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Hannah Rieth

Mitglied
Linien

Paul

Um diese Zeit war Paul noch nie im Park gewesen. An normalen Tagen kam er gegen Mittag, legte seine Schultasche neben sich auf die Bank, saß einfach da und dachte. Dachte sich all die schweren Gedanken fort, und seine Angst. „Kinder in deinem Alter sitzen nicht auf Bänken, scher’ dich fort!“ hatte einmal eine Frau gezetert. Er war aufgestanden und nach Haus’ gegangen.

Heute würde er nicht gehen.

Zwei Stunden lang saß Paul nun schon und dachte. Dachte an gestern, die Wut, an Angst und an Ringe.
Die Kirchturmuhr schlug sechs Mal. „Noch ist sie nicht zuhause, noch hat sie nicht bemerkt, dass ich gegangen bin.“ Noch war es still.
Um sieben Uhr würde Pauls Mutter die Tür aufschließen und sich wundern, dass die Wohnung dunkel wäre. Sie würde ihre Jacke ausziehen, in die Küche gehen und sehen, dass der Abendbrottisch noch nicht gedeckt wäre. Sie würde ungeduldig nach Paul rufen und keine Antwort erhalten. Dann müsste sie schreien, „Paul!“, müsste sie schreien, aber Paul würde nicht kommen. Würde nie mehr kommen, nie mehr Mamas kleiner Mann sein, wenn ihre Wut mal satt war. Wenn sie ihn zu sich aufs Sofa zog und ihren Kopf in seinen Schoß legte.
Ob sie schon davon wusste? Ob Frau Mirbach ihr schon von der Prügelei erzählt hatte? „Hans lügt!“, dachte Paul. „Ich habe bestimmt einen Vater. Mama ist so wunderschön, ich muss einen Vater haben“.

An ruhigen Tagen beobachtete er sie heimlich vom Flur aus, wenn sie im Schlafzimmer vor dem Spiegel stand und ihre langen, blonden Haare bürstete. Sie war so stolz auf ihre Haare.
Manchmal ertappte sie ihn dabei. Dann fragte sie mit strenger Stimme: „Paul, gehört es sich, wenn ein Mann eine Frau beim Kämmen betrachtet?“ Und lachend: „Lass uns tanzen, kleiner Mann!“

Paul weinte. Er würde sie vermissen. Würde ihr Lachen vermissen, ihre Haare. Wenn sie nur öfter froh, wenn nur die Wut nicht wäre. Die kam fast immer viel zu schnell. Zu schnell um fortzulaufen. Zu schnell um leer zu sein. Zu schnell zu laut.

Paul würde Geld verdienen. Und wenn er genug zusammen hätte, würde er nach Amerika auswandern und in einer Fabrik arbeiten. Er würde Mama jeden Monat etwas Geld schicken. Damit es ihr besser ginge und sie sich schöne Dinge kaufen könnte. Damit sie öfter lachten könnte.

Am Ende des Parks flogen ein paar Tauben auf.


Anna

Anna atmete tief ein. Das tat sie immer, sobald sie das alte Eisentor hinter sich geschlossen hatte. Wenn sie allein war, endlich. Allein mit sich, den Gräbern und den Bäumen. Anna wollte lächeln. Allein und frei von all dem Lärm der letzten Stunden.

Sie fasste das Revers ihres Mantels mit beiden Händen und schlug es enger übereinander. Die Abende waren bereits kalt und der weiße Kittel unter ihrem Mantel wollte nicht mehr wärmen. „Wie könnte er auch?“ dachte Anna.
Sie hasste die Arbeit im Krankenhaus, hasste die Kranken, den Geruch. Und am meisten hasste sie das Sterben. Es war zu kalt, zu laut, so viel zu laut. „Wie sie stinken und wimmern und schreien, wenn sie sterben“, dachte Anna.

Sie setzte einen Fuß vor den anderen und versuchte, den Boden unter ihren Sohlen zu spüren. Manchmal gab er ihr Halt, manchmal gelang es ihr, sich mit ihm verbunden zu fühlen. „Verbunden,“ dachte Anna. Die Einsamkeit schreit lauter als der Tod. Einmal hatte sie sich mit einem Menschen verbunden gefühlt, einmal war ein Mann ihr Boden gewesen. Vor acht Jahren, bevor der Krieg begann. Emil hatte sie in einem Café angesprochen und gefragt, ob er sie einladen dürfte. Sie hatte den Kopf etwas zur Seite geneigt und einfach „ja“ gesagt.

