Magda

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MAGDA


"I-i-ieep, i-i-ieep!"

Magda spricht vorzüglich Delphinisch ohne vulgärem Westküstenakzent, wie er Flipper zu Eigen war. Nein, sie spricht ein sauberes Hochdelphinisch. Tier-Fremdsprachen benutzt Magda immer dann, wenn sie bester Laune ist. Autopacken macht beste Laune.

"Ruhig Grauer, ruu-hig, geht ja gleich los! Tank ist voll, Kofferraum auch, jetzt braucht's nur noch ein Ziel. Wo wünscht man morgen früh das Schnäuzchen aus dem Wasser zu wackeln?"

"Meinst Du, ich schaffe es, dabei rückwärts schwimmen?"

"Wenn nicht Du, wer dann?"

"Kein 'ja', aber doch charmant! Kuss!..."

Die noch jungen Blätter über uns rauschten nassforsch um die Wette, als käme dieses Jahr kein Herbst mehr. Ihr Schatten war noch nicht so ersehnt, wie im Sommer, das Licht unter ihnen aber umso zarter. Magdas Haut schimmerte in weicher Transparenz, geadelt von blauem Äderchengeäst. Sie hatte ihr rot-weiß gepunktetes Sommerkleid an, dessen luftiger Stoff sie nicht vor einer Gänsehaut bewahren wollte. Die Straße roch nach nächtlichem Regenguss. Kühl hieß uns der Wind einsteigen.

"...Nach Aachen, nach Aachen will ich!"

"Aachen, eine weise Wahl. Das Meeressäugetiereldorado schlechthin..."

"Quatsch, aber die erste Stadt auf der Autokennzeichenliste meines alten Shell-Atlases. Mein alter Shell-Atlas weiß immer Rat."

"Da stehen aber bestimmt noch ein paar andere Städte drin, ausgenommen DDR-Gemeinden vielleicht. Die hatten damals noch diese betonierte Einfriedung."

"Ja, aber nur eine steht ganz am Anfang und Anfang ist jetzt wichtig. Mit Doppel-A sogar doppelwichtig!"

"Abgemacht, also alles auf AAnfang!"

"Prima, ein A-Wort-Satz! Wir sind das A-Team! Ja, einverstanden?"

Nie einverstandener drehte ich den Zündschlüssel Richtung 'weg'. Wir hatten uns gegen die anfangs favorisierte Eisenbahn entschieden, weil im Auto jeder Fensterplatz hat und man das Raucherabteil oben aufkurbeln kann. Um Tante Bahn nicht zu sehr zu kränken, hatten wir ihr versprochen, ausschließlich Landstraße zu fahren und in jedem Bahnhofsrestaurant jedes noch so kleinen Gießkännchens einen Kaffee zu nehmen und dabei hochnäsig Autofahrerwitze zu reißen.
Magda setzte sich durch, dass Mantafahrer keine eigentlichen Autofahrer seien, trotz meiner Bedenken, uns könnte schon in Darmstadt der Witzstoff ausgehen.

Der Jahresurlaub war fast zur Gänze genommen. Nur "zwischen den Tagen" wollte sie noch frei haben. Ich habe irgendwann 1999 aufgegeben "zwischen den Jahren, den JAHREN!" zu beckmessern.
Die Stadt war still, das Samstagmorgenlicht noch zu schüchtern, die Menschen schon aus dem Bett zu werfen. Wenn wir auf der Landstraße wären, durften sie unseretwegen ihre Straßen wieder mit Lärm betanken. Noch gehörte die Stadt uns allein. Meine These, dass Urlaub erst nach 50 km Entfernung von zu Hause begänne, teilte Magda nur bedingt.
"Urlaub ist nach dem durchgestrichenen Ortsschild!" Das wisse sie genau, da exakt ab da von der Mutter erste Bestellungen von der Rückbank entgegen genommen wurden. Ich konnte mit ihrer Definition leben und verlangte 50 cm hinter Mannheim einen Kaffee. Kaffee riecht, entgegen der landläufigen Meinung, nicht in einem Wiener Kaffeehaus am besten, sondern im Auto, eingeschenkt aus der Thermoskanne unterm Handschuhfach. Hierüber waren wir uns schnell einig - nach ihrem Zusatz: "Aber nur auf der Hinreise!".

