Lieder von der alten Burg

Sue Lynn

Mitglied
Lieder von der alten Burg

Henning stieg den steilen Weg hinauf und atmete tief die frische Herbstluft ein. Er war allein hergefahren, hatte seinen Wagen am Fuße des Berges geparkt, seinen Rucksack mit dem Schreibzeug und einer Flasche Wasser herausgenommen und sich auf den Weg gemacht.

Die anderen Bandmitglieder wurden langsam ungeduldig. Es war höchste Zeit, ein neues Album zu produzieren, schließlich konnten sie nicht bei jedem Konzert die alten Klamotten spielen. Sie hatten Glück, so treue Fans zu haben, die ihnen ein Jahr mit Wiederholungen bisher nicht übel nahmen, aber es war deutlich zu spüren, dass auch ihre Geduld sich dem Ende zu neigte.
Henning schnupperte und versuchte, dem Duft nach Waldpilzen, heruntergefallenem Laub und feuchter Erde Inspirationen zu entlocken. Vergeblich.
Er war schon lange nicht mehr bei der alten Burg gewesen, aber wie von unsichtbaren Fäden gezogen, trieb ihn heute etwas dorthin. Nach einer weiteren halben Stunde Fußweg erreichte er sein Ziel.
Von der alten und stolzen Burg oberhalb des Rheins war eigentlich nicht mehr sehr viel übrig. Die Festungsmauern standen zum Teil noch und einer der ehemals zwei Burgtürme war noch recht gut erhalten, der andere jedoch im zweiten Weltkrieg von einer irrenden Bombe zerschlagen. Das gleiche galt für den Innenbereich der Burg, von dem bis auf Reste der Grundmauern nichts mehr übrig war.

Aus irgendeinem Grunde war es den deutschen Behörden bisher entgangen, dass sich hier für unvorsichtige Personen bei Betreten der alten Festung Gefahren ergeben könnten, jedenfalls gab es weder eine Umzäunung noch ein Verbotsschild, das Unbefugte fernhalten sollte. Henning war das nur recht. Er ging zügig durch das alte, offene Burgtor und hoffte mit nach oben gerichtetem Blick, dass das Falltor nicht ausgerechnet jetzt herabfallen und die spitzen Zacken durch das schon etwas schüttere blonde Haar in seinen Kopf bohren möge. Natürlich geschah nichts dergleichen.
Er wandte sich nach links, dem noch intakten Turm zu, und beschloss, die schmale Treppe hinaufzusteigen, um von oben die Aussicht zu genießen.

Der sich ihm bietende Blick war atemberaubend schön. Er sah auf den breiten, gutmütig dahin fließenden Vater Rhein, auf dem sowohl Ausflugsboote als auch Frachtkähne schipperten. Am gegenüber liegenden Ufer leuchtete das Grün der Weinberge mit Reben voller Trauben.

Er fragte sich, ob auch zu Zeiten der alten Ritter und Burgfräulein jemand den Ausblick so hatte genießen können oder ob stets nur angespannt nach drohenden Gefahren Ausschau gehalten worden war.
Henning versuchte, sich in diese alte Zeit zurückzudenken, in denen es hier von Rittern, Fußvolk und Pferden nur so gewimmelt haben musste.
Je mehr er sich konzentrierte, die Arme auf den alten Zinnen des Turmes aufgestützt und den Blick nun mehr in sich gekehrt, denn auf seine Umgebung gerichtet, desto besser konnte er sich alles vorstellen, er hörte förmlich die Geräusche, die früher hier vorgeherrscht haben mussten.
Er hörte das Rufen der Mägde, das Klappern von Hufen, das Schnattern von Gänsen und das Gackern von Hühnern, die für die hohen Herrschaften gehalten wurden.
Schon stellte er sich vor, wie in einem der alten, nun nicht mehr erkennbaren Säle ein rauschendes Fest gefeiert wurde, mit mittelalterlicher Musik, gutem Wein aus den eigenen Weinbergen und feinstem Essen.
Henning lief das Wasser im Munde zusammen, als er an gebratene Hühnchen dachte, serviert mit einem leckeren Rotwein von einem drallen Mädchen.
Seufzend tauchte er aus seinen Träumen auf, um seine Schreibutensilien hervorzuholen. Daraus musste sich doch eigentlich etwas machen lassen.

