Kurzgeschichten/5+6

Ankurei

Mitglied
Fortsetzung zu "Der Hobbykiller"


5. Gute Zeiten – schlechte Zeiten

Besucher sind ab und an der Ansicht, sie wüssten alles besser und versuchen, meine Herrin zu beeinflussen. Nicht nur, dass sie unüberlegte Verbesserungsvorschläge machen, z.B. „Sperr den Bengel doch ein und schmeiß den Schlüssel weg“ oder „Wieso nennst Du diese Chaoten Kinder?“. Wegen des ersten Vorschlages erklärt Mom in der Regel, sie würde vom Nachbarn die „Rote Karte“ kriegen und es aus diesem Grund lieber gar nicht erst versuchen, mich in den Kerker zu schmeißen. Zum zweiten Vorschlag erklärt sie geduldig, dass die Bezeichnung Kinder in jedem Fall seine Berechtigung hat, zumal sie wegen uns Kindersicherungen kaufen muss.

Manchmal ist sie dermaßen pflegeleicht, z.T. sogar unaufmerksam, was ich zwar registriere, jedoch keine Anstalten unternehme, diesen Umstand auszunutzen. Hat sie gute Laune, so schließe ich mich ihr mit Freuden an. Zu solchen Gelegenheiten fliege ich flugs in ihr Büro, öffne den Papierlocher von unten, so dass Hunderte von bunten Konfettiflocken auf uns herabrieseln, und wenn Pyka und ich Bock auf noch mehr Karnevalsstimmung haben, fliegen wir immer wieder hin und her, her und hin, bis auch das letzte Konfetti am Boden liegt. Kann man übrigens auch wunderbar mit Zwiebelschalen machen. Abwarten, bis die Dinger geschält sind - Start.

Es gibt umgekehrt aber auch wieder Situationen, in denen ich mehr als froh bin, nicht ihr leibliches, sondern Adoptivkind zu sein. Wenn ich mir nämlich vorstelle, ich hätte die eine oder andere Macke von ihr geerbt, könnte ich mich gleich aufhängen. Will mal ein Beispiel erzählen, das man sich ganz, ganz langsam reinziehen muss, um es auch nur ansatzweise zu verstehen.

Vor vielen Jahren habe ich Pyka beigebracht, brennende Kerzen so lange zu überfliegen, bis sie erlöschen. Geht wunderbar und kinderleicht, doch legt man noch einen Zahn zu, überwindet den letzten Rest von Skrupel, so kann es passieren, dass die Kerze nicht nur aus geht, sondern auch aus dem Leuchter saust. Gebe ja zu, leicht ist’s nicht, doch ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Was ich erzählen will ist, dass ich bereits mehrmals mit ansehen musste, wie das Mütterchen sich tatsächlich – das glaubt mir wahrscheinlich kein Vogel – anschickt, ein Bügeleisen anzuschleppen, Löschpapier aufs Parkett zu klatschten und allen Ernstes den Fußboden zu bügeln. Das muss man auch langsam sacken lassen. Eine erwachsene Frau, die teilweise tut, als hätte sie die Weisheit mit Löffeln gefressen, bückt sich vor mir nieder, um meinen Laufsteg zu plätten. Wer sie kennt, damit meine ich besonders meinen Herrn Vater, dem ist bekannt, dass sie Bügeleisen ansonsten nur anfasst, wenn dabei was für sie rausspringt.

Die meisten ihrer Spleens sind mir zur Genüge bekannt. Ich habe meine Macken, die Alten ihre, und das ist auch gut so. Morgens weiß ich genau so wenig wie sie, wie der Tag endet. Mal ist sie der Glückspilz, ich der Verlierer, mal hat sie die Arschkarte gezogen, ich schwelge im Glück. So ist das Leben, was will man da machen?

Wie in den meisten Familien, wo zwei Generationen unter einem Dach leben, gibt es bei uns natürlich jede Menge Reibereien zwischen Schwiegermutter und Schwiegertochter. Zwar war es bei uns so, dass nicht ich auf Brautschau ging, sondern vertretungsweise meine liebe Mutter, doch wie ich eingangs bereits erwähnte, sieht es mit dem Paragraphen „Gleiches Recht für Alle“ nicht rosig bei uns aus. Obwohl Mom also in der glücklichen Lage war, sich ihre Schwiegertochter persönlich aussuchen zu dürfen, keiften sich die zwei Matronen vom ersten Tag an wie die Marktweiber. Meine Pyka ist manchmal wirklich nicht gerade fein in ihrer Ausdrucksweise oder im Verhalten, doch umgekehrt steht Mami ihr in nichts nach. Ich halte mich da meist raus, nehme weder für die eine, noch die andere Partei. Nee, nee, später vertragen sie sich vielleicht wieder, und ich bin der Gelackmeierte.

