Mara und der Hochzeitstag

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rogathe

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Mara und der Hochzeitstag

Oma Therese betrachtet wehmütig den alten Apfelbaum vor dem Küchenfenster. Ob er noch einmal blühen würde? Opa Franz wollte ihn schon letztes Jahr fällen, weil er kaum noch Früchte trug. Aber sie bat ihn um Aufschub. „Er ist doch unser Hochzeitsbaum!“
Sie seufzt und rührt Kakaopulver in eine Tasse heiße Milch für Mara, die soeben hereinstürmt: „Oma, aus dem Beet linsen schon die Tulpen. Bald kann ich meine Radieschen pflanzen, hat Opa gesagt.“
Sie klettert auf den Stuhl und schlenkert lässig ihre Beine. Während sie genüsslich schlürft, fällt ihr Blick auf das kahle Geäst. „Der Baum da ist tot. Keine Knospen. Aber Klettern geht noch.“ „Du bist doch kein Eichhörnchen!“ Oma Therese schüttelt den Kopf. Mara ist schon ein rechter Wildfang.
„Aber fast so schnell wie Mozart!“ „Mozart?“ „Ja, der Kater von Wunderlichs, gegenüber.“ Großmama horcht auf. „So, so, wann hast du das denn ausprobiert?“ „Ähm, als du beim Friseur warst und Opa sein Nickerchen machte.“ Mara Schokomäulchen plappert munter drauflos. „Er flitzte hinauf und ich hinterher. Dann saß er oben fest und traute sich nicht mehr herunter. Er hat jämmerlich gemaunzt. Da kam Amadeus Wunderlich. Den kenn ich vom Schwimmkurs. Wir mussten Mozart doch retten.“ Oma Therese zieht die Augenbrauen hoch. „Ihr hättet abstürzen und euch die Knochen brechen können!“ „Ist doch so gut wie gar nichts passiert!“ „Was soll das heißen?“ Omas Misstrauen wächst. „Och, Amadeus wollte bloß ein bisschen angeben und sprang vom oberen Ast herunter. Da hat er sich halt seinen rechten Knöchel verknackst. Aber er humpelt nicht mehr.“ „Ach du liebe Güte! Wenn man Dich eine Minute aus den Augen lässt! Das tust du nicht wieder, versprochen? Immerhin feiern wir bald unseren dreiunddreißigsten Hochzeitstag – und da will ich dich nicht in Gips sehen, hörst du?“
„Dingdong“ läutet es an der Haustür. „Das ist bestimmt Papa!“ Mara rutscht vom Stuhl, saust wieselflink in die Diele und reißt die Tür auf. Überschwänglich springt sie ihrem Vater in die Arme und drückt ihm einen dicken Schmatz auf die Wange. „Oma und Opa haben bald einen ganz besonderen Hochzeitstag. Weißt du das überhaupt?“ „Oh, da müssen wir uns was Tolles einfallen lassen!“ Er gibt seinem Töchterchen einen zärtlichen Nasenstüber und begrüßt seine Eltern mit Augenzwinkern. „Habt Ihr einen speziellen Wunsch?“ „Bloß keinen Gips!“, antwortet Mara vorlaut und grinst. Oma legt einen Zeigefinger auf ihre Lippen und nickt stumm. Opa und Papa blicken verdutzt drein, warten aber vergeblich auf eine Erklärung.
„Tschüs dann, bis nächsten Freitag!“ Schon gleitet Mara hinunter und zerrt ihren Vater hinaus. „Das müssen wir gleich Mama erzählen!“ Fröhlich winkt sie ihren Großeltern zum Abschied.

In der folgenden Woche denkt Mara eifrig über ein Geschenk für Oma und Opa nach. Irgendwas Cooles, zum Beispiel Mozart ein Kunststück beibringen und es vorführen. Vielleicht hat Amadeus eine Idee. „Also, den Kater kannste vergessen. Der macht da nicht mit. Wie wäre ein selbstgemaltes Bild - oder du sagst ein Gedicht auf?“, schlägt er vor. Mara schüttelt energisch den Kopf. „Das hatten wir schon zu Geburtstagen und Weihnachten.“ Aber auch Mama und Papa, Onkel Helmut und Tante Gitti können ihr nicht weiterhelfen. Ihnen ist selbst noch nichts Außergewöhnliches eingefallen.

