Liebes Tagebuch,

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Tagebucheintrag, Samstag 06. September 2008


So, Wohnung blitz und blinkt, Kaffee dampft neben mir und die Uhr hat noch keine Zwei geschlagen. Jetzt gibt's keine Ausrede mehr, die Geschichte aus dem Fitnessstudio ungeschrieben zu lassen. Streng genommen darf man in ein Tagebuch ja keine Erlebnisse von einem Tag jenseits von heute reinschrieben, aber pfeif drauf. Regeln gelten vielleicht für den grauen Durchschnitsspöblisten, aber nicht für einen Künstler wie mich. Wohl an!


Vorvorgestern hatte ich mich mal wieder entschieden mit dem Schicksal zu hadern. Mein Leben war mir zu öde, mein Gesicht zu alt, mein Körper nicht alabastern genug. Missmutig sah ich einem stinklangweiligen Restleben ins Auge, an dessen Ende, kaum verscharrt, man mich nach drei Tagen schon vergessen haben würde. "Paule? Ist mir kein Begriff. Was soll der gewesen sein? Schriftsteller?".

Mit der Gewissheit im Bauch, dass es das wohl nun gewesen ist, ging ich ins Fitnessstudio. Wenn schon unglamourös abtreten, dann doch wenigstens gesund. Mein Lieblingsrudergerät war frei und ich hatte diesmal meinen MP3-Spieler nicht im Spint vergessen. Das Studio war genau richtig besetzt. Nicht zu voll, nicht zu lehr, die Mädels hübsch und verschwitzt, die Jungs nicht schöner als ich. Ich wurde misstrauisch. Wer wollte mir da meine feine Alltagsdepression nehmen? Mein Lieblingsrudergerät ist deshalb mein Lieblingsrudergerät, da es a) direkt am gekippten Terrassenfenster steht und so ausreichend mit frischer Luft versorgt wird und b) den besten Blick auf die Laufbänder freigibt. Es ist wirklich nicht einfach mit einem guten Hörbuch im Ohr und freiem Blick auf die muskulösen Rückansichten schweißglänzender Sportskameradinnen, eine Mittwochschwermut aufrecht zu halten. Ich versuchte es noch ein bisschen, indem ich den Thomas Mann im Ohr mit meinen lächerlichen Schreibversuchen verglich.

Exakt in dem Moment, als es mir wieder gelingen wollte, meine vormittäglichen Verzweiflungszustand zurück zu erlangen, schaltete jemand den Flachbildmonitor an der Wand auf von Eurosport auf NTV um. Zwischen der blonden 22-Jährigen mit dem rosa Venice-Beach-Top und der brünetten mit Marmorhintern konnte ich nun statt stinkreichen Tennisassen in Flushing Meadows schwarzen Babys mit ausdruckslosen Gesichtern und Schmeißfliegen um die geröteten Augen beim Verhungern zuschauen.

Dem Nächsten, der meint, unser Leben hier schlimm zu finden, dem zimmer ich so was von eins in die Fresse…
 
Tagebucheintrag, Samstag 06. September 2008


So, Wohnung blitz und blinkt, Kaffee dampft neben mir und die Uhr hat noch keine Zwei geschlagen. Jetzt gibt's keine Ausrede mehr, die Geschichte aus dem Fitnessstudio ungeschrieben zu lassen. Streng genommen darf man in ein Tagebuch ja keine Erlebnisse von einem Tag jenseits von heute reinschrieben, aber pfeif drauf. Regeln gelten vielleicht für den grauen Durchschnitsspöblisten, aber nicht für einen Künstler wie mich. Wohl an!


Vorvorgestern hatte ich mich mal wieder entschieden mit dem Schicksal zu hadern. Mein Leben war mir zu öde, mein Gesicht zu alt, mein Körper nicht alabastern genug. Missmutig sah ich einem stinklangweiligen Restleben ins Auge, an dessen Ende, kaum verscharrt, man mich nach drei Tagen schon vergessen haben würde. "Paule? Ist mir kein Begriff. Was soll der gewesen sein? Schriftsteller?".

