Lose Lose

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Walther

Mitglied
Lose Lose


Sie brechen Versprechungen
Und die Vögel singen wie immer
Die Sonne scheint auch
Wenn der Tag anbricht
Nach diesen Nächten

Schlaflosigkeit spricht aus Seelen
Von diesen Brechungen
Aufgefächert die Schmerzen
In Schwerelose nach Farblosigkeiten
Keine Leichtigkeiten mehr

Aber Leichtgewichte
Besprechen die Verbrechen
Ahnungslose fallen dabei zu
Sprechen Bände
Zeigen immer ihre Rücken

Ja die Regale ja die Ordnung
Verheißen so voller Glaube Liebe Hoffnung
Wer zieht die Lose
Wer verzeiht sie und
Wer geht im Frühling doch zu Grunde
 

revilo

Mitglied
Hallo Waltherli, ich kann mit dem Wort " Brechungen " nix anfangen........klär mich biite auf.... LG revilo
 

Rhea_Gift

Mitglied
Die Brechungen der Versprechen, würd ich meinen? Vielleicht auch das gebrochen unharmonisch erscheinende von Verbrechen und heiler Welt drumrum, als wär nix gewesen (Sonne scheint, Vögel singen ...)?? Was kratzt den erwachenden Morgen die schlaflose Nacht von jemandem??

Würd ich ma jetzt so frei interpretieren...`?

LG, Rhea
 

Walther

Mitglied
Lb. Revilo,

das Wort "Brechungen" nimmt Bezug auf das Verb "brechen" aus Strophe 1. Auch bitte die verschiedenen Bedeutungsebenen dieses Worts betrachten. Das Gedicht basiert wesentlich auf die aus den Wortstämmen und Bedeutungsebenen sich ergebenden Aussagevarianten.

Danke und Gruß W.


Lb. Rhea_Gift,

kann man so interpretieren (und soll das auch). Deinem Beitrag kann ich entnehmen, daß bei Dir das gezündet hat, was ich beabsichtigt habe: Das sich Einlassen auf den Text und das Ausleuchten seiner Bedeutungsebenen und Zwischenräume.

Vieles von dem, was Du herausgearbeitet hast, war tatsächlich so gemeint. Nun habe ich bewußt mit verschachtelten Bedeutungsebenen, die aus mehrfachen Teekesselchen und Teilen bekannter Wortfetzen entstehen, eben genau das Spekulieren und Fabulieren anregen und zulassen wollen. Das Gedicht soll so im Kopf des Lesenden sich vervollständigen, quasi weitergesponnen werden.

Ich habe diese Technik aus der Haikudichtung in meine Vers libre Versuche übernommen und zugleich um den Aspekt der Sprachcollage erweitert.

Danke und Gruß W.
 

Rhea_Gift

Mitglied
Da ich ein Haikufan und ebenfalls Sprachspiele und Mehrdeutigkeiten mag, fällt mir das Einlassen auf so etwas nicht ganz so schwer - gern gelesen, mal was anderes, als die Sonette...

LG, Rhea
 

Walther

Mitglied
Danke, auch für Deine Wertung,

lb. Rhea_Gift,

nur Sonette wird irgendwann langweilig. :) Ich weiß schon ...

LG W.
 

Rhea_Gift

Mitglied
Ich will die Arbeit, die hinter Sonetten steckt, gewiss nicht schmälern - aber Leser konsumieren und gewöhnen sich... ;)
Daher mal was anderes von dir nicht nur schön, sondern auch interessant, weil neu, zu lesen :)

LG, Rhea
 

Walther

Mitglied
Lb. Rhea_Gift,

ich weiß, ich weiß. :) Danke für Deinen Eintrag. Man sollte in der Tat immer wieder mal was Neues ausprobieren. :D

LG W.
 

Perry

Mitglied
Hallo Walther,

dieser Text lässt mich etwas gepalten zurück.
Was mich vor allem verunsicherte war die zweite Strophe, die mich mit ihren Bildern nicht erreichte.
"Schlaflosigkeit der Seelen" -> Seelen sind körperlos
"aufgefächert die Schmerzen" -> Auffächern kann man nur etwas Greifbares
"In Schwerelose nach Farblosigkeiten
Keine Leichtigkeiten mehr" -> auch die Alliterationen "lose / keiten" können hier die fehlendene Sinnhaftigkeit nicht ausgleichen (Wie sollte in Schwerelosigkeit keine Leichtigkeit mehr gegeben sein?)