Dann wird es über Nacht richtig warm und sämtliche Tulpen blühen auf einmal. Rosa und Gelb, Lila und rot, weiß und gestreift!
Mara muss unwillkürlich an den kahlen Hochzeitsbaum ihrer Großeltern denken und weiß plötzlich genau, was zu tun ist. Sie zählt ihr Taschengeld. Es reicht für drei Tulpen im Töpfchen bei der Gärtnerei um die Ecke. Als sie tags darauf Amadeus im Schwimmkurs trifft, weiht sie ihn in ihren Plan ein.
„Bitte, du musst mir helfen, die Blumen an den Baum zu binden, damit er am Hochzeitstag schön aussieht.“ „Ja, gerne, aber drei Blüten sehen etwas mickrig aus, findest du nicht?“ „Woher soll ich denn noch mehr nehmen?“ „Aus Blumenbeeten ausgraben“, grinst Amadeus. „Superidee!“, nickt Mara anerkennend. Im elterlichen Vorgarten, hinter Onkel Helmuts und Tante Gittis Gartenhaus, sowie beim Goldfischteich von Wunderlichs buddeln sie, unbemerkt, insgesamt dreißig Tulpen aus und sammeln sie in einem großen Korb. Als die Großeltern am Morgen ihres Festtags zum Supermarkt gefahren sind, schleichen sich die Kinder in Opas Schuppen und schleppen die große Leiter herbei. Mara zieht mitgebrachten Bastfaden aus ihren Jeans hervor, Amadeus klappt sein Taschenmesser auf und schneidet passende Stücke ab. Abwechselnd klettern sie in den Baum und befestigen die Stiele an den Ästen. Zufrieden betrachten sie das Ergebnis ihrer Mühen. Dann stellen sie die Leiter zurück an ihren Platz und verdrücken sich klammheimlich.

Zuhause schlüpft Mara in ihr Lieblingskleid, zieht die rosa Lackschuhe an und steckt sich Glitzerklemmen in die schwarzen Locken. „Fertig! Können wir gehen?“, ruft sie ungeduldig.
Endlich sind auch Mama und Papa soweit. Jeder trägt ein reich verziertes Päckchen.
„Wo ist denn dein Geschenk für Oma und Opa?“, rätseln sie.
„Seht ihr gleich!“, verkündet Mara geheimnisvoll.

Vor dem Haus der Großeltern hat sich eine Traube von Schaulustigen und Gratulanten gebildet.
„Was für ein toller Tulpenbaum!“ „Und so schön bunt!“ „Das gab's noch nie!“
„Das ist bestimmt unsere kleine Hochzeitsfee gewesen!“, vermutet Oma Therese mit feucht glänzenden Augen. Opa Franz räuspert sich und umarmt seine Enkelin: „Eine Fee namens Mara!“ Seine Stimme ist auf einmal ganz heiser.
„Sieh mal, die rosa Tulpen dort oben – wie unsere hinterm Gartenhaus“, flüstert Tante Gitti Helmut während des Sektempfangs zu. Frau Wunderlich hört es und raunt: „Und mir kommen die Gestreiften irgendwie bekannt vor.“ „Bei uns daheim müssen Wühlmäuse am Werk gewesen sein, denn uns fehlen zehn Tulpen“, mutmaßt Mama nachdenklich. Mara nimmt Amadeus an die Hand, zupft ihre Mutter sacht am Ärmel und gesteht ihr Alles. „Ist schon okay – aber nur für diesen besonderen Anlass.“ Mama lächelt milde und streicht ihr zärtlich übers Haar.