Mit der Gewissheit im Bauch, dass es das wohl nun gewesen ist, ging ich ins Fitnessstudio. Wenn schon unglamourös abtreten, dann doch wenigstens gesund. Mein Lieblingsrudergerät war frei und ich hatte diesmal meinen MP3-Spieler nicht im Spint vergessen. Das Studio war genau richtig besetzt. Nicht zu voll, nicht zu leer, die Mädels hübsch und verschwitzt, die Jungs nicht schöner als ich. Ich wurde misstrauisch. Wer wollte mir da meine feine Alltagsdepression nehmen? Mein Lieblingsrudergerät ist deshalb mein Lieblingsrudergerät, da es a) direkt am gekippten Terrassenfenster steht und so ausreichend mit frischer Luft versorgt wird und b) den besten Blick auf die Laufbänder freigibt. Es ist wirklich nicht einfach mit einem guten Hörbuch im Ohr und freiem Blick auf die muskulösen Rückansichten schweißglänzender Sportskameradinnen, eine Mittwochschwermut aufrecht zu halten. Ich versuchte es noch ein bisschen, indem ich den Thomas Mann im Ohr mit meinen lächerlichen Schreibversuchen verglich.

Exakt in dem Moment, als es mir wieder gelingen wollte, meine vormittäglichen Verzweiflungszustand zurück zu erlangen, schaltete jemand den Flachbildmonitor an der Wand auf von Eurosport auf NTV um. Zwischen der blonden 22-Jährigen mit dem rosa Venice-Beach-Top und der brünetten mit Marmorhintern konnte ich nun statt stinkreichen Tennisassen in Flushing Meadows schwarzen Babys mit ausdruckslosen Gesichtern und Schmeißfliegen um die geröteten Augen beim Verhungern zuschauen.

Dem Nächsten, der meint, unser Leben hier schlimm zu finden, dem zimmer ich so was von eins in die Fresse…
 
L

Lee

Gast
Ja, so Spontankrisen sind schon ein Schlag ins Gewissen sofern man eins hat.

Der Schlußsatz hat mir aber nicht gefallen. Besser wäre statt

"Dem Nächsten, der meint, unser Leben hier schlimm zu finden, dem zimmer ich so was von eins in die Fresse…"

zu schreiben (irgendwas in der Art wie):

"Das nächste Mal, wenn ich mein Leben hier schlimm finden sollte, hämmere ich meinen Kopf gegen die Wand...(oder lass mir eins in die Fresse hauen.)"

LG, Lee
 

Retep

Mitglied
Hallo Paule,

letzthin hätte ich auch fast einen Tagebucheintrag in diese Richtung gemacht.
Sah ich im Fernsehen doch zuerst eine Sendung über Menschen in Afrika, die Dreck mit Speiseöl vermischen, um ihre Mägen zu füllen!
Anschließend sah ich, dass deutsche Tierärzte den Greifvögeln steinreicher Scheichs für viel Geld Federn inplantieren.
Wahnsinn!

Retep
 

jon

Mitglied
Teammitglied
Tagebucheintrag, Samstag 06. September 2008


So, Wohnung blitz und blinkt, Kaffee dampft neben mir und die Uhr hat noch keine Zwei geschlagen. Jetzt gibt's keine Ausrede mehr, die Geschichte aus dem Fitnessstudio ungeschrieben zu lassen. Streng genommen darf man in ein Tagebuch ja keine Erlebnisse von einem Tag jenseits von heute reinschrieben, aber pfeif drauf. Regeln gelten vielleicht für den grauen Durchschnitsspöblisten, aber nicht für einen Künstler wie mich. Wohl an!
Warum ist der erste Absatz fett?
Wer behauptet, dass man Tagebuch nur im "was heute passierte"-Stil schreiben darf/soll?
Durchschnittspöblist (was immer das sein soll)

