Kopfschmerzen
„Hallo, Freunde, ich möchte euch mal was Lustiges erzählen . . .“ – „Dein Lustig kennen wir schon.“ – „Na, lass ihn doch mal, Nummer 86, vielleicht ist es ja diesmal was Gescheites.“ – „Also, ich bin ja nun schon n altes Haus . . .“ – „Sind wir alle. Du machst uns müde, Mann!“ – „Und genau wie ihr habe ich auch schon Menschen und Leute aller couleur beherbergt, fast jeder Religion wurde schon in meinen Mauern gefrönt . . .“ - Darauf biste wohl noch stolz, was?“ – „Ja, und fast jeder Beruf wurde von meinen Mietern ausgeübt, vom Bettler bis zum Kaufmann . . .“ – „Hm, Kaufmann war einer, aber über hundert waren Bettler.“ – „Nun unterbrich mich doch nicht andauernd, Nummer 86! Weißt du denn nun überhaupt schon, was der Spruch bedeutet, den man dir mit schwarzen Buchstaben auf dein nagelneues vergissmeinnichtblaues Kleid geschmiert hat?“ – „Ja, ich hab mich erkundigt. „Is black still beautifull?” heißt: “Ist Schwarz immer noch schön?“ Jetzt hätte ich gerne einen Menschen, der darunter schreibt: „Nee, in der Form nicht. Aber unsereiner kann ja nichts gegen den Unverstand der Menschen tun.“ – „He, 88, du wolltest uns doch was Lustiges erzählen, also los jetzt!“ – „Ja, also, zum Hof raus ist so eine kleine Zweizimmerwohnung, da haben bis jetzt nur kuriose Leute gelebt. Zuerst eine siebenköpfige Arbeiterfamilie, die hat die Wohnung damals trockengewohnt.
Der Familienvater rauchte einen derartigen Knaster, das hat gestunken, sage ich euch! Als sie ausgezogen waren, kam der Hausbesitzer zur Kontrolle. Er sagte: „Von dem Gestank bekommt man ja Kopfschmerzen!“ und riss alle Fenster auf.
Dann wohnte dort ein Trödler. In der Wohnung sah es bald schlimmer aus als in seinem Laden, völlig zugemüllt. Ihr könnt euch nicht vorstellen, was der alles für Gerümpel hatte! Besonders gern hatte er die Bücher. Sie waren so alt und ungepflegt, vielen fehlte schon der Rücken. Sie verbreiteten einen modrigen Gestank. Den nahm der Alte aber gar nicht wahr, er meinte, seine Kopfschmerzen kämen von seinen Geldsorgen.
Nach seinem Tod zog ein Alkoholiker ein. Dem fiel der Gestank auch nicht auf und er meinte, seine Kopfschmerzen kämen vom alltäglichen Kater. Seine Familie zahlte die Miete für ihn, aber nicht lange. Als sie merkten, dass der Kerl das Saufen nicht lässt, steckten sie ihn ins Alkoholikerheim.
Sie desinfizierten die Wohnung gründlich, aber das war völlig für umsonst.
Der nächste Mieter war nämlich eine Klavierlehrerin. Ein hageres, vertrocknetes Fräulein. Sie lebte mehr schlecht als recht von den Klavierstunden.
War schon recht nett, das Geklimper. Aber die steinalten Notenbücher, die sie verwendete – ich kann verstehen, dass sie ihre Schüler immer nicht lange hatte. Die Dinger stanken nämlich genauso, wie die alten Schwarten von dem Trödler. Vielleicht hatte sie sie ja sogar von ihm, hihi.
Bald blieben die Schüler ganz aus und sie ist verhungert. Hat gar keiner bemerkt. Erst, als die anderen Mieter sich über den Gestank, der aus der Wohnung drang, aufregten, wurde sie gefunden.
Nun zog ein junger Mann ein. Er war gehbehindert und bekam eine kleine Rente. Er hatte eine große Leidenschaft: Bücher. Bald war die Wohnung wieder vom Duft modernder Schriften durchzogen. Der Mann war daran gewöhnt und mochte diesen Geruch. Er bekam keine Kopfschmerzen davon.
