Liebste!oder Brief an eine Unbekannte

Markus Veith

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Liebste!
oder
Brief an eine Unbekannte

Es gab Frauen, die waren nichts für mich.
Es gibt Frauen, die werden für mich nie etwas sein.
Doch daß es dich niemals gegeben hat,
das werde ich dir niemals verzeih'n.

Ich schreibe Dir, um dir zu sagen, was ich Dir nie sagen konnte.
Ich weiß nicht, ob Du es verstehen wirst.
Ich weiß nicht, ob ich es verstehen werde.
Ich weiß aber auch nicht, ob ich die Welt noch verstehe.

Erst glaubte ich zu wissen, daß ich allein war.
Dann glaubte ich zu meinen und merkte zu verstehen und zweifelte an der Vermutung und kam zu dem Schluß, wo kein Ende abzusehen war.
Ich hätte mich die ganze Zeit über nackt fühlen müssen.

Groß denken. Klein lieben.
Aber ich will nicht von Liebe reden.
Doch ich muß.
Also schreibt man einen dieser Briefe, die man dann ein erstes Nochmal liest und daraufhin ein weiteres Mal schreibt und aus Unlust vor weiteren Nochmals ganz schnell verschickt und dies bereut, sobald das Kuvert die Finger durch den gelben Schlitz verlassen haben.
Aber an wen?!?!? An Dich? Wo bist Du?!?!
Wo bist du denn schon?
Ich überlasse die Breife ihren wirren, letzten Punkten und sperrre sie in den tiefsten Tiefen des Schreibtischkerkers ein.
Wer fragt bei Poesie schon nach Sinn? Poesie bringt man nur mit Glanzbildern und triefenden Weisheiten in Verbindung.

Manchmal renne ich durch die Städte und verstecke mich in der Menge.
Ich suche Dich dort in den Ecken und Winkeln der gemeinen Menschheit, die in der Gegend herumsteht und starrt und mich bespucken möchte.
Aber sie kann mich nicht treffen. Ich bin flink unter ihren Augen.
Ich suche Dich, um nicht gefunden zu werden. Frage die Leute, die mich ständig nie erreichen.
Als Verrückter halte ich mich recht gut.
Ich bin des Königs Narr und kämpfe um das Herz der Königin.

Du warst nie da, wenn ich Dich brauchte.
Und doch würde ich sofort alles für Dich tun.
Und dann noch einmal. Wieder und wieder.
Du würdest - vielleicht - sagen, daß ich das jetzt einfach so sagen würde?
Ich kann gar nicht lügen. Was glaubst Du, warum ich bei "Mäxchen"-Spielen immer verliere?
Teste deinen treuen Diener, der Dir endlich dienen will.
Es sehnt mich nach Deiner nie gehörten, jedoch mit jeder Nuonce genau bestimmten Stimme. Nach ihrem wohligen Klang, der mir im Kopf herumschwingt.
Deine Stimme mit den grünen Augen, mit deiner kleinen Nase ohne Rouge. Deine Stimme mit den schönen Zähnen, den Lippen, die man so kraftvoll spürt.
Deine Stimme, mit den langen Wimpern und den empfindlichen Ohren.
Deine Stimme, mit der zarten Haut und mit den Grübchen, dort, wo ich sie haben möchte.
Deine schöne Stimme, aus der sich Dein Haar lang auf Deine Schultern herabwellt, so voll und so strähnig duftend nach Frühling und Freiheit, nach dem Himmel und ein bißchen auch nach Festiger.
So tief und so lang wallt es herab, kein Ende abzusehen, so daß meine Hände es niemals ganz fassen können, bis hinab auf die entweder verdeckten oder hoffendlich auch nicht verdeckten Grübchen deiner Lendenwirbelsäule.
Und deine Hüften, die doch und gerade so breit sind, so beweglich, so verlockend lockend, daß sie mir schier die Sinne rauben und ich sie kaum suchen gehe, da sie mir allgegenwärtig geworden sind.
Deine herrlich vollen Brüste, die nicht unerwähnt bleiben dürfen, da sie so perfekt in meinen Händen zu liegen kommen könnten, wenn sie gelegt werden würden, doch ... - Ach! -
Wenn wir uns doch jemals geliebt hätten!!!!!
Wenn wir uns geliebt hätten, unter den blühenden Kirschbäumen meiner Träume und die Blüten regneten wie in den kitschigsten Romantikfilmen auf uns nieder und deckten uns zu.
Als wir uns heftig liebten, auf der schleudernden Waschmaschine in den benebelten Weinnächten meiner Wohnung.
Als wir es in den Hinterhöfen zwischen den siffigen Mülltonnen trieben, frei für die Blicke der Nachbarschaft, die es nicht geben konnte, da es auch nichts zu sehen gab.
Und während der lustlosen Spaziergängen des Sommers, inmitten der hohen Weizenfeldernachmittage, wo wir unsere gewaltige Lust der Sonne ... hätten entgegenschreien können!!!! Der Wald hätte sich auf uns entlauben können, da er unsere ungezügelte Nacktheit für unzüchtig gehalten hätte!!!!
Gefesselt an den Rändern des Alls!
Galaxien im Akt wundstoßend!
Universen überflutend!
Welten zeugend!
Als wir das alles hätten machen können,
... wenn es uns jemals gegeben hätte ...
was wäre dann mit uns geschehen.
Wir wären verglüht.

