Löwentraum

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Inu

Mitglied
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28. 09. 2006


Löwentraum

Da ist ein riesiger Löwe hinter mir her, einer mit mächtigem Kopf und gelber Mähne. Seine kleinen Bernsteinaugen funkeln. Fühllos. Aufs Töten ist er aus

„Hilfe“, schreie ich und renne. Hätte gern die Haustür zugeschlagen und hermetisch verriegelt. Aber der Löwe ist schon im Haus.

Er verfolgt mich mit gewaltigen Sprüngen ... Warum gibt es hier keine Türen, sondern nur stilgerechte Durchgangsbögen zwischen den Zimmern?

Schnell bin ich im Bad. Gerettet. Denn das Bad hat eine Tür. Aber ... es ist eine Schiebetür... ich kann sie nicht abschließen, nur rasch zuziehen. O mein Gott. Jetzt das Krachen berstender Möbel. Glasvitrinen klirren zu Boden. Der Löwe ist durchs Wohnzimmer gejagt. Schon bebt die Wand von der Wucht seines Ansprungs. Und dann schiebt er die Tür auf. Mit wild kratzender Tatze. Langsam. Langsam. Zentimeter für Zentimeter. Schon verloren, leiste ich stoisch Widerstand. Meine Finger finden im Relief des Holzes ein wenig Halt. Klinke oder Knauf gibt es nicht, an denen mein Griff sich hätte verankern können. Immer wieder rutschen meine Hände ab, doch ich kann die Tür bis auf den kleinen Spalt geschlossen halten. Meine Kraft gegen seine.

Aber ... einen Teil seiner Pranke rammt er jetzt schon durch die Öffnung, durch den Türspalt, den möglichst eng zu halten, ich noch immer versuche. Doch wie lang reicht meine Kraft? Ist denn da nichts zum Schneiden, zum Stechen? ... Schraubenzieher, Schere, Messer? ... Ich will ihm seine Tatze zerfetzen, dass er vielleicht doch noch von mir ablässt. Aber keines dieser rettenden Dinge ist in meiner Reichweite. Ich halte die Tür noch immer zu, so gut ich kann.

„Hilfe“, rufe ich dabei sehr laut und ganz methodisch, „Hilfe, Hilfe“. Meine Stimme ist ruhig. Ich habe keine Angst. Nur Wut. Wut. So will ich nicht sterben. Und vielleicht hört den Ruf ja doch jemand.
„Hilfe.
Hilfe“.
Ganz ruhig. Ich folge festgeschriebenen Überlebensregeln. Es ist ein Versuch meinerseits. Nur ein Versuch. Wie man vom sinkenden Schiff immer wieder Leuchtraketen abfeuert, ahnend, dass doch niemand in der Nähe ist:
"Hilfe!"

Die Kraft des Löwen hält länger an als meine. Schon presst sich sein mächtiger Schädel durch den groß gewordenen Türspalt, kalte Königsaugen, mit denen keine Kommunikation möglich ist. Ein Blick genügt, ich weiß, ich bin verloren ... Und so wütend. Da ramme ich ihm meine geballte Faust in den Rachen, meine kleine, schwache, aber geballte Faust. Sie trotzt seinen Zähnen und der Mörderkraft seiner Kiefer und während er mir Knochen und Gelenk zerquetscht, wüte ich in ihm - bis zur Armbeuge eingewuchtet in seinen Schlund – und ich reiße die Innereien seines Mauls - Zunge, Kehlkopf - nach außen. Unter Strömen von Blut und Fleischfetzen - den meinen, den seinen - tobt meine zerschundene Faust in seinem Rachen.

Ich kämpfe mit letzter Kraft. Wir stürzen beide hinter der offenen Tür nieder. Der riesige Löwe ... mit meiner rechten Hand, die nur noch ein zermantschter Haufen Knochen und Fleisch ist, aber dennoch brauchbar, und der intakten linken würge ich ihn jetzt, drossele, drossele, drücke ihm die Luft ab, unerbittlich, bis er zur zottigen Haut- und Fellhülle geworden, leblos und mit gebrochenen Augen vor mir am Boden gebreitet liegt. O mein Gott.

Ich wache auf. Mein rechter Arm ist vom Ellenbogen bis zu den Fingerspitzen ohne Gefühl, wie tot. Das erschreckt mich ebenso sehr wie der Traum. Doch kein Grund zur Besorgnis. Ich hab das oft. Der Arm wird sich in einer Minute erholen, wenn ich ihn nur heftig genug reibe, schüttele, bewege. Ich kenne das. So etwas kommt von der Halswirbelsäule, hat der Orthopäde gesagt.



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am 28.09.2006 Irmgard Schöndorf Welch



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petrasmiles

Mitglied
WOW

Angeschmiert!
Habe ich gelacht. Fast wäre ich in die tiefpsychologische Falle getappt :) Die Aufklärung kam gerade rechtzeitig, um mich vor dem Schlimmsten zu bewahren :)
Tolle Idee!

Liebe Grüße
Petra
 
N

no-name

Gast
Wow Inu,

wie gut ich dieses Gefühl kenne! Es kribbelt wie wenn tausend Armeisen im Arm eingeschlossen wären und wie wild den Ausgang suchen...

Eine klasse Geschichte, Die Du super umgesetzt hast!

Grüße von no-name.
 

