Lebensaft und der Geist

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Dorian

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Mordechai Lebensaft war nie eines jener beneidenswerten Individuen gewesen, die einen wirklich wertvollen Gegenstand erkannten, wenn sie einen sahen. Natürlich konnte er Gold von Messing unterscheiden, aber manchmal waren es die sogenannten „inneren Werte“, auf die es ankam.
Als Lebensaft die Öllampe auf dem Flohmarkt erstand, wusste er zuerst nicht einmal warum er sich den alten Trödel überhaupt aufhalste. Vielleicht, so dachte er, ließ sich die Lampe ja aufpolieren und in die Sammlung einfügen.
Lebensaft war Schriftsteller wenn er seine Steuererklärung ausfüllte, aber wenn ihn jemand nach seinem Beruf befragte antwortete er meist mit „Urheber unwahrscheinlicher Literatur“, oder „Verfasser fiktiver Texte“, oder aber auch nur „Fantasy-Autor“, wenn er mal schlecht drauf war. Als jemand, der Fantasy nicht nur schrieb, sondern auch las, lebte und atmete, hatte Lebensaft sein Arbeitszimmer stilgerecht eingerichtet, was bedeutete, dass überall Felle Schwerter, Äxte, Rüstungen, Pergamentrollen, Kerzenhalter, dicke Bücher mit Ledereinband, Zauberstäbe, Helme und dergleichen verteilt waren. Aber jedes einzelne dieser Stücke hatte er sich neu in verschiedenen einschlägigen Geschäften zugelegt, daher kam alter Plunder wie diese Lampe eigentlich nicht in Frage.
Er hatte Samstag vormittag ursprünglich nur Zigaretten kaufen wollen, wofür er nur seine Wohnung verlassen und den Platz davor überqueren musste, um zur Trafik zu gelangen. Bedauerlicherweise war Samstag vormittag auch der wöchentliche Komm-laß-uns-irgendwelchen-Schrott-den-keiner-mehr-braucht-an-Touristen-verklopfen-Flohmarkt-Tag und so fand sich Lebensaft plötzlich und für ihn nicht nachvollziehbar vor einem Stand mit Messing- und Zinngeschirr wieder, und hielt eine Öllampe in der einen Hand und einen Zwanziger in der anderen.
In „Unterholzens Zutaten-für-Dungeons-Diskont“ hatte er schon weit schönere und authentischere Lampen um die Hälfte des Preises entdeckt, aber immer von einem Kauf abgesehen, da er aus seinem persönlichen kleinen Arbeitsverließ den arabischen Touch solcher Lichtspender heraushalten wollte. Er hatte einiges ausprobiert und gab sich nun mit einigen Kerzen und auf alt getrimmten elektrischen Lampen zufrieden. Mit Schaudern dachte er an sein Experiment mit den petroleumgefüllten Fackeln und dem Kohlebecken zurück. Es hatte Monate gedauert, bis seine Augenbrauen nachgewachsen waren.
Nichtsdestotrotz stand die Öllampe nun matt glänzend auf dem Schreibtisch und schien ihn hämisch anzugrinsen.
„Nun gut, wenn du es so willst“, rief Lebensaft, sprang auf und schnappte die Lampe vom Tisch, „dann wirst du eben geschrubbt.“
Er ging in die Küche und kramte den schärfsten Schmutzrandentferner den er finden konnte unter dem Spülbecken hervor.
„Haha“, rief er, indem er einen Klecks davon auf etwas Stahlwolle spritzte. „Hat sich was mit `sanft und sauber`!“
Wenn Lebensaft sich ärgerte, neigte er dazu die Dinge persönlich zu nehmen und dann war er, obwohl eigentlich von sanftem Naturell, durchaus dazu in der Lage drastische Maßnahmen zu ergreifen.
Lebensaft schrubbte und wienerte hingebungsvoll etwa eine halbe Stunde lang, bevor sein Zorn ein wenig verraucht war und als er die Lampe unter möglichst heißem Wasser abspülte, bemerkte er, dass sie tatsächlich glänzte und recht hübsch anzusehen war. Er rieb sie trocken und da schoß Rauch aus der Öffnung und füllte im Handumdrehen die gesamte Küche.
Lebensaft ließ die Lampe fallen und floh hustend und keuchend ins Wohnzimmer.
„Ähm“, sagte er. „Äh.“
Er riß die Terrassentür auf um den Gartenschlauch zu holen, bremste sich aber ein, als er sich daran erinnerte, dass er nur einen Balkon im zweiten Stock hatte. Beinahe gleichzeitig fiel ihm etwas anderes ein. Das Ganze kam ihm nämlich ziemlich bekannt vor: alte Öllampe, jemand kauft sie nichtsahnend, ohne von ihrem Wert zu wissen, putzt sie und ein Geist springt aus der Öffnung der Lampe.