Während ich das Wort Wahrheit über alles schätze und nach besten Kräften bemüht bin, mich meinen Schwarmmitgliedern als ehrliche Feder zu präsentieren, nimmt es die liebe Pyka mit der Richtigkeit leider nicht so wichtig. Da kann ich mir den Schnabel fusslig quatschen, sie lügt wie gedruckt und bringt mich dadurch oft genug in ernsthafte Schwierigkeiten.

Da sitzen wir eines Tages von allein guten Geiern verlassen im Wohnzimmer, wissen mit unserer Freizeit wenig oder gar nichts anzufangen, bis Pyka auf die Idee kommt, nach intakten CD-Hüllen zu fahnden. Schnell wird sie fündig und zerbeißt fachmännisch die Plastikummantelung des Herrn Eros Ramazotti, bis die Musikkonserve scheppernd über den Boden kullert. Anstatt sich umgehend nach der nächsten CD umzusehen, verlässt sie mich, fliegt in Türnähe und keift „Booogieeee“. Es vergehen wirklich keine drei Sekunden, bis die Chefin am Tatort eintrifft, die Situation eben so schnell erfasst und mich zur Schnecke macht. Mich!!! Ich habe nichts anderes getan, als für Pyka Schmiere zu stehen, bin die Unschuld persönlich, werde jedoch zusammengeschissen, bis ich so klein geworden bin, dass man mich mit einem Mikroskop einsammeln könnte.

Derartige Sockenschüsse hat Pyka oft genug. Jedoch hat sie die Nummer mehr oder weniger übertrieben, zumal Mami längst kapiert hat, wo der Hase lang läuft. Da kann Pyka sich mit ihrem dämlichen „Boooogieee“ noch so viel Mühe geben, letztendlich hat man ihren wahren, verlogenen Charakter längst erkannt.


6. Ungebetene Gäste

Wer immer auch dafür zuständig sein mag, für mieses Wetter zu sorgen: Ich hasse ihn. Ginge es nach mir, so ließe ich die Sonne ununterbrochen scheinen, zumal ich im Sonnenschein einfach besser drauf bin. Momentan ist aber Winter angesagt, was bedeutet, dass wir wenig Möglichkeiten haben, in die Balkonvoliere zu ziehen und uns sogar die Bürzel abfrieren, sobald wir uns kurz auf den geöffneten Fensterflügel setzen. Manche Fenster sind übrigens vergittert. Ob dies bereits vor meinem Einzug so war, entzieht sich meiner Kenntnis, doch aus meiner Sicht ist ein solcher Zustand mehr als blöde, denn weder ich, noch Pyka kämen jemals auf die abartige Idee, den goldnen Käfig freiwillig zu verlassen. Lieber den Spatz in der Hand, als die Taube auf dem Dach.

Apropos: An einem unfreundlichen Dienstagmorgen, das Frühstück war in Null-Komma-Nichts erledigt, sitze ich auf einer der Restpalmen und überprüfe die Blumenerde auf Feuchtigkeit, als ich in die hässlichste Visage starre, die mir jemals untergekommen ist. Mein Gegenüber ist riesengroß, trägt einen Schnabel mitten im Gesicht, von dem ich annehme, er besitzt so ungefähr den Schärfegrad eines Skalpells. Das Vieh hat bei der Verteilung von Körperfärbungen mit Sicherheit nicht drei Mal HIER geschrieen, denn es trägt eine Farbe Marke Schlaftablette, grau wie ein sibirischer Winter. Die einzige „Farbauflockerung“ bilden ein paar lächerliche schwarze Abzeichen auf Kopf und Schultern. Bereits beim ersten Blick so Auge in Auge, stelle ich fest, wie falsch das Aas mich anblinzelt. Es besitzt den Anmut einer Kakerlake, bemüht sich aber, auf Mister Bombastic zu machen – einfach widerlich. Na ja, jedenfalls verhalte ich mich vollkommen ruhig und beobachte fasziniert, wie der Kerl sich über einen Meisenknödel hermacht, der meines Wissens für notleidende Ziervögel aufgehängt wurde. Inzwischen hat auch Pyka den Eindringling entdeckt, doch als sie angeschossen kommt, macht er sich vor Angst in die Hose und kratzt die Kurve.

Mein Aufatmen nützte jedoch nicht viel, denn am nächsten Tag tanzte er schon wieder an. Das Fenster war geschlossen, also war es mir nicht möglich, ihn hier und jetzt zur Schnecke zu machen, um die Sache ein für allemal zu beenden. Diesmal machte er sich an ein paar verstreuten Vogelkörnern zu schaffen und biss ab und zu herzhaft in den Efeu. Obwohl ich ihn dermaßen anschnauzte, dass man meine Schimpftiraden sicher auch im Nebenbezirk vernahm, machte mein Gegenüber voll auf stur und wagte sich sogar, noch näher ans Fenster zu traben. Auge in Auge mit dieser Kreatur – nur eine hauchdünne Fensterscheibe trennte zwei Welten. Im Inneren des Raumes ein gebildeter grüner Herr mit vorbildlichen Umgangsformen, draußen ein verlaustes, rüpelhaftes Vogelvieh, das nun auch noch die Frechheit besaß, per Schnabel mit mir anbändeln zu wollen. Nicht mit mir. Auch ich setzte meinen gefürchteten Schnabel ein und knallte damit gegen die Fensterscheibe. Hat gesessen. Er machte die Flatter.

