Lieber Sonnenkreis,
wie freue ich mich, wieder von Dir zu hören!
Dieser Text hat einen biografischen Hintergrund. Mein Mann ist mit 16 Jahren in Berlin als Mitglied des "Reichsarbeitsdienstes" nach vierwöchiger Ausbildung zum Soldaten fast ums Leben gekommen mit einem Beckendurchschuß und schweren Verbrennungen an Gesicht und Händen. Er war gänzlich unbewaffnet, denn Gewehr und Stahlhelm hatte er schon verloren. Zum Glück hat er den Transport ins Lazatrett bis nach Perleberg auf einem Lastwagen überlebt. Zum Glück hatte das Gebetbuch der Wehrmacht,das er in der Gesäßtasche trug, den Schuss so abgelenkt, dass die Leber nicht verletzt wurde. Das Büchlein wird bei uns nun im doppelten Sinne als kleines Heiligtum hoch gehalten.
Ich bin auf dieses Thema wieder durch Günter Grass gestoßen, der es irgendwie nötig hatte, seinen Beitritt zur Waffen-SS im Alter von 17 Jahren in seiner Biografie zu erwähnen.
Andere mussten ihre Haut hinhalten für ihr Vaterland, ob sie wollten oder nicht. Mein Mann musste schon mit 16 Jahren von zu Hause fortgehen auf ein Schiff als Marinehelfer. So war das eben damals. Und mein Schwiegervater ist noch in der letzten Woche vor Kriegsende in russische Gefangenschaft geraten, obgleich er gar nicht Soldat war. Zum Glück hat das nur 4 Monate gedauert. Aber im ersten Weltkrieg war er Soldat und ist aus Rußland zu Fuß nach Hause gekommen, sein Pferd immer hinter sich herziehend, damit es auch überlebt. Sie haben tatsächlich beide überlebt und sind bis Marienwerder im damaligen Ostpreußen gekommen.
Ich habe die letzte Zeile eigemtlich nur so nihilistisch verfasst, weil diese halben Kinder so schreckliche Sachen mitansehen mussten. Da waren aufgehängte junge Männer mit Schildern um den Hals: "Ich war zu feige mein Vaterland zu verteidigen". Ich weiß nicht, wie man so etwas überlebt. Andere mussten in Schützengräben mit anhören, wie jemand, der einen Bauchschuß erlitten hatte, die ganze Zeit außerhalb des Schützengrabens die Nacht hindurch jämmerlich schrie, und sie konnten nichts machen, weil sie sonst selbst erschossen worden wären vom Feind. Wie überlebt man so etwas? Und das weiß ich auch, dass es Soldaten gegeben hat, die absichtlich in den Kugelregen gelaufen sind, weil sie solche Dinge eben nicht länger ertragen konnten.
An all das musste ich denken, als ich von der autobiografischen Mitteilung von Günter Grass gehört hatte. Und es drängte mich, dieses biografische Thema, das den Gegensatz zum Verhalten von GG darstellt, einmal ganz kurz abzuhandeln.
Ich hoffe, es geht Dir gut.
Ganz herzlich grüße ich Dich.
Vera-Lena