Lebensaft drehte sich langsam um und machte sich auf das Schlimmste gefasst. Ähnliches war ihm schon einmal passiert, als er eine Stelle aus einem alten Buch rezitiert hatte, das er irgendwann mal in einem Touristenshop in Dublin gekauft hatte. Glücklicherweise war sein gälisch zu dem Zeitpunkt so eingerostet, dass der Dämon nur zur Hälfte in der diesseitigen Welt materialisierte und zu einer Wolke grünen Dunstes und Schmetterlingen verpuffte. Das war ihm eine Lehre gewesen. Seither umgab ein Bannkreis aus Schutzsymbolen sein Arbeitszimmer und den einzigen Dolch in seinem Sammelsurium, der auch scharf geschliffen und zu gebrauchen war, hatte er von einem nüchternen zwergwüchsigen Thor-Anbeter aus Schweden mit einer Knoblauchzehe in jedem Nasenloch bei Vollmond anfertigen lassen.
Er bestand aus einer Silberlegierung und war im Blut eines einjährigen Stieres gehärtet und mit zauberkräftigen Runen verziert worden. Später hatte Lebensaft den Dolch vom einzigen praktizierenden Odin-Priester Deutschlands weihen lassen, was erstaunlicherweise leichter gewesen war, als einen katholischen Priester und einen Rabbi zu finden, die dasselbe taten. Geweihte großer Religionsgemeinschaften konnten so spießig sein.
Sehnsüchtig dachte Lebensaft jetzt an eben diesen Dolch, der einsatzbereit in einer Scheide steckte die unter der Schreibtischplatte befestigt war, direkt neben dem silbernen Kreuz, dem Holzpflock und der 357er Magnum. Für einen Schriftsteller hatte er ein aufregendes und abwechslungsreiches Leben geführt.
Andererseits bestand ein gute Chance, dass diese Begegnung etwas glimpflicher ablief. Schließlich war es eine allgemein bekannte Tatsache, dass Geister aus Öllampen ihrem Beschwörer zu dienen pflegten, auch wenn sie dies nicht gerne taten.
Lebensaft beschloss abzuwarten und ruhig zu bleiben, sich zugleich aber langsam Richtung Arbeitszimmer zu bewegen. Er wollte keine unnötigen Risiken eingehen.
Die Rauchwolke hatte sich inzwischen zusammengezogen und war ins Wohnzimmer eingedrungen, wo sie sich langsam zu etwas verfestigte, was wie eine halbwegs menschliche Gestalt aussah.
„Ich bin der Geist der Lampe“, sagte der Geist der Lampe, der aussah wie Lampengeister nun einmal aussahen. Er war muskulös und lila, bis auf eine Skalplocke kahl und er trug einen Bart und goldene Armschienen. In einer Hand hielt er ein Krummschwert und brachte es irgendwie fertig seine Arme verschränkt zu halten. Beine hatte er nicht, dafür aber wabernden Rauch, der sich bis in die Küche erstreckte.
„Ihr habt drei Wünsche frei und so sie nicht meine Macht übersteigen, werde ich sie erfüllen.“
„Tut mir leid“, antwortete Lebensaft mit leicht verwirrtem Lächeln und einem Schulterzucken. „Ich verstehe Arabisch nicht. Ich wünschte ich hätte mich mehr mit dem Morgenland beschäftigt.“
Der Geist runzelte die Stirn und blickte überlegend zur Decke, dann erhellte sich seine Miene.
„Ich bin der Geist der Lampe“, versuchte er es noch einmal. „Ihr habt drei Wünsche frei und so sie nicht meine Macht übersteigen...“
„Es tut mir wirklich sehr leid“, unterbrach ihn Lebensaft. „Ich spreche nur irisches Gälisch und auch das nur noch bruchstückhaft. Das Kymrische ist mir gänzlich fremd.“
Sichtlich verärgert plusterte der Geist sich auf und versuchte es noch einmal.
„Ich bin der Geist der Lampe, jämmerlicher Sterblicher“, rief er, nun verständlich für Lebensaft. „Nenne deine Wünsche und belästige mich nicht weiter.“
„Das habe ich verstanden“, lächelte Lebensaft.
„Ups.“
„Mach dir nichts daraus.“ Lebensaft lächelte noch immer. „Das passiert den besten unter uns. Wie war das mit den drei Wünschen?“
„Ähm, einen kleinen Augenblick bitte, wie war das noch... ?“ Der Geist schien ein wenig aus der Fassung gebracht, wie Lebensaft mit nicht wenig Genugtuung bemerkte. „Ach ja, ihr habt drei Wünsche frei und so sie nicht meine Macht übersteigen, werde ich sie erfüllen.“
„Und wenn ich keine Wünsche erfüllt haben möchte?“
„Äh, wie bitte?“
„Was, wenn ich wunschlos glücklich wäre? Würdest du dann einfach wieder verschwinden, oder in deine Flasche zurückkehren, oder was immer Dschinns in ihrer Freizeit auch treiben mögen?“
