Leidenschaft

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Karinina

Mitglied
Leidenschaft

Wir gingen am Fluss entlang, dort, wo das Gras hoch stand und saftig war. Wir hatten die Hosen hochgeschlagen und gingen barfuß und manchmal hielten wir uns an den Händen, aber nur zufällig, flüchtig, dann gingen wir wieder sorglos und unbekümmert.

Die Brücke lag weit vor uns und wir konnten ihren sanften Bogen sehen, etwas verhüllt vom Dunst des Morgens, ein bisschen rosa schimmernd in diesem frühen Licht, und wir dachten, wir würden sie vor der festgesetzten Stunde erreichen und Zeit haben, irgendwo am Fuße der Brücke zu frühstücken, es gab da diese kleinen Kioske, wie sie manchmal an Bahnhöfen zu finden sind.

Einmal sprang vor uns ein Hase aus dem hohen Gras, und Julek rannte ihm nach. Er rollte sich ins Gras und lachte, und ich fiel über ihn her, und wir balgten uns, und die Sonne stieg höher und höher.
Wir lagen lange im Grase, über uns wurde der Himmel sehr blau. Es waren wenige Wolken da, sie waren sehr weiß und flauschig und zerfahren, und wir dachten, es würde Sturm geben.

Manchmal kreisten Segelflieger über uns. Ganz lautlos schwebten sie unter dem hellen Blau und wir winkten ihnen und schrien, aber wir standen nicht auf, wir lagen sehr eng beieinander und küssten uns die ganze Zeit, und dann sahen wir, dass die Sonne weit oben über der Brücke stand und auf einmal wussten wir, wir würden niemals ankommen an dieser Brücke, vielleicht schwamm sie gegen den Strom, flussaufwärts, oder sie war etwas ganz anderes, eine Fata- Morgana, oder ein Traum nur, eine Narretei.

Das Gras war sehr hoch und sehr saftig. Wir lagen weich. Wir sahen alles von der Welt in diesem Gras und besonders den Himmel darüber und wir ließen einander nicht mehr los.

Es wurde Abend und Morgen und wieder Abend und wieder Morgen.

Als wir erwachten sahen wir, dass die Brücke verschwunden war. Nur der leere Bogen des Flusses lag vor uns.
Wir fühlten uns kalt und allein und neideten einander das letzte Stück Brot.
Wir gingen schnell auseinander.
 
liebe Karinina,

einen wirklich schönen Text hast du hier geschrieben. Zwei Menschen verlieben sich, sind blind vor lauter Liebe, aber alles wird einmal zur Gewohnheit. Man streitet, sieht keinen Sinn mehr in der Partnerschaft und es ist vorbei. Man scheidet von einander, leider fließt dann noch vielmals böses Blut, wenn's um das "wem gehört was" geht.

sehr gelungen, deine Umschreibungen.

schön Grüße

Gernot
 

Karinina

Mitglied
an Gernot

Ich danke Dir. Irgendwie bin ich glücklich, weil ich seit langem zum ersten mal etwas zu meinen Texten lesen kann. Ich sitze hier immer etwas allein herum und nun kann ich auch mal lesen, was andere schreiben. Prima für mich...
Karinina
 

Rumpelsstilzchen

Foren-Redakteur
Teammitglied
Wirklich hübsch und so kleidsam dicht metaphert!

Für eine Kurzgeschichte aber ein wenig zu viel Dichte: immerhin eine ganze Leidenschaft und zwei Stücke vom Leben! Unter dieser Last knirscht der Geschichten-Catwalk verdächtig. Ich schicke ich den Text mal auf den Kurzprosa-Steg, Franka steht auf solche Schwergewichte.
 

Mandelbaum

Mitglied
Danke, Karinina, deine Geschichte gefällt mir.
An einigen Stellen habe ich kleine Änderungsvorschläge. Ich füge sie ein.

Wir gingen am Fluss entlang, dort, wo das Gras hoch stand und saftig war. Wir hatten die Hosen hochgeschlagen und gingen barfuß und manchmal hielten wir uns an den Händen, aber nur zufällig, flüchtig, dann gingen wir wieder sorglos und unbekümmert.

Die Brücke lag weit vor uns und wir konnten ihren sanften Bogen sehen, etwas verhüllt vom Dunst des Morgens, [blue]ein bisschen (streichen)[/blue]rosa schimmernd in diesem frühen Licht, und wir dachten, wir würden sie vor der festgesetzten Stunde erreichen und Zeit haben, irgendwo am Fuße der Brücke zu frühstücken, es gab da diese kleinen Kioske, wie sie manchmal an Bahnhöfen zu finden sind.

Einmal sprang vor uns ein Hase aus dem hohen Gras, und Julek rannte ihm nach. Er rollte sich ins Gras und lachte, und ich fiel über ihn her, und wir balgten uns, und die Sonne stieg höher und höher.
Wir lagen lange im Grase, über uns wurde der Himmel sehr blau. Es waren wenige Wolken da, sie waren sehr weiß und flauschig und zerfahren, und wir dachten, es würde Sturm geben.