Vorvorgestern hatte ich mich mal wieder entschieden[red]Komma[/red] mit dem Schicksal zu hadern. Mein Leben war mir zu öde, mein Gesicht zu alt, mein Körper nicht alabastern genug. Missmutig sah ich einem stinklangweiligen Restleben ins Auge, an dessen Ende, kaum verscharrt, man mich nach drei Tagen schon vergessen haben würde. "Paule? Ist mir kein Begriff. Was soll der gewesen sein? Schriftsteller?".
"Gern" gemachter Fehler, der den meisten Lesern aber kaum auffallen dürfte: "Kaum verscharrt" bezieht sich (grammatisch streng genommen) auf das Subjekt des (Neben-)Satzes und das ist hier "man". Nun kann jemand, der seit drei Tagen verscharrt ist, wahrscheinlich nicht mehr viel tun, auch nicht vergessen. Eventuell könnte man "kaum verscharrt" aufgrund der Position im Satz auch auf "das Ende des Restlebens" beziehen – auch nicht viel sinnvoller. Nur auf "ich" lässt sich es sich – grammatisch – nicht beziehen. Aber da die Leser das inhaltlich doch tun, sei diese hier nur mal so als Hinweis geschrieben, dass solche Konstrukte Fallen darstellen

Mein Lieblingsrudergerät war frei und ich hatte diesmal meinen MP3-Spieler nicht im Spint vergessen.
Spind

Mein Lieblingsrudergerät ist deshalb mein Lieblingsrudergerät, da es a) direkt am gekippten Terrassenfenster steht und so ausreichend mit frischer Luft versorgt wird und b) den besten Blick auf die Laufbänder freigibt.
Es ist deshalb das Leiblingsgerät, weil … ODER Da es … benutzte ich es am liebsten.
Wozu muss ein Rudergerät mit frischer Luft versorgt werden?

Es ist wirklich nicht einfach[red]Komma[/red] mit einem guten Hörbuch im Ohr und freiem Blick auf die muskulösen Rückansichten schweißglänzender Sportskameradinnen, eine Mittwochschwermut aufrecht zu halten.
Ich versuchte es noch ein bisschen, indem ich den Thomas Mann im Ohr mit meinen lächerlichen Schreibversuchen verglich.
Die doppelte "im Ohr"-Formulierung störte mich, sie wirkt ein bisschen wie "mir ist nichts anderes eingefallen".

Exakt in dem Moment, als es mir wieder gelingen wollte, meine vormittäglichen Verzweiflungszustand zurück zu erlangen,
meinen
Vorhin bei "Mittwochschwermut" bin ich schon gestolpert, weil ich mich fragte, ob der Mittwoch irgendwie generell für Schwermut gebucht ist, vor allem, da noch weiter vorn von "Alltagsdepression" die Rede ist. Jetzt kommt noch "vormittäglich" dazu – langsam aber sicher wirkt das manieristisch.

… schaltete jemand den Flachbildmonitor an der Wand auf von Eurosport auf NTV um. Zwischen der blonden 22-Jährigen mit dem rosa Venice-Beach-Top und der brünetten mit Marmorhintern konnte ich nun statt stinkreichen Tennisassen in Flushing Meadows schwarzen Babys mit ausdruckslosen Gesichtern und Schmeißfliegen um die geröteten Augen beim Verhungern zuschauen.
und der Brünetten

Dem Nächsten, der meint, unser Leben hier schlimm zu finden, dem zimmer ich so was von eins in die Fresse…
Also wer nur meint, das Leben schlimm zu finden, der ist doch noch "harmlos". Schlimm sind die, die es wirklich schlimm finden. (Obwohl man das wohl deutlich auf die Art "schlimm" beziehen muss, die im Text vorher gezeichnet wird. Denn es ist durchaus schlimm, dass auch bei uns Menschen hungern. Oder in die Pfanne gehauen werden und dabei Brot und Dach verlieren. Oder … Aber das ist Inhaltsdiskussion und gehört nicht hierher.)
 



 
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