Elf Monate später war er tot gewesen, elf Monate später hatte er sie mit ihrer Einsamkeit, der Last allein gelassen. Manchmal liebte Anna diese Last, manchmal erfüllte sie sie sogar mit Stolz. Doch meist war sie zu nah. Sie ließ sie oft an Emil denken.


Anna, Paul

Als Anna sich der letzten Biegung näherte, bemerkte sie, dass etwas anders war als sonst. Sie spürte, dass da Leben war.

Paul hörte ein Knacken und erschrak. Da waren Schritte, da kam was auf ihn zu. Im Dunkeln wird die Stille Angst. Paul musste aufspringen, musste rennen. Weit weg, weit weg. Wohin?

Anna war nun fast da. Sie hörte ein Rascheln, sah einen Schatten zwischen den Bäumen verschwinden. Ein Reh?
„Was immer das war, es ist weg“, dachte sie. Und glücklich fast: „Da ist sie, meine Bank.“ Ein paar Augenblicke später ließ sie sich sinken, die Tasche neben sich.


Um kurz vor halb sieben öffnete Paul die Wohnungstür und machte Licht. Es ist zu still im Dunkeln. Er ging in die Küche, nahm ein Streichholz und entzündete das Feuer. Im Dunkeln wird die Stille Angst. Dann griff er zum Topf, füllte ihn mit Wasser und setzte ihn auf den Herd.
 

Hannah Rieth

Mitglied
Linien

Paul

Um diese Zeit war Paul noch nie im Park gewesen. An normalen Tagen kam er gegen Mittag, legte seine Schultasche neben sich auf die Bank, saß einfach da und dachte. Dachte sich all die schweren Gedanken fort, und seine Angst. „Kinder in deinem Alter sitzen nicht auf Bänken, scher’ dich fort!“ hatte einmal eine Frau gezetert. Er war aufgestanden und nach Haus’ gegangen.

Heute würde er nicht gehen.

Zwei Stunden lang saß Paul nun schon und dachte. Dachte an gestern, die Wut, an Angst und an Ringe.
Die Kirchturmuhr schlug sechs Mal. „Noch ist sie nicht zuhause, noch hat sie nicht bemerkt, dass ich gegangen bin.“ Noch war es still.
Um sieben Uhr würde Pauls Mutter die Tür aufschließen und sich wundern, dass die Wohnung dunkel wäre. Sie würde ihre Jacke ausziehen, in die Küche gehen und sehen, dass der Abendbrottisch noch nicht gedeckt wäre. Sie würde ungeduldig nach Paul rufen und keine Antwort erhalten. Dann müsste sie schreien, „Paul!“, müsste sie schreien, aber Paul würde nicht kommen. Würde nie mehr kommen, nie mehr Mamas kleiner Mann sein, wenn ihre Wut mal satt war. Wenn sie ihn zu sich aufs Sofa zog und ihren Kopf in seinen Schoß legte.
Ob sie schon davon wusste? Ob Frau Mirbach ihr schon von der Prügelei erzählt hatte? „Hans lügt!“, dachte Paul. „Ich habe bestimmt einen Vater. Mama ist so wunderschön, ich muss einen Vater haben“.

An ruhigen Tagen beobachtete er sie heimlich vom Flur aus, wenn sie im Schlafzimmer vor dem Spiegel stand und ihre langen, blonden Haare bürstete. Sie war so stolz auf ihre Haare.
Manchmal ertappte sie ihn dabei. Dann fragte sie mit strenger Stimme: „Paul, gehört es sich, wenn ein Mann eine Frau beim Kämmen betrachtet?“ Und lachend: „Lass uns tanzen, kleiner Mann!“

Paul weinte. Er würde sie vermissen. Würde ihr Lachen vermissen, ihre Haare. Wenn sie nur öfter froh, wenn nur die Wut nicht wäre. Die kam fast immer viel zu schnell. Zu schnell um fortzulaufen. Zu schnell um leer zu sein. Zu schnell zu laut.