Manchmal kreisten Segelflieger über uns. Ganz lautlos schwebten sie unter dem hellen Blau und wir winkten ihnen und schrien, aber wir standen nicht auf, wir lagen sehr eng beieinander und küssten uns [blue]die ganze Zeit(streichen)[/blue], und dann sahen wir, dass die Sonne weit oben über der Brücke stand und auf einmal wussten wir, wir würden niemals ankommen an dieser Brücke, vielleicht schwamm sie gegen den Strom, [blue]flussaufwärts(streichen)[/blue], oder sie war etwas ganz anderes, eine Fata- Morgana, oder ein Traum nur, eine Narretei.

Das Gras war sehr hoch und sehr saftig. Wir lagen weich. Wir sahen alles von der Welt in diesem Gras und besonders den Himmel darüber und wir ließen einander nicht mehr los.

Es wurde Abend und Morgen und wieder Abend und wieder Morgen.

Als wir erwachten sahen wir, dass die Brücke verschwunden war. Nur der leere Bogen des Flusses lag vor uns.
Wir fühlten uns kalt und allein und neideten einander das letzte Stück Brot.
Wir gingen schnell auseinander.

LG Mandelbaum
 

nachts

Mitglied
Der gefällt mir dein Text, und er fließt wie der Fluß - und fröhlich kommt er mal daher, melancholisch und ein bisschen traurig

LG Nachts
 

Wipfel

Mitglied
guten abend,

ein schöner, wenngleich nicht meisterlicher text. in dem kurzen stück zählte ich 6 x das wort Gras. sooft brauch es das nicht...
auch ich würde streichen, was der text nicht unbedingt braucht.

LG von wipfel
 

Karinina

Mitglied
für nachts und Wipfel

Ich danke Euch. Möglich, dass das Gras zu viel ist, es ist nur so, das für mich die bestimmte Stimmung transportiert, aber ich kann mich auch irren.
L.G. Karinina
 

presque_rien

Mitglied
Gefällt mir sehr gut, dieser Text, auch wenn ich ihn anders interpretiere als Gernot. Ich muss an das berühmte Zitat von Saint-Ex denken, dass Verliebte einander anschauen, während Liebende in die gleiche Richtung blicken. Ich finde es aber sehr schön, dass der Text keine Stellung bezieht, sondern nur beschreibt, und es dem Leser überlässt, darüber nachzudenken, welchen Preis bzw. welchen Wert intensive Gefühle im Verhältnis zu anderen Dingen haben. Interessant auch der Hase --> Ich denke an Alice, die sich im Wunderland verirrt.
 

Karinina

Mitglied
Ich danke Dir, da gehst Du ja um einiges freundlicher mit mir um, als bei meinem Gedicht. Und nun werde ich mich mal nach Deinen Texten umsehen.
Einen lieben Gruß von Karinina
 

Clara

Mitglied
toll - bin hin und weg
auch wenn ich kurz mal dachte, es handle sich um kinder - die balgen und tollen.

sehr schönes ende - von der leiden-schafft

eine sache lässt mich doch noch stolpern
die Brücke und ihr Bogen - am Beginn - sagt mir die Brücke hat einen Bogen-
am Ende wird vom Bogen des Flusses geschrieben


Gras- Wiese, das Grün - man könnte schon mal wechseln
 

Karinina

Mitglied
Liebe Clara, danke, es freut sehr, wenn es jemanden gefällt. Übrigens stimmt es: Die Brücke hat einen Bogen und der Fluss auch, hätte deutlicher sein können. Leider haben die meisten meiner Geschichten das viele Gras, es gibt so bestimmte Assoziationen, die man irgendwie nicht los wird, da kann man dagegen anschreiben, wie man will. Ach Gras, mein Gras, wie lieb ich dich...Übrigens müsste ich jetzt sagen: Wo bist du geblieben, denn ich weiß gar nicht mehr, wann ich das letzte Mal im Gras gelegen habe. Schade.
L.G. Karinina
 

Clara

Mitglied
ich hoffe mal nicht, das das Gras gepresst in kleinen Packeten ist-war.
das ging mir nämlich noch durch den sinn, high sein.
 
U

USch

Gast
Hallo Karinina,

erst die Leidenschaft und dann das Leiden schafft. Ersteres schilderst du bildhaft ausführlicher und dann brichts in Kurzform auseinander. So überwiegt das Schöne in der kurzen Geschichte, die wahrscheinlich länger anhielt oder anhalten sollte. Schön geschrieben und offen für Phantasie.

LG USch
 

rag

Mitglied
Ich suche mir zum lesen immer nur schöne Texte aus - so wie deinen.
Liebe Grüße aus Hamburg
 



 
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