„Das... ähm... keine Ahnung, das hat mich bisher noch niemand gefragt. Alle wollten immer ihre Wünsche erfüllt haben.“
„Ich verstehe. Bist du einer von den hinterlistigen Geistern? Ich meine, wenn ich mir etwas von dir wünsche und es in Erfüllung geht, hat das dann oft negative Konsequenzen?“
Der Geist kniff die Augen zusammen, so als ob er nachdächte, was er antworten sollte und sich Gedanken darüber machte als wie durchtrieben man diesen speziellen „jämmerlichen Sterblichen“ einschätzen musste.
„Man sollte seine Wünsche recht genau formulieren“, sagte der Geist vorsichtig. „Manch unvorsichtiger Wünscher hat schon Übles erlebt. Nicht umsonst sagt man: `Sei vorsichtig mit dem was du dir wünschst. Es könnte in Erfüllung gehen.“
„Also, ein klares Ja. Und muß ich meine Wünsche in einem einzigen Satz nennen, oder darf ich auch erklären worum es dabei genau geht?“
„Es genügt, wenn ihr einen einzigen Satz aussprecht, der mit `Ich wünsche´ beginnt.“
Nun versuchte der Geist offensichtlich hinterlistig zu sein. Er bot Lebensaft die eingeschränkte Möglichkeit, dass er nur einen einzigen Satz zur Verfügung hatte um seinen Wunsch auszusprechen, sozusagen als Dreingabe an, die sie bei näherer Betrachtung natürlich nicht war. Bei dieser Gelegenheit schoß es Lebensaft durch den Kopf, dass er mit dem Wort ´wünschen´ nicht so leichtfertig umgehen sollte.
„Mir scheint, dass du mich eigentlich Meister nennen solltest“, meinte Lebensaft. „Ich meine, wenn wir hier schon auf den alten Gepflogenheiten bestehen, könntest du mir doch den Gefallen tun, oder?“
„Wie ihr wünscht, Meister.“ Der Geist verneigte sich. „Wie kann ich euch zu Diensten sein?“
Lebensaft wusste, dass dies eine Falle war. Wenn er jetzt darauf pochte, dass er sich nichts gewünscht hatte, wie der Geist unterstellte, und zum Beispiel sagte: „Nein, ich wünsche nicht, dass du mich Meister nennst“, oder dergleichen, dann wäre der erste Wunsch futsch. Er musste höllisch aufpassen.
„Folgendermaßen“, sagte Lebensaft. „Ich werde dir zuerst die Bedingungen nennen unter denen ich den Wunsch erfüllt haben möchte. Danach werde ich dich fragen, ob du bereit bist und danach werde ich den Wunsch aussprechen und du wirst ihn genau so erfüllen, wie ich es dir gesagt habe. Versuch bitte nicht dich dumm zu stellen, oder mich irgendwie anders übers Ohr zu hauen. Klar?“
„Klar“, sagte der Geist ohne zu zögern, was Lebensaft stutzig machte. Was hatte der Dschinn vor?
„Dann aufgepasst“, sagte er nichtsdestotrotz. „Reichtum. Und zwar unauffällig und nicht zu steuerlastig. Ich möchte nicht plötzlich vor irgendein Gericht gezerrt werden, wo man mich bis aufs letzte Hemd auszieht und anschließend in den Schuldturm wirft, weil Vater Staat meint, er hätte Anspruch auf mein Geld. Alles soll ganz legal vonstatten gehen und ich bin auch gern bereit, das Staatssäckel zu bereichern, aber ich will nicht drei Viertel der Kohle hergeben müssen. Meine laufenden Kosten sollen gedeckt sein; sollte ich jemals Familie haben, sollen auch deren Kosten gedeckt sein. Der Teil der Familie, der jetzt schon existiert soll, wenn nötig, auch finanziell von mir unterstützt werden können. Und das wichtigste überhaupt ist: wenn ich mir etwas Teures in den Kopf gesetzt habe, will ich es mir jederzeit leisten können. Hast du das verstanden?“
Der Geist nickte.
„Bereit?“
Der Geist nickte abermals.
„Ich wünsche das du mir erfüllst, wozu du dich bereit erklärt hast.“
Lebensaft kam sich ob dieser Formulierung ziemlich klug vor. Schließlich hatte der Geist sich zu einigen Dingen bereit erklärt, aber nur nach einer Aufforderung hatte Lebensaft gefragt, ob der Geist bereit wäre. Sorgen machte ihm allerdings, dass der Dschinn so ungerührt war. Nun, schließlich hatte Lebensaft noch zwei weitere Wünsche und der Geist dachte wahrscheinlich, dass er ihn schon noch kriegen würde.
„Gewährt“, sagte der Dschinn und schnippte mit den Fingern.