Paul würde Geld verdienen. Und wenn er genug zusammen hätte, würde er nach Amerika auswandern und in einer Fabrik arbeiten. Er würde Mama jeden Monat etwas Geld schicken. Damit es ihr besser ginge und sie sich schöne Dinge kaufen könnte. Damit sie öfter lachten könnte.

Am Ende des Parks flogen ein paar Tauben auf.


Anna

Anna atmete tief ein. Das tat sie immer, sobald sie das alte Eisentor hinter sich geschlossen hatte. Wenn sie allein war, endlich. Allein mit sich, den Gräbern und den Bäumen. Anna wollte lächeln. Allein und frei von all dem Lärm der letzten Stunden.

Sie fasste das Revers ihres Mantels mit beiden Händen und schlug es enger übereinander. Die Abende waren bereits kalt und der weiße Kittel unter ihrem Mantel wollte nicht mehr wärmen. „Wie könnte er auch?“ dachte Anna.
Sie hasste die Arbeit im Krankenhaus, hasste die Kranken, den Geruch. Und am meisten hasste sie das Sterben. Es war zu kalt, zu laut, so viel zu laut. „Wie sie stinken und wimmern und schreien, wenn sie sterben“, dachte Anna.

Sie setzte einen Fuß vor den anderen und versuchte, den Boden unter ihren Sohlen zu spüren. Manchmal gab er ihr Halt, manchmal gelang es ihr, sich mit ihm verbunden zu fühlen. „Verbunden,“ dachte Anna. Die Einsamkeit schreit lauter als der Tod. Einmal hatte sie sich mit einem Menschen verbunden gefühlt, einmal war ein Mann ihr Boden gewesen. Vor acht Jahren, bevor der Krieg begann. Emil hatte sie in einem Café angesprochen und gefragt, ob er sie einladen dürfte. Sie hatte den Kopf etwas zur Seite geneigt und einfach „ja“ gesagt.

Elf Monate später war er tot gewesen, elf Monate später hatte er sie mit ihrer Einsamkeit, der Last allein gelassen. Manchmal liebte Anna diese Last, manchmal erfüllte sie sie sogar mit Stolz. Doch meist war sie zu nah. Sie ließ sie oft an Emil denken.


Anna, Paul

Als Anna sich der letzten Biegung näherte, bemerkte sie, dass etwas anders war als sonst. Sie spürte, dass da Leben war.

Paul hörte ein Knacken und erschrak. Da waren Schritte, da kam was auf ihn zu. Im Dunkeln wird die Stille Angst. Paul musste aufspringen, musste rennen. Weit weg, weit weg. Wohin?

Anna war nun fast da. Sie hörte ein Rascheln, sah einen Schatten zwischen den Bäumen verschwinden. Ein Reh?
„Was immer das war, es ist weg“, dachte sie. Und glücklich fast: „Da ist sie, meine Bank.“ Ein paar Augenblicke später ließ sie sich sinken, die Tasche neben sich.


Um kurz vor halb sieben öffnete Paul die Wohnungstür und machte Licht. Es ist zu still im Dunkeln. Er ging in die Küche, nahm ein Streichholz und entzündete das Feuer. Im Dunkeln wird die Stille Angst. Dann griff er zum Topf, füllte ihn mit Wasser und setzte ihn auf den Herd.
 
Liebe Hannah, es ist nicht so oft, dass ich eine Geschichte zweimal lesen muss. Diesmal wars wieder soweit. Ich glaube, das ist ein gutes Zeichen. *smile

Ich hab einen Vorschlag Hannah. Ich glaube, wenn der Satz:

„Kinder in deinem Alter sitzen nicht auf Bänken, scher’ dich fort!“

um diese Worte erweitert werden würde:

„Kinder in deinem Alter sitzen [blue][noch][/blue] nicht auf [blue][diesen][/blue] Bänken, scher’ dich fort!“

wäre der Weg durch die Geschichte ein wenig einfacher. Aber vielleicht willst Du ja das gar nicht?

Liebe Grüße
Tom
 

Hannah Rieth

Mitglied
Hallo Spaetschreiber,

leichter ist ja nicht unbedingt schlechter ;-). Ich fürchte, ich stehe momentan jedoch auf dem Schlauch. Weiß nicht so genau, was die beiden Worte ändern würden ... Erklärst Du es mir?

