etwas mit, wenn sie ihre Touren machte, so war sie eben. Kurz vor Arnheim mußten wir tanken, es waren noch genau zehn Mark in der Reisekasse, was tun?

Wir mußten schnorren, aber wir hatten auch diesmal Glück. Erika schnorrte einen freundlichen, älteren Holländer an, ohne mit der Wimper zu zucken. "Verzeihing, Mynheer, es ist mir furchtbar peinlich, aber wir brauchen Hilfe, meinem Freund hier ist leider das Auto aufgebrochen und die Reisekasse geklaut worden!" "Das ist ja furchtbar, das war bestimmt in Amsterdam! Wir Niederländer müssen uns ja schämen für dieses Pack und dann erst diese vielen Junkies!" Wir schluckten. "Es sind ja kranke Menschen, denen man helfen muß, schlimm, daß man das in ihrem Land nicht begreifen will! Bitte nehmen Sie mir das nicht übel, wir haben nichts gegen ihr Land, und ihr Deutschen habt euch ja auch gebessert. Wie viel brauchen sie denn?" "Na ja, mit zehn Gulden kämen wir schon mal über die Grenze, und den Rest kriegen wir auch noch zusammen." "Na, nun sagen Sie doch schon, was Sie brauchen! Wo wohnen Sie denn?" "Ach, in der Nähe von Kassel." "Da kommen Sie doch niemals mit zehn Gulden hin, nehmen Sie diese 50 Gulden, vielleicht denken Sie dann besser über uns Niederländer!" Erika war zum ersten Mal richtig baff, und der freundliche Fremde wehrte heftig ab, als wir ihn um seine Adresse baten, um ihm sein Geld zurückzahlen zu können. Wir haben es dann aber trotzdem zurückgezahlt, jeder die Hälfte, damit er nicht zu schlecht von uns Deutschen dachte.

Zu Erika muß ich unbedingt noch sagen, daß sie wirklich eine gute Mutter war. Sie versuchte ihren Sohn, so gut es ging, von all diesen Begleiterscheinungen fernzuhalten.Sie spielte mit ihm, nahm ihn überall mit hin. Sie wurde richtig sauer, wenn sich jemand in Gegenwart des Jungen nicht korrekt ausdrückte, duldete keine Drogen in dessen Gegenwart, und wenn sie noch so lange unterwegs gewesen sein mochte, niemals war sie sich zu schade dafür, sich dann noch stundenlang hinzusetzen und Hausaufgaben zu machen. Egal, wie wenig sie geschlafen hatte, egal wie schlecht es ihr selbst ging, sie stand jeden Morgen um sieben Uhr auf, um Frühstüksbrote zu schmieren. Sie war ein Luder, eine großartige Kumpeline, eine Mutter Courage und auf ihre Art eine echte Lady.
 
K

Kultakivi

Gast
Hallo Martin,

wundert mich, dass dein Werk bislang noch keine Beachtung gefunden hat. Gut und flüssig geschrieben. Story kommt sehr realistisch rüber. Sind lediglich ein paar Rechtschreibfehler drin, ist aber auch eine recht lange Geschichte. Vom Ausdruck und em Aufbau her jedoch auf jeden Fall überzeugend.

Gruss

Kultakivi
 



 
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