Kurzgeschichte

3,50 Stern(e) 2 Bewertungen

karin78

Mitglied
Fünf vor Zwölf

Ich gehe die lange dunkle Gasse in schnellem Tempo entlag. Ich laufe fast und trotzdem kommt es mit vor als würde ich viel zu langsam sein. Ich habe Angst. Ich fühle mich völlig alleine. Plötzlich ein Geräusch. Ein Klirren. Ich erschrecke und drehe mich um. Nichts. Ich gehe noch schneller. Mein Herz rast wie ein Motor bei höchster Leistung. Ich drehe mich noch einmal um. Wieder nichts und trotzdem habe ich plötzlich das Gefühl, als würde mich jemand verfolgen. Die Straße scheint immer länger zu werden. Die Fenster in den Häusern der Gasse sind alle schwarz. Es scheint, als wäre diese Gasse wie ausgestorben, als wäre niemand zu Hause, als wäre die ganze Stadt durch eine Epidemie ausgerottet worden.

Meine Angst ist noch immer nicht verflogen. In meinem Kopf schwirren seltsame Gedanken. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wo ich bin und was ich getan habe, bevor ich diese Straße betreten habe. Ich weiß nicht mehr wer ich bin. Ich kann mich nicht mehr an meinen eigenen Namen erinnern. Ich weiß nicht mehr wer meine Eltern sind und ich habe keine Ahnung wo ich hinwollte und wie lange diese ewige Straße noch ist.

Es ist kalt. Ich spüre feine Wassertropfen auf meiner Stirn. Es beginnt zu regnen.

Was habe ich getan, bevor ich diese Straße betreten habe. Vielleicht laufe ich schon ewig diese Straße entlang und bemerke es erst jetzt, dass ich nichts anderes tue und völlig alleine in dieser Realität bin. Wie kann ich mir sicher sein, dass da ein Ende der Straße existiert, wenn ich keines sehe. Wie kann ich wissen, dass ich nicht ganz einfach träume und bald als Thomas, Peter, Fritz oder Hugo in meinem Bett aufwache? Wie kann ich mir sicher sein, dass ich überhaupt existiere?

Es regnet stärker. Ich fühle, wie die Kleidung, die über meinem Körper liegt, immer mehr Feuchtigkeit annimmt und langsam beginnt, sich an meine Haut zu kleben. Ich laufe weiter. Die Schritte, die ich glaubte zu hören sind nun weg. Es ist totenstill!

Jetzt bin ich noch mehr verunsichert. Die Schritte machten mir zwar Angst, aber trotzdem, wären die Schritte real gewesen, wüsste ich, dass ich nicht völlig alleine bin. Jetzt denke ich, dass die ganze Situation nicht real sein kann. Es ist unmöglich! Alleine! Alles dunkel! Nur die flachen Lichter der Straßenlaternen. Ich kann keine Autos, keine Menschen, keine Tiere, ich kann einfach keine Geräusche hören, außer meinen Atem und das Klacken meiner Schuhe am Asphalt.

Es schüttet! Ich möchte wissen, wie lange ich diese Straße schon entlang laufe. Es ist weder eine Abzweigung noch ein Ende dieser Straße in Sicht. Ich bleibe stehen und blicke auf meine Armbanduhr. Fünf Minuten vor zwölf.

Ich drehe mich blitzschnell um. Es kommt mir vor, als würde ich diese Häuser, die sich um mich herumdrängen schön tausendmal gesehen haben. Seltsam.

Es hat aufgehört zu regnen.



Ich weiß nicht mehr was ich tun soll. Plötzlich habe ich eine Idee. Ich gehe zur nächsten Haustüre und versuche sie zu öffnen. Das Haus hat die Nummer 512. Ich nehme den Knauf vorsichtig in meine Hand und versuche ihn zu drehen. Er lässt sich nicht bewegen. Ich gehe zum nächsten Haus und blicke wieder auf das Hausschild. 512! Das kann nicht sein. Das Haus sieht genau so aus, wie das Haus davor. Es hat die gleiche Hausnummer. Das kann nicht sein. Ich versuche es noch einmal, die Türe zu öffnen. Wieder nichts! Ich beginne an der Tür zu rütteln und zu schreien. Niemand regiert auf mein Schreien und die Türe bleibt verschlossen.
Ich blicke wieder auf meine Uhr. Fünf Minuten vor zwölf. Meine Uhr ist stehengeblieben. Das kann nicht sein, denn der Sekundenzeiger bewegt sich weiter. Ich fühle mich hilflos. Niemand mit dem ich reden kann, niemand den ich um Hilfe bitten kann, niemand den ich fragen kann, wo ich bin, oder was mit mir passiert ist.

Ich breche zusammen!


Als ich meine Augen wieder öffne, sehe ich weiche weiße Wände die mit einer Art Gummi überzogen sind. Ich kann meine Hände nicht bewegen und sehe keine Ecken in dem Raum...
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
zu

erst einmal herzlich willkommen auf der lupe. deine geschichte läßt schon früh ahnen, daß es sich um einen traum handelt, aber dann das erwachen in der gummizelle, das ist stark. bin gespannt auf weitere werke von dir. ganz lieb grüßt
 



 
Oben Unten