Man gönnt sich ja sonst nichts

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Mazirian

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Man gönnt sich ja sonst nichts

Günther Lauch sortierte abwesend die Kärtchen mit den Fragen, die er sich notiert hatte. Aber eher um geschäftig und aktiv zu wirken, als um sie wirklich noch einmal nachzulesen. Er kannte sie längst auswendig. Sie waren in den vergangenen Tagen tausende von Malen gestellt worden, von ihm selbst und von hundert anderen Moderatoren.
Vor ihm saß Dr. Habermas, einer der Sprecher des Außenministeriums. Ein silberhaariger Mittfünziger mit penibel geradem Scheitel und perfektem Windsorknoten, der seine politische Karriere wohl im diplomatischen Dienst begonnen hatte.
Lauch nickte Habermas kurz zu.
"Wir gehn dann gleich auf Sendung."
Habermas nickte zurück.
"Bin soweit."

Die Signallampen leuchteten auf und Lauch kam nach einer kurzen Begrüßung und einem tiefen Atemholen rasch zum eigentlichen Thema:
"Herr Dr. Habermas, nun ist es also so weit. Heute Nachmittag haben die westlichen Regierungen den Alienschiffen die Genehmigung erteilt auf den größeren Flughäfen zu landen..."
"Das ist richtig. Wir rechnen in etwa zwei Stunden mit den ersten Landungen."
"Das heißt also, dass man nun endgültig der Überzeugung ist, dass von den Außerirdischen keine Gefahr ausgeht?"
"Wir sind uns da sehr sicher und wir haben das auch über die öffentlichen Medien intensivst verbreiten lassen..., was natürlich nicht heißt, dass wir nicht auch die notwendigen Sicherheitsmaßnahmen ergreifen würden." Habermas sandte ein beruhigendes Lächeln in Richtung Kamera.
"Nun, die Außerirdischen haben ja ein recht abschreckendes Äußeres" beharrte Lauch. " Sie wissen schon, schuppige Haut, Klauenhände, fingerlange Reißzähne... befürchten Sie nicht doch, dass es zu Panikausbrüchen in der Bevölkerung kommen könnte? Es ist ja noch keine 3 Wochen her, dass man Schlagzeilen lesen konnte wie "Werden sie uns auffressen?" Mit großen unscharfen Bildern von aufgerissenen, zähnestarrenden Mäulern. Die Boulevardpresse... "er lächelte süffisant, "besonders die Zeitung mit den großen Buchstaben, hat den Grusel-Aspekt ja ziemlich hochgekocht."
Habermas schüttelte unaufgeregt aber entschieden den Kopf.
"Nein, ich glaube, wir haben das aufgrund unserer beharrlichen Aufklärungsarbeit recht gut im Griff. Die Vorstellung an sich ist ja auch absurd. Schauen Sie, Herr Lauch, diese Fremden haben einen derartig hohen technischen Stand erreicht, dass sie praktisch alle Nahrungsmittel synthetisch erzeugen können. Fleisch, Obst, Gemüse, alles eben. Sie müssen sicher nicht einmal mehr Tiere töten."
"Dann hätten sie uns in ethischer Hinsicht sogar einiges voraus?" Lauch zog die Brauen hoch.
"Davon müssen wir wahrscheinlich ausgehen. Man muss auch ganz einfach die Entfernung bedenken, die die Aliens zurückgelegt haben. 6500 Lichtjahre sind für uns Menschen eine unüberwindliche Unendlichkeit. Doch auch für die Fremden wäre es einfach viel zu teuer, herzufliegen, nur um ein paar endliche Ressourcen auszubeuten. Nein nein, wir haben es hier nicht mit einer Invasion, Kolonialismus oder kosmischem Imperialismus zu tun. Es geht vielmehr um einen großangelegten, sehr ambitionierten Kontaktversuch. Eine unglaublich faszinierende Geschichte ist das, und es steht weit Wichtigeres und Größeres auf dem Spiel als ein paar Tonnen Eisen, Gold oder Nahrungsmittel."
Lauch nickte begreifend. Er konnte sehr überzeugend so nicken, als habe er etwas begriffen.
"Mit anderen Worten: eigentlich werden also wir diejenigen sein, die von diesem Kontakt profitieren? Ich denke da mal besonders an den Technologiebereich..."
"Genauso ist es. Wir können uns im Moment noch gar nicht vorstellen, was das für unsere Gesellschaft bedeuten wird. Im Moment wissen wir nur, dass sie die ungeheuren Entfernungen im Weltall überwinden können. Aber wir werden bald auch wissen wie sie das tun. Und viele andere Dinge. Wir werden Antworten auf Fragen erhalten, die wir bis jetzt noch nicht einmal gestellt haben."
"Das sind wirklich fantastische Aussichten -was werden Sie denn tun, um den ersten Kontakt - so Auge und Auge, sage ich mal - in möglichst geodneten Bahnen ablaufen zu lassen. Trotz aller Aufklärung wäre es sicher keine gute Idee, die Fremden gleich zum Schaufensterbummel in die Fußgängerzonen zu schicken."
"Das ist absolut richtig. Vereinzelte Direktkontakte zwischen den Verhandlungsführern haben ja bereits stattgefunden und ich muss sagen, dass sie sehr erfreulich verlaufen sind. Es gibt ein hohes Maß an gutem Willen, gegenseitigem Verständnis und Respekt.
Die Annäherung an die Bevölkerung muss selbstverständlich stufenweise stattfinden. Zunächst werden wir weiterhin über die Medien aufklären und vorbereiten. Einige ausgesuchte Vertreter der Fremden werden wir dabei ganz intensiv mit einbinden. Wir denken da an Talkshows, Dokumentationen, Interviews und so weiter. Wir werden eine Botschaft einrichten, mit Zutrittsberechtigungen für einen ausgewählten Personenkreis, und... jaaa, wir sollten auch den kommerziellen Aspekt nicht außen vor lassen, den Bereich Merchandising. Auf dieser Schiene hoffen wir gerade bei der jungen Generation doch recht schnell Vertrauen zu wecken."
Lauch nickte heftig. Heftig nicken bedeutete im Fernsehen, dass man ganz nah an der Wahrheit dran war.
"Unsere Kinder sind es längst gewohnt, sich unbefangen mit solchen Themen zu befassen, ich denke da nur an japanische Comics und Zeichentrickfilme, an PC-Spiele und Transponder...", Lauch lächelte sein sympathisches Lausbubenlächeln, "...pardon, Transformerfiguren natürlich. Für unsere Kinder sind häßliche Monstergesichter ja längst nichts Aufregendes mehr."
"Ja, haha, man lockt sozusagen keinen Hund mehr damit hinter dem Ofen hervor. Deshalb sind wir auch sehr zuversichtlich, dass die Phase der gegenseitigen Annäherung sich sehr dynamisch entwickeln wird."
"Und welche Auswirkungen erwarten sie in weltweitem Rahmen? Thema Globalisierung. In welcher Form wird die Dritte Welt mitprofitieren? Oder werden die großen Industrienationen wieder alles unter sich ausmachen?" Lauch war bekannt für seine manchmal recht boshaften Fragen. Mit dieser löste er einen längeren Monolog aus, der erst endete, als die zehn Minuten Sendezeit vorbei war und wieder zu den Live-Studios und den Vor-Ort-Berichterstattern auf den Flughäfen umgeschaltet wurde.