Wir hatten uns auf ein Handyverbot geeinigt. Unseren Telefonen wurden die Akkus amputiert, um ihnen das Wundklingeln zu ersparen. Auf ihrer Kommode im Flur sollten sie auf unsere Heimkehr warten. Das neben ihnen stehende Festnetztelefon würdigte sie keines Blickes. Wählscheibenapparate geben sich mit Schnurlospack nicht ab.

Es war nur eine Frage der Zeit, wann ihre Stimmung Richtung Volker umschlagen konnte. Eine ausgemachte Erzarschgeige dieser Volker, aber sie war ihm verfallen. Meine zurecht gelegten Trostsprüche entbehrten noch jeglicher Aufrichtigkeit. Heucheln ist echte Arbeit. Um den drohenden Arbeitsbeginn so weit als möglich hinaus zu schieben, schlug ich ein Autofahrtquiz vor. Den entgegenkommenden Fahrern mussten die am passendsten klingenden Vornamen zugeordnet werden. "Herr lass keinen Volker unter ihnen sein!" Nach einem unstrittigen Karl-Heinz im Audi 100 mit Spritzschutzlappen am Heck war es mit der Einigkeit dahin.

"Berta? Mach Dich nicht lächerlich Paule! Die ältere Dame fährt zu ihrer Freundin zum Morgentee. Eine Tradition, die sie seit der Befreiung durch die Alliierten pflegen. "Wir sehen uns Samstag nach dem Krieg zum 10-Uhr-Tee." hatten sie sich damals versprochen, als ihre jüdische Freundin abtauchen musste. Sie durften ihre Liebe damals noch nicht zeigen. Das hat Grandezza. So jemand heißt nicht Berta. So jemand heißt Bernadette!"

"Nie und nimmer. Sie fährt zur Tanke, sich drei Fläschchen Zinn 40 holen. Bertas tun das, wenn der Gatte erkaltet ist!"

"Du denkst genauso pessimistisch wie Volker!"

Eine Träne lief unter ihrer Sonnenbrille hinaus in den Fahrtwind.
 

Carlo Ihde

Mitglied
[blue]nassforsch

betonierte Einfriedung


Meeressäugetiereldorado[/blue]



Dein Text ist schon nach wenigen Stunden zu echtem [red]KULT [/red]geworden. Ich bin durch die Metropolen Europas gegoogelt und überall skandieren Besessene bereits deine Neologismen, das wird eine ganz große Bewegung, mit viel Humor, und hinterher wird keiner wissen, wie ihm geschah.

Ne, mal ehrlich: das ist mit das geilste, was ich jemals gelesen habe. Hochachtung, Hut ab, Chapeau, Beifall, Stimmung.



(Ps.:während der Erstlektüre hab ich mich, aus blanker Freud'scher Fehlleistungsträgheit das ein oder andere mal verlesen. Aufgrund meiner hohen Lesekompetenz sehe ich das aber als ein Qualitätsprädikat deines Textes an. Bitte bitte mehr davon.)
 
Dank sei Dir

Herzlichen Dank für die überbunten Blumen. Da muss ich Maga wohl noch ein Weilchen weiterleben lassen.

Nassforsche Grüße vom Paule
 

Herbstblatt

Mitglied
Hallo Paule,

ein echtes Bubenstück, deine Magda! Ich muss sagen: ich bin begeistert.
Solche Dinge wie, "[blue]Heucheln ist echte Arbeit[/blue]" oder "[blue]Wählscheibenapparate geben sich mit Schnurlospack nicht ab[/blue]" verdient geadelt zu werden!
Und grandios ist der Satz: "[blue]Wir sehen uns Samstag nach dem Krieg zum 10-Uhr-Tee.[/blue]"

Ich freu mich, wenn es Magda weiterhin zu uns verschlägt!

Breit grinsende Grüße vom Herbstblatt
 



 
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