Zimmer 6

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gustav

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Zimmer 6

Mr. Jonathan Popskin ist Anfang siebzig. Er ist bucklig, klein und schrullig in allem was er anfasst und denkt. Seit einem Monat bewohnte er das King Street Hotel in Maidstone, sehr zum Missfallen des Personals, doch er zahlte, war sauber und nicht laut. Alles andere mussten die Bediensteten erdulden. Dem pensionierten Pathologen Mr. Popskin blieb auch nichts anderes übrig, als zunächst im Hotel zu wohnen, denn bisher hatte er noch nicht das geeignete Wohnhaus in Maidstone gefunden. In seinem Zimmer stapelten sich Bücher und zig Berge von Zeitungen. Mittendrin ein alter Laptop.
Er hatte bereits gefrühstückt und klingelte nach dem Zimmerservice. Ein kurzes klopfen, „Herein“, und übermütig stürzte ein junger Angestellter an den Tisch und schaute just auf großformatige Bilder, auf denen sezierte Leichen zu sehen waren. Er ging allerdings nicht rückwärts, sondern schoss nach vorn und stieß an den ovalen Tisch. Eine Kaffeekanne fiel dabei um. Deren Inhalt ergoss sich über eine offene Zeitung, wobei sich die fetten Buchstaben eines Hausinserats auflösten.
„Wunderbar, junger Mann! Vielleicht suchen Sie mir jetzt ein kleines Anwesen, möglichst ohne Kaffeespuren im Wohnzimmer“, befahl er dem jungen Mann, dessen Augen immer noch auf den Fotos klebten. “Das sind Tote mein junger Freund. Aufgeschnitten, um herauszufinden warum sie andere Leute um ihre Zukunft brachten. Mitunter um Geld oder um ein Haus.“
Der Angestellte wischte alles trocken. Vorsichtig tupfte er auch auf der Zeitung
herum, aber es nützte partout nichts. Je mehr er tupfte desto unleserlicher wurde die Annonce.
Mr. Popskin stolzierte derweil wütend auf und ab und drehte sich währenddessen mehrmals um die eigene Achse. Dabei verfluchte er sämtliche Hotelangestellte der britischen Inseln und obendrein Scotland Yard.
„Warum um alles in der Welt verfluchen Sie unsere Polizei, Mr. Popskin?“
„Weil sie öfter genauso viele Spuren verwischt wie sie welche finden!“, dann schritt er auf den Mann zu. „Zeigen Sie mir, dass Sie mehr taugen als unsere englische Polizei. Finden Sie hier in Maidstone ein Haus für mich!“
Der Hotelbedienstete führte ihn hinaus auf den Gang, zum Zimmer 6. Dort würde seit gestern ein hiesiger Immobilienmakler wohnen. Er selber kenne ihn nicht, dafür aber Hoteldirektor Richard Clifton. 1997 hätte ihm dieser Makler das jetzige Hotel verkauft. Es war einmal ein ehemaliges Pfarrhaus und Wasser-Ratten-Büro. „So, so, ein gesegnetes Rattenheim also.“ Mr. Popskin klopfte mehrmals und wippte dabei nervös auf und ab. Kein Geräusch. “Wie heißt dieser makelnde Haushai eigentlich? Makler seiner Majestät?“
„Mr. Fitzgerald. Roger Fitzgerald!“ Mr. Popskins Klopfen ging ins Pochen über, und fragte gleichzeitig ob Mr. Fitzgerald vielleicht schon das Hotel verlassen haben könnte. Es entstand eine altbekannte Situation. Was tun? Vielleicht hatte dieser Mann auch nur einen gesunden Schlaf? Oder aber er hatte das Zimmer sehr früh verlassen. Der Hotelbedienstete gab dem unangenehmen Drängen von Mr. Popskin nach und öffnete langsam die Zimmertür 6.
„Wie heißen Sie überhaupt?“, fragte Mr. Popskin dabei den Hotelbediensteten. „Fraser! Mortimer Fraser“, und sie schritten in das Zimmer. Beiden stockte der Atem. “Hören Sie zu junger Freund, was dort liegt ist in diesem Fall absolut kein Foto!“
