Kurzgeschichten/3+4

Ankurei

Mitglied
Fortsetzung "Der Hobbykiller"


3. Früher Vogel fängt den Wurm

Andrea hatte sich alles in allem zwei Wochen um uns zu kümmern. Da sie sich wirklich bemühte, es uns an nichts fehlen zu lassen, und weil keine meiner Befürchtungen eingetreten ist, entschied ich mich schon nach kurzer Zeit, Gnade walten zu lassen. Auch dem Häschen wurde kein Haar gekrümmt, zumal es sich die meiste Zeit auf dem Balkon aufhielt. Repressalien behielt ich mir bis zur Rückkehr meiner Lieblinge vor.

Sie erschienen am späten Abend, als wir längst Siesta hielten. Wie die Diebe schlichen sie rein. Das schlechte Gewissen in Person. Kurz wurde Licht gemacht, kontrolliert, ob wir auf unseren Schlafplätzen hocken oder gar in einer Disco weilen, doch da wir taten, als würden wir tief und fest schlafen, verschwanden sie schleunigst in ihr eigenes Nest. Morgen ist ja auch noch ein Tag, wie Scarlet O’Hara in „Vom Winde verweht“ sagen würde.

Ganz genau habe ich mir ausgerechnet, zu welcher Zeit sie eingeschlafen sind - es war auf die Sekunde 2.04 Uhr. Mein innerer Wecker wurde auf 4.12 Uhr gestellt, zumal ich mich auf ihn verlassen kann. So wie er noch nie versagt hat, klingelte er mich auch heute exakt zu dieser herrlichen Morgenstund aus den Federn. Ein Blick aus dem Fenster verriet, dass nur ein paar unbedeutende Straßenvögel unterwegs waren, die mich mit ihrem Gezwitscher zu Tode langweilten. Also, kurz durchstarten und brüllen, brüllen und nochmals brüllen, denn mein Geschrei hat seinen Zweck selten verfehlt. Was ist denn jetzt schon wieder los? Liegt die auf den Ohren? Gleich den zweiten Versuch, diesmal mit akustischer Begleitung meiner Frau Gemahlin. Jetzt kommt sie angewatschelt. Sie sieht aus, als hätte sie die ganze Nacht durchgesumpft, dabei hat sie mehr als zwei Stunden geratzt. Ist das zu fassen? Ganz dicht kommt sie an die Voliere ran und fragt mit honigsüßer Stimme, was denn bitte los sei, warum wir sie so ärgern, wo sie doch noch so müde sei und noch ein paar Stündchen schlafen müsse. Über die schlaflosen Nächte, die wir damals ertragen mussten, als wir nicht wissen konnten, was das Schicksal mit uns vor hat, als ich schweißüberströmt aus Alpträumen erwacht bin, weil ich annehmen musste, sie würde uns aussetzen, an einen Autobahnpfeiler binden und ohne Skrupel dran krepieren lassen, das zählt jetzt alles nicht mehr? Nee Fräulein, nicht mit mir. Du hast den Fehdehandschuh hingeschmissen, jetzt steh’ zu Deinen Taten und stell Dich mir im Kampf.

Unser Kampf fing erst so an, dass sie sich auf das Sofa legte, das zwar in unserem Zimmer steht, wogegen ich jedoch schon immer etwas hatte, denn wie sieht denn das aus. Von dem Gesichtspunkt aus bin ich eigentlich ganz zufrieden, dass ich keine eigenen Gäste empfangen darf. Wie sollte ich denen auch erklären, warum Muttern im Papageienzimmer nächtigt? Da lag sie also, unsere Verräterin und versuchte doch tatsächlich, uns die Ohren voll zu schnarchen. Nach etwa drei Minuten schrie Pyka wie am Spieß, so dass ich mich gar nicht großartig abmühen musste, bis Frau Oberin sich erneut an unsere Tür schleppte, diesmal jedoch etwas ungehaltener meinte, wir mögen doch bitte an die armen Nachbarn denken. Ach, die wurden jetzt als Buhmann hingestellt. Was wäre aus den armen Nachbarn geworden, hätten wir während ihrer Abwesenheit gebrüllt? Da hat sie’s nicht die Bohne interessiert, ob die armen Menschen unter unseren Konzerten leiden könnten. Alles an den Haaren herbeigezogen, denn in diesem Augenblick dachte sie an nichts anderes, als an ihren eigenen Seelenfrieden.