Inhaltlich ist das Thema durchaus interessant, weil es die Frage nach dem stellt, der uns die Lose des Lebens zuteilt,
aber da fehlt mir ein wenig die Ausgewogenheit, denn in dem Text scheint es nur "Nieten" für die Protagonisten zu geben.
LG
Manfred
 

Rhea_Gift

Mitglied
Hi Perry,

ich seh da kein Problem, Schlaflosigkeit spricht aus Seelen ist etwas anderes als eine Schlaflosigkeit der Seelen - nimmst du das alte Bild der Seele, die im Auge zu sehen ist, dann sprechen z.B. unruhige, gehetzte Blicke von der Schlaflosigkeit aus der Seele = der Person, nicht umsonst sagt man auch ein Dorf mit hundert Seelen (=Menschen) - das geht für mich durchaus als Bild, so gesehen wäre sogar eine Schlaflosigkeit der Seele okay. Schließlich lässt eine unruhige Seele den Körper nicht schlafen, wenn man so will. Ich denke, in der Lyrik müssen wir nicht über Körper-Seele-Dinge diskutieren, denn alle Eigenschaften der Seele sind bis heute unbewiesen und werden gern in Neurone etc. verlegt - wollen wir jetzt dann nur noch von Körpern und Neuronen sprechen?
Dann wäre auch schon so etwas wie Herzschmerz falsch... ;)

Und da walther hier mit dem Los spielt - ist das Schwerelose für mich hier eben nicht schwerelos, sondern ein schweres Los Mehrzahl = Schwerelose, hier zum Substantiv zusammengezogen. Zumindest hab ich es so gelesen...
Und wenn man verschiedene Schmerzen hat, kann man diese auch auffächern in einzelne Schmerzen der Enttäuschung, Trauer etc., die man aber auch zusammengefasst als großen Gesamtschmerz fühlen kann. Ich sehe hier keine logischen Probleme...

LG, Rhea
 

Walther

Mitglied
Hallo Perry,

danke für Deinen ausführlichen Eintrag. Der Text ist u.a., aber durchaus nicht nur, ein Spiel mit den verschiedenen Bedeutungen des Worts/Wortteils "los". Unter diesem Aspekt sollte Du diesen Text lesen. Der Schlüssel steckt in der Überschrift, wurde also mitgeliefert.

Wenn Körper schlaflos sind, überträgt sich dieser Zustand auf den der Seelen. Das ist also durchaus logisch und auch stringent. Schwerelos aber ist per definitionem leicht, und zwar noch leichter als leicht, ein wahres Leichtgewicht demnach. Immer wieder beachten, dass hier der Doppel- oder Mehrfachsinn der Worte und Wörter gefragt ist. Die Bedeutung kann sich nach hinten und vorne wandeln. Ein „Schwerelos“ wiederum kann das Ergebnis einer Leichtfertigkeit sein.

In der Tat beschreiben nicht wenige Psychologen, auch Autisten, Seelenzustände mit Farben. Diese sind, wie wir aus der Physik wissen, spektral auffächerbar, entstehen also aus dem sichtbaren Licht durch Brechung – wie man sieht, sind m.E. alle Schlüssel zum Verständnis der Formulierung vorhanden.

Ich weiß, dass das hart ankommt, aber ich schlage vor, dem Autor einfach zu vertrauen, dass er sich beim Formulieren seiner Bilder und Gegenbilder viele Gedanken gemacht hat und durchaus weiß, was er wie sagen wollte. Man sollte so etwas eigentlich nicht sagen, weil einem das als Überheblichkeit ausgelegt werden kann und heißen könnte, man würde den Leser für nicht fähig halten, den Überlegungen des Autors zu folgen: Dem ist durchaus nicht so. Daher diskutieren wir diesen Text hier ja, damit wir von einander lernen; und wenn Texte nicht funktionieren, dann ist das sicherlich erst einmal das Problem des Autors und nicht das des Lesers.

Ich hoffe, dass meine Erläuterungen Deine Zweifel ausräumen können. Wenn nicht, dann muss ich das für meine zukünftigen Versuche dieser Art berücksichtgen.

Lieber Gruß W.

Hallo Rhea_Gift,

danke für Deine ausführlichen Überlegungen zum Text. In der Tat hast Du Vieles aufgegriffen, was ich mitteilen wollte. Letztlich habe ich bei Wort „Schwerelos“ beide Bedeutungen im Blick; das ist es, das Spiel der Ebenen untereinander, sozusagen die Mehrdimensionalität der Inhalte, das den Text ausmachen sollte.

Du hast das sehr schön herausgearbeitet, und ich hoffe sehr, dass das weiterhelfen wird.

Danke und lieber Gruß W.
 

Perry

Mitglied
Hallo Walther,

ich kann deine Erläuterung durchaus nachvollziehen. Mein Hinweis zielte mehr darauf ab, in lyrische Texte nicht "zuviel" hineinzuinterpretieren, außerdem mag ich so "große" Begriffe wie Seelen und Schmerzen nicht besonders in lyrischen Texten.
LG
Manfred
 

Walther

Mitglied
Lb Perry,

danke für Deine Antwort. Diesen Text habe ich nicht geschrieben, damit man ihn mag. Er sollte zum Nachdenken, zum Assoziieren anregen.

Sollte er das bei Dir bewirkt haben, ist für mich sein Ziel erreicht.

LG W.
 



 
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