Kurz blitzte in Lebensaft ein Anflug von schlechtem Gewissen darob auf, dass der Wunsch ziemlich egoistisch war. Auch der zweite Wunsch würde nicht weniger egoistisch sein, eher sogar noch mehr. Aber der dritte Wunsch würde, wenn alles gut ging, den Rest wettmachen. Schließlich hatte niemand von ihm verlangt, dass er ein Heiliger sein sollte.
„Hier ist mein zweiter Wunsch“, sagte Lebensaft. „Körperliche Gesundheit. Lass mich erklären, was das beinhaltet. Ich bin recht starker Raucher, daher möchte ich, dass die Teerflecken auf meiner Lunge verschwinden und nicht wieder auftauchen. Die zerstörten Zellen meiner Leber sollen erneuert werden, dasselbe gilt für mein Gehirn. Alle Knochenbrüche und Abnutzungserscheinungen in den Gelenken sollen verschwinden, als ob ich diesen Körper nicht schon seit über vierzig Jahren benutzen würde. Als Kind hatte ich Plattfüße und einen Haltungsschaden; ich will das es so ist, als hätte ich beides nie gehabt. Jede Narbe an meinem Körper und auch alle Tätowierungen sollen durch gesundes Gewebe ersetzt werden, außer meinem Nabel natürlich. Was tust du da?“
„Ich mache mir Notizen“, sagte der Geist mit leicht gehetztem Gesichtsausdruck. Er hatte eine Pergamentrolle und einen Federkiel erscheinen lassen und die Feder kratzte eifrig über das Leder. „Bitte fahrt fort, Meister.“
„Ähm, gut. Also weiter. Meine Zähne. Meine Zähne sollen so sein, als hätte ich sie nie benutzt, sauber, nicht abgenutzt, ohne Zahnstein oder Plomben und natürlich ohne Löcher. Außerdem sollen sie gerade sein und niemals eine Zahnspange brauchen oder Karies bekommen. Ich möchte, dass du meine Fehlsichtigkeit heilst und altersbedingter Fehlsichtigkeit vorbeugst. In den nächsten Monaten soll mein Körperfett unauffällig zurückgehen, dafür soll Muskelmasse ebenso unauffällig aufgebaut werden. Am Schluß möchte ich achtzig Kilo haben und in Topform sein. Ich möchte, dass du meine Arterien reinigst und meine Herzmuskeln stärkst. Genetisch bedingte Krankheiten sollen meine Generation und direkt von mir abstammende Kinder überspringen. Krebs, Aids und alle sonstigen unheilbaren Krankheiten sollen mich niemals heimsuchen. Keine Form von Sucht soll jemals Gewalt über mich erlangen können. Außerdem möchte ich, dass Wunden schneller heilen, dazu gehört auch folgendes: wenn man altert, dann greift der Sauerstoff in der Luft die Körperzellen an, man oxidiert sozusagen. Auch das soll geheilt werden. Hast du das? Lass mal sehen.“
Der Dschinn reichte Lebensaft das Pergament und dieser las es sich durch. Erstaunlicherweise konnte Lebensaft lesen was da geschrieben stand und es stimmte mit den von ihm diktierten Bedingungen überein.
„Gut“, sagte Lebensaft. Er behielt die Pergamentrolle wohlweislich in der Hand und sagte: „Ich wünsche, dass du mir erfüllst, was hier geschrieben steht.“
Der Geist wirkte diesmal viel weniger selbstsicher, als er mit den Fingern schnippte und sagte: „Gewährt.“ Lebensaft konnte spüren, wie gewisse Dinge in seinem Körper vorgingen, teilweise waren sie unangenehm, teilweise schmerzhaft und teilweise wunderbar. Hier konnte er endlich nachvollziehen, ob der Dschinn auch wirklich tat, was man ihm auftrug. Er ging zu einem Spiegel und lächelte hinein und seine Zähne waren genauso wie er sie sich vorgestellt hatte: gerade und weiß. Die Plomben und Löcher waren verschwunden und die empfindlichen Stellen schmerzten nicht mehr. Er konnte leichter durchatmen und er fühlte sich, als ob er ohne weiteres einen Marathonlauf durchhalten könnte. Lebensaft war begeistert – im wahrsten Sinne des Wortes.
Er nahm die Brille, die er nun nicht mehr brauchte, ab und drehte sich lächelnd zu dem Geist um, der sich in Erwartung des dritten Wunsches zu winden schien.
„Hier ist nun mein dritter Wunsch“, sagte Lebensaft. „Ich wünsche, dass du mir zehn weitere Wünsche gewährst.“
Der Geist ließ resigniert die Schultern hängen und legte kurz eine Hand vor die Augen.
„Na gut“, seufzte er schließlich und schnippte mit den Fingern.
„Na gut?“, echote Lebensaft. „Was ist mit ´Gewährt´ passiert?“
„Ihr habt zehn weitere Wünsche frei, Meister“, antwortete der Geist. „Bitte verspottet mich nicht auch noch.“
„Also gut“, sagte Lebensaft und rieb sich die Hände. „Weltfrieden. Liegt das in deiner Macht?“