Inzwischen waren Unmutsäußerungen aus dem Schlafzimmer zu vernehmen. Auch Herr Vater meldete sich zu Wort und verlangte augenblicklich nach Ruhe. Ha, ha, ha, ein Träumer, der noch nicht kapiert hat, wo er sich befindet. Das ist Kriegsgebiet, mein Freund. Du hast den Krieg angefangen, also komm mir jetzt nicht mit Rücksicht oder Schonung Deiner Person. Ich steigerte mein Geschrei so sehr, bis ich einem startenden Starfighter Konkurrenz gemacht hätte, was mir diesmal keinen eiskalten Strahl aus der Spritzflasche, sondern die Freiheit einbrachte. Wer hätte das gedacht. Die Schiebetür wurde geöffnet, ich flog in Turbogeschwindigkeit in Richtung Küche und stürzte mich auf den prall gefüllten Napf unseres Hausgenossen „Lakritze“, einem Kater, von dem ich eigentlich nicht viel weiß, höchstens, dass er schon zum Inventar gehörte, als ich damals einzog. Der ist zwar ziemlich blöde und einfältig, vom Charakter her jedoch ein friedlicher Hausgenosse. Er hat meist nichts dagegen, wenn ich aus seinem Geschirr speise, doch eine Menge Einwände, sobald ich ihn als Fitnesspartner einteile. Ihm ist es von Hause aus schnurzpiepegal, dass er den idealen Körpermaßen längst nicht mehr entspricht, weniger egal jedoch, ab und zu mal durch die Bude gescheucht zu werden, wobei er dennoch abspeckt, wofür ich eigentlich einen annehmbaren Preis verdient hätte.

Pyka hatte sich inzwischen zu uns in die Küche gesellt. Auch ihr stand der Sinn nach undefinierbarem Katernapfinhalt und guter Laune. Wir amüsierten uns königlich und vergaßen sogar die Zeit, weil wir inzwischen hinüber zur Vorratskammer gewechselt sind. Wusste gar nicht, dass rohe, also ungekochte Spaghetti, vorzüglich munden. Außerdem krachten die Dinger auch so lustig – sollte man eigentlich in sein Sprachrepertoire aufnehmen. Grüne, lebende Spaghetti, nicht schlecht die Nummer. Merke ich mir für meine nächste Show.

Jetzt hatten wir die Schlafmütze natürlich vollkommen aus den Augen verloren. Pennte sie etwa friedlich auf dem Sofa? Oh, schon kurz nach 8.00 Uhr. Das hätte nicht passieren dürfen, dass wir sie bei unserem Spaß in der Küche total vergessen. Tatsächlich. Die sofortige Kontrolle bestätigte meinen Verdacht. Friedlich wie ein Säugling lag sie da auf dem Präsentierteller und träumte wahrscheinlich gerade von der nächsten Reise. Auf sechs Schlafstunden hat sie sich inzwischen hochgeschaukelt. Meine unsanfte Landung auf ihrem müden Haupt wäre fast in die Hose gegangen, denn ich habe manchmal Schwierigkeiten, mich an ihren Haaren festzuklammern, doch der Zweck heiligt die Mittel. Sie war hellwach, ansprechbar und sofort bereit, mit uns in die Küche zu stiefeln, um Frühstück zu machen.

Eigentlich hatte ich überhaupt keine Lust, sie dorthin zu begleiten, sondern eher, mich dem Hausherrn zu widmen. Bei dem ist es etwas schwieriger, ihn aus dem Reich der Träume zu lotsen, aber einen Versuch immer wieder wert. Während ich noch überlegte, von welcher Seite ich mich am besten anschleiche, vernahm ich aus Richtung Küche undefinierbare Flüche. Was ist denn jetzt schon wieder angebrannt. Meine französischen Luxusnerven. Die Schimpftiraden wurden zwar etwas leiser, doch von Ruhe keine Spur. In der Küche wurde Bodenreinigung betrieben, Eimer mit Wasser befüllt, mit Besen gegen die Wände geknallt – keine Rücksicht, immer druff. Jetzt schepperten Tassen und Teller, Löffel und Messer. Geht das nicht ein wenig leiser, Gnädigste? Sie wollte soeben ein Tablett ins Wohnzimmer schleppen, befüllt bis zum Gehtnichtmehr, aber meines Erachtens noch viel zu leicht. Also setzte ich mich oben drauf, ließ mich am Esstisch absetzen und sparte mir somit eine Menge Flugenergie.

Am Tisch waren wir heute nur drei Personen, weshalb ich mich am Chefplatz nieder ließ. Es gab den obligatorischen Hagebuttentee, ein paar lausige Brotscheiben, aber auch eine Überraschung, die ich zu Anfang überhaupt nicht registriert habe: Rührei, die Mahlzeit für Kaiser und Könige. Rührei, das ist die Nahrung, die mir der Arzt verschrieben hat. Für Rührei würde ich glatt zum Mönch werden, dafür käme ich sogar auf die Idee, mal drei Tage nicht zu brüllen. Am liebsten hätte ich meine Polaroid-Kamera gezückt, um einen Schnappschuss vom Teller zu schießen. Konnte mich gar nicht dran erinnern, wann man mir eine solche Köstlichkeit zuletzt servierte. Hätte ich nur nicht so viel von diesem Katerfraß verschluckt, doch bemühte ich mich, wenigstens die Hälfte der Portion zu vertilgen, bevor Pyka größenwahnsinnig wird und sich ab sofort einbildet, ihr stünde nunmehr auch in Zukunft die Hälfte zu.

