Mail an Mara

4,00 Stern(e) 2 Bewertungen
Mail an Mara

von Marlene Geselle



Dresden, den 1. Dezember 2071


Meine liebe Tochter Mara,

bin gerade von einem wunderschönen Abendspaziergang mit Karl zurückgekommen. Du weißt ja, bei abnehmendem Mond, wenn eure Wohnkuppel Luna-Europa genau zwischen Hell und Dunkel ist, ist sie für mich am Schönsten. So groß, wie das Ding mittlerweile ist, braucht man gar kein Teleskop mehr.
Karl gewöhnt sich immer noch nicht dran, dass Sandra, du kennst ja seine Älteste, jetzt auch "dort oben" wohnt. Ich habe schon ein paar Male versucht, ihn zu trösten. Aber was nutzt es, wenn einem der Verstand sagt, dass junge Leute auf der Mondkolonie mit den gut bezahlten Hightechjobs, der erstklassigen Infrastruktur und den prima Zukunftsaussichten besser aufgehoben sind als im maroden Deutschland - wenn man abends alleine ist in der Wohnung und in den Himmel starrt. So, jetzt aber Schluss mit dem Gejammer!

Louisa hat mir heute gemailt, dass sie am 5. Dezember zusammen mit Mariposa auf dem Nordamerika-Raumhafen ankommt. Dauert zwar länger als über den Mitteleuropa-Hafen, ist aber trotzdem billiger. Du hast ja das Theater wegen der neuen Raumhafengebühren mitbekommen. Raumflüge für Alphabetisierungskampagnen! Und vergisst dabei völlig, dass es noch genug andere Raumhäfen gibt und Fluggleiter für den Weitertransport. Wer sich das ausgedacht hat, der hat kein Geschichtsbuch im Haus!
Du kannst dir ja denken, wie ich mich freue, meine einzige Enkelin und meine erste Urenkelin hier in Dresden zu haben. Mit einem bisschen Glück kann die Kleine dann schon laufen. Deinen alten Schlitten habe ich schon vom Speicher geholt und aufgemöbelt. Jetzt fehlt nur noch Schnee. Karl meint, ich flippe deswegen schon richtiggehend aus. Den möchte ich mal sehen, wenn Sandra das erste Mal auf Besuch kommt!

Hier in Dresden ist nicht viel los. Seitdem die Europäische Zentralregierung die Stadt unter Zwangsverwaltung gestellt hat, müssen nur noch die Altskandale aufgearbeitet werden. Wird ein völlig neues Gefühl sein, wenn endlich alles halbwegs funktioniert.
Letzte Woche habe ich mich eintragen lassen als Hilfskraft für den Sicherheitsdienst. An drei Abenden in der Woche mache ich Dienst in der Funkzentrale. Karl war so lieb, mir den Posten zu verschaffen. Besser so ein Job als darauf warten, was einem aufgebrummt wird. So gesund wie bin, ist an eine Befreiung von der Sozialarbeitspflicht wegen Krankheit oder Gebrechlichkeit noch lange nicht zu denken. Gott sei Dank! Zudem habe keine Lust, mich darauf zu verlassen, dass die Altersbefreiung ab fünfundsiebzig wirklich im kommenden Jahr in Kraft tritt. Wunder können die Leute von der Zwangsverwaltung auch keine bewirken!
Mach dir deswegen bitte keine Gedanken, Mara. Ich war schon immer eine Nachteule. Außerdem kann ich dann nach oben gucken, an euch denken, einen Kaffee trinken - und kriege auch noch Energiebons dafür. Die normalen Energiezuteilungen sind knapp genug.

