Liebe die nur Warten kennt - überarbeitet

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Lyricahp

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Mein Blick gleitet durch das schmale Fenster. Ich sehe den kleinen Feldweg, und die Berge mit ihrer monumentalen Gewalt. Sie sind bewachsen mit kleinen Waldschonungen. Ich höre nichts als das Rauschen der Wälder und das Zwitschern der Vögel. Aber einmal am Tage kommt das Postauto. Es hupt und das Hupen ist wie ein Aufschrei in meinen Inneren. Jedes Mal verlasse ich dann mit eiligen Schritten meine kleine Hütte. Ich schlage die quietschende Tür hinter mir zu. Meine Füße gehen eilig über den staubigen Weg. Ich lasse dann alles in der Hütte hinter mir. Die Wust von Papier und meine Gedanken. Oft trage ich nichts weiter als meinen olivefarbenen Morgenmantel. Meine Füße sind dann noch nackt. Meine Augen starren dann unentwegt zu diesem Postauto. Wird es diesmal halten und meinen unerfüllten Traum verwirklichen. Werde ich diesmal meine Nachricht der Liebe erhalten. Aber nein, das Postauto fährt jedes Mal langsam kriechend vorbei. Es macht nie Anstalten zu halten und meine Sehnsucht zu stillen. So geht es schon lange. Ich weiß nicht mehr wie lange. Erst waren es Tage, ja dann Wochen, ich habe aufgehört die Tage zu zählen. Ich gehe enttäuscht in meine Hütte zurück.
Ich gehe zurück zu meinem immerzu wachsenden Stapel beschriebenem Papier, zurück zu meiner kleinen schummrigen Leuchte, zurück in meine selbst gewählte Einsamkeit und meinen Gedanken. Oft beginne ich danach zu schreiben. Ich fülle die noch leeren Seiten Papier mit meinen traurigen Gedanken und meiner Sehnsucht. Ich habe viele traurige Gedanken, also fülle ich auch viel leeres Papier. Und je weiter die Zeit schreitet, ja, je weiter ich unentwegt auf das Hupen des Postautos warte, um so trauriger werden meine Gedanken, und um so mehr Papier fülle ich mit traurigen Gedanken. Die Zeit ist für mich nur noch ein Begriff ohne Inhalt. Ich erlebe Zeit nur noch am Wachsen meines Papierstapels.
Der Tag wechselt mit der Nacht. Die Nacht wechselt mit dem Tag. Das Postauto fährt vorbei und mein unbeschriebenes Papier neigt sich dem Ende zu.
Aber dann.......
Ich halte die letzte Seite unbeschriebenes Papier in der Hand. Mein Stift schreibt die letzten Worte auf dieses Papier:

Liebe, die nur Warten und Sehnsucht kennt, ist keine Liebe

Ich lege sorgfältig diese letzte Seite in meine bereits gepackte Reisetasche zu den anderen vollgeschriebenen Seiten. Ich spüre beim Schließen der Tasche eine große seelische Erleichterung und ich kann wieder frei atmen. Schnell greife ich die Tasche und verlasse fluchtartig meine selbst gewählte Einsamkeit. Ich höre das Singen der Vögel und es klingt wie eine Aufforderung; Geh! Geh!
Ich renne fast über den staubigen Weg und da, das Postauto. Es hupt und hält. Ich sehe den schmalen Umschlag in der Hand des jungen Postbeamten. Ich blicke in sein Lächeln, als er ihn mir reichen will. Aber ich gehe vorbei und ignoriere sein Lächeln und diesen zu lang ersehnten Brief. Ich ignoriere diesen Brief, auf den ich Wochen gewartet habe, gewartet und einen Stapel Papier mit meinen Gefühlen beschrieben habe.
Meine Sehnsucht ist auf einem Stapel Papier niedergeschrieben. Jetzt liegt er gut verstaut in meiner Reisetasche. So soll es auch bleiben.
Wenn ich sie irgendwann einmal daraus befreie, werde ich in einer bittersüßen Erinnerung an sie zurückdenken.

Liebe, die nur Warten und Sehnsucht kennt, ist keine Liebe.

Kati Simona

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