Ich gebe zu, dass ich mich habe bestechen lassen. Wie soll ich mich auch an Rabenmüttern rächen, die sich reumütig zeigen, ihre Fehler eingestehen und mit Eierspeisen locken?


4. Papi-Klatschen

Zugegebenermaßen leide ich unter einer klitzekleinen Schwäche, der ich vollkommen machtlos gegenüber stehe. Leiden ist vielleicht ein wenig zu theatralisch ausgedrückt. Vielleicht sollte ich meine Angewohnheit, dann und wann plötzlich beißen zu müssen, eher als Laune der Natur akzeptieren, die Sache nehmen, wie sie ist. Ich will versuchen, mein Innerstes nach Außen zu stülpen und davon erzählen.

Beispiel I:

Meine Frau und ich sitzen bereits am Frühstückstisch, sind gerade dabei, anstelle von Schampus, Kräutertee zu schlürfen, alle Sensoren auf Empfang gestellt, zumal Big Daddy die Macke hat, sich regelmäßig zu verspäten. Doch meine große Chance naht – er ist im Anmarsch. Ich fliege lautlos wie eine Nachtigall ins Durchgangszimmer, denn durch diese hohle Gasse muss er kommen, erklimme das Bücherregal in der Schrankwand, reihe mich zwischen „Kamasutra“ und „Word für Windows“ ein und warte auf die Sekunde X. Er kommt, beladen wie ein Muli, hält sich trotzdem wacker – Jetzt: Ich stürze mich wie ein Kamikaze in olympiaverdächtiger Rekordzeit auf ihn herab, lande voll im Nacken meines Opfers und beiße kraftvoll zu. Er krümmt sich wie ein Haken, schüttelt sich wie ein nasser Dackel, in der Hoffnung, ich würde von ihm ablassen, was ihm manchmal sogar schon gelang. Nun wird es höchste Zeit, die Retirade anzutreten. Was in den nächsten drei Minuten angesagt ist, kenne ich in- und auswendig. Madam ist längst mit einer der vielen Blumenspritzflaschen bewaffnet, fuchtelt mit einem Sofakissen rum und hat nur das eine Ziel, mich zu erwischen. Ich habe nicht die kleinste Chance, meiner Inhaftierung zu entkommen, füge mich ins Schicksal und fliege in die Voliere, wo Pyka mich längst erwartet.

Beispiel II:

Senora sitzt am Computer, ballert auf unschuldige Moorhühner oder schreibt Drohbriefe an namhafte Telefongesellschaften. Wieder überkommt es mich - das Beißverlangen. Erst spüre ich es nur ganz leicht, irgendwo tief in den Geheimnissen meines Körpers verborgen, dann kräftiger, immer kräftiger, bis es einfach aus mir raus bricht. Ich kann nicht anders, ich muss es einfach tun. Eben noch saß ich auf der Stuhllehne, direkt hinter ihr, jetzt in ihrem Schwanenhals. Voll getroffen. Sie flucht undamenhaft und erhebt sogar eine Hand gegen mich, doch vertraue ich auf ihren Wahlspruch: „Kinder schlägt man nicht“. Mir wird zwar heute genau so wenig passieren, wie an anderen Tagen, aber ich spüre, wann es Zeit wird, mich für ein Weilchen zu verabschieden.

Beide Beispiele sollen so ungefähr erklären, wo zu ich fähig bin. Vielleicht sollte ich einen Spezialisten aufsuchen, zumal die Chefin gelegentlich meint: „Du gehörst auf die Couch“. Andererseits sage ich mir, was soll ich beim Arzt, wenn ich mich kerngesund fühle. Ein Jeder hat seine Schwachpunkte, dies zu ändern hieße, aus allen Lebewesen Roboter zu machen. Außerdem muss sie es auch so sehen: Sie teilt ihr Dasein mit zwei gefiederten Schätzchen, eines davon ist gut, das andere böse. Hätte auch anders kommen können, dass Pyka meine Spezialnummer nämlich ebenfalls cool findet und mich nachäfft.

So in etwa weiß ich vorher, wann es mich überkommt. Dabei erstaunt es mich immer wieder, noch nie einen Anfall erlitten zu haben, wenn das Essen in Arbeit ist. Steht sie am Herd oder galoppiert in der Küche herum, kann sie sich von mir aus hundert Mal vor mir bücken, wenn sie Dinge aufhebt, die ich ihr vor die Stelzen geschmissen habe, niemals käme ich auf die Idee, ihr ins präsentierte Genick zu beißen.

Sobald ich satt und gekräftigt bin, ist Schluss mit lustig. Es kann mich jederzeit überkommen. Bis auf ein wenige Ausnahmen betrifft mein Webfehler ausschließlich Mom und Dad. Alles, was nicht zum Schwarm gehört, wird (so gut wie) nie angefallen.
 



 
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