In der letzten Mail hast du nichts über Frederick und Tim geschrieben. Hocken deine beiden Söhne noch immer in der Versuchskuppel und probieren, das Pflanzenwachstum dem Mondzyklus anzupassen? Ich kann ja verstehen, dass ihr "Mondkälber" unabhängig von der Erde leben wollt, dass ihr keine Lust habt, von der irdischen Lebensmittelversorgung abhängig zu sein - aber denkt man "dort oben" dabei auch an die politischen Konsequenzen? Sind die Mondkolonien völlig autark, ist es nur eine Frage von wenigen Jahren, bis ihr "Mondkälber" nicht mehr daran denkt, wertvolle Rohstoffe für billiges Geld auf die Erde zu schicken. Und dass sich das die Kontinentalregierungen nicht gefallen lassen werden, steht doch jetzt schon fest. Bei allem Zwist der letzten Jahre, wenn es um die Mondkolonien geht, herrscht Einigkeit auf Erden.
So, jetzt ist Schluss mit der hohen Politik, und Zeit für mich, aufzuhören. In zehn Minuten wird die Energieversorgung auf Nachtbetrieb umgestellt, da muss die Mail draußen sein.

Im Anhang noch ein paar Briefe für die Kinder; du leitest sie ja wie immer für mich weiter. Noch liebe Grüße an alle auf Luna-Europa.

Es küsst dich
deine Mutter.
 

dan

Mitglied
hallo Marlene!

die idee gefällt mir!
leider finde ich die umsetzung etwas zu 'politisch' geraten: eine mutter schreibt ihrer tochter! etwas mehr 'bemutterung' würde dem besser stehen. und die zwei kinder auf dem mond werden nur in einem nebensatz erwähnt - also meine oma will über mich immer alles ganz genau in aller ausführlichkeit wissen!

ein logischer fehler: warum sollte man eine email weiterleiten lassen, wenn man sie auch direkt schicken kann? du erwähnst keinen grund, dass dies sanktioniert wäre.
briefe übergibt man persönlich, bei mails kommt mir das merkwürdig vor.

gruß dan
 
Billiger im Paket

Hallo dan,

danke für deine prompte Antwort. Du hast dir ja richtig Mühe gemacht.

Die Uroma ist froh, dass sie ihre eigenen Angelegenheiten in Ordnung halten kann. Zudem nimmt ihr Freund sie derzeit in Anspruch. Die Tochter ist ja auch schon Oma, da kommt Bemutterung nicht mehr vor. Die Frau ist knappe 74 Jahre alt, ich denke, da lässt man das.
Oma ist beleidigt, weil die "Herren Enkel" sich nicht bei ihr melden, schaltet deswegen ein bisschen auf stur. Weil sie aber trotzdem alles wissen will, fragt sie "so mal nebenbei" bei ihrer Tochter nach. (Ich kenne das aus meiner eigenen Sippe!)
Wegen der Mails:
Im Deutschland des Jahres 2071 ist alles runtergewirtschaftet, extrem teuer, rationiert. Siehe Energiebons. Es ist für die Oma einfach billiger, der Tochter die Mails "bündelweise" zu schicken und um Weiterleitung zu bitten, als Einzel-Mails zu verschicken.
Denke auch bitte daran, dass in m einer fiktiven Welt im Jahre 2071 andere Bräuche und Lebensbedingungen herrschen werden als heute. Oma lebt auf der Erde, die Tochter auf dem Mond, die "Herren Enkel" hocken irgendwo in einer Versuchskuppel rum. Die normalen Wege sind weit und kompliziert - die Elektronik (soweit man sie bezahlen kann) dagegen einfach und billig.
Die politische Lage ist kompliziert und verheißt für die nächsten Jahre nicht nur Gutes. Da sorgt sich die alte Frau und schneidet das Thema auch in der Privatmail an.

Grüße
Marlene
 

jon

Mitglied
Teammitglied
Ich fand es nicht zu politisch. Bis zur Stelle: "Ich kann ja verstehen, dass ihr "Mondkälber" unabhängig von der Erde leben wollt, dass ihr keine Lust habt, von der irdischen Lebensmittelversorgung abhängig zu sein - aber denkt man "dort oben" dabei auch an die politischen Konsequenzen? Sind die Mondkolonien völlig autark, ist es nur eine Frage von wenigen Jahren, bis ihr "Mondkälber" nicht mehr daran denkt, wertvolle Rohstoffe für billiges Geld auf die Erde zu schicken. Und dass sich das die Kontinentalregierungen nicht gefallen lassen werden, steht doch jetzt schon fest. Bei allem Zwist der letzten Jahre, wenn es um die Mondkolonien geht, herrscht Einigkeit auf Erden." Das klingt niunwirklichnicht mehr wie ein "Brief an die Lieben".

