Märchen

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DER ALTE GAUNER

Es war einmal ein alter Gauner, der hatte sein Lebtag nichts anderes getan, als in Geschäften umherzureisen. Wo er nun hinkam, da beschwatzte er alle Welt, lauter unnützes Zeug zu erstehen, dass er in einem dicken bunten Bilderbuchwerke anbot, welches er den Katalog nannte.
Die letzte Silbe dieses Namens wollte recht gut zu all den Versprechungen passen, die unter den bunten Bildlein standen, denn keine davon war je gehalten worden.
Der alte Gauner nannte sich selbst Herr Knebel, wenngleich in seinen Reisedokumenten etwas ganz anderes stand. So konnte er über alle Kaufabschlüsse, die auf Kredit liefen und von ihm selbst entworfen worden waren, ganz offen „Knebelvertrag“ schreiben, und kein Richter in der großen weiten Welt konnte ihn dafür ins Gefängnis werfen lassen.
Immer jedoch, wenn ein naseweiser kleiner Polizeibeamter an einer der abertausend Grenzen der unzähligen Fürstentümer, Grafschaften und so weiter bei einer genauen Kontrolle darob stutzig ward, so erwiderte der alte Gauner, es sei eben seine Firma und als Firma dürfe sich ein jeder so nennen, wie er wolle. Das habe schon vor vielen Jahren der Kaiser Anton so beschlossen. Der Beamte, der weder den Kaiser Anton noch dessen Erlasse kannte, geschweige denn wusste, was eine Firma sei, vermeinte dann nicht anders, als einen besonders klugen Mann vor sich zu haben, und ließ den alten Gauner mit vielen tiefen Verbeugungen aus Ehrfurcht vor dessen Gelehrsamkeit passieren.
Es war denn auch allemal höchste Zeit für den alten Gauner, einmal mehr mit heiler Haut davonzukommen. Denn kaum waren die abertausend unnützen Dinge aus dem Kataloge geliefert worden und die guten Leute hatten bemerkt, dass sie entweder von Anfang an zu nichts taugten, oder aber nach kurzem Gebrauche in tausend Teile zersprangen, die niemand wieder zusammenzubauen verstand, so wollten sie gleich den alten Gauner aufspüren, um ihm gehörig das Fell zu gerben. Da dieser aber wenig Lust verspürte, sich derlei Ungemach auszusetzen, so machte er sich eben beizeiten auf den Weg, um andernorts, wo man ihn noch nicht kannte und wo noch keine Nachricht über sein schändliches Treiben hingekommen war, seinen schlimmen Geschäften nachzugehen.
Über die Jahre hatte ihm sein Treiben eine Menge Taler eingebracht, und es war das höchste Glück des alten Gauners, immer mehr davon zu bekommen, wenngleich er denn doch nie ganz zufrieden war und immer glaubte, es wären zu wenig für das, was er sich kaufen wollte. Längst aber hatte er vergessen, was das war, und so blieb nur die Unzufriedenheit, die ihn immer, wenn er nicht sein Verkäufergrinsen von einem Ohre bis zum anderen im Gesichte trug, recht traurig dreinschauen ließ. Darum auch hielt es ihn nie länger als ein paar Tage in seinem riesigen Herrenhause, das er sich vor Jahren für einen winzigen Teil seines Vermögens hatte errichten lassen. Kam er aber wieder einmal überraschend heim, so war seine erste Frage, kaum dass ihm sein uralter Diener, Galoppe Frantschisi, unter gewaltigem rheumatischem Ächzen und unter beinahe noch lauterem Gequietsche, das von der gigantischen Eingangstüre trotz vieler Liter Öls, die schon in ihre Scharniere gegossen worden waren, kam, dieselbe geöffnet hatte, ob denn auch während seiner Abwesenheit an jedem Tag, den Gott hatte werden lassen, die Bettwäsche gewechselt worden sei. Und erst, nachdem ihm dies unter tausend heiligen Meineiden versichert worden war, begab er sich unter die riesige blecherne Dusche. Er sparte an den Armaturen, seit sein Vater wegen des Einbaus goldener Wasserhähne in sein Badegemach Pleite gegangen und in den Schuldturm geworfen worden war, wo er wohl heutigen Tages noch schmachten mochte. Es ihm gleichzutun widerstrebte dem alten Gauner verständlicherweise.