Viele Grüße von Hannah
 
B

bluefin

Gast
Linien

[blue](Paul)[/blue]
Um diese Zeit war Paul noch nie im Park gewesen. An normalen Tagen kam er gegen Mittag, legte seine Schultasche neben sich auf die Bank, saß einfach da und dachte. Dachte sich all die schweren Gedanken fort, und seine Angst. „Kinder in deinem Alter sitzen nicht auf Bänken, scher’ dich fort!“ hatte einmal eine Frau gezetert. Er war aufgestanden und nach Haus’ gegangen.

Heute würde er nicht gehen.

Zwei Stunden lang saß Paul nun schon und dachte. Dachte an gestern, die Wut, an Angst und an Ringe.
Die Kirchturmuhr schlug sechs Mal. „Noch ist sie nicht zuhause, noch hat sie nicht bemerkt, dass ich gegangen bin.“ Noch war es still.
Um sieben Uhr würde [blue](Pauls Mutter) Anna [/blue]die Tür aufschließen und sich wundern, dass die Wohnung dunkel wäre. Sie würde ihre Jacke ausziehen, in die Küche gehen und sehen, dass der Abendbrottisch noch nicht gedeckt wäre. Sie würde ungeduldig nach Paul rufen und keine Antwort erhalten. Dann müsste sie schreien, „Paul!“, müsste sie schreien, aber Paul würde nicht kommen. Würde nie mehr kommen, nie mehr Mamas kleiner Mann sein, wenn ihre Wut [blue](mal) endlich [/blue]satt war. Wenn sie ihn zu sich aufs Sofa zog und ihren Kopf in seinen Schoß legte.
Ob sie schon davon wusste? Ob Frau Mirbach ihr schon von der Prügelei erzählt hatte? „Hans lügt!“, dachte Paul. „Ich habe bestimmt einen Vater. Mama ist so wunderschön, ich muss einen Vater haben“.

An ruhigen Tagen beobachtete er sie heimlich vom Flur aus, wenn sie im Schlafzimmer vor dem Spiegel stand und ihre langen, blonden Haare bürstete. Sie war so stolz auf ihre Haare.
Manchmal ertappte sie ihn dabei. Dann fragte sie mit strenger Stimme: „Paul, gehört es sich, wenn ein Mann eine Frau beim Kämmen betrachtet?“ Und lachend: „Lass uns tanzen, kleiner Mann!“

Paul weinte. Er würde sie vermissen. Würde ihr Lachen vermissen, ihre Haare. Wenn sie nur öfter froh, wenn nur die Wut nicht wäre. Die kam fast immer viel zu schnell. Zu schnell um fortzulaufen. Zu schnell um leer zu sein. Zu schnell zu laut.

[blue](Paul würde Geld verdienen. Und wenn er genug zusammen hätte, würde er nach Amerika auswandern und in einer Fabrik arbeiten. Er würde Mama jeden Monat etwas Geld schicken. Damit es ihr besser ginge und sie sich schöne Dinge kaufen könnte. Damit sie öfter lachten könnte.)[/blue]
Am Ende des Parks flogen ein paar Tauben auf.


[blue](Anna) [/blue]

Anna atmete tief ein. Das tat sie immer, sobald sie das alte Eisentor hinter sich geschlossen hatte. Wenn sie allein war, endlich. Allein mit sich, den Gräbern und den Bäumen. Anna wollte lächeln. Allein und frei von all dem Lärm der letzten Stunden.

Sie fasste das Revers ihres Mantels mit beiden Händen und schlug es enger übereinander. Die Abende waren bereits kalt und der weiße Kittel unter ihrem Mantel wollte nicht mehr wärmen. „Wie könnte er auch?“ dachte Anna.
Sie hasste die Arbeit im Krankenhaus, hasste die Kranken, den Geruch. Und am meisten hasste sie das Sterben. Es war zu kalt, zu laut, so viel zu laut. „Wie sie stinken und wimmern und schreien, wenn sie sterben“, dachte Anna.