Er legte seinen Rucksack so hin, dass er sich bequem darauf setzen und mit dem Rücken an die Wand lehnen konnte. Nun konnte er zwar nicht mehr in den Burghof und auf den Rhein hinunter blicken, aber er konnte seinen Gedanken freien Lauf lassen.
Während er sich auf seinen Text konzentrierte, hörte er wieder einen Hund bellen und Pferdehufe klappern. Er war fasziniert von der intensiven Wirkung, die diese alte Ruine auf ihn ausübte und es fiel ihm nicht schwer, diese Gefühle in Worte zu fassen, die sich nun zu einem Liedtext formten. Endlich! Die Blockade war vorbei.
Nicht lange und das Lied über den Zauber der Burg war fertig. Zufrieden las Henning es noch einmal durch und hob dann die Augen zum Himmel und die Nase in den Wind, um sich für das nächste Lied inspirieren zu lassen.
Von irgendwo her roch es leicht nach Feuer. Der Wind trieb nach dem gestrigen Regen nur einige weiße Schäfchenwolken vor sich her. Schafe? Feuer? Ein Fest im Schlosshof nach ritterlichen Kämpfen? Ja, das war gut!
Henning war schon wieder in seine Arbeit vertieft. Es dauerte eine gute Weile, bis er merkte, dass tatsächlich Rauch von unten zu ihm heraufzog. Auch das gelegentliche Schnauben eines Pferdes drang an sein Ohr. Und konnte er nicht sogar eine leise Stimme vernehmen?
Der Geruch nach Feuer hatte sich inzwischen mit dem Duft nach gebratenem Fleisch vermischt.
Hennings Magen antwortete auf diese Reize mit einem deutlichen Knurren. Warum hatte er sich nur nichts zum Essen mitgebracht?
Nachdem er zunächst nicht sicher war, ob seine Sinne im Geheimbund mit seiner Phantasie ihm nicht einen gewaltigen Streich spielten, erhob er sich schließlich doch, um den Wohlgerüchen auf die Spur zu gehen.

Ein Blick hinab in den Burghof ließ ihn staunend innehalten.
Dort saß – mit dem Rücken zu ihm - eine junge Frau von vielleicht 28 Jahren in Jeans und Sweatshirt am Feuer und briet sich Würstchen am Stock. Die Feuerstelle hatte sie fachmännisch mit zusammengesuchten Steinen angelegt und offenbar war es ihr auch gelungen, genug trockenes Holz zu finden, um damit ein Feuer zu entfachen.
Ein Stück weit entfernt stand ein Pferd von einer ungewöhnlichen Farbe, dunkelgelb bis orange. Es war ungesattelt, nur mit einem Halfter bekleidet und knabberte an einem Bündel Heu. Der Sattel lag über einem Rest Mauer und darauf zum Trocknen die auf Links gedrehte Satteldecke.
Ein großer zotteliger Hund saß neben der blonden Frau und beobachtete aufmerksam den Fortschritt des Bratvorgangs, wohl ahnend, dass auch er seinen Teil von der Wurst abbekommen würde.

‚Ein Wunder, dass der Hund mich noch nicht bemerkt hat’, dachte Henning und rief von oben herab:
„Hallo! Na, das sieht aber gemütlich aus. Und wie es duftet!“
Das Mädchen fuhr herum und guckte suchend um sich.
„Hier oben!“ Henning winkte ihr mit einem Lächeln freundlich zu, das durch seinen Schnauzbart noch verstärkt wurde.
Jetzt entdeckte sie ihn und winkte, sein Lächeln erwidernd, zurück.
Der Hund hatte ihn nun auch bemerkt und bellte kurz. Ein nachlässiges Streicheln durch die freie Hand seiner Herrin brachte den Vierbeiner jedoch unverzüglich wieder zur Ruhe.
„ Seid gegrüßt, edler Herr, seid Ihr hungrig? Mein Vater, der Freiherr von Gutknecht wird sich freuen, einen Gast zu haben“, lud die junge Frau den ihr unbekannten Mann nun ein.

Hennings Sinn für Humor war geweckt und er antwortete:
„So richtet ihm denn aus, dass ich mich unverzüglich auf den Weg mache, um mit ihm zu speisen.“
Dann schulterte er seinen Rucksack und stieg die Treppen hinab.

