Man sollte einfach öfter lesen...

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zarah

Mitglied
Ich saß da, und wusste nicht so recht, was ich mit meiner neugewonnen Freizeit anfangen sollte. Also nahm ich nach langer Zeit wieder mal ein Buch zur Hand und fing an zu lesen. Meine Wahl war auf Upton Sinclair´s „Der Dschungel“ gefallen. Ein Roman über die Zustände in den Schlachthöfen Chicago´s Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts.

Durchaus gut zu lesen. Bis auf das letzte Kapitel, als der Proletarier Jurgis in eine Privatveranstaltung einiger Intellektueller gerät. Deren – mittlerweile hundert Jahre alte - Ausführungen über den Sozialismus ergießen sich über zu viele Seiten und erwecken heute das Bedürfnis die ganze Sache unauffällig abzukürzen und einfach auf der letzten Seite weiter zu lesen. Dann aber lässt der Autor den Genossen Schliemann - Prof. Dr. Schliemann – eine bemerkenswerte Theorie äußern; ich zitiere:
„... die Hausarbeit erledigt entweder die Frau oder eine Lohnsklavin. Lassen wir einmal das moderne System der Hausreinigung durch Staubsauger und die Einsparungen durch eine Gemeinschaftsküche beiseite und betrachten nur eine einzige Hausarbeit, etwa das Geschirrspülen. Sicherlich ist es nicht übertrieben, davon auszugehen, dass das Geschirrspülen für eine fünfköpfige Familie pro Tag eine halbe Stunde in Anspruch nimmt; rechnet man zehn Arbeitsstunden pro Tag, dann braucht man also eine halbe Million körperlich gesunder Personen – in der Regel Frauen - , um dass Geschirrspülen im Lande zu erledigen. Wohlbemerkt handelt es sich hier um eine äußerst schmutzige, geisttötende und abstumpfende Arbeit, um eine Arbeit, die Ursache ist für Blutarmut, Nervosität, Häßlichkeit und schlechte Laune, für Prostitution, Selbstmord und Geisteskrankheiten, für betrunkene Ehemänner und degenerierte Kinder – und natürlich hat für all diese Dinge die Gesellschaft zu zahlen.“

Diese Passage musste ich glatt noch mal lesen, denn Geschirrspülen gehörte Zeit meines Erwachsenenlebens zu meinen Aufgaben – trotzt Geschirrspülmaschine (passt ja nicht alles rein): ... eine äußerst schmutzige, geisttötende und abstumpfende Arbeit, eine Arbeit, die Ursache ist für Blutarmut, Nervosität, Häßlichkeit und schlechte Laune, für Prostitution, Selbstmord und Geisteskrankheiten, für betrunkene Ehemänner und degenerierte Kinder...

Ja Wahnsinn! Da fiel es mir doch auf einmal wie Schuppen von den Augen! Was Wunder, dass ich mittlerweile aussah wie Arsch und Friedrich und dauernd mies drauf war – bei all der zersetzenden Hausarbeit, die ich in meinem Leben schon verrichtet hatte!

Ich Narr war ja immer der Meinung gewesen, meine dünnen Haare wären genetisch bedingt, die Hautunreinheiten kämen von schlechten Ess- und Trinkgewohnheiten, die gelben Zähne vom Rauchen, die dunklen Augenringe von zu wenig Schlaf, die Falten vom Alter, die schlechte Laune von meinen Beziehungsproblemen und hatte in meiner Naivität nicht gemerkt, welch gefährlicher Aktivität ich mich tatsächlich– über Jahrzehnte - täglich ausgesetzt hatte. Keiner hatte mich je davor gewarnt.

Wäre mir doch der Zusammenhang zwischen Geschirrspülen und physischem sowie psychischem Niedergang früher klar gewesen, dann würde ich heute klasse aussehen und wäre super drauf.
Womöglich bestünde sogar meine Ehe noch; denn hätte ich meinen Mann, statt ihn gemütlich vor dem Ofen sitzen und Bier trinken zu lassen, in die Küche zitiert und an den Spülstein gestellt, damit er die unsägliche Arbeit verrichte, während ich mich gepflegt hätte, dann wäre manches anders gelaufen. Ich könnte mich heute noch diversen Wellness­programmen hingeben, während er die Küche wienert. Ein Traum!