Anschließend pflegte der alte Gauner sich zu kurzer Ruhe in sein geräumiges aber stets allein beschlafenes Bett zu begeben. Und da er nun blitzsauber war und zudem seit einer empfindlichen Zurechtweisung in seinen frühen Jahren die strikte Gewohnheit hatte, seine Hände oberhalb der Bettdecke zu behalten, so gab es wahrhaftig nach seinem kurzen Aufenthalte in den Daunen nicht den allerklitzekleinsten Grund, die Wäsche gleich wieder zu wechseln, worauf aber der alte Gauner unnachgiebig bestand. Als es einmal nicht sogleich geschehen war, hatte er seinem uralten Diener die Rheumasalbe fortgenommen und mit bitterböser Stimme genäselt: „Da soll er einmal spüren, wie weh es mir tut, solch Unreinlichkeit in meinem Hause zu wissen! Bessere er sich, sonst, da sei er gewiss, werde ich alle Rheumasalben im ganzen Lande vernichten lassen, auf dass er jämmerlich zugrunde gehe!“
Der uralte Diener hatte sich einmal an seine Gewerkschaft DGB (Domestiken– Gewerkschafts-Bund) gewandt, und ein Schlichter war in das Herrenhaus gesandt worden, über dessen Schicksal bis auf den heutigen Tag nichts Näheres bekannt ist. Da hatte sich der uralte Diener dreingegeben und beschlossen, für ein Dach über dem Kopf und frei Schmalkost und unbequemes Logis bis ans demnächst anstehende Ende seiner trüben Tage in den mühevollen Diensten des alten Gauners zu bleiben.
Außer dem uralten Diener hatte der alte Gauner kein weiteres Personal und so musste er seine Autobiografie, an der er sehr gern schrieb, weil er sich selbst außerordentlich zu schätzen wusste, immer allein ein paar Seiten voller neuer Untaten weiterbringen, bevor es ihn wieder in die weite Welt zog, die betrogen sein wollte und es ihm doch auf die Dauer nie gebührend zu danken wusste, sodass er an ein und denselben Ort kein zweites Mal kommen durfte.
Als er nun diesmal nach gewohnt kurzem Aufenthalte sein Herrenhaus wieder verlassen hatte und in die Kutsche gestiegen war, die ihn an ein neues einträgliches Ziel bringen sollte, war ihm auf seltsame Art unbehaglich zumute. Er sprach sich wacker Mut zu, aber insgeheim ahnte er, dass ihm Seltsames begegnen würde. Und da er ein alter Gauner war, der am Gewohnten hing, so war es ihm ein Gräuel, wenn einmal auch nur die kleinste Kleinigkeit anders vonstatten ging, als er es von all den Malen zuvor kannte.
Am Abend speiste er in dem Gasthof der kleinen Stadt, deren Bewohner seiner Geschäftstüchtigkeit diesmal zum Opfer fallen sollten. Er hatte sich an einen Tisch in einer dunklen Nische gesetzt, denn erst am nächsten Morgen sollte der Rummel losgehen und für den Augenblick war es ihm lieber, noch ein wenig allein zu sein und über vergangene Missetaten und das viele Geld nachzudenken, das ihm daraus erwachsen war.
Jedoch - seine Ahnung vom frühen Morgen hatte ihn nicht getrogen. Es war nicht so wie sonst. Nicht er ging am nächsten Tag auf die Leute zu, sondern jemand näherte sich gleich jetzt seinem Tisch. Das heißt, „jemand“ schien ihm – er wusste selbst nicht recht warum – kaum die rechte Wortwahl zu sein. Äußerlich war es ein Mann. Ein wenig seltsam gekleidet, gewiss. Nicht so, wie es hier und jetzt üblich gewesen wäre. Aber das mochte die neueste Mode in irgendeinem Fürstentum, einer Grafschaft oder wo auch immer sein. Mehr als die Kleidung befremdete den alten Gauner etwas, das er nicht zu beschreiben vermochte. Etwas, das von dem Fremden ausging und immer stärker wurde, je näher er seinem Tische kam. Nun könnte man meinen, es sei der fast schon betäubende Moschusgeruch gewesen, der dem Fremden anhaftete, aber es war eine andere Ausstrahlung, etwas das der alte Gauner nicht mit Worten hätte beschreiben können.