Sie setzte einen Fuß vor den anderen und versuchte, den Boden unter ihren Sohlen zu spüren. Manchmal gab er ihr Halt, manchmal gelang es ihr, sich mit ihm verbunden zu fühlen. „Verbunden,“ dachte Anna. Die Einsamkeit schreit lauter als der Tod. Einmal hatte sie sich mit einem Menschen verbunden gefühlt, einmal war ein Mann ihr Boden gewesen. Vor acht Jahren, bevor der Krieg begann. Emil hatte sie in einem Café angesprochen und gefragt, ob er sie einladen dürfte. Sie hatte den Kopf etwas zur Seite geneigt und einfach „ja“ gesagt.

[blue](Elf Monate später war er tot gewesen, elf Monate später hatte er sie mit ihrer Einsamkeit, der Last allein gelassen. Manchmal liebte Anna diese Last, manchmal erfüllte sie sie sogar mit Stolz. Doch meist war sie zu nah. Sie ließ sie oft an Emil denken.)[/blue]

[blue](Anna, Paul) [/blue]

Als Anna sich der letzten Biegung näherte, bemerkte sie, dass etwas anders war als sonst. Sie spürte, dass da Leben war.

Paul hörte ein Knacken und erschrak. Da waren Schritte, da kam [blue]et[/blue]was auf ihn zu. Im Dunkeln wird die Stille Angst. Paul musste aufspringen, musste rennen. Weit weg, weit weg. Wohin?

Anna war nun fast da. Sie hörte ein Rascheln, sah einen Schatten zwischen den Bäumen verschwinden. Ein Reh?
„Was immer das war, es ist weg“, dachte sie. Und glücklich fast: „Da ist sie, meine Bank.“ Ein paar Augenblicke später ließ sie sich sinken, die Tasche neben sich.


Um kurz vor halb sieben öffnete Paul die Wohnungstür und machte Licht. Es ist zu still im Dunkeln. Er ging in die Küche, nahm ein Streichholz und entzündete das Feuer. Im Dunkeln wird die Stille Angst. Dann griff er zum Topf, füllte ihn mit Wasser und setzte ihn auf den Herd.

hallo @hannah,

eine wirklich schöne idee und wunderbar erzählt. chapeau!
leider entwertest du sie mit überflüssigen erklärungen und fingerzeigen, die nicht ganz frei von moralin sind und die wunderbar erzählte geschichte ein bisschen triefig machen. ich würde sie streichen wie die überschriften (an deren stelle reicht ein sternchen als zäsur). ansonsten schlage ich dir nur ein paar winzige nachbesserungen vor.

bin gleichwohl sehr beeindruckt...*sigh*...

liebe grüße aus münchen

bluefin
 
Liebe Hannah


Ich sehe ihn, den Paul, an genau dem Ort, auf dem Anna sich später befindet und das eiserne Tor hinter sich schloß, wenngleich Du ihn auch, bei Paul, „Park" genannt hast. Das ist mein Blick. Daher mein Einwand. Hab ich was falsch verstanden?

LG
Tom
 

Hannah Rieth

Mitglied
Hallo Tom,

Du verstehst das schon richtig, aber ich hänge immer noch. Mir ist nicht klar, warum es für den Leser durch das Hinzufügen der beiden Worte leichter würde. Und welchen Sinn sollte die Aussage der alten Frau dann machen?


Hallo bluefin,

vielen Dank für Deine Auseinandersetzung mit dem Text.

Über die Überschriften habe ich auch nachgedacht, immer wieder. ;-) Letztendlich frage ich mich, welchen Unterschied es machen würde, sie z.B. durch Sternchen zu ersetzen?
"Pauls Mutter" möchte ich ungern duch "Anna" ersetzen, weil ich die Linien sich noch nicht so früh überkreuzen lassen möchte.
Die kleineren Korrekturen machen mir rhythmisch Probleme. Lies die Sätze doch mal bitte in der Ursprungs- und in Deiner Version! Ich verstehe, dass Deine Vorschläge sprachlich korrekter/runder wären, aber ich möchte den Rhythmus nicht verlieren. Hast Du noch eine andere Idee?
Hmmmm, und die Streichungen ... Als moralinsauer bzw. -säuerlich empfinde ich die Stellen nicht, aber sind sie nicht tatsächlich überflüssig? Darüber kann man sicher diskutieren.
Der erste Absatz ist aus der Sicht des Kindes geschrieben, beschreibt seine Pläne, seine Hoffnungen für die Zukunft. Ist der übrige Text so eindrücklich, dass diese Facette Pauls bereits deutlich wird?
Die zweite Textstelle korrespondiert mit Pauls Schlägerei. Brauche ich die wirklich? Ich weiß es gerade nicht. Meine Texte kommen überlicherweise sehr knapp und häufig zu kryptisch daher. Verliert der Leser durch die Streichung nicht wichtige Informationen über Anna? Verstehe mich nicht falsch, ich bin so gar kein Freund von überflüssigem Geschreibsel, möchte aber auch mal deutlicher werden.

