Lohengrin

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gerian

Mitglied
"Warum ist die Frau da?"
"Welche?"
"Die da in Papas Dunkelzimmer, wo er Bilder zaubert."
"Dunkelkammer, mein Liebling, wo Papa Bilder entwickelt."
"Die Frau... riecht."
"Frau Drummer riecht nicht, das ist ihr Gemüse, sie verkauft es, damit die Leute zu essen haben."
"Warum in Papas Dunkel...?"
"Sie ist ausgebombt."
"Was ist das?"
"Sie hat keinen Laden mehr."
"Dann gibt ihr Papas..."
"Das geht nicht, da bin ich doch drin."
"An der Tür von Frau Drummer hängt ein Schild. Was steht drauf?"
"Heute keine Ware."
"Müssen die Menschen jetzt hungern?"
"Ein bisschen, sie haben noch Brot."
"Ich hab Hunger..."
"Wir essen gleich."
"Wo ist Papa?"
"Im Krieg."
"Nur Papa?"
"Nein, alle Männer."
"Und Opa, ist der kein Mann?"
"Doch, aber der ist zu alt."
"Wofür?"
"Für den Krieg."
"Er ist bösen."
"Wer?"
"Der Krieg, er hat mir meinen Papa weggenommen."
"Er kommt bald wieder."
"Spielst du mir was auf dem Klavier?"
"Das geht jetzt nicht, ich muss in den Laden."
"Spielen die Leute für mich?"
"Welche?"
"Die da im Radio."
"Ja komm, wir gucken mal."

Sie drehte an den Knöpfen. Zuerst zischte es wie eine Lokomotive, dann leuchtete ein Auge aus dem Kasten und nun spielten die da drinnen auf Trommeln und Trompeten.

"Aufhören, ich mag keine Sirenen," schrie ich.
Doch die Leute spielten einfach weiter.
"Das sind keine...,mein Schatz, das ist Lohengrin... von Wagner, hör, jetzt spielen die Geigen ganz leise, magst du das?"
"Ja, aber..."
"Bleib da schön sitzen, ich geh jetzt in den Laden."

Wieder trompetete Lohengrin aus dem Kasten.
Ich ertrug ihn nicht mehr, sprang auf und flüchtete in den Laden.
Mutter erwartete mich schon: "Na du kleiner Ausreißer, hast genug vom Schwanengesang? Ich spiel dir nachher was Lustiges auf dem Klavier."
´Wie schön sie ist,´dachte ich.
Sie sah in ihrem weißen Kleid, den sie ´Kittel´nannte, wie eine Prinzessin aus.
"Komm, wir schließen jetzt den Laden und essen was."
"Oh ja bitte, ich hab Hunger."

Ich lief zur Ladentür und schloss ab. Sonnenlicht streichelte mein Gesicht. Der Baum im Vorgarten blühte schon im vierten Jahr. Er und ich waren größer geworden. Aber der Krieg dauerte immer noch.
"Er denkt an uns...," rief ich.
"Wer?"
"Papa..., weil der Baum so blüht."
"Ja mein Schatz, er denkt an uns."
"Komm jetzt."

In diesem Moment zerplatzte die Stille wie eine Seifenblase. Von den Türmen der Stadthäuser heulten Lohengrins Trompeten. Durch die Ladentür fiel ein Schatten über mich her. Ich flüchtete zur Mutter und schaute mich um.
Der Schatten gehörte einem Mann. Dessen Kopf versank in einem Helm. Er trug eine Armbinde, auf der eine Fratze grinste. Die Fratze hämmerte gegen die Tür.
Ich weinte.
"Keine Angst, mein Kleiner, das ist doch Herr Taube vom vierten Stock. Er passt schön auf uns auf, damit wir alles richtig machen."
Mutter öffnete Herrn Taube. Herr Taube schnauzte mich an: "Ein deutscher Junge weint nicht!"
"Aber meiner schon...," erwiderte Mutter.
Ich presste mich an ihren Bauch. Der Taube vom Vierten guckte finster: "Los beeilen Sie sich..., feindliche Luftverbände rücken näher, schnell, ab in den Bunker!"
"Wir sind schon unterwegs, Herr Taube."
"Blockwart Taube bitte," ermahnte er und zeigte auf sein Ärmelzeichen. Bevor er den Laden verließ, murmelte er etwas vom nahenden ´Endsieg´.
"Hier, zieh die Jacke an, schnell, ab in den Bunker."

