Kurt und die Nummern

3,30 Stern(e) 3 Bewertungen

Elbbatz

Mitglied
Kurt surfte oft und lange im Internet. Als freiberuflicher technischer Übersetzer fand er dort nicht sachlich-fachliche Zusammenhänge, sondern auch Hinweise auf die richtige Terminologie. Besonders aus Foren, an denen Berufskollegen unentgeltlich und großmütig ihr Wissen bereitstellten, zog er großen Nutzen. Und selbstverständlich hielt er seinerseits nicht hinterm Berge mit allem, was er in seinem langen Berufsleben gelernt hatte.
Nur eines verdross ihn. Die Verbindung über das Modem war unerhört langsam. Und seine Frau konnte nicht telefonieren, während er surfte. Immer wieder hörte er sie klagen, sie sei total von allem Schönen in der Welt abgeschnitten, nur weil er stundenlang nach der englischen Bezeichnung für irgendeine Spezialmuffe fahnde.
Da entschloss er sich, zu DSL überzugehen, und besah sich die Angebote. Eine Riesenfirma gab sich magentarot und großzügig. Doch Kurt wollte gern seine Mailadresse behalten und wandte sich deshalb telefonisch an seinen bisherigen Provider.
Er schilderte sein Anliegen und bat eher nebenhin darum, mit Inkrafttreten des neuen Vertrags den alten zu löschen. Die Firma, in Gestalt einer Altstimme nach vier Minuten Chopin, sagte nein. Wenn Kurt aus irgendwelchen Gründen keine zwei Verträge wolle, dann müsse er schon selbst aktiv werden, online verstehe sich. Er solle sich in die Vertragskundenseite der Firma einloggen, dort auf "Gegenwärtiger Vertrag" klicken und das Menü abarbeiten.
Kurt fragte, warum man nicht einfach den Vertrag storniere, statt komplizierte Erläuterungen abzugeben. Anstelle einer Antwort kam ein bisschen Mozart. Viele Noten. Da loggte er sich denn doch ein und saß bis weit nach Mitternacht geduldig über dem Menü.
Zwei Tage später erhielt er mit der Post den neuen Vertrag und stellte entsetzt fest, dass man ihm eine neue E-Mailadresse zugewiesen hatte.
Er rief beim Provider an. Zunächst gab es sieben Minuten Brahms, danach einen Sopran, der, wie der mittlerweile leicht verstörte Kurt es erlebte, seine Koloraturen doch noch unterbrach und Kurt nach seinem Begehr fragte. Nein, man könne keine Ausnahme machen , nur weil Kurt sich und seinen Freunden die Umstellung auf eine neue Adresse ersparen wolle. Mit einem neuen Vertrag werde eine neue numerische Adresse vergeben, basta. Die alte Adresse erlösche mit dem Erlöschen des alten Vertrags, basta, basta. Sie könne nicht anderweitig vergeben werden, basta, basta, basta. Kurt fragte, ob das auch gelte, wenn der andere Kunde derselbe Kunde sei. Als Antwort ward ihm Beethoven.
Tags darauf rief Kurt noch einmal an. Er sei, sagte er einem Bassbariton nach neun Minuten Schubert, doch auch unter Kurt@soundso.de zu erreichen. Viel-leicht könne er wenigstens diese handliche Alias-Adresse behalten?
Der Bassbariton verneinte. Die Alias-Adresse Kurt@soundso.de sei fest an die numerische Erstadresse 3344-772@soundso.de gekoppelt und könne nicht auf die numerische Erstadresse 6859-131@soundso.de übertragen werden.
Ehe Robert Schumann oder irgendein anonymer Rhapsode ihm ins Wort fallen konnte, erwähnte Kurt, er habe im neuen Vertrag seine alte Kundennummer entdeckt; das sei ja wohl ein Versehen.
Keineswegs, erwiderte der Bassbariton nicht ohne Entrüstung. Selbstverständlich behalte ein Kunde immer dieselbe Nummer. Ein Leben lang, auch über Riester hinaus. Sinnlose und kostspielige Änderungen könne sich die auf Effizienz bedachte Firma nicht leisten.
 



 
Oben Unten