Lass es sein

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Otto Lenk

Foren-Redakteur
Teammitglied
bitte male die konturen meines gesichts rot /
mit dicken blauen
sich schlängelnden Adern auf den schläfen/
male mir mein wissen um die endlichkeit
in die augen / augen
durch die sich ein ganzes leben zieht/
ein leben ohne den trost eines gottes/
male mir dies in die augen und zerknülle
das gesicht wie ein stück papier/
ein stück papier auf dem alles geschrieben steht/
alles / und von dem der schreiber erkannte
wie bedeutungslos dies alles war/
bitte male mir mein leben ins gesicht/
lasse nichts aus/ lass es sein
 
D

Die Dohle

Gast
Hallo Otto Lenk,
... lass es sein, erst dachte ich, hm, schon wieder soll nicht gelebt werden, bis ich sah, lass es sein kann auch lass es blühen nach seiner art meinen. so gelesen ist das ein zuversichtlicher sehr schöner text in meinen augen, interessant gestaltet, gefällt mir sehr gut.

lg
die dohle
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Ich finde das Gedicht gut: Ein Gedanke, konsistent ausgeführt, das Bild in sich stimmig.
In dem Gesicht steht "alles" geschrieben; in die Augen, durch die sich "ein ganzes Leben zieht", soll der Maler oder Maskenbildner oder die schminkende Hand das "Wissen um die Endlichkeit" hineinmalen. "Alles", durch Wiederholung betont, steht auf dem Gesicht geschrieben, und dieses "alles" ist das gesamte Leben des Bittenden, nichts soll ausgelassen werden. Aber der "Schreiber" hat die Bedeutungslosigkeit dieses "Alles" erkannt. Wer ist dieser "Schreiber"? Die Erfahrung? Der Erfahrungsschatz eines ganzen Lebens, eingeschrieben ins Gesicht des erfahrenen Menschen? Die sich selbst dem Gesicht einschreibende kostbare, fein-konzentrierte Erfahrungsschrift? Was soll denn daran "bedeutungslos" sein? Paradox. Die Attitude der "affektierten Bescheidenheit" sollte doch gewiß nicht gemeint gewesen sein mit dieser Werft-mich-in-den-Papierkorb-Geste?
 

Walther

Mitglied
hi otto,

gut zu lesen, wie immer sehr tiefgründig. das "Adern" solltest du konsequenterweise ebenfalls klein schreiben. :)

lg w.
 
O

orlando

Gast
...
male mir dies in die augen und zerknülle
das gesicht wie ein stück papier/
ein stück papier auf dem alles geschrieben steht/
alles / und von dem der schreiber erkannte
wie bedeutungslos dies alles war/
bitte male mir mein leben ins gesicht/
lasse nichts aus/ lass es sein
Hallo Otto,
du wirfst einen ungemein interessanten Aspekt in die Arena, kunstvoll und philosophisch zugleich.
Als bekanntlich während der Renaissance das menschliche Abbild in den Fokus künstlerischen Gestaltens rückte (Entdeckung des Individuums), spielte die Darstellung der Augen eine große Rolle.
Als Beispiel möchte ich hier Dürers Selbstbildnis anführen. - Auffallend daran ist, dass dem Schauenden sofort ein Christusbild ins Hirn schießt, weil sich Dürer nämlich das allgemein vermutete Äußere des Gekreuzigten gab.
Insofern lässt sich von uns Nachgeborenen feststellen, dass bei seiner künstl. Gestaltung (und der anderer Künstler seiner Zeit) der Schein das Sein bestimmte.
Bei dir gibt es nun eine konsequente Umkehrung: Du wünscht ein Abbild deines Da-Seins ohne schönenden Schein, weil die Nichtigkeit allen Scheins längs erkannt worden ist. Im Grunde handelt es sich um eine Art Spiegelbild bei schlechten Lichtverhältnissen, eine Überzeichnung.

lasse nicht aus / lass es sein
Und der Text weist parallel auf ein Loslassen. Vielleicht das finale ...