So viel Wärme zu verschenken.
So viel Hitze zu vergeuden.
So viel Wärme, die mit jedem übergezogenen Pullover,
mit jedem Fortwefen einer Decke einfach ins Kalte verpufft.
Wo geht sowas hin? Gibt es Nachtspeicher für Liebe?

Für Dich wäre ich jederzeit gestorben.
Immer wieder wäre ich für dich neu geboren worden.
In der Welt vor meiner Geburt hätte ich Dich vor mir an der Zitze der Wölfin saugen lassen.
Nach meinem Tod würde ich Dir den Weg weisen, wie auch immer er aussehen mag. Und sei es Styx oder andere reißende Flüsse - Vergiß alle Fährmänner! - Alles Stümper. Mein Boot wäre sicherer als alle anderen.
Und lang, lange danach - was auch immer danach sein werden soll - da werde ich da sein.
Ich werde mir alle Mühe geben, da zu sein, wo auch immer und wann auch immer.
Endlich könnte ich mich bemühen, da zu sein.
Würde ich wissen, daß mein Tot dein Leben voraussetzt - Nichts würde mir so leicht von der Hand rutschten, wie mein Leben.
Mit dem Schleudersitz würde ich in die Hölle fliegen, um dich wieder dort herauszusprengen.
- Wenn es nötig wäre. - Wenn es nötig werden ... könnte.
Allein deine Existenz würde es nötig werden lassen.
Doch hier würde immer der Haken sein.
Würde. Würde. Zuviel der Würde.

Ich habe die Leute nach Dir angeschrien, ob sie Dich kennen.
Nein, sagten sie.
Nein, haben sie immer gesagt.
Nein, das sei doch klar.
Solch eine gibt es nicht.
Was Sie sich da nur einbilden?
So eine kann es doch gar nicht geben.
Was machen sie sich da nur für Illusionen?
- Nein. - Das haben sie immer zu mir gesagt.
Was immer sie auch zu mir gesagt haben: Immer nur Nein.

Manchmal rannte ich durch die Stadt.
Manchmal segelte ich um die Sonne.
Manchmal taute ich die Pole mit meinem Leib.
Manchmal buddelte ich mich zum Mittelpunkt meiner Welt.
Wo, wenn nicht dort, hättest du sonst sein können?