Vier Jahre später lebte Lebensaft in einer Villa, die er nach seinen Vorstellungen hatte bauen lassen. Sie war vollgestopft mit allem was man sich nur wünschen konnte, aber Lebensaft war ein eher bescheidener Mensch und so hatte er einen Großteil der zehn Wünsche dazu aufgewandt, den Menschen zu helfen. Weltfrieden, oder die Beendigung des Welthungers lag nicht in der Macht des Geistes, wohl aber konnte er gewissen Leuten gewisse Denkanstöße geben und so waren im letzten Jahr mehrere Kriege für immer zu Ende gegangen, einige Politiker versuchten nicht mehr sich nur die eigenen Taschen vollzustopfen und Lebensaft finanzierte aus eigener Tasche verschiedene wohltätige Organisationen, die überaus effizient arbeiteten. Das lag daran, dass Lebensaft einen geradezu untrüglichen Instinkt hatte, was Menschen anging und immer die richtigen Leute in die richtigen Positionen setzte. Menschenkenntnis war sein fünfter Wunsch gewesen. Manchmal hielt er das für einen Fehler, Menschen konnten erschreckend sein.
Nichtsdestotrotz lief eigentlich alles so, wie er es sich vorgestellt hatte. Die Feindseligkeiten in Irland waren beendet, Großbritannien hatte auf einen Teil seines Hoheitsgebietes verzichtet und die Republik hatte ihre protestantischen Brüder in die Arme geschlossen. Israel hatte aufgehört Palästinenser zu töten und alle arabischen Staaten hatten mit Israel Frieden geschlossen. Alle Terroristen der Welt waren auf einen Schlag ausgeliefert und ihre Organisationen aufgelöst worden, während die USA in allen Bundesstaaten die Todesstrafe aufhoben. Die Weltbevölkerung explodierte jetzt noch schneller als zuvor, aber auf Lebensafts Betreiben hin hatten sich russische, afrikanische, europäische und amerikanische Wissenschaftler zusammengetan, um sich mit Dingen wie interstellarer Raumfahrt, Terraforming und dergleichen auseinanderzusetzen, um es der Menschheit zu ermöglichen, sich zu den Sternen aufzumachen. Zusammen hatten sie schon neue Triebwerke und einen revolutionären neuen Treibstoff erfunden, die bei größerer Effizienz größere Geschwindigkeiten ermöglichten – natürlich hatte auch hier der Geist seine Finger im Spiel. In zwei Monaten würden gleichzeitig vier Raumstationen im Weltall zusammengebaut werden, deren Aufgabe es war zuerst einen Weltraumlift zu bauen (das Material für das Kabel hatte ebenfalls der Dschinn entwickelt), um dann als Weltraumbahnhöfe zu dienen. In spätestens einem Jahr würden die ersten Siedler zum Mars aufbrechen, um dessen Pole zum Schmelzen zu bringen und so Wasservorräte und eine Atmosphäre zu schaffen. In zwanzig Jahren würde das Problem der Bevölkerungsexplosion gelöst sein.
Trotzdem war Lebensaft nicht zufrieden. In den letzten Jahren hatte er sicher hundert oder mehr Wünsche verbraucht und sein letzter war jeweils der nach zehn weiteren Wünschen gewesen. Langsam begann der Geist ihm leid zu tun. Auch hatte er, jetzt, nachdem ihm die Menschheit gerettet schien, den Wunsch nach persönlichem Glück. Und er hatte noch einen Wunsch frei.