Im Burghof angekommen, lud Henning seinen Rucksack ab und nahm die ihm entgegen gestreckte Hand des Mädchens, um einen Handkuss anzudeuten.
Ihre blauen Augen blitzten vergnügt, sie freute sich, dass er den Spaß mitmachte.
Sich umschauend, fragte Henning: „Aber wo ist denn mein Freund von Gutknecht?“
„Oh, er sagte, ich solle vorausreiten und das Mahl bereiten. Er selbst wolle noch zum Winzer reiten und Nachschub von dem guten Weine anfordern, den er uns zum probieren brachte. Ich erwarte ihn jede Minute. Aber wollen Sie mir nicht verraten, mit wem ich die Ehre habe, zu sprechen?“
„Oh, bitte entschuldigt, ich bin der Barde Henning, auf der Suche nach der verlorenen gegangenen Inspiration.“
„Ah, ein Barde, ich bin entzückt! Werdet Ihr uns etwas singen nach dem Essen?“
„Aber sicher, Gnädigste, mit dem größten Vergnügen.“
„Wohl denn, so bitte ich euch nun, die Würstchen fertig zu braten, während ich die anderen Speisen und den Wein hole. Es ist doch ein Ärgernis mit dem Personal heute, hat sich meine Magd doch einfach geweigert, mich zu begleiten, nur weil sie neben dem Pferd hätte laufen müssen. Stellet Euch das vor!“, wetterte sie und wandte sich zum Gehen.
„So wartet doch, erfahre ich auch Euren holden Namen?“, rief Henning der jungen Frau nach, die einen imaginären Rock anhob, damit dieser beim Gehen nicht über den Boden schleifte.
Sie wandte sich noch einmal um und sagte: „Nennt mich Tosca.“
Henning meinte, ein kleines neckisches Blinken in ihren Augen gesehen zu haben. Ob sie ihn erkannt hatte? Sie hieß sicher nicht wirklich Toska.
„Tosca, welch ein schöner Name.“, bemerkte er, aber sie drehte sich nicht mehr zu ihm um.

Er kümmerte sich um die Würstchen und sann darüber nach, wann der Vater des Mädchens wohl hier auftauchen würde. Ob er überhaupt noch kam?
Tosca näherte sich mit verschiedenen, für mittelalterliche Verhältnisse denkbar untypischen Tupperdosen. Sie ging noch einmal zu den Satteltaschen zurück und kam doch tatsächlich mit einem weißen Tischtuch, zwei Porzellantellern, Silberbesteck (!) und zwei Weingläsern zurück. Henning quollen fast die Augen aus dem Kopf.
Schweigend und staunend verfolgte er, wie Tosca das Tischtuch auf dem Boden ausbreitete, es so gut wie möglich ebnete und schließlich mit Geschirr und Besteck, sowie den Gläsern deckte.
Ein weiterer Gang zu den Satteltaschen brachte einen fünfarmigen Kerzenleuchter aus Gusseisen, sowie fünf apricotfarbene Leuchterkerzen zum Vorschein.
Als diese schließlich befestigt und mit Hilfe eines Streichholzes angezündet waren, sagte das Mädchen:
„So, nun hole ich noch den Wein und dann können wir das Mahl beginnen. Sind die Würstchen gar, Barde Henning?“
„Ja, sie sind so weit, aber sollten wir nicht auf Euren Vater warten, edle Tosca?“
Nachdenklich erwiderte sie: „Nun ja, eigentlich sollten wir das, jedoch ich fürchte, er hat mal wieder zu lange beim Winzer verweilt, der ihm beständig neue Weine zu kosten gibt. Wer weiß, ob er vor der Dunkelheit hier eintreffen wird. Lasset uns lieber beginnen, das scheint mir vernünftiger.“
Henning konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Sie spielte wirklich hervorragend und wenn sie statt Jeans und Sweatshirt, eine mittelalterliche Kluft getragen hätte, er wäre sich nicht sicher gewesen, ob sie aus dem Jetzt oder aus dem Mittelalter stammte. Gut, die Tupperschüsseln hätten es ihm verraten.
Sie wurden gerade von Tosca geöffnet. Darin befanden sich verschiedene feine Salate und eine Pastete. Alles duftete verführerisch. Während sie seinen Teller mit Kostproben von alldem füllte, bat sie ihn, den mitgebrachten Rotwein zu entkorken. Natürlich hatte sie auch an einen Korkenzieher gedacht.
Er schenkte den Wein in die Gläser und nahm seinen Teller von ihr entgegen.
„Habet Dank, schöne Tosca. Es ehrt mich, mit Ihnen speisen zu dürfen.“
Dann hob er sein Glas und prostete ihr zu.
Sie war bei seiner Anrede leicht errötet, hatte aber wieder das vergnügte Blitzen in den Augen als auch sie ihr Glas hob, um mit ihm anzustoßen.