Aber hin und wieder habe ich doch tatsächlich geglaubt, Dich zu entdecken.
Ich habe so deutlich Dein Gesicht gesehen, wie man es in den Formen der dahinziehenden Wolken nur erkennen kann.
Ich sah Dich in den Spuren an diversen Stränden. Als Ballerina in meinen Tiefschlafträumen.
Du reserviertest Tickets extra für mich in der ersten Reihe. Noch vor dem Fernsehen.
Ich erahnte Dein mir so überhaupt nicht und doch vollkommen vertrautes Antlitz hinter den zärtlich verdeckenden weiblichen Schals des Winters.
Du nageltest meinen Blick an die schlechten Fotographien von Urlaubskatalogen.
An die falschen Momentaufnahmen der Foto-Love-Storys von Jugend-Zeitschriften.
An die optischen Täuschungen von Landschaftsaufnahmen.
Dein Gesicht segelte durch mein Leben wie eine Taube auf der Suche nach Land.
Ich sah Dich. Wenn ich lange verträumt in eine Kerzenflamme geschaut habe.
Wenn ich meinen Becher leerte schautest du mich aus der Neige an.
Wenn ich betrunken in der Zukunft wühlte.
Oder aber ich entdeckte Dich mitten im Irgendwo.
Ob wächsern, in den Visagen der Modedummies an den verruchten, verrenkten, materialistisch anheimelnden Fensterfronten im Sperrfeuer des hechlenden, nasenplattgedrückten Pöbels.
Ob arrogant oder heroisch, lüstern oder erotisch, weinerlich oder stark, gierig oder ärmlich, melancholisch oder majestätisch, so doch immer auch über allem Zweifel erhaben, auf sämtlichen Filmplakaten des Cinekosmos.
Und ich bemerkte. Oh, Liebste, so viele Gesichter hast du.
Ich erhoffte Dich an jeder Haltestelle und an jeder Lebensstation.
Ich glaubte, deine von mir so unbekannt geliebte Gestalt unter den vielen sanft dahinwehenden Sommerkleidern.
Wie oft meinte ich im Gedränge Deinen Gang zu sehen, deine Schritte zu hören?
Wie oft wollte ich den just erspähten und erkannt geglaubten Rücken anhalten?
Aber du warst es nie. Immer mußte ich mich für eine Verwechslung entschuldigen. Ich hätte es wissen müssen.
Du bist die Süßigkeitenbombe, an die man nicht drankommt.
Ich habe Dich an viel zu vielen Orten gefunden. Überall dort konntest Du gar nicht sein.
So viele Häfen gibt es nicht.

Ich hätte gewußt, wie Kater schnurren.
Ich hätte gewußt, warum Espenlaub zittert.
Deinem Atem wollte ich erblindet folgen. - Hättest Du doch je geatmet.
Ich wollte Dich trösten, wenn Du traurig gewesen wärst. Aber Du warst ja nie traurig.
Nicht, daß ich ich das je gewollt hätte. Ich wollte nur, daß Du mich tröstest, weil Du nie traurig warst.
Ich nehme meine Liebe auf Lunge, um nicht daran zu ersticken.

Die längste Single nimmt ein Ende. Aber diese liegt in einem Gerät mit Titelwiederholung.
Warum tut dieses Lied mir so weh? Ich kann mich nicht satthören. So oft kann es nicht gespielt werden.
Ich bin durch die Straßen der Stadt gerannt
Ich habe Dich in den Fenstern gesucht.
In den Spritzwasserpfützen habe ich Dein schmuddeliges Gesichtchen entdeckt.
In den Armen mir fremder und verabscheuungswürdiger Trottel, die gar nicht wußten, was sie an dir haben. Was sie an dir haben, was ich niemals haben werden würde ...
"Seht doch nur, was ihr da in Euren Armen tragt!!" wollte ich ihnen zuschreien,
"Seht Euch doch nur diese Schönheit an, die ihr abschlecken und hinunter schlucken werdet, als sei sie eine Süßigkeit, wie es sie an jeder Straßenecke zu kaufen gibt. Und ihr glaubt auch doch, Pfand heraus zu bekommen!!"
Doch habe ich jemals wirklich um dich gekämpft?
Inmitten des Kampfes wäre ich erblindet.
Wer wagt zu kämpfen, wenn der eigene König dem Feinde dient?
Und ein kleiner Engel fliegt vorbei und zieht seinen Pfeil wieder aus mir heraus.