Ich freue mich sehr über weitere Gedanken und Vorschläge!

Viele Grüße
Hannah
 
B

bluefin

Gast
liebe @hannah,

die überschriften sind "kindisch" - der leser wird mit der nase auf etwas gestoßen, was sich ihm von ganz alleine erschließen will. der reiz der geschichte geht verloren, ebenso wie durch die (von mir gebläuten) detail-"erklärungen": da hört man zu sehr die straßenbahn in der schiene quietschen.

wenn du anna sofort zu pauls mutter machst, geschieht ebengerade das, was du gar nicht willst: die beiden figuren fahren von anfang an im gleichen geleis. dass sie zusamengehören, sollte man anfangs besser nur ahnen, nicht gesagt kriegen.

was den sprachrhythmus anbelangt, teile ich deine bedenken nicht. dein erzählstil ist gepflegt, aber nicht wirklich melodiös oder gar im tempus wie eine ballade. es macht daher keinen sinn, einzelnen sätzen nachzuhorchen, ob sie rhythmisch sind oder nicht, wenn dabei der gepflegte stil dem slang weichen muss. "~mal" und "~was" passen hier nicht. und es darf getrost "nach hause" heißen - daran bricht sich keiner die zunge.

zur moralinsäure nur soviel: wer geschichterln aus einer zeit schreibt wie dieser, kennt ganz gewiss "heintjes" grauenhafte mama-gesänge, allwo dem mütterlein alles mögliche angeboten wurde: solche anklänge solltest du meiden wie die pest. gleiches gilt für den entbehrlichen schnörkel am grab darüber, was die witwe wohl denkt: sie sagt uns ungefragt das, was jede "tapfere" witwe sagen muss.

ich würde, wie schon empfohlen, auf beides verzichten. die "mama, ich bau dir ein häuschen"-nummer korrespondiert mit nichts (der junge weint ja schon eine zeile davor und vermisst seine mama bereits, obwohl er noch gar nicht endgültig fort ist); ebensowenig braucht deine geschichte das belanglose "tapfere kleine kriegerwitwe"-segment.

den einwand unseres geschätzten @spätschreibers verstehe ich auch nicht so recht. die omi will die bank für sich haben, so wie sie einen sitzplatz in der bahn beansprucht, sonst nichts. in der geschichte dient sie nur dem zweck, zu zeigen, dass der kleine anfängt, wie ein erwachsener zu denken.

liebe grüße aus münchen

bluefin
 
Liebe Hannah, hoffentlich krieg ich das so aufgeschrieben wie ich es meinte. Ich versuchs mal.

Was ich immer so sehr bestaune, sind die unterschiedlichen Blickwinkel in eine Geschichte. Wie ein Kind sitze ich einfach so da und wundere mich. Manche Dinge haben ein ganz selbstverständliches Bild erzeugt und manche warten auf auflösende Sätze, die den Staub von den Scheiben wischen, sodass man sie erkennt. Prima.

Meistens brauche ich nur vier bis fünf Zeilen und entscheide dann schon für mich, ob eine Story lesenswert ist oder nicht. Hier war das auch so. Die ersten vier Zeilen haben mich hineingezogen, weil sie eben das in mir anrichteten, von dem ich eingangs sprach. Bilder!

Mein Einwand basierte auf dieser, meiner Lesart. Also:

„Um diese Zeit war Paul noch nie im Park gewesen.“
[Soll also heißen, dass es kein unbekannter Ort für ihn ist.]

„An normalen Tagen kam er gegen Mittag, legte seine Schultasche neben sich auf die Bank, saß einfach da und dachte.“
[Ok, an normalen Tagen. Dies ist also keiner. Warum?]

„Dachte sich all die schweren Gedanken fort, und seine Angst.“
[Angst! Wovor? Weiterlesen!!!]