Ich weiß nicht, wie es passieren konnte, aber ich habe tatsächlich nicht mitgekriegt, wie meine Haushälterin Essenreste vom Drei-Gänge-Menue zusammenkratzte und auf den Balkon schleppte. Mir ist vollkommen entgangen, dass sie das vergammelte Zeug in eine hochherrschaftliche Schüssel füllte und ausgerechnet auf den Platz stellte, an dem das Vieh gestern hockte. Deshalb bin ich auch voll aus den Latschen gekippt, als er morgens zur gleichen Zeit wie gestern angeschissen kam, um sich genüsslich über den Präsentierteller herzumachen. Er sah nicht nur aus, wie ein Schwein, sondern fraß auch so. Nachdem er die Köstlichkeiten längst eingeatmet hatte, kroch er noch immer auf dem Balkon rum, weil er sicher annahm, man würde ihm noch ein Eis mit Früchten und Sahne nachschieben.

Meine Unmutsbekundungen brachten überhaupt nichts. Was hätte ich auch tun sollen, außer mit Bissen auf meine Situation aufmerksam zu machen. Mein Vorhaben musste allerdings auf den Nachmittag verschoben werden, denn durch meine Brüllerei war ich inzwischen in der Voliere gelandet, wo ich bis zur Essenausgabe die Stellung zu halten hatte.

Abends belauschte ich ein Gespräch zwischen meinen Alten, während sie erneut Abfälle in die Schüssel klatschten. So erfuhr ich, dass der unverschämte graue Fresssack der Rasse Nebelkrähen entstammt und auf den Namen „Alf“ hört. Daran, dass er tatsächlich hört, wage ich zu zweifeln, doch hieß der plötzlich so und wurde von einem Tag zum anderen in eine Familie aufgenommen, die längst aus allen Nähten zu platzen droht. Längst gehört es für Alfilein zur Tagesordnung, bei Tagesanbruch auf einen Sprung mal vorbei zu schauen, sich die fette Wampe voll zu schlagen, um anschließend auf Nimmerwiedersehen zu entfleuchen.

Damit aber noch nicht genug. Als die graue, alf-farbige Jahreszeit endlich beendet war und der ersehnte Sonnenschein Einzug hielt, tauchte die graue Eminenz gewohnheitsgemäß mal wieder auf und soff aus seinem Kristallkelch, den man ihm vor einigen Wochen genehmigte. Auch, wenn ich mich noch immer nicht damit abgefunden habe, dass man ihm Nahrungsmittel zur Verfügung stellt, die von meinem Haushaltsetat abgezwickt werden, so nehme ich ihn inzwischen wie die Krätze hin, halte um des Friedens Willen den Schnabel. Kaum ist er auf der Balkonbrüstung gelandet, latscht soeben zum Saufnapf und gibt sich mit Gänsewein die Kante, als ein zweiter Alf hinter ihm landet. Ich musste meine Brille zu Hilfe nehmen, um die Lage zu erfassen. Gut, dass ich das getan habe, denn mit meinem Nasenfahrrad war es mir vergönnt, kaum wahrnehmbare Unterschiede zwischen Alf und Alf zu erfassen. Während der alte Alf mehr schwarze Begrenzungen auf der Kappe hat, hat der Neuzugang mehr welche in grau.

Lange hat es nicht gedauert, bis ich geschnallt habe, dass wir Alf jetzt im Doppelpack genießen dürfen. Das zweite Vieh erhielt auch sofort einen Namen, nämlich „Ronda“. Kann mich nicht daran erinnern, auch nur einen einzigen Tag mal das Vergnügen erlebt zu haben, ohne von Alf und Ronda belästigt worden zu sein. Auch, wenn ich mich nach Kräften bemühe, meine Portionen brav leer zu essen, um Reste zu vermeiden – der Futternapf steht täglich neu gefüllt auf Balkonien, und reißen auch alle Stricke und alle Teller wurden leer gegessen, überhaupt kein Problem, denn dann wird für die Herrschaften extra gekocht. Möchte sogar meine Einstreu verwetten, dass Mami ihnen längst eine Speisekarte aufgehängt hat, auf der sie bereits zu Wochenbeginn erfahren, mit welchen Köstlichkeiten sie in den folgenden Tagen zu rechnen haben.

Über die Zukunft darf ich gar nicht nachdenken, denn aus Kindern werden bekanntlich Leute. Wahrscheinlich sieht Frau Mutter sich bereits nach Babynahrung um.
 



 
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