Quer über dem Bett lag eine Leiche, nackt, bis auf ein paar kurze Shorts. Beide Pulsadern waren aufgeschnitten. Eine Blutlache neben dem Bett, eine andere hatte das Kopfkissen getränkt. Mr. Popskins Blut kam in Wallung. Endlich wieder eine Aufgabe für den Hobbydetektiv. Für Scotland Yard war er früher nur eine lästige, aber notwendige Nervensäge. Doch diese unbequeme „Säge“ zersägte schon manchen sicher geglaubten Fall. Schon als Pathologe beim Yard in London schoss er nämlich ständig quer und sezierte in die richtige Richtung.
In jedem seiner Finger steckt ein Meistergehirn, so eine Aussage der Zeitung „The Sun“, die ihm mehrere Artikel widmete. Er quittierte solche Schlagzeilen mit einem Lächeln. Innerlich freute er sich jedoch darüber.
„Mr. Popskin, das ist wohl eindeutig ein Selbstmord“, stotterte Mortimer Fraser.
„Gehen Sie und verständigen Sie sofort die Polizei!“
Nun setzte sich geistige Maschinerie von Jonathan Popskin in Gang. Diese begann damit, dass er zunächst seinen Buckel am Türrahmen kratze, um dann sogleich das Zimmer zu durchsuchen. Das Jucken war ein Zeichen dafür, dass etwas nicht stimmen konnte. Es handelte sich zunächst wirklich um diesen Makler Roger Fitzgerald. „Da steht eine Adresse: Headcorn, Hauptstraße 88 und dort ein Bild, seine Frau?“ Mr. Popskin untersuchte die Leiche mit argwöhnischen Augen.
Zwei Stunden musste er wohl schon tot sein. Augen, Hautfarbe und Geruch ließen jedenfalls darauf schließen. Aber ein winziger roter Fussel am Mundwinkel irritierte ihn. Dieser Fussel war für Maidstones eloquenten Chiefinspektor Patterson, wie sich später herausstellen sollte, leider nicht von Bedeutung.
Mr. Popskin verließ vor Eintreffen der Polizei das Hotel und ließ den geschockten Hoteldirektor die Leiche bewachen. Er selbst orderte ein Taxi, welches ihn hinaus nach Headcorne bringen sollte. „Immer ein Schritt vor der Polizei.“ Nach dieser Devise handelte Mr. Popskin immer, auch immer einen Schritt vor jeder Obduktion, denn er wollte nicht jede Leiche unnötig zerschnippeln.
Eine Weile später stand er vor einem hübschen Cottage, in der Hauptstraße 88. Headcorn machte einen äußerst reizvollen Eindruck auf ihn. Mr. Popskin wusste, dass die Grafschaft Kent nette Ecken hatte, aber dieses Haus sagte ihm besonders zu. „Das wäre einmal ein Zuhause!“ Er ging durch einen blumenreichen Steingarten. Atmete tief durch und grüßte einen aufgeschreckten Vogel. „Na, junger Freund, was will mir dein Schnabel denn wichtiges zwitschern?“
Trotz mehrfachen Klingelns öffnete niemand, deshalb schlich Mr. Popskin um das Cottage herum und schaute durch eine schmale Terrassentür. Sie war angelehnt.
Mit Bedacht betrat er ein gemütlich eingerichtetes Zimmer. Ein süßlicher Geruch stieg ihm sofort in die Nase.
„Wie kommen Sie dazu in das Haus einzudringen, Mr. Popskin?“, polterte ihm Chiefinspektor Patterson einige Zeit später jähzornig entgegen.
„Der Wink mit dem Zaunpfahl. Nennen Sie es wie Sie wollen. Das alles macht Mrs. Patsy Melone nicht wieder lebendig“, sagte Mr. Popskin gelassen und drehte sich dabei tänzelnd um sich selbst.
„Chefinspektor Bradley, von Scotland Yard, hat mir viel von ihnen erzählt.“
„Na wunderbar“, unterbrach ihn Jonathan Popskin, „dann lassen wir das drum herum Gerede und stellen ein paar wichtige Schlussfolgerungen!“
Für Chiefinspektor Patterson stand unwiderruflich fest, dass Mr. Fitzgerald seine Freundin erstochen hatte und anschließend im Hotel King Street Selbstmord beging. Zum Teil gab ihm Mr. Popskin Recht, doch für ihn wurde Mr. Fitzgerald ebenfalls ermordet. Erstickt. Anschließend schnitt man ihm die Pulsadern auf, denn die Blutlache neben dem Bett war nicht besonders groß, was darauf schließen ließ, dass sein Herz nicht mehr schlug, als man ihm die Pulsadern öffnete. Doch so sehr sich Mr. Popskin ereiferte, der Fall war für den ellenlangen und blassen Chiefinspektor abgeschlossen.