Der – oder sollte er besser sagen: das? – Unheimliche setzte sich, ohne zu fragen, dem alten Gauner gegenüber an den Tisch.
„Ihr seid wohl recht fremd des Landes und der Bräuche allhier?“, erkundigte sich, halb erbost, halb ängstlich, der alte Gauner.
„Ich bin dir und Deinesgleichen, weit fremder, als du es dir vorstellen kannst, Mensch!“, gab das andere mit einer seltsamen Stimme zurück, die sich anhörte, als sprächen viele zur gleichen Zeit und erzeugten dabei auch noch ein Echo, dass die Worte nachhallen ließ. Auch schien diese seltsame Stimme nicht aus dem Munde des anderen zu kommen, sondern es war dem alten Gauner, als entstünde sie direkt in seinem eigenen Kopfe.
„Ich interessiere mich für euer Leben hier. Für eure Suche nach dem Sinn eures Daseins. – Und den Unsinn mit dem ihr es erfüllt. Auch mit dem Unsinn, den du verkaufst. Aber das will ich nicht mit dir besprechen. Ich will…“
„Ich verspreche, ich reise gleich morgen wieder ab, ohne auch nur…“
Das andere sah ihn verächtlich an: „Ohne auch nur einen dieser armen Menschen betrogen zu haben, weil es ja noch abertausend andere Orte gibt, wo du das tun kannst und wirst. Glaubst du. Aber du wirst etwas anderes zu tun bekommen. Ich werde etwas machen aus deinem armseligen Leben! Nicht weil ich dich „wertschätze“, wie das später einmal heißen wird, in einer Zeit, da Deinesgleichen sich gegenseitig betrügen muss, weil es kaum noch Menschen anderer Art geben wird. Und deshalb will ich dem Zynismus jener Zeit auch gar nicht vorgreifen. Ich sage dir ehrlich: Ich verabscheue dich. Von Herzen, wie ihr Menschen aufgrund eurer hier ganz brauchbaren Anatomie, die mir allerdings mehr als lästig ist, sagen würdet. Aber ich brauche Dich – vor allem aber deinen sogenannten Wohlstand. Sogenannt, weil er dir nie Wohlstand war, sondern du dich immer nur darum gesorgt hast, dass es für dich zu wenig sein könnte. Keine Angst! Ich bin kein Dieb. Und kein Betrüger wie du. Ich sehe mich sogar genötigt, deine Lage zu verbessern, indem du endlich einmal etwas von deinem vielen Gelde haben sollst. Etwas, das du nicht kaufen könntest, und wenn alle Taler auf der Welt dein wären. Gerade das abe ist es, was du längst vergessen und in diesem Leben nie genossen hast. Nämlich Gesellschaft. Nicht irgendeine, sondern die, nach der du dich sehntest, als dir noch bewusst war, wen du suchtest. Ein Mensch, der es tausendmal mehr verdient als du, eine Frau, soll durch dich ein Leben führen können, wie es ihr gemäß ist. Du kennst sie. Wenn ihr einander wiederbegegnet wirst Du dich an sie erinnern. Auch wenn es viele Jahrhunderte her ist, dass ihr einander zum ersten Male saht. Und du wirst lernen, worin dich deine Taler nicht unterweisen konnten: Zufriedenheit! Dein Herrenhaus wird in Zukunft dein Heim sein und du wirst gern dort wohnen und nie wieder fort wollen. Ihr werdet beide besser dran sein als bisher. Deinen uralten Diener wirst du mit großzügiger Pension entlassen. Ich schicke euch anderes Personal.“
„Und was ist dein Vorteil bei der ganzen Sache?“, fragte der alte Gauner misstrauisch.