Sie begannen zu essen. Vom Freiherrn gab es nach wie vor keine Spur, vermutlich war auch er nur ein Phantasiegebilde von Tosca.
„Was führt euch hierher, Tosca? Es ist gar ungewöhnlich, dass eine so junge und schöne Frau Eures Standes allein durch Wald und Flur reitet.“, versuchte er, etwas über sie in Erfahrung zu bringen.
„Nun, Sie mögen Recht haben, Henning, aber wie ich bereits sagte: Meine Magd weigerte sich, uns zu begleiten und Vater musste geschäftlich hier in die Gegend. Da unsere Verwandten, deren Winterherberge diese Burg hier ist, den Sommer in der mondänen Hauptstadt verbringen, baten sie mich, bei dieser Gelegenheit hier nach dem Rechten zu sehen, deshalb bin ich hier. Früher fiel diese Aufgabe meiner Mutter zu, doch sie starb, noch bevor ich das zwölfte Lebensjahr vollendete. Nun, und Vater wird wohl früher oder später hier ankommen.“
„Eher später, wie mir scheint.“, murmelte Henning und war mit den Informationen alles andere als zufrieden, waren sie doch eindeutig ersponnen.
Was also tat dieses junge Mädchen mit dem zotteligen Hund und dem seltsam gefärbten Pferd ganz allein hier oben?
Das Essen war ausgezeichnet und er hätte insbesondere gern das Rezept für die Pastete gehabt, daher fragte er:
„Tosca, diese Pastete ist ausgezeichnet, wäre es möglich, dass Sie mir bei Gelegenheit das Rezept zukommen lassen? Per Email zum Beispiel?“
Das Mädchen sah ihn an, als hätte er nicht alle Sinne beisammen. Er wusste genau, sie wollte weiter spielen und im Mittelalter gab es keine Email.
„Bitte verzeiht, wäre es Euch möglich, das Rezept für die Pastete zu Papier zu bringen und mit einem Boten zu dieser Adresse hier zu schicken?“, versuchte er es und hielt ihr eine Visitenkarte hin, auf die er zuvor seine Privatadresse geschrieben hatte.
Sie nahm die Karte entgegen, sah darauf, blickte dann noch einmal zu ihm hin, neigte den Kopf nachdenklich und sagte dann: „Ich werde darüber nachdenken.“

Nachdem die Gläser geleert und dass Essen fast restlos aufgegessen waren, packte Tosca zusammen. Der Hund bekam die letzten Reste, die Weinflasche wurde provisorisch wieder verkorkt und schließlich das Pferd gesattelt.
Henning verfolgte das Ganze zunächst schweigend, aber bevor Tosca aufstieg, fragte er dann doch: „Sagtet Ihr nicht, Ihr würdet hier auf Euren Vater warten?“
„Ja, aber seht, es ist bereits spät und ich mache mir Sorgen, dass er voll des guten Weines den Weg nicht mehr alleine findet. Mit Aprikose gäbe es da keine Probleme, aber sein Hengst Portos ist selbst ein Träumer und Streuner, der seinen Herrn nicht unbedingt dort hinbringt, wo er ursprünglich hinwollte. Daher werde ich nun los reiten und ihn suchen. Wünscht mir Glück!“, sprach Tosca und schwang sich in den Sattel.
Henning blieb nichts anderes übrig, als die Hand zum Gruß zu heben und sich zu verabschieden:
„Vielen Dank noch mal für das leckere Essen und denk an das Rezept!“
„Bitte, gern geschehen, lebt wohl, Barde Henning!“

Zurück blieb ein verwirrter, aber inspirierter Musiker, dessen nächstes Lied sich mit der Kochkunst der Baronesse Tosca von Gutknecht und ihrem Pferd Aprikose beschäftigte.
‚Aprikose, welch ein seltsam passender Name für ein Tier mit dieser Farbe.’, dachte Henning und machte sich an den Abstieg.

Bis zum nächsten Treffen der Band hatte er fünf neue Lieder geschrieben, die sich mit mittelalterlichen Bräuchen, Festen und Personen beschäftigten und seine Kollegen waren begeistert. Es dauerte nicht lange und seine Kreativität hatte sie angesteckt, sodass in Zusammenarbeit aller das nächste Album entstand.
Es wurde bald das Lieblingsalbum der Fans und gewann noch mindestens einen neuen dazu.
Das war Carola, die mit ihrem Hirtenhund Felix bei Fuß auf ihrer Stute Aprikose die Wälder durchstreifte und dabei die „Lieder von der alten Burg“ sang.
 