“Eitler Schnösel“, giftete Popskin leise und machte sich auf nach Maidstone. Er fuhr mit der Bahn. Sein Buckel juckte wieder. Das hieß, er hatte eine Ahnung und der galt es nachzugehen.
Zurück im Hotelzimmer setzte er sich an seinen Laptop und durchforstete im Internet alles was er über den Immobilienmakler finden konnte. Welche Häuser er wo verkaufte oder ersteigerte und was aus den Besitzern geworden ist.
Es waren, wie er vermutet hatte, alles allein stehende Frauen ohne Angehörige. Mr. Popskin telefonierte ein paar Tage und richtig. Keine der Frauen war mehr am Leben. Zwei wurden ermordet, ohne dass der oder die Täter ausfindig gemacht werden konnten. Bei fünf weiteren konnten keine außergewöhnlichen Todesursachen ermittelt werden. Alle Fälle wurden zu den Akten gelegt und sie verschwanden im Archiv.
“Hm, vermutlich Gift!“ Interessant war jedoch die vorletzte Frau. Helen Fraser. Sie wurde ebenfalls erstochen. Und Helen Fraser hatte einen unehelichen Sohn.
„Sie hatte ihn immer vor allen Menschen verschwiegen“, sagte ihm eine ehemalige Nachbarin. „Wissen Sie wie er heißt?“
Die Antwort reichte Mr. Popskin. Er rief sogleich den Chefinspektor an. Es wurde ein sehr langes Gespräch. Danach verlangte er an der Rezeption nach Mortimer Fraser.
“Sie wünschen, Mr. Popskin?“, fragte Mortimer.
„Die Wahrheit, nichts als die Wahrheit! Ich weiß nun, was für ein übler Zeitgenosse dieser Mr. Fitzgerald war. Seine Freundin ist tot. Erstochen. Er lernte seine Opfer kennen, machte seine Verträge und bevor er die ahnungslosen Besitzerinnen auszahlte, starben diese durch seine Hand. Ihre Mutter, Helen Fraser, ebenfalls. Insofern haben Sie zwar den richtigen Lumpen erwischt, doch warum mit einem Mord, wie unschön!“
Mortimer Frasers Gesicht wurde steinern und bleich. „Wie kommen Sie nur auf mich? Sind Sie etwa ein ehemaliger Polizist?“
Mr. Popskin drehte eine Pirouette. „Um der Königin willen, nein! Pathologe! Junger Freund, monatelang wart Ihr hier die Stille in Person. Kein Windzug konnte euch etwas an haben und als wir das Zimmer 6 betraten wirktet ihr plötzlich gehetzt und ungewöhnlich angespannt. Und Ihre Pupillen veränderten sich. Ihr musstet also erfahren haben, was dieser miese Makler getan hat und habt Euch gerächt, indem Ihr ihn mit dem roten gehäkelten Zierkissen erstickt habt. Danach täuschtet Ihr mit einem Schnitt durch die Pulsadern einen Selbstmord vor. Woher wusstet ihr, dass dieser Mann Eure Mutter ermordete?“ Mortimer Fraser griff in seine Hosentasche und reichte Mr. Popskin einen Zettel. Auf ihm standen die Namen der toten Frauen. Durchgestrichen. Dahinter stand erledigt. „Ich fand ihn durch Zufall. Ich räumte das Frühstücksgeschirr ab und dieser Zettel lag auf dem Nachttisch. Er steckte zwischen Briefen und anderen Zetteln. Der Typ konnte ja nicht ahnen, dass Mrs. Fraser einen Sohn hat und dieser auch noch hier im Hotel arbeitet.“
Chiefinspektor Patterson hörte sich nochmals alles zähneknirschend an und führte Mr. Fraser ab. „Ich warne Sie Mr. Popskin, Maidstone ist nicht London, trotzdem danke!“
„Wie ich hörte hat unser Opfer Patsy Melone keine Verwandten, da wäre das Haus doch zu kaufen, oder? Headcorne ist ein kleiner ruhiger Ort und fern von allem Übel. Könnten Sie mir da eventuell behilflich sein, Chiefinspektor?“ Dieser nickte lächelnd, aber zähneknirschend.
Zwei Wochen später zog Jonathan Popskin in das Cottage, in Headcorn. Er lernt nicht nur interessante neue Freunde kennen, auch sein Buckel hörte in Headcorne nicht auf zu jucken.
 
