Kreißsaaltheater

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Adi saß in eine höchst aufgeregte Diskussion vertieft in einem Straßencafé in San Francisco. Zumindest ließen sein Händefuchteln und die sonstige dramatische Gestik darauf schließen. Der seriös aussehende und glatzköpfige Diskussionspartner neben ihm war mir unbekannt. Er nickte nur freundlich und tippte eifrig Notizen in seinen Laptop. Ich stellte mich hinzu und kibizte über die Schulter des Glatzkopfes, um den Grund für Adis freudige Erregung zu erfahren. Bevor ich noch irgendwas erkennen konnte, klopfte mir Adi auf die Schulter und lud mich begeistert an seinen Tisch.

„Darf ich dich bekannt machen mit Dr. Rosenberg“, stieß Adi hervor. „Dr. Rosenberg ist Facharzt für Geburtshilfe am berühmten Krankenhaus in Stanford.“ Ich schüttelte die Hand des Glatzkopfes. „Ist mir eine Ehre, schon viel von ihnen gehört“, log ich geübt.

„Wir sind gerade dabei, die Geburtsvorbereitungen genauestens zu planen“, fuhr Adi fort. „Du weißt ja, wir erwarten in 3 Monaten unser erstes Kind.“

„Habe ich gehört. Die ganze Stadt spricht von nichts anderem mehr“, scherzte ich. „Wie geht’s denn den Geburtsvorbereitungen? Schon alles klar mit den Atem- und Preßtechniken?“

„Papperlappap! Nix Atem- und Preßtechniken“, prustete Adi hervor, mich dabei mitleidig ansehend. „Dr. Rosenberg und ich gehen gerade die Dekoration und Sitzverteilung durch.“

Obwohl Adi mir durchaus bekannte deutsche Worte verwandte, verstand ich genau - nichts. Man mußte es mir am getrübten Blick angesehen habe, denn Adi fügte sogleich erklärend hinzu: „Die Dekoration und die Sitzplanverteilung für die Geburt im Theatersaal.“ Er nickte, zufrieden mit seinen Ausführungen und erwartete offensichtlich, daß ich, nun restlos aufgeklärt, kluge Kommentare beisteuern würde.

Meine nach unten gefallene Kinnlade und der starre Blick schienen Adi verraten zu haben, daß er einen absolut Ahnungslosen vor sich hatte. Er seufzte tief und erbarmte sich meiner.

„Scheinbar bist du nicht ganz auf der Höhe der Zeit, mein Lieber“, begann er gnädig. „Die vorsintflutlichen Zeiten, als werdende Väter sich erst das Recht erkämpfen mußten, im Kreißsaal bei der Geburt dabei sein zu können, sind Gottseidank vorbei. Es war ein langer Kampf, den unsere Vorväter führen mußten, um bei der Geburt ihrer Söhne dabei sein zu dürfen.“ Adi redete sich schwungvoll in Rage.

„Und was ist mit den Töchtern? Da wollen sie nicht dabei sein?“ Er aber ignorierte meinen Kommentar und setzte seine Rede fort.

„Weißt du, zuerst sollte ja ganz neutümlich nur ich dabei sein. So ganz klassikant, ich, der werdende Vater, das zarte Händchen seiner Gattin haltend, um sie zu unterstützen. Eingeplant war auch, daß ich dann ohnmächtig umfallen und die ganze Fürsorge selbst brauchen würde.“ Er kicherte vergnügt.

„Dann aber rief ihre Mutter an und deponierte den Wunsch, die Geburt ihres ersten Enkelkindes live miterleben zu dürfen. Meine Beste wurde schwach, immerhin brauchten wir ihre Mutter als zukünftigen Babysitter, wenn wir mal abends in den Travestieclub gehen wollten. Kaum hatte meine Mutter von der Einladung gehört, gab’s einen Mordstrara, weil wir sie nicht gefragt hatten. Also luden wir auch sie ein. Meine Mutter sagte aber nur unter der Bedingung zu, daß wir ihre beste Freundin auch miteinladen würden. So kamen langsam immer mehr Verwandte und Bekannte hinzu. Geschwister, Cousins und mein entfernt verwandter Stiefzwilling. Ebenso kommen mein Chef, Arbeitskollegen, frühere Schulkollegen, der Briefträger, alle Mitglieder des Gesangsvereins, Abgeordnete der Gemeindeverwaltung, und auch ein paar Eichhörnchen aus unserem Garten haben sich angesagt.“

Er verschnaufte. Ich war war baff. Dr. Rosenberg grunzte zufrieden. Die Aussicht, seine ärztliche Kunst vor derart großem Publikum zu zeigen, behagte ihm offensichtlich.

„Du siehst also, wir brauchen einen größeren Saal. Die Kreißsäle in Stanford fassen jeweils nur lächerliche siebzehn Besucher. Somit haben wir umdisponiert und die San Francisco Oper angemietet.“

Ich erschrak. „Ist denn das nicht furchtbar kostspielig? Der große Saal, die vielen Logen und viel zu wenig Damentoiletten?“

„Hehe, ich bin ja nicht auf den Kopf gefallen. Wir verkaufen selbstverständlich Eintrittskarten zu zehn Dollar das Stück.“ Er klopfte bei den letzten Worten auf seine Brusttasche, unter der sich deutlich gewölbt die Umrisse einer prallgefüllten Geldbörse abzeichneten.

„Und das ist noch nicht alles. Mit Dr. Rosenberg besprach ich soeben die Inszenierung, um den passenden Rahmen zu liefern. Meine Frau und ich wollen der Szene einen intimen Charakter verleihen und haben uns dabei für die Kulissen aus «Der Barbier von Sevilla» entschieden. Kleine Häuschen, romantische Dorfbrunnen und mittendrin wird unser Sohn geboren. Sein erster Schrei wird auf den Brettern, die die Welt bedeuten erklingen und das Opernhaus erfüllen!“ Adi wischte sich die Glückstränen aus den Augen, Dr. Rosenberg schluchzte hingerissen an seiner Schulter.

Adi erhob sich, drückte mir zum Abschied eine tränennasse Eintrittskarte in die Hand und veließ gemeinsam mit Dr. Rosenberg das Café. Ich sah ihm nach, wie er auf der Straße weitere Karten an Passanten verkaufte.

Adis Geschäftssinn war unschlagbar. Beim nächsten Mal wird er wohl die San Francisco 49ers anrufen und deren Footballstadion anmieten. Das Geschäftsmodell ließe sich auch leicht erweitern. Er könnte ja bereits bei der Empfängnis alle zusehen lassen.
 

Black

Mitglied
Lasst mich raten :Kreißsaal mit "s" ? ;-))
Super Text und in aller Utopie vielleicht doch nicht
ganz abwegig ( Man denke nur an gefilmte Geburten...)
Toll !
 
Also, utopisch ist nichts. In der New York Times war vor ein paar Wochen ein Artikel zum Thema. In San Francisco gibt es bereits ein Spital, das diesen Service anbietet (allerdings nicht in der Oper ;-)

Marius
 



 
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