Letzte Beichte

ulgess

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Das Ende des W. war absehbar, und so hatte man sich entschlossen, den Pfarrer kommen zu lassen, um dem Sterbenden die Krankensalbung oder, wie es zu der damaligen Zeit hieß, die letzte Ölung geben zu lassen.
Der Pfarrer betrat das Krankenzimmer und bat die Anwesenden hinauszugehen, damit er vor der Salbung die Beichte abnehmen konnte.
W. machte das Kreuzeszeichen und begann leise, kaum hörbar: Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Pfarrer:Gott, der unser Herz erleuchtet, schenke dir wahre Erkenntnis deiner Sünden und Seiner Barmherzigkeit.
W., du weißt, dass dein Leben bald ein Ende hat. Du warst früher ein lustiger und immer beliebter junger Bursche, aber seit mehr als zwanzig Jahren wirkst du verschlossen, mürrisch, warst oft ungerecht.
W. schweigt.
Pfarrer: Du stehst bald vor deinem Schöpfer, da musst du vorher alle deine schweren Sünden bekennen.
W. (nach einer Weile): Ich habe gesündigt (wieder Schweigen)
Pfarrer: Bitte, mein Sohn, sprich, nur so können die Sünden vergeben werden.
W: Ich war es auf der Schwarztannenhöhe (geografischer Name geändert).
Pfarrer: Du? Etwa Du? Im Jahr 1930?
W: Ich war zum Holzmachen.Da habe ich zuerst nur eine gesehen, nur eine.
Pfarrer: Es waren doch zwei!
W.: Ich wollte nichts Schlimmes... (Stocken, dann wieder Schweigen)
Pfarrer: schweigt auch, die Hände zittern,nach einer Weile: und dann?
W.: Dann habe ich die andere kommen sehen, sie hat mich zunächst nicht gesehen. Die erste habe ich dann in das Gebüsch gezerrt und den Mund zugehalten. Sie hat nichts mehr gesagt. Die andere kam, schrie. Ich habe dann die Axt genommen und zugeschlagen.
Pfarrer: beide gleich tot?
W.: Weiß nicht, bin sofort weg.
Der Pfarrer wischt sich den Schweiß von der Stirn. Nach einer Weile leise vor sich hinredend: Gott, barmherziger Vater, was mache ich? Dann laut zu W.: Du stehst bald vor Gottes Thron. Bereust du?
W.: Ich wollte, dass alle tot sind, ich, das ganze Dorf, und auch Gott, vor dessen Angesicht ich nicht treten will, und auch Jesus Christus, Maria und alle Heiligen.
Pfarrer: Steht auf, hebt fast drohend die Hand, setzt sich wieder und schweigt. Nach einer Weile: Ich frage dich wieder, ob du bereust.
W.: (leise, immer schwächer) Ich bereue die Tat, ich bereue aber noch mehr, dass ich geboren wurde.
Der Pfarrer, leise, weiß offensichtlich nicht, was er tun und sagen soll. Ein Reuegebet kann der Sterbende nicht mehr sprechen. Schließlich der Pfarrer: Ego te absolvo, tupft geweihtes Öl auf die Stirn und verlässt, ohne sich noch einmal umzudrehen, das Zimmer.
Im Dorf wurde berichtet, dass der Pfarrer schweigsam mit verstörtem Gesicht das Sterbehaus verlassen habe.

Der Mord an den beiden Lehrerinnen aus Mannheim wurde letztendlich nicht aufgeklärt.
Staatarchiv in F., Bestand Landgericht.
 



 
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