Inu

Mitglied
hallo Petrasmiles

Habe ich gelacht. Fast wäre ich in die tiefpsychologische Falle getappt Die Aufklärung kam gerade rechtzeitig, um mich vor dem Schlimmsten zu bewahren
Tolle Idee!
Nein ... diesmal keine tolle Idee. Haargenau ein gerade geträumter Traum, den ich am Morgen ohne Fantasie und eigenes Zutun nacherzählt habe. Natürlich habe ich ein bisschen am Stil gearbeitet, versucht Wortdoppelungen und so was halbwegs zu vermeiden. Das ist aber auch schon alles.

Ich freue mich sehr, dass der Text bei Dir so gut angekommt. Der Traum, so gruselig er ist, ist echt.

Liebe Grüße
Inu
 

Inu

Mitglied
Liebe no-name

Ja ja, diese sonderbaren Körpergefühle und Phänomene. Darüber könnte man lange berichten. :)

Ich bin stolz, dass Dir die Geschichte gefällt. Danke fürs Lesen, Kommentieren und die Klasse-Bewertung

herzlichen Gruß
Inu
 

Inu

Mitglied
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Nacherzählung eines Traumes.



28. 09. 2006


Löwentraum

Da ist ein riesiger Löwe hinter mir her, einer mit mächtigem Kopf und gelber Mähne. Seine kleinen Bernsteinaugen funkeln. Fühllos. Aufs Töten ist er aus.

„Hilfe“, schreie ich und renne. Hätte gern die Haustür zugeschlagen und hermetisch verriegelt. Aber der Löwe ist schon im Haus.

Er verfolgt mich mit gewaltigen Sprüngen ... Warum gibt es hier keine Türen, sondern nur stilgerechte und aufwendige Durchgangsbögen zwischen den Zimmern?

Schnell bin ich im Bad. Gerettet. Denn das Bad hat eine Tür. Aber ... es ist eine Schiebetür... ich kann sie nicht abschließen, nur rasch zuziehen. O mein Gott. Jetzt das Krachen berstender Möbel. Glasvitrinen klirren zu Boden. Der Löwe ist durchs Wohnzimmer gejagt. Schon bebt die Wand von der Wucht seines Ansprungs. Und dann schiebt er die Tür auf. Mit wild kratzender Tatze. Und doch langsam. Langsam. Zentimeter für Zentimeter. Schon verloren, leiste ich stoisch Widerstand. Meine Finger finden im Relief des Holzes ein wenig Halt. Klinke oder Knauf gibt es nicht, an denen mein Griff sich hätte verankern können. Immer wieder rutschen meine Hände ab, doch ich kann die Tür bis auf den kleinen Spalt geschlossen halten. Meine Kraft gegen seine.

Aber ... einen Teil seiner Pranke rammt er jetzt schon durch die Öffnung, durch den Türspalt, den möglichst eng zu halten, ich noch immer versuche. Doch wie lang reicht meine Kraft? Ist denn da nichts zum Schneiden, zum Stechen? ... Schraubenzieher, Schere, Messer? ... Ich will ihm seine Tatze zerfetzen, dass er vielleicht doch noch von mir ablässt. Aber alle diese rettenden Dinge sind in einer Schublade knapp außerhalb meiner Reichweite. Ich halte die Tür noch immer zu, so gut ich kann.

„Hilfe“, rufe ich dabei sehr laut und ganz methodisch, „Hilfe, Hilfe“. Meine Stimme ist ruhig. Ich habe keine Angst. Nur Wut. Wut. So will ich nicht sterben. Und vielleicht hört den Ruf ja doch jemand.
„Hilfe.
Hilfe“.
Ganz ruhig. Ich folge festgeschriebenen Überlebensregeln. Es ist ein Versuch meinerseits. Nur ein Versuch. Wie man vom sinkenden Schiff immer wieder Leuchtraketen abfeuert, ahnend, dass doch niemand in der Nähe ist:
"Hilfe!"

Die Kraft des Löwen hält länger an als meine. Schon presst sich sein mächtiger Schädel durch den groß gewordenen Türspalt, kalte Königsaugen, mit denen keine Kommunikation möglich ist. Ein Blick genügt, ich weiß, ich bin verloren ... Und so wütend. Da ramme ich ihm meine geballte Faust in den Rachen, meine kleine, schwache, aber geballte Faust. Sie trotzt seinen Zähnen und der Mörderkraft seiner Kiefer und während er mir Knochen und Gelenk zerquetscht, wüte ich in ihm - bis zur Armbeuge eingewuchtet in seinen Schlund – und ich reiße die Innereien seines Mauls - Zunge, Kehlkopf - nach außen. Unter Strömen von Blut und Fleischfetzen - den meinen, den seinen - tobt meine zerschundene Faust in seinem Rachen.

Ich kämpfe mit letzter Kraft. Wir stürzen beide hinter der offenen Tür nieder. Der riesige Löwe ... mit meiner rechten Hand, die nur noch ein zermantschter Haufen Knochen und Fleisch ist, aber dennoch brauchbar, und der intakten linken würge ich ihn jetzt, drossele, drossele, drücke ihm die Luft ab, unerbittlich, bis er zur zottigen Haut- und Fellhülle geworden, leblos und mit gebrochenen Augen vor mir am Boden gebreitet liegt.

Ich wache auf. Mein rechter Arm ist vom Ellenbogen bis zu den Fingerspitzen ohne Gefühl, wie tot. Das erschreckt mich ebenso sehr wie der Traum. Doch kein Grund zur Besorgnis. Ich hab das oft. Der Arm wird sich in einigen Minuten erholen, wenn ich ihn nur heftig genug reibe, schüttele, bewege. Ich kenne das. So etwas kommt von der Halswirbelsäule, hat der Orthopäde gesagt.



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am 28.09.2006 Irmgard Schöndorf Welch



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