Marionettenspiel

flammarion

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Marionettenspiel

Im Sommer 1980 hatte ich das Glück, mit meinen Kindern einen FDGB-Urlaubsplatz am Zechlinsee zu bekommen. Alle Kollegen waren neidisch. Daher dachte ich Wunder, was wir dort erleben werden.
Ja, die Landschaft ist sehr schön. Über die Unterkunft konnte man nicht meckern und mit dem Wetter hatten wir auch Glück. Das Essen war gut und reichlich. Aber die Unterhaltungsangebote waren so teuer, dass wir sie uns nicht leisten konnten. Wir hatten damals rund siebenhundert Mark pro Monat zur Verfügung, vierhundertvierzig kostete die Reise, da konnte ich beim besten Willen keine vierzig Mark für einen Tagesausflug ausgeben. Uns blieben nur Spaziergänge – bloß nicht so weit weg vom Hotel, sonst finden wir es nicht wieder – und Tretbootfahrten auf dem See.
An einem Tag jedoch wurde für die Kinder eine Bastelstraße aufgebaut. Da gingen wir natürlich hin. Erst Mal schauen, was es kostet – es war erschwinglich. Meine Söhne stürzten sogleich zum Modellbaustand und waren bald damit beschäftigt, einen Hubschrauber und einen Geländewagen zusammenzukleben. Meine Tochter fand gleich neben dem Eingang einen Stand mit Makramee-Mustern. Sie beschäftigte sich schon seit ein paar Monaten damit, für sich und ihre Freundinnen Makramee - Armbänder und Umhängetäschchen zu fertigen. Hier lernte sie einige neue Muster hinzu und vergaß die Welt um sich her. Später verwendete sie die neu erworbenen Fertigkeiten für eine traumhaft schöne Weste und einen riesigen Teppich.
Ich schaute mal hier, mal da zu und langweilte mich, bis ich die Imbissstände neben der Bastelstraße entdeckte. Der Kaffee war hier preiswerter als morgens der Frühstückskaffee, wahrscheinlich, weil er in Papp-Bechern serviert wurde.
Endlich kamen meine Söhne stolz mit ihrem Armee-Zubehör zu mir und ließen sich loben. Es waren tolle Modelle, alles war beweglich. Leider brachen bei der Vorführung die Räder des Hubschraubers ab. Ich warnte: „Nun lass ihn bloß nicht auch noch fliegen!“ und schon segelte das neue Spielzeug davon. Wunderbarerweise landete es im weichen Gras. Das sah mein Sohn wohl als Zeichen an. Wir brachten das Teil heil nach Hause, wo es noch etliche Jahre im Spielzeugschrank stand. Neben dem Geländewagen, versteht sich.
Damals aber hatten wir noch Zeit bis zum Abendbrot und meine Söhne sahen sich um, was sonst noch im Angebot war. Sie grinsten über die häkelnden und strickenden Mädchen und erst recht über jene, die Teller und andere Gegenstände bunt anmalten. Sie waren sooo sicher, dass sie das Beste vom Platze in ihren Händen hielten!
Am letzten Stand aber verschlug es ihnen die Sprache. Hier konnte man sich eine Marionette basteln! Aus etwas Angelsehne, zwei Wollknäuel, drei Schnüren, sechs runden Lederstückchen und zwei kleinen Holzstäben entstand ein straußenähnliches Fabelwesen.
Der ältere meiner Söhne schnappte sich sogleich das Vorführmodell und ließ es einige Male um den Stand spazieren, dachte sich unterwegs sogar einen Dialog aus. Es war klar: so n Ding mussten wir haben! Also setzte ich mich an den Tisch und begann mit flinker Nadel, die Teile zusammen zu bekommen.
Ich dachte daran, wie viel Freude ich an jedweder Puppenvorführung hatte, an „Pole Poppenspäler“ und an Pinoccio und hoffte, dass mein Sohn, der sich für meinen Geschmack viel zu oft in Schlägereien verwickeln ließ, durch diese kuriose Gestalt zu besänftigen war.
Leider hatten wir so viel Zeit beim Zuschauen vertrödelt, dass ich die Marionette nicht fertig bekam. Ich versuchte, meine Sprösslinge zu trösten: „Wir haben doch einen netten Mario, wozu brauchen wir eine Marionette?“ (mein Jüngster heißt Mario). Aber das half natürlich nicht. Schließlich durften wir die Bastelteile mitnehmen, ohne zu bezahlen.
Nach dem Abendbrot stellte ich die Märchenfigur fertig. Wir haben noch sehr lange damit gespielt und andere verblüfft mit der unglaublichen Beweglichkeit des feingliedrigen Spielobjekts. Sogar die Freunde meiner Söhne wollten solche Viecher haben. Da saß ich dann noch einige Abende und bastelte Hühnermonster.
Mit Sicherheit hatten die Jungs etliche schöne Stunden mit dem nicht alltäglichen Spielzeug. Aber zu unserem Bekanntenkreis gehörte auch ein Puppenspieler von Weltgeltung. Vielleicht hätten wir ihn besser nicht so gut gekannt. Er kritisierte so lange an der Puppenführung meines Sohnes und an der Marionette herum, dass der Junge nie wieder irgendeine Puppe in die Hand nahm. Als ich 1990 von besagtem Puppenspieler eine Papiermarionette geschenkt bekam, hätte mein Sohn sie am liebsten zerfetzt.
Jedenfalls war die Zeit mit den Marionetten keine verlorene.
 



 
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