Ach ja, man sollte einfach öfter lesen...
 

zarah

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Ich saß da, und wusste nicht so recht, was ich mit meiner neugewonnen Freizeit anfangen sollte. Also nahm ich nach langer Zeit wieder mal ein Buch zur Hand und fing an zu lesen. Meine Wahl war auf Upton Sinclair´s „Der Dschungel“ gefallen. Ein Roman über die Zustände in den Schlachthöfen Chicago´s Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts.

Durchaus gut zu lesen. Bis auf das letzte Kapitel, als der Proletarier Jurgis in eine Privatveranstaltung einiger Intellektueller gerät. Deren – mittlerweile hundert Jahre alte - Ausführungen über den Sozialismus ergießen sich über zu viele Seiten und erwecken heute das Bedürfnis die ganze Sache unauffällig abzukürzen und einfach auf der letzten Seite weiter zu lesen. Dann aber lässt der Autor den Genossen Schliemann - Prof. Dr. Schliemann – eine bemerkenswerte Theorie äußern; ich zitiere:
„... die Hausarbeit erledigt entweder die Frau oder eine Lohnsklavin. Lassen wir einmal das moderne System der Hausreinigung durch Staubsauger und die Einsparungen durch eine Gemeinschaftsküche beiseite und betrachten nur eine einzige Hausarbeit, etwa das Geschirrspülen. Sicherlich ist es nicht übertrieben, davon auszugehen, dass das Geschirrspülen für eine fünfköpfige Familie pro Tag eine halbe Stunde in Anspruch nimmt; rechnet man zehn Arbeitsstunden pro Tag, dann braucht man also eine halbe Million körperlich gesunder Personen – in der Regel Frauen - , um das Geschirrspülen im Lande zu erledigen. Wohlbemerkt handelt es sich hier um eine äußerst schmutzige, geisttötende und abstumpfende Arbeit, um eine Arbeit, die Ursache ist für Blutarmut, Nervosität, Häßlichkeit und schlechte Laune, für Prostitution, Selbstmord und Geisteskrankheiten, für betrunkene Ehemänner und degenerierte Kinder – und natürlich hat für all diese Dinge die Gesellschaft zu zahlen.“

Diese Passage musste ich glatt noch mal lesen, denn Geschirrspülen gehörte Zeit meines Erwachsenenlebens zu meinen Aufgaben – trotzt Geschirrspülmaschine (passt ja nicht alles rein): ... eine äußerst schmutzige, geisttötende und abstumpfende Arbeit, eine Arbeit, die Ursache ist für Blutarmut, Nervosität, Häßlichkeit und schlechte Laune, für Prostitution, Selbstmord und Geisteskrankheiten, für betrunkene Ehemänner und degenerierte Kinder...

Ja Wahnsinn! Da fiel es mir doch auf einmal wie Schuppen von den Augen! Was Wunder, dass ich mittlerweile aussah wie Arsch und Friedrich und dauernd mies drauf war – bei all der zersetzenden Hausarbeit, die ich in meinem Leben schon verrichtet hatte!

Ich Narr war ja immer der Meinung gewesen, meine dünnen Haare wären genetisch bedingt, die Hautunreinheiten kämen von schlechten Ess- und Trinkgewohnheiten, die gelben Zähne vom Rauchen, die dunklen Augenringe von zu wenig Schlaf, die Falten vom Alter, die schlechte Laune von meinen Beziehungsproblemen und hatte in meiner Naivität nicht gemerkt, welch gefährlicher Aktivität ich mich tatsächlich– über Jahrzehnte - täglich ausgesetzt hatte. Keiner hatte mich je davor gewarnt.

Wäre mir doch der Zusammenhang zwischen Geschirrspülen und physischem sowie psychischem Niedergang früher klar gewesen, dann würde ich heute klasse aussehen und wäre super drauf.
Womöglich bestünde sogar meine Ehe noch; denn hätte ich meinen Mann, statt ihn gemütlich vor dem Ofen sitzen und Bier trinken zu lassen, in die Küche zitiert und an den Spülstein gestellt, damit er die unsägliche Arbeit verrichte, während ich mich gepflegt hätte, dann wäre manches anders gelaufen. Ich könnte mich heute noch diversen Wellness­programmen hingeben, während er die Küche wienert. Ein Traum!