Wir nahmen unsere warmen Sachen und was zum Essen mit. Legten alles in den Kinderwagen, der mir nicht mehr passte.
Draußen spiegelte Sonnenlicht von den Etagenfenstern. Papas Blütenbäumchen duftete an uns vorüber. Auch Menschen, die wie wir, bepackt zum Bunker eilten. Einige Frauen trugen weiße Trachten mit roten Kreuzen an den Mützen. Sie halfen Uniformierten in zerlumpten Hosen, auf Krückenbeinen weg zu laufen.
Wieder heulten Lohengrins Trompeten von den Dächern. Ein Hund klagte mit. Ich kriegte Gänsehaut.
"Lauf mein Kleiner, gleich haben wir es geschafft!"
Ich hielt mich an meiner Prinzessin fest, die andere Hand umklammerte den Steg vom Kinderwagen.
Als wir das Tor zum Bunker erreichten, donnerten Flugzeuge vom Himmel, stürzten und jaulten wie Hyänen auf uns nieder und drehten dann ab. Danach krachte es irgendwo in der Nähe. Die Luft drückte mir die Ohren zu.
Dann war es still und dunkel geworden. Es roch nach vielen Menschen. Ein Uniformierter schloss das Eisentor.
Mutter nahm mich in den Arm. Ich fühlte mich geborgen. In einer freien Ecke kauerten wir nieder. Auf einer Liege schlief ich ein.

"Wach auf, mein Kleiner, der Krieg ist vorbei," flüsterte Mutter mir zu.
Ich sah aus dem Fenster. Das Bäumchen blühte immer noch. Ich freute mich und lachte: "Papa kommt nach Hause!"

Am nächsten Tag stand er vor der Tür. Er war nicht allein gekommen.
"Warum ist die Frau da?"
"Wo?"
"In deinem Laden."
"In Papas Laden, mein Liebling."
"Ist die Frau ausgebombt?"
"Nein, mein Schatz, die hat Papa mitgebracht."
"Warum?"
"Weil Papa im Krieg so allein war..."
 

Haremsdame

Mitglied
Hallo Gerd,

auch dieser Text hat in meinen Augen zuviel wörtliche Rede. Wobei das Thema ansprechend ist und nachdenklich macht. Es gibt noch ein paar Ecken und Kanten.
Zum Beispiel:
Mutter öffnete Herrn Taube. Herr Taube schnauzte mich an
Zweimal Herr Taube nacheinander muss nicht sein. Auch wenn ein kleiner Junge erzählt.
Papas Blütenbäumchen duftete an uns vorüber.
Ich kann mir vorstellen, dass Du auf diesen Satz stolz bist. Aber ich meine, er passt nicht, wirft den Leser aus dem Text, weil er darüber nachzudenken beginnt ...
Schön, dass der Papa schon am nächsten Tag nach Hause kam. Die meisten kamen doch erst sehr viel später, hatten weite Wege zurückzulegen oder waren noch in der Gefangenschaft ... Das macht die Geschichte unglaubwürdig. Gib dem Vater mehr Zeit, dann hat er auch eher Gelegenheit, diese neue Frau kennenzulernen ...
Ansonsten: Weiter so!
 

Ralf Langer

Mitglied
Hallo gerian,
ich mag wörtliche Rede in Prosa,
und allemal dann wenn sie gelungen daher kommt
wie hier.
Wörtliche Rede lässt den Leser die Gegewart des
Beschriebenen erleben.

Diesen direkten Ton verlierst du ein wenig in den
beschreibenden Teilen, in denen du- womöglich absichtlich-
zu "lyrische" Bilder einfügst.

Das Ende kommt ein wenig gewollt. M.E. hätte der Papa
einfach Zuhause erscheinen können. Die Fremde
neue Frau tat nicht not.

Nichtsdestotrotz eine Szene die ich gerne gelesen
habe.