„Was für in wundervoller Hochzeitstag!“ Oma sinkt glücklich erschöpft in die Kissen, nachdem der letzte Gast gegangen ist. Opa küsst sie innig und und sinniert: „Die Idee mit dem Tulpenbaum war richtig gut. Weißt du was? Ich pflanze Dir eine Magnolie!“
 

rogathe

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Mara und der Hochzeitstag

Oma Therese betrachtet wehmütig den alten Apfelbaum vor dem Küchenfenster. Ob er noch einmal blühen würde? Opa Franz wollte ihn schon letztes Jahr fällen, weil er kaum noch Früchte trug. Aber sie bat ihn um Aufschub. „Er ist doch unser Hochzeitsbaum!“
Sie seufzt und rührt Kakaopulver in eine Tasse heiße Milch für Mara, die soeben hereinstürmt: „Oma, aus dem Beet lugen schon die Tulpen. Bald kann ich meine Radieschen pflanzen, hat Opa gesagt.“
Sie klettert auf den Stuhl und schlenkert lässig ihre Beine. Während sie genüsslich schlürft, fällt ihr Blick auf das kahle Geäst. „Der Baum da ist tot. Keine Knospen. Aber Klettern geht noch.“ „Du bist doch kein Eichhörnchen!“ Oma Therese schüttelt den Kopf. Mara ist schon ein rechter Wildfang.
„Aber fast so schnell wie Mozart!“ „Mozart?“ „Ja, der Kater von Wunderlichs, gegenüber.“ Großmama horcht auf. „So, so, wann hast du das denn ausprobiert?“ „Ähm, als du beim Friseur warst und Opa sein Nickerchen machte.“ Mara Schokomäulchen plappert munter drauflos. „Er flitzte hinauf und ich hinterher. Dann saß er oben fest und traute sich nicht mehr herunter. Er hat jämmerlich gemaunzt. Da kam Amadeus Wunderlich. Den kenn ich vom Schwimmkurs. Wir mussten Mozart doch retten.“ Oma Therese zieht die Augenbrauen hoch. „Ihr hättet abstürzen und euch die Knochen brechen können!“ „Ist doch so gut wie gar nichts passiert!“ „Was soll das heißen?“ Omas Misstrauen wächst. „Och, Amadeus wollte bloß ein bisschen angeben und sprang vom oberen Ast herunter. Da hat er sich halt seinen rechten Knöchel verknackst. Aber er humpelt nicht mehr.“ „Ach du liebe Güte! Wenn man Dich eine Minute aus den Augen lässt! Das tust du nicht wieder, versprochen? Immerhin feiern wir bald unseren dreiunddreißigsten Hochzeitstag – und da will ich dich nicht in Gips sehen, hörst du?“
„Dingdong“ läutet es an der Haustür. „Das ist bestimmt Papa!“ Mara rutscht vom Stuhl, saust wieselflink in die Diele und reißt die Tür auf. Überschwänglich springt sie ihrem Vater in die Arme und drückt ihm einen dicken Schmatz auf die Wange. „Oma und Opa haben bald einen ganz besonderen Hochzeitstag. Weißt du das überhaupt?“ „Oh, da müssen wir uns was Tolles einfallen lassen!“ Er gibt seinem Töchterchen einen zärtlichen Nasenstüber und begrüßt seine Eltern mit Augenzwinkern. „Habt Ihr einen speziellen Wunsch?“ „Bloß keinen Gips!“, antwortet Mara vorlaut und grinst. Oma legt einen Zeigefinger auf ihre Lippen und nickt stumm. Opa und Papa blicken verdutzt drein, warten aber vergeblich auf eine Erklärung.
„Tschüs dann, bis nächsten Freitag!“ Schon gleitet Mara hinunter und zerrt ihren Vater hinaus. „Das müssen wir gleich Mama erzählen!“ Fröhlich winkt sie ihren Großeltern zum Abschied.

In der folgenden Woche denkt Mara eifrig über ein Geschenk für Oma und Opa nach. Irgendwas Cooles, zum Beispiel Mozart ein Kunststück beibringen und es vorführen. Vielleicht hat Amadeus eine Idee. „Also, den Kater kannste vergessen. Der macht da nicht mit. Wie wäre ein selbstgemaltes Bild - oder du sagst ein Gedicht auf?“, schlägt er vor. Mara schüttelt energisch den Kopf. „Das hatten wir schon zu Geburtstagen und Weihnachten.“ Aber auch Mama und Papa, Onkel Helmut und Tante Gitti können ihr nicht weiterhelfen. Ihnen ist selbst noch nichts Außergewöhnliches eingefallen.

