Konzertmagen

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plosiv

Mitglied
Konzertmagen

Heute ist der Tag, auf den ich mich die letzten Wochen vorbereitet habe. Das erste Mal, dass jemand von außerhalb auf unsere Kunst aufmerksam geworden ist. Jemand, der uns hörte, als wir mal wieder in eine vollkommene Leere spielten. Wenn ich auf der Bühne stehe, geblendet vom Scheinwerferlicht, sehe ich nicht in ein Publikum, ich schaue ins Dunkle. Und da ich nicht weiß, wer einen hört, spiele ich mir die Seele aus dem Leib. Und während ich spiele, stelle ich mir vor, wie das Publikum ausrastet, jubelt, feiert. Doch wenn kein, oder besser wenig Publikum da ist, verhallt der letzte gespielte Ton in der Leere und auch alle Vorstellungen und Ideen von einem jubelnden Publikum lösen sich in Rauch auf. Wahr ist, dass wir von Zeit zu Zeit immer mehr Menschen mit unserer Musik ansprachen und auch das Feedback positiv ausfiel, dennoch ziehen wir mit unserem Namen niemand von der Couch, egal wie gut wir sind. Immer sind wir diejenigen, die sich bemühen, neue Auftrittsmöglichkeiten zu erschließen. Jetzt ist es also anders. Jemand, der uns gehört hat, hat uns engagiert. Eine andere Perspektive. Und sie schmeckt süß.

Ich habe den Tag begonnen, genauso wie ich jeden Tag beginne, der mit einem Konzert enden wird. Nach dem ersten Kaffee nehme ich mir vor, etwas für mich zu tun. Ich muss nicht unbedingt umwerfend sein, aber schließlich achtet das Publikum auf mich, auch wenn ich als Bassistin eher im Hintergrund zu finden bin. Dies ist ein Umstand, der mich nicht weiter stört, der allerdings nicht dazu animieren sollte, sich gehen lassen zu können. Also erstmal eine ausgiebige Dusche mit anschließendem kompletten Schönheitsprogramm. Je wohler ich mich in meiner Haut fühle, desto gelöster werde ich spielen. Im Verlauf der Stunden wurde ich immer nervöser, mein Körper kribbelt,ein Gefühl wie 'verliebt-sein', und meine Gedanken kreisen um Organisatorisches. Ich dachte an Vieles, und gegen Mittag musste ich mich mit Anderem ablenken.

Ich habe ein Brot gebacken. Ein süßes Brot, in Erwartung an den Abend. Mein Magen ist vor Nervösität so groß wie eine Walnuss, doch backen beruhigt mich immer an einem Konzerttag. Der erste Duft des Brotes stieg mir in die Nase, und ich genoß die friedlichen Assoziationen, die mich dann immer wieder anfallen, und mich beruhigen.

Und nun stehe ich vor der Backform, die ich vergessen hatte einzufetten, und kämpfe mit zitternden Fingern und hoch gereizt mit dem Brot, das sich nicht aus der Form bringen lassen will!
 

Astrid

Mitglied
Das Wort "Konzertmagen" gefällt mir sehr und hat mich neugierig gemacht, deinen Text zu lesen. Ich finde es faszinierend, weil auch bei mir das Brotbacken (neuerdings) eine Rolle spielt. Auch ich habe heute Brot gebacken. Die letzten drei Zeilen sind für mich am stärksten, wie du versuchst, das Brot aus der nicht eingefetteten Form zu retten, sagt soviel aus über deinen Gefühlszustand, obwohl es ja "nur um das Brot" geht, das ist dir gut gelungen. Voher hätte ich gern mehr erfahren, wie du einen Konzerttag gewöhnlich beginnst, wie es ist, wenn du auf der Bühne stehst, (auch mir rutscht immer wieder mal ein "man" durch), wie du dir die Seele aus dem Leib spielst...
Also guten Appetit auch weiterhin. Ich werde nun auch dem Brotduft folgen und mich über das gebackene Brot in meiner (leider) eingefetteten Backform hermachen.
 

plosiv

Mitglied
Hallo Astrid,

Danke für deinen Beitrag, habe einige Veränderungen vorgenommen, gefällt mir jetzt auch besser. Mir war garnicht so bewusst, wie häufig ich 'man' benutzte und mich damit meinte!
Das Konzert war ein voller Erfolg! Und das Brot habe ich auch retten können.

Grüße

p.
 
D

Denschie

Gast
Hallo plosiv,
dein Text ist sehr interessant und sprachlich
rund. Am Ende könnte die Überleitung etwas
geschickter gemacht werden. Vielleicht den letzten
Satz einleiten mit "Doch dieses Mal..."?
Eine weitere Stelle noch:
Dies ist ein Umstand, der mich nicht weiter stört, der allerdings nicht dazu animieren sollte, sich gehen lassen zu können.
Stimmt grammatikalisch nicht ganz.
entweder "mich gehen zu lassen" oder "sich gehen zu
lassen".
Der Titel "Konzertmagen" sitzt!
Viele Grüße,
Denschie
 

Astrid

Mitglied
Hallo plosiv,

ich freue mich, dass es dir gelungen ist, den Konzertmagen so viel persönlicher werden zu lassen. Es war ein ganz anderes Leseerlebnis, weil ich viel mehr auch von dir nun erfahre.

Nun kann ich mit dir auf der Bühne stehen. Manchmal hakt es vielleicht, weil sich das man nicht problemlos einfach durch ich ersetzen lässt, z.B. Und da ich nicht weiß, wer einen hört, (mich hört) spiele ich mir die Seele...

...der Stunden wurde (Präsens finde ich stärker, allerdings werde auch ich immer wieder darauf hingewiesen. Doch du schreibst ja auch im Präsens weiter... mein Körper kribbelt,ein Gefühl wie 'verliebt-sein', und meine Gedanken kreisen um Organisatorisches. Ich dachte (denke)an Vieles, und gegen Mittag musste (muss)ich mich mit Anderem ablenken.

Ich habe ein Brot gebacken. Ein süßes Brot, in Erwartung an den Abend. Mein Magen ist vor Nervösität so groß wie eine Walnuss, doch backen beruhigt mich immer an einem Konzerttag. Der erste Duft des Brotes stieg (steigt) mir in die Nase, und ich genoß (genieße) die friedlichen Assoziationen, die mich dann immer wieder anfallen, und mich beruhigen.

Und nun stehe ich vor der Backform, die ich vergessen hatte einzufetten, und kämpfe mit zitternden Fingern und hoch gereizt mit dem Brot, das sich nicht aus der Form bringen lassen will!

Freue mich über die vielen Klicks, die deinen Text aufgerufen haben. Habe gestern auch Kaltes Wasser gelesen und bin versunken darin, doch dazu an anderer Stelle mehr, muss jetzt wieder...
Glückwunsch auch noch für das gelungene Konzert und noch einen schönen weißen Tag.
Astrid
 



 
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