Er schrieb auch selber, meist herzzerreißende Gedichte über Liebe und Leid. Einige wurden sogar in der „Gartenlaube“ abgedruckt. Er war ein richtiger Stubenhocker und öffnete sehr selten das Fenster. Er konnte die spielenden Kinder auf dem Hof nicht ausstehen und schimpfte oft mit ihnen. Versteht sich, dass er keine Freunde hatte. Er bekam nie Besuch, aber er war derjenige, dessen Name am längsten an der Wohnungstür stand. Wenn er nicht im hohen Alter von einer Straßenbahn überfahren worden wäre, hätte man vielleicht auch eines Tages seine verwesende Leiche aus der Wohnung getragen.
Kürzlich wurde ich generalüberholt, so, wie die meisten hier in der Straße. Ich war gespannt, was für einen Gestank der neue Mieter wohl mitbringen wird. Aber die alte Dickmadam, die dann einzog, war nicht anders als die meisten Leute. Doch eines Tages bekam sie von irgendwo ein Buch geborgt, das verbreitete genauso einen Geruch wie damals die alten Scharteken. Sie bekam starke Kopfschmerzen und wollte das Buch wegwerfen, aber der Kumpel, von dem sie es hatte, sagte, dass er den Schmöker noch braucht und ihn irgendwann abholen wird. So steckte sie das Buch in eine Plastiktüte, damit es seinen Gestank nicht weiter ausdünstet.
Sie musste sich einen Duftspender in die Stube stellen, um wieder durchatmen zu können. Es dauerte viele Tage, ehe die Luft wieder rein war.
Kopfschmerzen, so was Blödes können nur Menschen haben, nicht wahr?“ – „Na, ich weiß nicht, 88. Als mir letztens der Sturm ein paar Dachziegel ausgebrochen hatte, das hat auch ganz schön weh getan.“ – „Hm, hast recht. Ich erinnere mich, als ich noch ziemlich jung war, habe ich auch mal was auf s Dach bekommen. Und 1943, 44 wieder. Einige von uns sind damals völlig kaputt gegangen. Und jetzt könnte es sein – so wie Nostradamus für das Jahr 2004 vorausgesagt hat – dass die Menschen wieder mit solchem Zeug herumwerfen, was uns Kopfschmerzen bereiten kann. Aber wie schon gesagt, unsereiner kann kaum etwas gegen den Unverstand der Menschen tun.“
„Hallo, Freunde, ich möchte euch mal was Lustiges erzählen . . .“ – „Dein Lustig kennen wir schon.“ – „Na, lass ihn doch mal, Nummer 86, vielleicht ist es ja diesmal was Gescheites.“ – „Also, ich bin ja nun schon n altes Haus . . .“ – „Sind wir alle. Du machst uns müde, Mann!“ – „Und genau wie ihr habe ich auch schon Menschen und Leute aller couleur beherbergt, fast jeder Religion wurde schon in meinen Mauern gefrönt . . .“ - Darauf biste wohl noch stolz, was?“ – „Ja, und fast jeder Beruf wurde von meinen Mietern ausgeübt, vom Bettler bis zum Kaufmann . . .“ – „Hm, Kaufmann war einer, aber über hundert waren Bettler.“ – „Nun unterbrich mich doch nicht andauernd, Nummer 86! Weißt du denn nun überhaupt schon, was der Spruch bedeutet, den man dir mit schwarzen Buchstaben auf dein nagelneues vergissmeinnichtblaues Kleid geschmiert hat?“ – „Ja, ich hab mich erkundigt. „Is black still beautifull?” heißt: “Ist Schwarz immer noch schön?“ Jetzt hätte ich gerne einen Menschen, der darunter schreibt: „Nee, in der Form nicht. Aber unsereiner kann ja nichts gegen den Unverstand der Menschen tun.“ – „He, 88, du wolltest uns doch was Lustiges erzählen, also los jetzt!“ – „Ja, also, zum Hof raus ist so eine kleine Zweizimmerwohnung, da haben bis jetzt nur kuriose Leute gelebt. Zuerst eine siebenköpfige Arbeiterfamilie, die hat die Wohnung damals trockengewohnt.
Der Familienvater rauchte einen derartigen Knaster, das hat gestunken, sage ich euch! Als sie ausgezogen waren, kam der Hausbesitzer zur Kontrolle. Er sagte: „Von dem Gestank bekommt man ja Kopfschmerzen!“ und riss alle Fenster auf.