Die beiden warfen sich ihre Mäntel über den Arm und strebten dem Ausgang zu
"Jetzt könnte ich einen kleinen Happen vertragen," sagte Habermas. "Und etwas Gepflegtes trinken."
"Die Studiokantine hat noch offen, wir könnten dort...", versuchte Lauch vorzuschlagen. Aber Habermas winkte ab.
"Ich kenne mich in der Gegend ein wenig aus. Drüben in Bolingen gibt es einen Argentinier, der ein hervorragendes Essen macht. Ist auch ein sehr schönes Ambiente da, mit offener Terrasse und Riesenkakteen. So warm wie es heute ist könnten wir ja noch ein wenig im Freien sitzen. Wir können von dort aus sogar sehen, wie sie landen."
"Hm, das sind über 50 Kilometer.Ich müsste nachher noch..."
"Ach was, ich lade sie ein. Bis zu Ihrer Mitternachtssendung sind wir wieder hier."
Als sie eine halbe Stunde später auf der Terrasse des Restaurants saßen und in den Speisekarten blätterten, konnten sie bereits beobachten wie die Lichter der riesigen Schiffe sich langsam näherten. Zisseldorf, die nächste Großstadt, besaß einen der größten Flughäfen des Kontinents. Habermas meinte, dass etwa ein halbes Dutzend Alien-Schiffe dort Platz finden würden. Ein fernes Singen in der Luft deutete darauf hin, dass gewaltige Bremstriebwerke anliefen. Viele der Gäste achteten nicht mehr darauf, dass ihr Essen kalt wurde und schauten mit verrenkten Hälsen nach Westen, wo die Schiffe herunterkamen.
Lauch bestellte sich eine Gemüseplatte und Habermas ein englisch gebratenes Dreihundert-Gramm-Steak. Mit fast mitleidigem Lächeln beobachtete er, wie Lauch mit seiner Gabel nach widerspenstigen Erbsen jagte.
"Sie sind Vegetarier?" fragte er mit beiläufigem Interesse.
"Ich hab zu viel Harnsäure im Blut. Mein Arzt meint ich muss mich ein bisschen in acht nehmen, wenn ich nicht mit fünfzig die Gicht bekommen will."
Habermas schüttelte grinsend den Kopf. "Also mein Arzt könnte mir erzählen, was er wollte. Ich brauche einfach regelmäßig ein richtiges, uriges, gutes Stück Fleisch zwischen die Zähne - nicht diesen Kantinenfraß oder ihr Kaninchenfutter", er schob sich ein großes rottropfendes Stück Steak in den Mund und fuhr kauend fort: "Dafür fahr ich auch gern einmal ein Stück weiter und leg sogar einen Zehner mehr auf den Tisch."
Lauch schluckte beklommen. Er sah, wie Habermas' kräftige Zähne das Fleisch genüßlich zerkauten. Dann schaute er in die näherkommenden Lichter.
Und plötzlich schnürte ein dumpfes, unbestimmtes Grauen seine Kehle zu...
 