„Sarah“, rief er nach dem Dschinn. Lebensafts achter Wunsch war es gewesen, dass der Geist menschliche Form annahm, und zwar die einer schönen Frau um die vierzig. Mit ein wenig Reue und Beschämtheit dachte er daran zurück, dass er den einen oder anderen Wunsch dazu aufgewandt hatte, mit Sarah das Bett zu teilen. Seltsamerweise schien ihr das nicht soviel auszumachen, wie er gedacht hatte. Sie hatte ihm sogar einmal gesagt, dass er dafür gar keinen Wunsch bräuchte, trotzdem hatte er es weiter so gehalten, alles andere wäre ihm seltsam vorgekommen.
Sarah kam aus dem Arbeitszimmer und setzt sich zu ihm auf die Couch.
„Ja, Meister?“
Lebensaft verzog das Gesicht.
„Es wäre mir lieber, wenn du mich beim Namen nennen würdest“, sagte er. „Ich bilde mir gerne ein, dass wir inzwischen so etwas wie Freunde geworden sind. Auch habe ich dir schon mehrmals gesagt, dass es mir so lieber wäre. Die Leute gucken schon, wenn du beim Einkaufen ´Meister´ zu mir sagst. Schließlich sind wir hier nicht bei ´Bezaubernde Jeannie´.“
Sarah lachte melodisch und legte eine Hand auf Lebensafts Arm.
„Ich will dich doch nur ärgern, Mordechai. Du machst es mir oft auch nicht gerade leicht. Du kannst ein schrecklicher Brummbär sein.“
Lebensaft lachte. Er konnte Sarah wirklich sehr gut leiden, darum schmerzte ihn umso mehr, was er gleich tun würde.
„Wie du weißt“, begann er, „habe ich nur noch einen Wunsch übrig, und ich möchte...“
„Zehn weitere Wünsche“, seufzte sie. „Schon gewährt.“
„Nein, nein“, sagt er, „das soll mein allerletzter Wunsch sein. Du sollst wissen, dass ich dich mag und dass ich dich nicht einfach so wegschicken möchte, aber ich glaube es wird Zeit, dass ich damit aufhöre dich auszunutzen. Ich möchte nur wissen, ob es dir gut gehen wird, wenn du wieder,... du weißt schon.“
„Ich... ich denke schon.“ Sarah schien enttäuscht. „Mach dir um mich keine Gedanken, ich komme zurecht. Wie lautet dein letzter Wunsch, Meister?“
Lebensafts Gesicht verzog sich schmerzerfüllt, als er die Kühle in ihrer Stimme hörte. Sarah stand auf und verschränkte die Arme. Sie war jetzt gekleidet wie eine Haremsdame und in ihrer Hand erschien ein Krummschwert.
„Mein letzter Wunsch.“ Lebensaft schluckte. Das hörte sich so endgültig an und er war drauf und dran das Ganze abzublasen, aber er wollte nicht mehr egoistisch sein. Nur noch einmal.
„Ich wünsche mir eine Frau, mit der ich für den Rest meines Lebens glücklich sein kann.“
Sarah und er hatten schon lange aufgehört dieses Spielchen mit den Formulierungen zu spielen.
„Gewährt“, sagte Sarah und seltsamerweise lächelte sie dabei. „Leb wohl.“
Sie schnippte mit den Fingern und war verschwunden. Die nächsten Stunden brachte Lebensaft damit zu nach der Lampe zu suchen, aber sie war nirgends zu finden. Irgendein glücklicher Mensch in einem entlegenen Teil der Welt mochte sie gerade auf einem Basar kaufen, oder bei einem Garagenverkauf. Lebensaft hoffte nur, dass derjenige die Lampe auch verdiente. Er seufzte, als es an der Tür klingelte.
„Guten Tag“, sagte die schöne Frau um die Vierzig, die vor seiner Haustür stand. „Ich bin gerade in das Haus gegenüber eingezogen und möchte mich vorstellen. Mein Name ist... „
„Sarah“, sagte Lebensaft und schloss sie in die Arme.
 