Sue Lynn

Mitglied
Rückmeldung?

Hallöchen!

ich bin hier um zu lernen, wäre schon nett, wenn jemand sich zu produktiven Kommentaren oder wenigstens einer Bewertung herablassen würde, auch, wenn Ihr mich noch nicht so gut kennt.
DANKE!
 

Zinndorfer

Mitglied
Leider bin ich noch nicht weit gekommen, aber das Angefangene stelle ich mal rein.

Lieder von der alten Burg
[blue]anderer Titel, nicht originell genug[/blue]

Henning stieg den steilen Weg[blue] zu ähnlich[/blue] hinauf und atmete tief die frische Herbstluft ein. Er war allein hergefahren, hatte seinen Wagen am Fuße des Berges geparkt, seinen Rucksack mit dem Schreibzeug und einer Flasche Wasser herausgenommen und sich auf den Weg gemacht.

Die anderen Bandmitglieder wurden langsam ungeduldig. Es war höchste Zeit, ein neues Album zu produzieren, schließlich konnten sie nicht bei jedem Konzert die alten Klamotten spielen. Sie hatten Glück, so treue Fans zu haben, die ihnen ein Jahr mit Wiederholungen bisher nicht übel nahmen, aber es war deutlich zu spüren, dass auch ihre Geduld sich dem Ende zu neigte.
Henning schnupperte und versuchte, dem Duft nach Waldpilzen, heruntergefallenem Laub und feuchter Erde Inspirationen zu entlocken. Vergeblich.
Er war schon lange nicht mehr bei der alten Burg gewesen, aber wie von unsichtbaren Fäden gezogen, trieb ihn heute etwas dorthin. [strike]Nach einer weiteren halben Stunde Fußweg erreichte er sein Ziel.[/strike]
Von der alten und stolzen Burg oberhalb des Rheins war eigentlich nicht mehr sehr viel übrig. Die Festungsmauern standen zum Teil noch und einer der ehemals zwei Burgtürme war noch Whg. recht gut erhalten, der andere jedoch im zweiten Weltkrieg von einer irrenden Bombe zerschlagen. Das gleiche galt für den Innenbereich der Burg, von dem bis auf Reste der Grundmauern nichts mehr übrig war.

[strike]Aus irgendeinem Grunde war es den deutschen Behörden bisher entgangen, dass sich hier für unvorsichtige Personen bei Betreten der alten Festung Gefahren ergeben könnten, jedenfalls gab es weder eine Umzäunung noch ein Verbotsschild, das Unbefugte fernhalten sollte. Henning war das nur recht. [/strike]Er ging zügig durch das alte, offene Burgtor und hoffte mit Blick nach oben[strike] gerichtetem Blick[/strike], dass das Falltor nicht ausgerechnet jetzt herabfallen und die spitzen Zacken durch das schon etwas schüttere blonde Haar in seinen Kopf bohren möge. [strike]Natürlich geschah nichts dergleichen.
[/strike]Er wandte sich nach links, dem noch intakten Turm zu, und beschloss, die schmale Treppe hinaufzusteigen, um [strike]von oben[/strike] die Aussicht zu genießen.

Der [strike]sich ihm bietende [/strike]Blick war atemberaubend schön. Er sah auf den breiten, gutmütig dahin fließenden Vater Rhein?, auf dem sowohl Ausflugsboote als auch Frachtkähne schipperten. [blue]Vorsicht, du driftest ins Klischee ab. Auf dem Rhein schippern keine Frachtkähne, der Rhein ist die Hauptwasserverkehrsader Deutschlands mit Containerschiffen[/blue] Am gegenüber liegenden Ufer leuchtete das Grün der Weinberge mit Reben voller Trauben. [blue]Die Trauben siehst du von der anderen Rheinseite nicht, dazu sind sie zu klein[/blue]