(Ein Nebenschmankerl liegt für mich übrigens darin, dass du an einer Stelle eine Strategie in Spiel bringst, die sonst ausschließlich in Erzählungen verwendet wird:
... und von dem der Schreiber erkannte ...)

Nett. :)


orlando
 

Franke

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Otto!

Ein starkes Gedicht!
Bei aller Wehmut in diesen Zeilen spricht mich aber besonders der unterschwellige Trotz an, der hier mitschwingt.

Liebe Grüße
Manfred
 
G

Gelöschtes Mitglied 14616

Gast
Lb. Otto,

male mir mein wissen um die endlichkeit
in die augen / augen
durch die sich ein ganzes leben zieht/
ein leben ohne den trost eines gottes/
das ist so grandios, das müsste von mir sein. ;) Nein, im Ernst, ganz besonders! Ich verneige mich.

LG
BeBa

p.s. Einzig die Formatierung des Textes mag ich persönlich nicht so mit den Slash-Signs. "Das Auge liest mit", sage ich nur. ;)
 

Otto Lenk

Foren-Redakteur
Teammitglied
entschuldigt die verspätete antwort. ist es nicht wunderbar, sich befreit von allen inneren und äußeren zwängen zu sehen, sich selbst aus dem rahmen zu lösen? ja, ich kann sogar mittlerweile von herzen über mich selbst lachen. da sag mal einer, das alter keine vorteile böte. nun ja...nicht viele, aber ein paar sind es schon. vielleicht helfen mir dabei auch die augen meiner kleinen enkelin, die mich eben so ganz und gar unvoreingenommen anschaut, durch mich durch...und das was sie da sieht, anlächelt.
was dies alles mit meinem gedicht zu tun hat? vieles. die gedanken an das ende mehren sich, man macht sich so seinen kopf darüber, was bleibt. von den worten wird nichts bleiben, dessen bin ich mir bewusst. sie werden den augenblick nicht überdauern.
aber die endlichkeit (die angst um ihre immer näher rückende nähe) hat an bedeutung verloren, sie kann mich kaum noch schrecken, sehe ich mich doch immer mehr in diesen kleinen blauen augen. ja, ich kann es sein lassen. alles.

ich danke euch

p.s. A wird erledigt, lieber Walther
 

Otto Lenk

Foren-Redakteur
Teammitglied
bitte male die konturen meines gesichts rot /
mit dicken blauen
sich schlängelnden adern auf den schläfen/
male mir mein wissen um die endlichkeit
in die augen / augen
durch die sich ein ganzes leben zieht/
ein leben ohne den trost eines gottes/
male mir dies in die augen und zerknülle
das gesicht wie ein stück papier/
ein stück papier auf dem alles geschrieben steht/
alles / und von dem der schreiber erkannte
wie bedeutungslos dies alles war/
bitte male mir mein leben ins gesicht/
lasse nichts aus/ lass es sein
 
F

Fettauge

Gast
Hallo Otto Lenk,

ich habe da so meine Zweifel, dass man irgendein Wesen anflehen muss, dass es einem Spuren des Lebens ins Gesicht schreibt. Insofern kann ich eine Begründung für das Flehentliche des Gedichtes nicht erkennen. Oder so gesagt: Der Schreiber hat es wohl nötig. Aber ich will und darf wohl nicht ironisch sein.

Das Gedicht ist ansprechend geschrieben, es liest sich gut.
Wenn ich auch das vermisse, was ich in einem Gedicht suche.
Es - gestatte mir, das zu schreiben - plätschert ein wenig, einen wirklichen Gedanken, der aufmerken lässt, habe ich nicht gefunden.

Liebe Grüße, Fettauge
 
Hallo Otto,
finde Dein Gedicht ohne jede Einschränkung einfach nur gut und bewundere den erstaunlichen Tiefgang.
Herzliche Grüße
Karl
 



 
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