Dorian

Mitglied
Umschichtung

Bei näherer Betrachtung fällt mir auf, daß ich dieses Werk wohl doch eher in das Fantasy-Forum hätte posten sollen. Oder was meint ihr?

LG

Dorian
 

birdy

Mitglied
Hut ab !!

Hallo Dorian !

Was mir an Deiner Geschichte besonders auffält, ist, dass sie sehr, sehr gut durchdacht ist. Diese genauen Formulierungen der Wünsche kommen wohl nur jemandem in den Sinn, der sich mit Fantasy schon lange und intensiv beschäftigt. Somit "glaubt" man Mordechai sein Dasein als Fantasy-Autor.
Die Story hat Humor (war auch zu erwarten ;)), viel Phantasie, einen schönen Aufbau und einen Schuss Romantik (sind wohl die Frauen Schuld :)). Wenn die Geschichte nicht zu Deinen besseren Arbeiten zählt, dann solltest Du aber die guten mal einem Verleger schicken.
Um einen Text zu analysieren bin ich nicht der Geeignete. Ich kann nur sagen: Die Geschichte liest sich einfach gut!

Liebe Grüsse
birdy
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
ich

habe deine geschichte mit großem vergnügen gelesen. ich finde, sie kann hier ebensogut stehen wie bei fantasy. sie kommt in meine sammlung. ganz lieb grüßt
 

Dorian

Mitglied
Hallo Leute!

Entschuldigung, daß ich mich erst jetzt melde.

Danke für eure Kritiken, waren mal wieder Labsal für mein Ego. Kann ich im Moment auch brauchen.

Ich bin der Leselupe untreu geworden und habe den Text mal auf eine andere Seite gepostet, dabei kam heraus, daß einige Leute das Ende zu zahm finden, daß ein Knalleffekt fehlt.

Was meint ihr dazu?

LG

Dorian
 



 
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