Kulissen, bitte nicht berühren

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Kulissen, bitte nicht berühren

Der Fotograf schießt, sein Blick ist nervös
und angespannt,
sein Model ist konzentriert. Behutsam räkelt sie sich
vor der schneeweißen Wand.
Aus seinem Mund fliegen Worte, Befehle stürmen
in ihre Ohren,
ängstlich will sie ihm gehorchen. Sich selbst hat sie schon
vor langer Zeit verloren.
In einem Magazin siehst du die Bilder, nennst sie schön,
natürlich, makellos und rein,
glaubst wahre Schönheit zu erblicken und siehst doch nur
den falschen Schein.

Die Freundin schreibt ihren Brief. Mit dem Stift
dirigiert sie den Klang ihrer Sätze.
Sie schreibt wo sie war, durch welche Straßen sie lief
und über welche Plätze,
verschweigt, was sie wirklich gefühlt und gedacht und
was sie wirklich empfunden.
Die Worte lächeln, verbergen die Seele, verbergen die tiefen
und blutenden Wunden.
Wie gut es ihr gehe, meinst du, als du ihre Zeilen
überfliegst
und nicht ahnst, wie es wirklich ist, welcher Täuschung
du erliegst.

Der Fernseher berichtet von besonderen Menschen, und
wie wir sie verehren,
was sie sagen, was sie können und was sie
insgeheim begehren.
Die echten Helden bleiben verborgen, ihre Geschichten
interessieren keinen,
niemand wird sie loben, sie bewundern, niemand
wird je eine Träne um sie weinen.
Du eiferst deinen geliebten Götzen nach und
siehst dabei nicht
wie Trugbilder erschaffen werden, mit jedem
perfektem Gesicht.

Nie hegtest du Missfallen oder Zweifel, an all
dem schönen Schein,
die Kulissen, die dich umgeben wie ein Käfig
reißt du nicht ein,
lebst weiter in ihnen und jubelst über jeden neuen,
gemachten Held
und siehst nicht, wie sie, hinter all dem, wirklich ist,
die Welt.
 



 
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