Dann wird es über Nacht richtig warm und sämtliche Tulpen blühen auf einmal. Rosa und Gelb, Lila und rot, weiß und gestreift!
Mara muss unwillkürlich an den kahlen Hochzeitsbaum ihrer Großeltern denken und weiß plötzlich genau, was zu tun ist. Sie zählt ihr Taschengeld. Es reicht für drei Tulpen im Töpfchen bei der Gärtnerei um die Ecke. Als sie tags darauf Amadeus im Schwimmkurs trifft, weiht sie ihn in ihren Plan ein.
„Bitte, du musst mir helfen, die Blumen an den Baum zu binden, damit er am Hochzeitstag schön aussieht.“ „Ja, gerne, aber drei Blüten sehen etwas mickrig aus, findest du nicht?“ „Woher soll ich denn noch mehr nehmen?“ „Aus Blumenbeeten ausgraben“, grinst Amadeus. „Superidee!“, nickt Mara anerkennend. Im elterlichen Vorgarten, hinter Onkel Helmuts und Tante Gittis Gartenhaus, sowie beim Goldfischteich von Wunderlichs buddeln sie, unbemerkt, insgesamt dreißig Tulpen aus und sammeln sie in einem großen Korb. Als die Großeltern am Morgen ihres Festtags zum Supermarkt gefahren sind, schleichen sich die Kinder in Opas Schuppen und schleppen die große Leiter herbei. Mara zieht mitgebrachten Bastfaden aus ihren Jeans hervor, Amadeus klappt sein Taschenmesser auf und schneidet passende Stücke ab. Abwechselnd klettern sie in den Baum und befestigen die Stiele an den Ästen. Zufrieden betrachten sie das Ergebnis ihrer Mühen. Dann stellen sie die Leiter zurück an ihren Platz und verdrücken sich klammheimlich.

Zuhause schlüpft Mara in ihr Lieblingskleid, zieht die rosa Lackschuhe an und steckt sich Glitzerklemmen in die schwarzen Locken. „Fertig! Können wir gehen?“, ruft sie ungeduldig.
Endlich sind auch Mama und Papa soweit. Jeder trägt ein reich verziertes Päckchen.
„Wo ist denn dein Geschenk für Oma und Opa?“, rätseln sie.
„Seht ihr gleich!“, verkündet Mara geheimnisvoll.

Vor dem Haus der Großeltern hat sich eine Traube von Schaulustigen und Gratulanten gebildet.
„Was für ein toller Tulpenbaum!“ „Und so schön bunt!“ „Das gab's noch nie!“
„Das ist bestimmt unsere kleine Hochzeitsfee gewesen!“, vermutet Oma Therese mit feucht glänzenden Augen. Opa Franz räuspert sich und umarmt seine Enkelin: „Eine Fee namens Mara!“ Seine Stimme ist auf einmal ganz heiser.
„Sieh mal, die rosa Tulpen dort oben – wie unsere hinterm Gartenhaus“, flüstert Tante Gitti Helmut während des Sektempfangs zu. Frau Wunderlich hört es und raunt: „Und mir kommen die Gestreiften irgendwie bekannt vor.“ „Bei uns daheim müssen Wühlmäuse am Werk gewesen sein, denn uns fehlen zehn Tulpen“, mutmaßt Mama nachdenklich. Mara nimmt Amadeus an die Hand, zupft ihre Mutter sacht am Ärmel und gesteht ihr Alles. „Ist schon okay – aber nur für diesen besonderen Anlass.“ Mama lächelt milde und streicht ihr zärtlich übers Haar.

„Was für ein wundervoller Hochzeitstag!“ Oma sinkt glücklich erschöpft in die Kissen, nachdem der letzte Gast gegangen ist. Opa küsst sie innig und und sinniert: „Die Idee mit dem Tulpenbaum war richtig gut. Weißt du was? Ich pflanze Dir eine Magnolie!“
 



 
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