Lachzwang

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Bekanntlich leben wir in einer Spaß-, Medien- und Suchtgesellschaft und brauchen immer mehr von dem Stoff, der uns an jenem Leben hält, das vor allem Spaß machen soll. Möglichst ununterbrochen.
Wer sich tot zu lachen versucht, lacht sich einem lustigen Tod entgegen. Wer nichts mehr zu lachen hat, ist für die Spaßgesellschaft tot und muss sein trauriges Dasein einsam oder in ernsthafteren Gesellschaften fristen.
Gesellschaftliche Pflicht aller Spaßvögel und Komiker muss es daher sein, ständig überall Späße zu produzieren – vor allem auch solche, über die heute noch keiner lachen kann.
Fernsehen oder Rundfunk spielen dazu das notwendige Lachen vom Band ein. Das hat sich ähnlich gut bewährt, wie der Tusch der Karnevalskapelle, der Närrinnen und Narren auffordert, an der vom Büttenredner ausgesuchten Stelle seiner Rede zu lachen.
Da Lachen ansteckt, schließen sich immer ein paar Zuhörer oder –schauer den Lachern vom Band an und lachen innovativ mit. In unseren schnelllebigen Zeiten kann es nie schaden, stets ein Stückchen vorauszulachen. Während Rückständige noch über Juxereien lachen, die längst out sind, trainieren Fortschrittliche ihr Zwerchfell bereits für die zukünftigen Spaßkulturen.
Naturgemäß wird es ab einem gewissen Alter - zum Beispiel meinem fast siebzigjährigen - schwieriger mit dem modernen Spaß Schritt zu halten. Immer schneller verlieren ältere Spaßsuchende wie ich den Anschluss und es kostet von Tag zu Tag mehr Mühe, sich zukunftsorientierte Spaßproduktionen zu erlachen. Selbstverständlich ist es mir auch peinlich - meine vermutlich senile Spaßverständnisschwäche einzugestehen. Folgerichtig neige ich zu Schutzbehauptungen und ereifere mich über jene modernen geistlosen Albernheiten ohne jede intelligente Pointe. Das allerdings nur, wenn ich mich unter Senioren mit ähnlichen Symptomen weiß. Bin ich von jüngeren Spaßkonsumenten umgeben, lache ich mit ihnen, um nicht als veralteter Außenseiter moderner Lachkultur zu gelten.
Als ich gerade nichts zu lachen hatte, hockte ich neulich trotzig und mit todernstem Gesicht in einer fremden Kneipe. Meine Stammkneipe wurde gerade renoviert. Von dem riesigen Bildschirm unter der Decke über der Theke verbreitete ein bekannter Fernsehspaßmacher neuzeitlichen Humor auf Kosten derer, die er offensichtlich damit lächerlich machen wollte. Ich verzog keine Miene. Und das, obwohl am Nebentisch sich eine sehr blonde junge Frau - so um die zwanzig - räkelte und viele der übrigen Gäste um Jahrzehnte jünger waren als ich. Wegen meiner altmodischen Schüchternheit spreche ich in Kneipen nie fremde Frauen an. Warum ich mich dennoch mit einem kurzen „Darf Ich?“ spontan an ihren Tisch setzte, weiß ich immer noch nicht.
Jedenfalls lächelte sie unnachahmlich anmutig (Anmutig ist eigentlich ein total altmodisches Wort!). Nach längerem Smalltalk, den ich immer brauche, um mich einer Frau so zu nähern, dass sie nicht gleich meine Absicht durchschaut, verriet sie mir, sie fände mich deswegen schon äußerst sympathisch, weil ich über diesen geistlos-humoristischen Fernseh-Dünnschiss nicht mitlache.
Vorsichtshalber ließ ich mich noch einige Zeit lobend über den geistvollen wahren und - leicht abfällig - über den modernen Humor aus, bis ich mich, nachdem ich mich schon vorab dafür entschuldigte, schließlich traute:
„Kennen Sie den schon...?“
Die Blonde lächelte mir ihre ganze hinreißend bezaubernde Anmut entgegen, legte mir sanft die grazile Hand auf den Unterarm, räusperte sich und begann: „Wenn ich zuerst einen erzählen darf, höre ich Ihnen sehr gern zu… Kommt son Uralter in die Kneipe und will nen Blondinenwitz loswerden...!“
Die jungen Männer am Nebentisch konnten darüber lachen…
 
K

koollook

Gast
Mir scheint deine Geschichte nicht vollständig, aber in ihrer Unvollständigkeit hat sie doch Potential für eine Fortsetzung.

Dein Schreibstil ist gut und ich habe deinen Gedanken gerne gefolgt. Der Übergang von deinen Ansichten über Humor - gestern und heute - zu der Handlung, bei der du die Blondine "anquatschst", ist auch gut gelungen.


PS:
Nun frag ich mich nach dem Schreiben meines Kommentares, ob es richtig war dich zu duzen, bei deinem "gereiften" Alter. Aber ich denke, in unserer modernen Gesellschaft wäre ein Sie in einem Forum zu fremdartig und zu veraltet, weswegen ich auch Du zu dir sage.

Gruß,

koollook
 
Hallo koollook,
als Altachtundsechziger (der allerdings (hoffentlich) dazu gelernt hat) bin ich das Duzen gewohnt. Also, kein Problem.
Danke für deinen Kommentar. Kurzgeschichten kann man als Autor nicht zu Ende erzählen, aber so abfassen, dass Leser sie weiterspinnen können. Das habe ich versucht.
Herzliche Grüße
Karl
 



 
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