GabiSils

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Uppsala... da hat doch der Moderator unversehens den Namen gewechselt vor Aufregung (ganz am Schluß)

Wieder eine geradezu klassiche Story mit gänzlich unerwartetem Ausgang. Klasse!

Gruß,
Gabi
 

Mazirian

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Hi Gabi,
hab versucht es online zu korrigieren, ging aber nicht.
Bin froh, dass ich dich mit dem Schluss überraschen konnte. Hab schon befürchtet, nach der Überschrift und den ersten 5 Absätzen wär alles klar. Man steckt selbst halt zu sehr drin.
schönen Gruß und schönes Wochenende

Achim
 

GabiSils

Mitglied
Hallo Mazirian,

mit dem Lauch und den Talkshows hatte ich eher ein Quiz oder sowas erwartet... man ist halt zu sehr vom Fernsehen geprägt <g>. Außerdem hast du es sehr elegant hinbekommen, das alte Alien-Monster-Klischee erst selbst beiläufig ins Spiel zu bringen, so daß man denkt, das kanns nicht sein, und dann hintenrum wieder darauf zurückzukommen.

Gruß,
Gabi
 

Ronin

Mitglied
Hallo Mazirian,

nu komm ich auch mal dazu Dir ein paar Zeilen zu schreiben ;)
Keinerlei Korrekturen, nur mein Kommentar zur Story:

War echt Klasse. Erinnerte mich am Anfang an eine ältere SciFi-Reihe die es mal auf Video gab, aber ich komme einfach nicht mehr auf den Namen.
Das Ende hat was;)

Viele Grüße,
Ronin (Michael)
 

Mazirian

Mitglied
Hi Michael,

Danke für's Lob. Freut mich, dass es dir gefallen hat.
Ich glaub du meinst "V - die Außerirdischen kommen" (oder so). Ja stimmt, die hatten auch nur Hunger :).
Was macht dein Roman? Geht's vorwärts?

schönen Gruß

Achim
 

Ronin

Mitglied
Hi Achim,

Jau. Genau. Die Serie "V". Mensch, nur EIN Buchstabe. Mein Gedächtnis wird auch immer schlechter. ;)

Bei mir gehts im Moment etwas schleppend voran. Viel um die Ohren, da leidet die Kreativität etwas. Hab aber Deine Vorschläge und Ideen überdacht und den Anfang letztes Wochenende nochmal überarbeitet. Werde ich wohl am kommenden Wochenende mit dem kompletten ersten Kapitel posten.

Viele Grüße,
Michael
 

jon

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Teammitglied
Wirklich tolle Story.

Dass ich den "Mittelteil" nur überflogen habe, liegt wohl vor allem an meinem derzeitigen Überarbeitungs-Zustand. Oder daran, dass ich typischen Politiker-TV-Interviews noch nie was abgewinnen konnte – der Ton eines solchen ist jedenfalls hervorragend getroffen (ich hatte echt jemanden vor Augen dabei…)! Vielleicht ist der Text aber doch einfach nur ein wenig lang für die an sich "simple" Pointe (die ich genial finde!)…
 

Mazirian

Mitglied
"Genial"...

... ist ganz schön "fett". Da fällt mir so schnell keine adäquate Dankesfloskel ein. Ich freu mich extrem drüber. Aber mit simpel hast du genauso recht, deswegen dachte ich, ich brauch ein bisschen "Tarntext" drumrum.

schönen Gruß und schönes Wochenende

Achim
 



 
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