„Kinder in deinem Alter sitzen nicht auf Bänken, scher’ dich fort!“ hatte einmal eine Frau gezetert.

[Hier geht für mich der Vorhang auf, aber eben nur ein wenig. Eine Frau hatte gezetert. Ob sie auf dieser Bank sitzen wollte, ob sie bereits dort schon saß oder ob sie gar nur eine umherstreifende Besucherin war, ist nicht klar. Das ist auch egal. Es gab diesen Kontakt zwischen zwei Generationen. Mit diesen beiden Worten, die ich als Kommentar anfügte,( „Kinder in deinem Alter sitzen [noch] nicht auf [diesen] Bänken, scher’ dich fort!“, ist mir vollkommen klar, dass es sich um eben diesen stillen Ort handelt, den man in jungen Jahren noch nicht besucht. Für mich war dann sofort klar, dass es sich um einen Ort der Trauer handelt. Dein Satz: „Kinder in deinem Alter sitzen nicht auf Bänken, scher’ dich fort!“, ist mir bei der Beschreibung dieses Ortes einfach zu wenig. Denn Kinder in seinem Alter sitzen ja den ganzen Tag auf irgendwelchen Bänken die zu ihrem Umfeld gehören. Ich würde schon: „DIESE BÄNKE“ sagen. Denn sie stehen an einem besonderen Ort, an dem sich seine Generation kaum aufhält. Jedenfalls nicht in der Vertikalen.]

Auch finde ich, dass die Verbindung *seines* Aufenthaltortes und *ihres* Aufenthaltortes, (der mit den Eisentoren) besser miteinander korrespondieren. Aber das sollte nur mal mein Blickwinkel sein. Auch wenn alles so bleibt, wie es hier steht, ist es eine schöne Geschichte um deren Sprache ich Dich beneide. Wirklich.

LG
Tom
 
O

Open Mike

Gast
Kinder in deinem Alter sitzen nicht auf Bänken
"Nicht auf diesen Bänken" klänge in der Tat überzeugender. (ohne "noch")


"wenn ihre Wut mal satt war"
"wenn ihre Wut endlich satt war"

"Paul hörte ein Knacken und erschrak. Da waren Schritte, da kam was auf ihn zu."
"Paul hörte ein Knacken und erschrak. Da waren Schritte, da kam etwas auf ihn zu."

Aus rhythmischen, melodischen und stilistischen Gründen sind "mal" und "was" die bessere Wahl.

Er war aufgestanden und nach Haus’ gegangen.
Dieses "nach Haus" (ohne Apostroph) ist durchaus kindgerecht. Andererseits wir wenig später mit "zuhause" ein ähnliches Wort in anderer Schreibweise verwendet.
→ und davongegangen

Emil hatte sie in einem Café angesprochen und gefragt, ob er sie einladen dürfte.
→ dürfe

Monate später hatte er sie mit ihrer Einsamkeit, der Last allein gelassen
Muss das wirklich sein?

„Da ist sie, meine Bank.“ Ein paar Augenblicke später ließ sie sich sinken, die Tasche neben sich.
Auch nicht sonderlich geglückt.

om
 

Hannah Rieth

Mitglied
Hallo zusammen,

erst einmal herzlichen Dank für Eure Rückmeldungen und Anmerkungen. Ich schaffe es gerade nicht zu antworten, wollte aber nicht einfach so schweigen. Es dauert vielleicht noch ein paar Tage bis ich zum Antworten komme, bis dahin lasse ich alles mal weiterarbeiten.

Danke sagt
Hannah
 
O

Open Mike

Gast
bis dahin lasse ich alles mal weiterarbeiten
Auf jeden Fall lohnt sich's.
Sujet und Duktus reißen hier meine Wenigkeit zwar nicht vom Hocker, aber das liegt sicher an persönlichen Vorlieben. Gleichwohl ist nicht zu übersehen: Die Autorin kann erzählen.
Besonders bemerkenswert: die interne Fokalisierung.

om
 

Hannah Rieth

Mitglied
Hallo zusammen,

nur eine kurze Zwischenmeldung: Ich bin noch dran. :) Schaffe es nur gerade nicht, mich angemessen mit Euren Anmerkungen auseinander zu setzen. Wird aber!

Hannah
 



 
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