Liquide

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Steffi

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Liquide

Am Ende. Außer Atem. Aufgeschreckt mitten in der Nacht. Nur ein Traum. Er war sich sicher, morgen, wenn die Sonne aufgegangen sein wird, dann würde der Traum vergessen sein. Der kalte Nachtschweiß ließ ihn frösteln, und er zog die Bettdecke wieder hoch über die Schultern. Von irgendwoher drangen Geräusche. Mitten in der Nacht. Er fand Wärme unter der Decke und schlief mir flüchtigem Gedanken an seine kalten Schultern wieder ein.

In der Arbeit ist er so unkonzentriert. Er wählt oft eine falsche Telefonnummer und ist überrascht fremde Stimmen in der Leitung zu hören. Ja, das Wetter ist schlecht und das Licht trübe vom Novemberregen. Die Firma will sparen. Immer nur sparen. Im Sommer wollte sie sogar den Urlaub kürzen. Nun ja, wollte. Er geht pünktlich nach Hause. Jeden Tag. Keine Überstunden seit einiger Zeit.

Wieder wachte er auf. Wieder fast ausgekühlt. Aber weniger irritiert von diesem Bild. Nur hätte er es nicht benennen können. Auch nicht wenn er es wollte.
Die Firma ist kein Ort mehr, an der er arbeiten will. Deshalb ist er pünktlich. Schon einige Zeit. In seiner Schreibtischschublade liegt das rote Seidentuch. Es gefällt ihm nicht, aber Geschenke behält man. Und es weckt Erinnerungen an den Traum aus der Nacht.
Er scheut das Telefon!
Wie soll er es erfahren?

Sie mochte ihn. Aus irgendeinem Grund mochte sie ihn. Auf dem Weg ins Büro traf sie ihn jeden Tag im Aufzug. Auch gestern. Sie reden, was man redet. Guten Morgen. Wie geht es in der Arbeit? War der Urlaub schön? Das Wetter. Sie war immer der Meinung, er würde sich nicht für sie interessieren.
Dann das.: er lädt sie zu Essen ein. Abendessen. Es gefällt ihr, sie fühlt sich geschmeichelt durch seine Aufmerksamkeit. Sie gehen in ein verschwiegenes Restaurant und essen Pasta mit Meeresfrüchten, trinken Rotwein und Kaffee. Sie findet ihn nett, ja, es lag sogar etwas Spannung in der Luft.
Und das Licht war schön.

Wieder Nacht. Wieder der Traum. Kalter Schweiß lag auf all seinen Gliedern. Die Luft war heiß und stickig. Wenn er sich nur erinnern könnte an diesen Traum, der ihn nicht loslassen wollte, der anfing Tag und Nacht seine Gedanken zu beherrschen. Er wollte wieder einschlafen.
In de Firma sieht er jetzt zuerst in die Schublade. Auf das rote Tuch, in der Hoffnung sich zu erinnern. Die Arbeit stört ihn, sie stößt ihm auf. Seine Hand zittert, wenn er zum Telefon greift. Sie zittert noch stärker, wenn er eine Nummer wählt. Die Schrecksekunde, wenn das Knacken in der Leitung sagt, da ist jemand. Eine fremde Stimme. Sie spricht und er fühlt sich wie im Traum. Er geht pünktlich, wie jeden Tag.

Sie war mit ihm schon zwei Mal ausgegangen. Heute Abend das dritte Mal. Sie würde seinem Werben nachgeben. Ja, sie mochte ihn sehr. Und sie spürte an ihm eine magische Kraft.
Er führte sie wieder in das kleine Restaurant. Er hatte sogar ein Geschenk für sie. Eine kleine goldfarbene Schachtel mit roter Schleife. Er bat sie, es zu öffnen. Es war ein rotes Seidentuch. Sie dankte ihm und legte es um.

Sie gingen gemeinsam nach Hause. Sie an seinem Arm. Er war galant. Ihr sonst so blasses Gesicht rot angehaucht. In dieser Nacht, das wussten beide, gehörten sie einander.

Am Ende. Außer Atem. Aufgeschreckt mitten in der Nacht. Nur ein Traum. Er war sich sicher, morgen, wenn die Sonne aufgegangen sein wird, dann wird der Traum vergessen sein.

Er hatte die Arbeit gewechselt. Die neue Firma tat ihm gut. Er fühlte sich befreit, zitterte kaum mehr. Manchmal blieb er länger in der Arbeit. Das Wetter war besser, es war Frühling, und das Licht vertrieb alle düsteren Gedanken. Die Firma war ein Ort, an dem er arbeiten konnte. Ein Ort, an dem der Traum ihn in Frieden ließ.
Solange er nicht in seine Schreibtischschublade sah. In der Schublade liegt das rote Seidentuch. In einer goldenen Schachtel. Es gefällt ihm nicht, aber Geschenke behält man. Und es weckt Erinnerungen. Erinnerungen an den Traum aus der Nacht!
 

Gorgonski

Mitglied
Hallo Steffi,

Schöne Geschichte nur bleibt (absichtlich?) offen, was er denn nun in der Nacht träumt und warum er das Seidentuch dann wieder hat.

MfG, Rocco
 

Steffi

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Danke Rocco,

Ich hatte alles bewußt sehr vage gelassen. Deine Frage ist genau die Antwort, die mich interessiert hat. Ich wusste nämlich nicht, ob ich es geschafft habe, mit den Träumen und dem Seidentuch das auszudrücken, was es sein soll: er träumt von vorhergegangenen Morden und die Tatsache, dass er immer unruhiger wird, und die Träume immer quälender soll aussagen, dass der Drang wieder steigt.
Das Tuch hat er am Schluss zurück, weil er damit die Frau - wie alle anderen zuvor - ermordet hat. Ich denke, ich werde daran noch arbeiten müssen!