Dann wohnte dort ein Trödler. In der Wohnung sah es bald schlimmer aus als in seinem Laden, völlig zugemüllt. Ihr könnt euch nicht vorstellen, was der alles für Gerümpel hatte! Besonders gern hatte er die Bücher. Sie waren so alt und ungepflegt, vielen fehlte schon der Rücken. Sie verbreiteten einen modrigen Gestank. Den nahm der Alte aber gar nicht wahr, er meinte, seine Kopfschmerzen kämen von seinen Geldsorgen.
Nach seinem Tod zog ein Alkoholiker ein. Dem fiel der Gestank auch nicht auf und er meinte, seine Kopfschmerzen kämen vom alltäglichen Kater. Seine Familie zahlte die Miete für ihn, aber nicht lange. Als sie merkten, dass der Kerl das Saufen nicht lässt, steckten sie ihn ins Alkoholikerheim.
Sie desinfizierten die Wohnung gründlich, aber das war völlig für umsonst.
Der nächste Mieter war nämlich eine Klavierlehrerin. Ein hageres, vertrocknetes Fräulein. Sie lebte mehr schlecht als recht von den Klavierstunden.
War schon recht nett, das Geklimper. Aber die steinalten Notenbücher, die sie verwendete – ich kann verstehen, dass sie ihre Schüler immer nicht lange hatte. Die Dinger stanken nämlich genauso, wie die alten Schwarten von dem Trödler. Vielleicht hatte sie sie ja sogar von ihm, hihi.
Bald blieben die Schüler ganz aus und sie ist verhungert. Hat gar keiner bemerkt. Erst, als die anderen Mieter sich über den Gestank, der aus der Wohnung drang, aufregten, wurde sie gefunden.
Nun zog ein junger Mann ein. Er war gehbehindert und bekam eine kleine Rente. Er hatte eine große Leidenschaft: Bücher. Bald war die Wohnung wieder vom Duft modernder Schriften durchzogen. Der Mann war daran gewöhnt und mochte diesen Geruch. Er bekam keine Kopfschmerzen davon.
Er schrieb auch selber, meist herzzerreißende Gedichte über Liebe und Leid. Einige wurden sogar in der „Gartenlaube“ abgedruckt. Er war ein richtiger Stubenhocker und öffnete sehr selten das Fenster. Er konnte die spielenden Kinder auf dem Hof nicht ausstehen und schimpfte oft mit ihnen. Versteht sich, dass er keine Freunde hatte. Er bekam nie Besuch, aber er war derjenige, dessen Name am längsten an der Wohnungstür stand. Wenn er nicht im hohen Alter von einer Straßenbahn überfahren worden wäre, hätte man vielleicht auch eines Tages seine verwesende Leiche aus der Wohnung getragen.
Kürzlich wurde ich generalüberholt, so, wie die meisten hier in der Straße. Ich war gespannt, was für einen Gestank der neue Mieter wohl mitbringen wird. Aber die alte Dickmadam, die dann einzog, war nicht anders als die meisten Leute. Doch eines Tages bekam sie von irgendwo ein Buch geborgt, das verbreitete genauso einen Geruch wie damals die alten Scharteken. Sie bekam starke Kopfschmerzen und wollte das Buch wegwerfen, aber der Kumpel, von dem sie es hatte, sagte, dass er den Schmöker noch braucht und ihn irgendwann abholen wird. So steckte sie das Buch in eine Plastiktüte, damit es seinen Gestank nicht weiter ausdünstet.
Sie musste sich einen Duftspender in die Stube stellen, um wieder durchatmen zu können. Es dauerte viele Tage, ehe die Luft wieder rein war.
Kopfschmerzen, so was Blödes können nur Menschen haben, nicht wahr?“ – „Na, ich weiß nicht, 88. Als mir letztens der Sturm ein paar Dachziegel ausgebrochen hatte, das hat auch ganz schön weh getan.“ – „Hm, hast recht. Ich erinnere mich, als ich noch ziemlich jung war, habe ich auch mal was auf s Dach bekommen. Und 1943, 44 wieder. Einige von uns sind damals völlig kaputt gegangen. Und jetzt könnte es sein – so wie Nostradamus für das Jahr 2004 vorausgesagt hat – dass die Menschen wieder mit solchem Zeug herumwerfen, was uns Kopfschmerzen bereiten kann. Aber wie schon gesagt, unsereiner kann kaum etwas gegen den Unverstand der Menschen tun.“