O

Orangekagebo

Gast
Er ist bucklig, klein und schrullig in allem was er anfasst und denkt ...

vielleicht:

Sein Buckel machte ihn kleiner als er wirklich war. Nicht ungewöhnlich für Menschen seines Alters. Nur das Schrullige unterschied ihn von Anderen, im Aussehen und Denken.


und zig Berge von Zeitungen

- auf das „zig“ würde ich verzichten.

Ein kurzes klopfen, „Herein“, und übermütig stürzte ein junger Angestellter an den Tisch und schaute just auf großformatige Bilder, auf denen sezierte Leichen zu sehen waren.

vielleicht:

- Es klopfte.
- „Ja?“
- Ein junger Hotelier platzte herein und kam bis an
- den Tisch. Neugierig starrte er auf die Fotos sezierter Leichen, ...

Er ging allerdings nicht rückwärts, sondern schoss nach vorn und stieß an den ovalen Tisch. Eine Kaffeekanne fiel dabei um. Deren Inhalt ergoss sich über eine offene Zeitung, wobei sich die fetten Buchstaben eines Hausinserats auflösten.

Vielleicht:

- ... und beugte sich interessiert vor. Beim Abstützen der Arme passierte es. Mit dem Tisch kippte die Kanne darauf, der Kaffee ergoss sich auch über die Zeitung mit dem Hausinserat.

„Wunderbar, junger Mann! Vielleicht suchen Sie mir jetzt ein kleines Anwesen, möglichst ohne Kaffeespuren im Wohnzimmer“, befahl er dem jungen Mann, dessen Augen immer noch auf den Fotos klebten. “Das sind Tote mein junger Freund. Aufgeschnitten, um herauszufinden warum sie andere Leute um ihre Zukunft brachten. Mitunter um Geld oder um ein Haus.“


Vielleicht:

- „Na toll. Die Anzeige zerstört. Prima, junger Mann. Soll ich in ihre Wohnung ziehen oder was?“ Wutschnaubend starrte er den Angestellten an. Ein Tollpatsch wie aus dem Bilderbuch.

Dieses Beschreiben über die Toten würde ich auch straffen. Pathologen denken nicht über sie nach.

Vielleicht: Das sind nur Tote mit Fragezeichen. Die Antworten finde ich in den Leibern.


„Mr. Fitzgerald. Roger Fitzgerald!“ Mr. Popskins Klopfen ging ins Pochen über, und fragte gleichzeitig ob Mr. Fitzgerald vielleicht schon das Hotel verlassen haben könnte.

Vielleicht:

- „Mister Fitzgerald!“
- Ihm Takt der Silben hämmerte Mister Popskins gegen die Tür und hoffte, dass er nicht schon weg war.

Worte wie „hatte, ging, fragte sich usw.“ hacken in die Handlung.

Nur Verbesserungsvorschläge für den Anfang, die zeigen sollen, wo es noch habert. Wie immer gilt, kürzen, kürzen und kürzen. Nicht so viel polemisieren, sondern mehr passieren lassen. Schreibe es so, dass der Leser nicht liest, dass es passiert – sondern das er es gerade miterlebt.

Das ist meine Ansicht und nur Vorschläge!

LG, orangekagebo
 



 
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