„Ich könnte sagen: Es geht dich nichts an. Aber wisse: Ich werde keinen Vorteil haben, wie du ihn verstehst, sondern werde nur etwas mitnehmen.“
„Meine Seele, nicht wahr?!“, zeterte da der alte Gauner und wollte aufspringen und davonlaufen. Aber da traf ihn ein Blick des Fremden, der ihn auf seinen Platz zurückschleuderte.
„Deine Seele will ich nicht. Was sollte ich mit etwas derart Verdorbenem?! Aber es ist ein kleiner guter Funken in ihr. Und wenn daraus erst ein helles Licht geworden sein wird, dann nimmt deine Seele ganz von selbst Verbindung mit mir auf.“
„Du täuschst mich nicht, denn jetzt hast du dich selbst verraten!“, trumpfte der alte Gauner auf, „Du bist der Teufel persönlich! Luzifer! Der Geist des Lichts!“
„Ich will dich nicht täuschen. Habe es nie gewollt. Und halten kannst du mich für wen auch immer. Es soll mir gleich sein. Gehorchen aber wirst du, auf dass du nicht wirklich am Ende auf ewig das erlebst, was ihr Menschen die Hölle nennt, was aber kein Ort ist, sondern ganz allein in euren Seelen brennt, wenn ihr eurer Verfehlungen am Ende eines Lebens gewahr werdet. Du kannst und wirst dich um eines anderen Menschen Wohlergehen willen bessern, wirst den Betrug wieder gutmachen. Nicht allein den Betrug an den Leuten, denen du deinen Unrat verkauft hast. Nein, mehr noch und vor allem den Betrug, mit dem du jene Frau vor langer Zeit so tief verletzt hast, dass sie dir erst jetzt verzeihen konnte. und es soll auch dir – noch unverdienterweise – wohlergehen. Ich werde die Gewissheit mit mir nehmen, dass alles so geschieht, wie ich es dir eben gesagt habe. Und das wird mich sehr froh machen. Ich selbst aber werde euch fern bleiben. Nicht weil ich es will, sondern weil es mein ewiges Verhängnis ist.“
Der alte Gauner wollte noch etwas erwidern, wollte den letzten Satz des Fremden triumphierend mit der Feststellung: „Ich wusste es: Du bist verdammt! Auf ewig verdammt!“ quittieren, aber der Fremde war nirgends mehr zu erblicken. Und als er den Wirt nach ihm fragte, meinte der nur, er habe niemanden gesehen. Die Reise sei wohl sehr anstrengend gewesen und der Herr habe dem schweren roten Weine jetzt wohl genug zugesprochen und möge sich erst einmal richtig ausschlafen.
Der alte Gauner tat, wie ihm geraten, reiste aber am nächsten Morgen unverrichteter geplanter Dinge ab und zurück zu seinem vornehmen Hause, wo er schon erwartet wurde. Wie das fremde Wesen gesagt hatte, erkannte er die Frau, die ihm auf der Treppe entgegenkam, sofort wieder. Tränen der Freude liefen ihm über die Wangen und zum ersten Male überschritt er, Hand in Hand mit ihr, leichten Herzens die Schwelle seines Hauses.
Dort lebten die beiden glücklich und zufrieden wie vor langer Zeit, und mit jedem Monat, den ihr Glück länger währte, verwandelten sich in einem Ort nach dem anderen, in dem der frühere Gauner die Leute betrogen hatte, weil er wegen seines Betruges an der Frau verdammt gewesen war, sein Leben als Betrüger zu fristen, all die unnützen Dinge, die er verkauft hatte in gerade das, was die Leute am nötigsten brauchten. Die Eintragungen in die Biografie erloschen nach und nach, bis keine Untat mehr darin stand. Der uralte Diener aber durfte im Herrenhause wohnen bleiben und das Personal, das der Fremde geschickt hatte, machte ihm seine letzten Jahre so angenehm, wie er es nie gewohnt gewesen war. Auch war sein Rheuma ganz und gar verschwunden. In dem Park um das Haus herum aber grünte und blühte es so schön wie nie zuvor, und die Vögel sangen liebliche Lieder, wenn das Paar, das sich wiedergefunden hatte, Hand in Hand dort spazieren ging.
 



 
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