Liegende Gedanken, fallende Träume

Nyxon

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Liegende Gedanken, fallende Träume

Es war nur ein einziger Satz, aber der machte alles, was ich mir erträumt hatte, zu einem ganz anderen Gebilde, als ich es mir damals erdacht hatte. „Er hat vor einer Woche Schluss gemacht.“ Gott, was für ein Schock! Da ist dieser Kerl, der ich so lange hatte sein wollen, nur um in ihrer Nähe sein zu dürfen und er wirft sie weg! Ich hatte mir so oft ausgemalt, ihn schlecht zu machen, oder einfach nur eines Tages in seinem Körper aufzuwachen und sein Glück zu haben. Sein Glück, das war diese junge Frau – diese glutäugige, junge Frau, die ich begehrte, seit ich sie kannte. Jetzt ist es anders, aber davon später mehr.

Ich mochte ihn. Er war okay. Man konnte sich gut mit ihm unterhalten, er hatte eine einschlägige, durchaus gut vertretbare Meinung und er konnte sie auf guten Argumenten und festen Überzeugungen auch selbst vertreten. Er machte keinen Unterschied zwischen seinen Freunden und ihren Freunden, den machte sie, und das ließ ihn oft enttäuscht von dannen ziehen. Soweit ich weiß, waren sie nur ein einziges Mal für einen Tag getrennt – denn direkt am nächsten Tag hatte er sie angerufen und ihr gesagt, dass er sie liebe und nicht ohne sie leben könne. Als sie mir das einmal stolz erzählte (ich steckte währenddessen in einer tiefen Beziehungskrise), staunte ich nicht schlecht, aber ich hätte bestimmt ebenso reagiert, denn eine Frau wie sie es ist, verlässt man nicht einfach so. Man muss sie geradewegs lieben, denn in meinen Augen wurde sie nur zum Lieben und Verwöhnen geschaffen. Gott musste einen guten Tag bei ihr gehabt haben, denn sie ist einfach perfekt – immer noch. Sie hat Charme, sie hat Sexappeal und das Wichtigste: sie hat Klasse!

Aber warum um alles in der Welt verlässt er sie? Sie konnte noch nicht richtig darüber reden, aber es scheint so, als könne er sie wahrlich nicht mehr lieben! Ein Pakt mit dem Teufel, das sage ich! Er hat sich von allem Guten abgewandt und hat ein Geschäft mit dem Teufel gemacht, denn anders kann ich mir seinen Wandel nicht erklären.

Als ich noch ein Single war und nicht die wahre Liebe einer jungen Frau kannte, da verzehrte ich mich nach dieser einen. Ich träumte von ihr und damit im Zusammenhang träumte ich davon, ihn irgendwann ersetzen zu dürfen. Ich sehe mindestens genauso gut aus, ich habe viel mehr Charme und ich bin eine Art Seelenverwandtschaft von ihr, das hat sie selbst einmal gesagt. Ich hätte alles gegeben, um mit ihr zu sein, um mit ihr eine Beziehung aufzubauen. Aber das Schicksal hatte mir etwas anderes zugedacht und während ich versuchte, mich damit abzufinden, fand auch ich einen Menschen, der mich lieben konnte und den auch ich liebte, obwohl er nicht sie war. Ich bin glücklich mit meiner Freundin, keine Frage! Es gab und gibt Höhen und Tiefen, aber die sind in einer gesunden Beziehung doch normal, oder etwa nicht? Allgemein und unterm Strich bin ich sehr glücklich und sehr verliebt.

Aber wenn ich die Möglichkeit erhalten sollte, nur ein einziges Mal mit dieser einen Frau aus meiner Vergangenheit zu schlafen, dann würde ich es wahrscheinlich tun! Ich weiß, dass ich es nicht tun sollte, denn das wäre ein glatter Betrug gegenüber meiner Freundin. Aber ich würde die Chance, die sich mir bietet, nämlich die Frau meiner vergangenen Träume einmal zu spüren, nicht vergehen lassen, denke ich. Sei es nur für eine Nacht. Sei es nur ein Kuss, eine zärtliche Berührung, eine Geste des Trostes – ich würde es ergreifen und die Möglichkeit soweit ausreizen, wie irgend möglich. Das ist verlogen und hinterhältig, das ist gewissenlos und unfair, das ist schmutzig und beschämend. Aber ist es nicht auch menschlich?

Fünf Jahre! Solange kenne ich sie nun schon. Drei Jahre war sie mit diesem Kerl zusammen, von dem sie sagte, dass er ihr Traummann sei. Ein halbes Jahr habe ich jetzt an Beziehung hinter mir, die meine erste ist. Ich wollte diese eine Frau schon, solange ich sie kenne, ich wollte bei ihr sein und ihr Lachen sehen, ihren Duft riechen und ihren zarten Körper an meinen geschmiegt spüren, wenn wir uns zur Begrüßung umarmten. Hätte sie nur ein einziges Mal gesagt, dass sie mich wolle, ich hätte meine Seele verkauft, sie zu kriegen!
Und jetzt würde ich es ebenfalls tun. Obwohl ich vergeben bin und eine andere liebe.

Ich liege in meinem Bett und denke über all das nach, was sich hier zugetragen hat. Gleich werde ich die Decke über meinen Kopf ziehen, die Mücke, die in meinem Schlafzimmer umherschwirrt, ignorieren und einschlafen. Morgen werde ich aufwachen und nachmittags meine Freundin sehen. Und ich bin mir sicher, ich werde als erstes an sie denken, wenn ich aufwache. Nicht an die Frau aus meiner Vergangenheit, nicht an mein Verlangen, diese spüren zu wollen. Ich werde an das schöne Gesicht meiner Freundin denken und sie lieben, wie am ersten Tag. Denn ich weiß, was ich riskieren würde, würde ich meiner Begierde freien Lauf lassen.

Ich bin Steinbock. Wir gehen keine Risiken ein, wir leben nach geordneten Bahnen. Gedanken liegen, Träume fallen – ich stehe aufrecht und weiß wohin es geht.
 



 
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