Spannend und gekonnt

lg
Ralf
 

gerian

Mitglied
Hallo Ralf,

danke für deinen konstruktiven Kommentar.
Es freut mich, dass dir die Dialoge gefallen haben. Ich meine auch, dass sie in Kurzgeschichten nicht fehlen sollten, denn sie informieren und treiben die Handlung voran.
Gewiss habe ich lyrische Bilder gezeichnet, in denen dann die Dialoge zurücktreten.

Die Frau am Anfang und die Frau am Ende mit unterschiedlicher Bedeutung, sollen sie doch die Auswirkungen eines Krieges darstellen, die auch vor einer Familie nicht halt machen, sie zerstören.

LG
Gerd
 

Ralf Langer

Mitglied
hallo gerian,
die frage die sich mir stellt,
und die die Geschichte nicht beantwortet
ist,
wie kommt der papa im krieg an eine frau.

andererseits ist die reaktion de mutter
auf diesen affront stark.
vielleicht zu stark?
Werde nochmal darüber nachdenken.

lg
ralf
 
S

suzah

Gast
hallo gerian,

"Der Baum im Vorgarten blühte schon im vierten Jahr. Er und ich waren größer geworden. Aber der Krieg dauerte immer noch."
der baum blüht also 43 im 4. jahr, wenn man davon ausgeht, dass er während des krieges (nicht vorher) blühte.
wenn dann der alarm, das schlafen des kindes und erwachen alles nacheinander passiert, also zumindest im gleichen frühjahr, kann der krieg nicht aus sein und der vater heimkehren (der krieg war erst am 8.5.45 aus), der vater könnte also erst dann kommen, evtl bereits im april, wenn er in bereits vorher besetzten gebieten war.

"donnerten Flugzeuge vom Himmel, stürzten und jaulten wie Hyänen auf uns nieder und drehten dann ab. Danach krachte es irgendwo in der Nähe."
meines wissens warfen nur die deutschen sturzkampfbomber (stukas) ihre bomben im sturzflug ab, gemeint sind aber wohl die us-bomber.

lg suzah
 
S

suzah

Gast
hallo ralf,

wieso sollte der vater nicht an eine frau kommen? gelegenheiten ergaben sich immer, rote-kreuz-schwestern, frauen, mit denen er gemeinsam flüchtete, oder die ihm halfen, sich zu verstecken und zu flüchten (desertieren im letzten kriegsmonat oder um der gefangenschaft zu entgehen) etc etc.

lg suzah
 

Ralf Langer

Mitglied
liebe suzah,
natuerlich gibt es immer gelegenheiten.
die frage fuer mich war nur:
tat diese gelegenheit hier, in dieser geschichte not.
das bild der mutter ist stark gezeichnet.
auch ohne die andere frau.

verbleibe gruebelnd
ralf
 

gerian

Mitglied
Hallo zusah,

gut beobachtet, zusah, das mit dem blühenden Baum im vierten Jahr, richtig, das war 1943.
Alles andere dann wohl eher Poesie.
Ich müsste da wohl dennoch konkreter werden. Oder Toleranz erwarten dürfen.
Manchmal sind die Wahrnehmungsgrenzen fließend, erst recht bei einem fünfjährigen Kind, ist doch alles aus der Perspektive eines Kindes.

In der Beantworung zu Ralf Langer danke ich dir. Du hast ihm geholfen, seine Sichtweise zu erweitern, zumal es ja tatsächlich in jener Zeit Frauen gab, die auch fast an der Front standen...

LG
Gerian
 
S

suzah

Gast
hallo gerian,
ja, es ist aus der sicht des kindes und das ist immer schwierig, weil sich da leicht eine "erwachsenensicht" einschleicht. du hast das sonst auch gut gelöst, aber "...murmelte er etwas vom nahenden ´Endsieg´", ob ein fünfjähriger diese formulierung so wiederholt?
liebe grüße suzah
 

gerian

Mitglied
hallo suzah,

ja, hast vollkommen Recht, es ist eine Gratwanderung, aus der Perspektive eines Kindes zu schreiben. Danke für den Hinweis.

LG
Gerd
 



 
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