Gruß, Steffi
 

Gorgonski

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Hallo Steffi

Danke für Deine Antwort, jetzt liest sich die Geschichte natürlich ganz anders.


MfG; Rocco
 

Dornrose

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Etwas unklar

Hallo Steffi,

ganz am Schluss deiner Geschichte kam mir die Idee, dass die Frau ermordet würde. Möglicherweise hat dazu die Kategorie beigetragen, für die du dich entschieden hast. Das kann ich im Nachhinein natürlich nicht mit Bestimmtheit sagen.

Die Idee ist prima. Mir ist hier allerdings vieles Unklar. Nun bin ich durch Gorgonskis Reaktion und deine Antwort darauf natürlich eh schon schlauer, als ich es noch beim Lesen war. Aber was hat es mit dem Telefon auf sich? War das aktuelle Opfer, um das es hier geht, eine Kollegin und hat er wegen des dieses Mordes den Job gewechselt? Und die wichtigste Frage: warum tut er das überhaupt?

Ich meine, es ist sicher möglich sich auf den Drang des Täters zu konzentrieren und weiterhin alles "etwas vage zu lassen". Aber ich als Leserin interessiere mich natürlich besonders für den Grund oder die Ursache seines Treibens. Finde ich mit das wichtigste an einem Krimi, denn niemand mordet einfach so. Selbst wenn ein Mörder aus Spaß mordet, hat das einen Grund. Erst durch mit diesem Wissen kann ich nachvollziehen was warum passiert. Muss auch nicht bis ins Detail ausgeführt werden. Mir würde ausreichen, wenn ich ein paar "Fetzen" hingeworfen bekäme und mir den Rest ausmalen oder denken könnte.

Ciao

Dornrose
 

Steffi

Mitglied
Hallo Dornrose,

Ich bin leider bis jetzt nicht dazu gekommen, den Text zu überarbeiten.

Allerdings hatte ich nicht die Absicht das Warum genauer auszuleuchten. Es ging mir viel mehr darum, den Morddrang zu beschreiben, wie er erst unterbewußt bleibt und höchstens in Träume durchsickert und dann langsam bewußt wird und das Alltagsleben bestimmt. So lange, bis er sich ein Opfer sucht und mordet, nur um diese dunkle Gier zu befriedigen und sein Leben zurück zu bekommen.

Das Telefon spiegelt seine immer stärker werdende Verunsicherung und seine Konzentrationsprobleme wider. Die Tatsache, dass er sich verwählt und teilweise sogar fürchtet, eine fremde Stimme zu hören soll zeigen, unter welchem Stress er steht.

Das Opfer war vielleicht nicht gerade eine direkte Kollegin, aber eine Frau, die im selben Haus arbeitet, eine flüchtige Bekannte. Ihre Tragödie ist, dass sie ihn wirklich mag, sich fast in ihn verliebt, eine Zukunft sieht, die es nie gab.

Nach dem Mord wechselt er die Firma, vielleicht sogar die Stadt. Weniger wegen der Tatsache, dass man ihn mit dem Opfer in Verbindung bringen könnte, sondern weil er immerzu die Hoffnung hegt, er hätte den inneren Abgrund endlich hinter sich gelassen. Nur die Tatsache, dass er das rote Band bei sich hat symbolisiert, dass alles sich wiederholen wird.


Ich hoffe, die Antworten reichen, um dich ein klein wenig zufrieden zu stellen. Ich habe schon überlegt, einfach den Titel in 'Der Seidenbandmörder' oder etwas ähnliches zu ändern, aber das wäre zu billig. Außerdem halte ich Liqide für eine gute Beschreibung des seelischen Prozesses: die Normalität zerfließt hin zur Abnormalität. Gefällt mir einfach.

Liebe Grüße,

Steffi
 

Dornrose

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genug Antworten

Hallo Steffi,

habe mir sagen lassen, dass ein Text manchmal "ruhen" muss wie ein guter Wein bzw. ein Wein, der gut werden soll. Deshalb ist es vielleicht gar nicht tragisch, wenn du den Text bislang nicht bearbeiten konntest. Vorausgesetzt natürlich, es stimmt, was mir so manch einer als guten Rat mit auf den Weg gab. ;-)

Das ist ja genau das, was ich meinte. Ob aus Lust oder Trieb gemordet wird, es hat einen Grund, warum der Täter es tut und das möchte ich wissen. Und genau das möchtest du herausarbeiten. ;-)

Du hast mit deinen Antworten für mich einiges geklärt. Ich meine, die Telefongeschichte müsstest du vielleicht deutlicher machen und ebenso, welchem Stress er ausgesetzt ist durch sein Treiben. Das ist für mich der Punkt, warum ich die derzeitige Fassung deiner Story nicht so gut gelungen finde. Es geht mir keinesfalls darum, haarklein alles präsentiert zu bekommen.

Eine Geschichte, bei der ich mir selber das Ende zusammenreimen kann oder bei der ich nachdenken muss, ist nicht grundsätzlich schlecht. Aber mein Problem war hier, dass ich verschiedene Punkte nicht einsortieren konnte und zuviele (wichtige?) Fragen offen blieben.

Ich danke dir für deine Antwort.

Herzliche Grüße

Dagmar
 



 
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