Ich sah Dich schmusend und liebkosend.
Ich sah Dich Liebe verteilen, mit weit geöffnetem Herzen.
Mit Armen, so weit gebreitet, wie eine Brot verteilende Elisabeth.
Ich habe Dich Küsse verteilen sehen, an den Hälsen, die ich am liebsten umdrehen wollte.
Ich sah Dich lieben, ohne daß Du mich jemals gesehen hast.
Ich liebte Dich und hoffte in jeder dieser Minutenstunden:
"Hoffentlich bemerkt sie mich nicht." Kein Schmerz und kein Leiden.
Und du bist kurz da und gehst vorbei. Da ist keine Zeit für mehr.
Möglich, daß ich mir all das nur einbildete. Daß dies alles nicht Du warst.
Ich weiß bis heute nicht, wer, wie, wo Du bist.
Ich fühlte nie Deine Haut. Ich sprach mit Dir nie ein Wort.
Nie habe ich meine Nähe an Deiner gerieben.
Nie habe ich Dir den Schlafsand aus den Augen gestreichelt.
Nie habe ich Dein Herz an meiner Hand schlagen gespürt.
Ich schmeckte nie deinen sicherlich zuckersüßen Mund.
Aber,
und das ist so sicher wie meine Liebe zu Dir, die es Dich vielleicht nie geben wird:
Ich würde Deinen Geschmack sofort erkennen, sobald seine weiche Zunge mich umspielte.
Das weiß ich genau. Rechtbehalten ist schlimm.

Manchmal denke ich: Warum mache ich das hier?
Es ist Zeit. - Zeit zu schlafen.
Manchmal denke ich: Gute Nacht, alter Freund.
Schlaf gut in deinen traumhaft schönen Träumen.
Morgen ist ein neuer Tag. Freue dich auf ihn.
Denke nicht mehr an das, was heute war.
Hör nicht auf die heulenden Wölfe.
- Was man halt so denkt. Kurz vorm Einschlafen.

Manchmal denke ich:
Warum erzählst du diesen Witz?
Niemand wird ihn verstehen.
Das ist ein Riff, auf das du ohne Scheuklappen rennst.
Als Verrückter halte ich mich recht gut.
Ich bin des Königs Narr und kämpfe um das Herz der Königin.
Ich habe das As im Ärmel.
Das As, daß mich die Dinge sehen läßt, die eigentlich nicht sind.
Doch bist du nicht wirklich meine Herzdame. Diese Krone hast du niemals getragen.
Dieses Königreich hast du - leider - nie regiert.
Meine Barden haben dir am Fenster gesungen. In jedem Lied entdeckt man eine vertraute Zeile.All diese Zeilen, die für mich - für uns - und nur für uns geschrieben worden zu sein scheinen. Doch du hast sie nie gehört.
Meine geliebte Lady Joker. Man sieht dich nicht, doch bist du in jedem neuen Spiel mit dabei.
Und sollte ich dich den niemals in dem Stapel finden?
Damit ich es niemals bin, der die Wolken erreicht?
Ich frage stetig die Raben und beobachte, wie mein Bart dreimal um das Lokal wächst.
Ich stelle mich schlafend in brennenden Betten und habe feuchte Träume.
Soll der Horizont denn brennen? So trotz ich euch, Ihr Sterne!!!
Der Narr ist tot! - Lang lebe der Narr!!!

Ich finde, hoffentlich sollte besser mit d geschrieben werden. Hoffe endlich.
Klingt nur logisch. Oder?
Liebste! Ich werde Wurzeln züchten.
 



 
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