Entweder die Mutter macht ihrer Tochter (und ihrer Familie) Vorwürfe der Art "Ihr undankbares Pack! Aber ich weiß schon, warum ihr unabhängig sein wollt - ihr wollt uns die Rohstoffe teuer verkaufen!" - dann schreibt sie auch so hart. Oder sie beobachtet die Entwicklung zwar, empfindet aber keine feindlichen Gefühle ihrer Tochter gegenüber - dann verpackt sie es anders, richtet es mehr auf sich als auf die Tochter. So vielleicht: "Ich verstehe, dass ihr unabhängig sein wollt. Hier unten fürchtet man aber, dass dann die Rohstoffe tuerer werden. Ich will mir das gar nicht ausmalen, es ist doch jetzt schon so schwierig."



PS: Ehe man genügend viele Pflanzenarten (und Tierarten!!!)so "umprogrammiert" hat, dass eine autarke Mondlandwirtschaft (im Freien) funktioniert, dürften die Rohstoffe des vergleichsweise winzigen Mondes ohnehin alle sein (, man knabbert ja schon im Jetzt der Storie kräftig an den Ressourcen).
 

coxew

Mitglied
hallo marlene,

die szenerie insgesamt hast du gut beschrieben.

aus dem text läßt sich mehr machen bei dem großen bogen, den
du gespannt hast, sowohl geographisch, als auch was die handlungspersonen angeht.

ich könnte mir diese mail als teil eines brief- bzw. mail-romans gut vorstellen.

liebe grüße,
karin
 
Bastle am Zyklus

Hallo an Alle,

zuerst meinen Dank noch an jon und coxev für die Kommentare.

@coxev: "Mail an Mara ist Teil eines kleines Zyklusses, an dem ich gerade bastle. Die Idee mit dem Brief- bzw. Mail-Roman ist mir, schäm, noch gar nicht gekommen. Da hast du mich direkt auf was gebracht. Zumindest die eine oder andere Mail wird noch zwischen Erde und Mond geschickt.

@ jon: Auf dem Mond gibt es bekanntlich keine eigene Athmosphäre, die Freilandanbau erlaubt. Man muss, ob man will oder nicht, unter Kuppeln wohnen. Da habe ich mich an die klassische SiFi gehalten.
Da extrem viel von der Erde auf den Mond gebracht werden muss, gehen die "Mondkälber" mit dem mühsam erschaffenen sehr sorgfältig um - Hightech neben Ökolandwirtschaft und Recycling.
Die Oma hat großes Verständnis für ihre Familie, die sich auf dem Mond eine neue Existenz geschaffen hat. Sie weiß ja, dass harte Arbeit dahinter steckt - während man in der hohen Politik der Meinung ist, dass die "Mondkälber" gefälligst teure Importe zu kaufen und diese mit billigen Rohstoffen zu bezahlen haben. Denk dran, die alte Frau muss sich auf Erden ja auch ganz schön ausnutzen lassen, siehe Dienstverpflichtung.

Grüße
Marlene
 

jon

Mitglied
Teammitglied
…das ist schon klar, liebe Marlene. Was mich irrtiert ist lediglich der Ton, in dem die Oma sich zu diesem Thema äußert. Jetzt greift sie die Tochter ja an (indem sie "ihr Mondkälber" sagt und "ihr Mondkälber werdet dann wohl keine Rohstoffe mehr schicken" annimmt) – aber nur ein bisschen.
Wenn sie soweit ist, ihre Tochter da mit einzubeziehen, wird sie ihr entweder richtig Vorwürfe machen oder ihr ganz intensiv Argumente gegen das jetzige Vorgehen auftischen. ODER die Oma trennt Familie und Politik – dann sagt sie aber nicht: Du Tochter (= "ihr Mondkälber") wirst mir ("Erde") dann wohl keine billigen Rohstoffe mehr schicken.


(Ich versteh nicht, worauf sich dein Hinweis mit der Landwirtschaft unter Kuppeln und/oder die Öko-Wirtschaft bezieht…)
 



 
Oben Unten