Ach ja, man sollte einfach öfter lesen...
 

zarah

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Ich saß da, und wusste nicht so recht, was ich mit meiner neugewonnen Freizeit anfangen sollte. Also nahm ich nach langer Zeit wieder mal ein Buch zur Hand und fing an zu lesen. Meine Wahl war auf Upton Sinclair´s „Der Dschungel“ gefallen. Ein Roman über die Zustände in den Schlachthöfen Chicago´s Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts.

Durchaus gut zu lesen. Bis auf das letzte Kapitel, als der Proletarier Jurgis in eine Privatveranstaltung einiger Intellektueller gerät. Deren – mittlerweile hundert Jahre alte - Ausführungen über den Sozialismus ergießen sich über zu viele Seiten und erwecken heute das Bedürfnis die ganze Sache unauffällig abzukürzen und einfach auf der letzten Seite weiter zu lesen. Dann aber lässt der Autor den Genossen Schliemann - Prof. Dr. Schliemann – eine bemerkenswerte Theorie äußern; ich zitiere:
„... die Hausarbeit erledigt entweder die Frau oder eine Lohnsklavin. Lassen wir einmal das moderne System der Hausreinigung durch Staubsauger und die Einsparungen durch eine Gemeinschaftsküche beiseite und betrachten nur eine einzige Hausarbeit, etwa das Geschirrspülen. Sicherlich ist es nicht übertrieben, davon auszugehen, dass das Geschirrspülen für eine fünfköpfige Familie pro Tag eine halbe Stunde in Anspruch nimmt; rechnet man zehn Arbeitsstunden pro Tag, dann braucht man also eine halbe Million körperlich gesunder Personen – in der Regel Frauen - , um das Geschirrspülen im Lande zu erledigen. Wohlbemerkt handelt es sich hier um eine äußerst schmutzige, geisttötende und abstumpfende Arbeit, um eine Arbeit, die Ursache ist für Blutarmut, Nervosität, Häßlichkeit und schlechte Laune, für Prostitution, Selbstmord und Geisteskrankheiten, für betrunkene Ehemänner und degenerierte Kinder – und natürlich hat für all diese Dinge die Gesellschaft zu zahlen.“

Diese Passage musste ich glatt noch mal lesen, denn Geschirrspülen gehörte Zeit meines Erwachsenenlebens zu meinen Aufgaben – trotz Geschirrspülmaschine (passt ja nicht alles rein): ... eine äußerst schmutzige, geisttötende und abstumpfende Arbeit, eine Arbeit, die Ursache ist für Blutarmut, Nervosität, Häßlichkeit und schlechte Laune, für Prostitution, Selbstmord und Geisteskrankheiten, für betrunkene Ehemänner und degenerierte Kinder...

Ja Wahnsinn! Da fiel es mir doch auf einmal wie Schuppen von den Augen! Was Wunder, dass ich mittlerweile aussah wie Arsch und Friedrich und dauernd mies drauf war – bei all der zersetzenden Hausarbeit, die ich in meinem Leben schon verrichtet hatte!

Ich Narr war ja immer der Meinung gewesen, meine dünnen Haare wären genetisch bedingt, die Hautunreinheiten kämen von schlechten Ess- und Trinkgewohnheiten, die gelben Zähne vom Rauchen, die dunklen Augenringe von zu wenig Schlaf, die Falten vom Alter, die schlechte Laune von meinen Beziehungsproblemen und hatte in meiner Naivität nicht gemerkt, welch gefährlicher Aktivität ich mich tatsächlich– über Jahrzehnte - täglich ausgesetzt hatte. Keiner hatte mich je davor gewarnt.

Wäre mir doch der Zusammenhang zwischen Geschirrspülen und physischem sowie psychischem Niedergang früher klar gewesen, dann würde ich heute klasse aussehen und wäre super drauf.
Womöglich bestünde sogar meine Ehe noch; denn hätte ich meinen Mann, statt ihn gemütlich vor dem Ofen sitzen und Bier trinken zu lassen, in die Küche zitiert und an den Spülstein gestellt, damit er die unsägliche Arbeit verrichte, während ich mich gepflegt hätte, dann wäre manches anders gelaufen. Ich könnte mich heute noch diversen Wellness­programmen hingeben, während er die Küche wienert. Ein Traum!

Ach ja, man sollte einfach öfter lesen...
 



 
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