Er fragte sich, ob auch zu Zeiten der alten Ritter und Burgfräulein jemand den Ausblick so hatte genießen können oder ob stets nur angespannt nach drohenden Gefahren Ausschau gehalten worden war.
Henning versuchte, sich in diese alte Zeit zurückzudenken, in denen es hier von Rittern, Fußvolk und Pferden nur so gewimmelt haben musste.
Je mehr er sich konzentrierte, die Arme auf den alten Zinnen des Turmes aufgestützt und den Blick [strike]nun mehr [/strike]in sich gekehrt, [strike]denn auf seine Umgebung gerichtet, [/strike]desto besser konnte er sich alles vorstellen, er hörte förmlich die Geräusche, die früher hier vorgeherrscht haben mussten.
Er hörte das Rufen der Mägde, das Klappern von Hufen, das Schnattern von Gänsen und das Gackern von Hühnern, die für die hohen Herrschaften gehalten wurden.
Schon stellte er sich vor, wie in einem der alten, nun nicht mehr erkennbaren Säle ein rauschendes Fest gefeiert wurde, mit mittelalterlicher Musik, gutem Wein aus den eigenen Weinbergen und feinstem Essen.
Henning lief das Wasser im Munde zusammen, als er an gebratene Hühnchen dachte, serviert mit einem leckeren Rotwein von einem drallen Mädchen.
Seufzend tauchte er aus seinen Träumen auf, um seine Schreibutensilien hervorzuholen. Daraus musste sich doch eigentlich etwas machen lassen.

Er legte seinen Rucksack so hin, dass er sich bequem darauf setzen und mit dem Rücken an die Wand lehnen konnte. Nun konnte er zwar nicht mehr in den Burghof und auf den Rhein hinunter blicken, aber er konnte seinen Gedanken freien Lauf lassen.
Während er sich auf seinen Text konzentrierte, hörte er wieder einen Hund bellen und Pferdehufe klappern. Er war fasziniert von der [strike]intensiven [/strike]Wirkung, die diese alte Ruine auf ihn ausübte und es fiel ihm nicht schwer, diese Gefühle in Worte zu fassen, die sich nun zu einem Liedtext formten. Endlich! Die Blockade war vorbei.
Nicht lange und das Lied über den Zauber der Burg war fertig. Zufrieden las Henning es noch einmal durch und hob dann die Augen zum Himmel und die Nase in den Wind, um sich für das nächste Lied inspirieren zu lassen.
Von irgendwo her roch es leicht nach Feuer. Der Wind trieb nach dem gestrigen Regen nur einige weiße Schäfchenwolken vor sich her. Schafe? Feuer? Ein Fest im Schlosshof nach ritterlichen Kämpfen? Ja, das war gut!
Henning war schon wieder in seine Arbeit vertieft. Es dauerte eine [strike]gute[/strike] Weile, bis er merkte, dass tatsächlich Rauch von unten zu ihm heraufzog. Auch das gelegentliche Schnauben eines Pferdes drang an sein Ohr. Und konnte er nicht sogar eine leise Stimme vernehmen?
Der Geruch nach Feuer hatte sich inzwischen mit dem Duft nach gebratenem Fleisch vermischt.
Hennings Magen antwortete auf diese Reize mit einem deutlichen Knurren. Warum hatte er sich nur nichts zum Essen mitgebracht?
Nachdem er zunächst nicht sicher war, ob seine Sinne im Geheimbund mit seiner Phantasie ihm nicht einen gewaltigen Streich spielten, erhob er sich schließlich doch, um den Wohlgerüchen auf die Spur zu gehen.

Ein Blick hinab in den Burghof ließ ihn staunend innehalten.
Dort saß – mit dem Rücken zu ihm - eine junge Frau von vielleicht 28 Jahren in Jeans und Sweatshirt am Feuer und briet sich Würstchen am Stock. Die Feuerstelle hatte sie fachmännisch mit zusammengesuchten Steinen angelegt und offenbar war es ihr auch gelungen, genug trockenes Holz zu finden, um damit ein Feuer zu entfachen.
Ein Stück weit entfernt stand ein Pferd von einer ungewöhnlichen Farbe, dunkelgelb bis orange. Es war ungesattelt, nur mit einem Halfter bekleidet, schiefes Bild und knabberte an einem Bündel Heu. Der Sattel lag über einem Rest Mauer und darauf zum Trocknen die auf Links gedrehte Satteldecke.
 

Sue Lynn

Mitglied
Na, das ist doch mal etwas. Dankeschön.
Übrigens sind Containerschiffe für mich auch Frachtkähne. Das ist doch nur so eine Bezeichnung, oder?
Bist du sicher, dass man die Trauben nicht doch sehen kann? Ich meine nicht die einzelnen, aber diese Gesamtgebilde?
 

Zinndorfer

Mitglied
Ein FrachtKAHN ist kein Containerschiff. Das Rheinbild ist zu schön. Da fliegen auch Düsenjets drüber und ZWEI Eisenbahnverbindungen gibts rechts und links etc.
Und die Trauben siehst du bestimmt nicht von der anderen Rheinseite. Die Reben ja, aber nicht die Trauben.
 



 
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