Marlboro-Man

sammettiger

Mitglied
Marlboro-Man

Über der grauen Stadt brütet jetzt, am Spätnachmittag, bleierne Hochsommerhitze.
Die Schritte einer von ihrer Arbeit heimkehrenden jungen Frau knirschen über den Kiesweg, als sie auf den sechsgeschossigen Wohnblock zugeht, in dem sie und ihr Mann seit einigen Jahren wohnen.
Im Hausflur sieht sie in den Postkasten. Sie tut dies immer, obwohl sie weiß, dass ihr Mann jeden Tag vor ihr von seinem Frühdienst bei einer Wach- und Schließgesellschaft kommt.
Nachdem sie den Postkasten wieder geschlossen hat, wendet sie sich um, und erblickt durch die verglaste Hintertür das grasende Pony ihres Mannes.
"Mistvieh!", murmelt sie und beginnt die Treppen zur vierten Etage hinaufzusteigen.

"Die Lehmann könnte auch mal putzen.", brummt sie, als sie an der Tür im dritten Stock vorübergeht. Die Absätze ihrer Stilettos klappern über das letzte Podest.
Plötzlich bleibt sie wie angewurzelt stehen; ihre rechte Hand umspannt das Treppengeländer so fest, dass ihre Knöchel hell hervortreten.
Wie oft hab' ich hier schon gestanden, überlegt sie, während sie wartet. Hundert Mal? Tausend Mal? Zehntausend Mal, sicher.
"Und jedes Mal derselbe Mist. Wozu überhaupt noch nach Hause kommen." seufzt sie; und lauscht in die bodenlose Stille, aus der, wie aus weiter Ferne, das Wiehern des Ponys heraufweht. Im Treppenaufgang stinkt es nach Staub und Fliegendreck.
Aus den Achseln der Frau löst sich ein Schweißtropfen. Sie spürt, dass er langsam wie ein Insekt an ihren Seiten herabkriecht. Sie schüttelte sich, rührt sich aber nicht von der Stelle. Zum Duschen würde sie sowieso erst sehr viel später kommen. Davor stand ihr Mann und dessen Westernmanie, zu der unter anderem sein sonderbares Abendessen gehörte. Dieser Westernlunch, wie er es nannte, bestand aus einer Steakscheibe, die sie so lange briet bis sie hart wie Leder war, aus einem Haufen graugedünstetem Mais und klebrigem Kartoffelpüree. Und das Abend für Abend, jahraus, jahrein. Übelkeit würgte die Frau, wenn sie nur an den Geruch des Bratfettes dachte. Und ihr Mann, der stets bewegungslos vor dem Fernseher hockte und Westernserien guckte, sah nicht einmal vom Bildschirm auf, wenn sie ihm den Teller hinstellte. Lass es dir schmecken Liebling!
Und erst dann, wenn das erledigt war, fand sie Zeit und Ruhe, um ausgiebig und hingebungsvoll zu duschen.
"Toller Mist!" zischt sie zur vierten Etage hinauf, und duckt sich noch etwas tiefer. Im selben Moment kracht ein Schuss durchs Treppenhaus. Und die Frau schnellt triumphierend empor.
"Idiot!", flucht sie lauthals in das davonrollende Echo und hämmert wutentbrannt die letzten Stufen zu ihrer Wohnung empor.

Ihr Mann fläzt währenddessen bequem in seinem Lieblingssessel und stiert in den Fernseher. Wildwestszenen flimmern über den Bildschirm. Seine Vorabendserie Silver Gun Girls läuft wie jeden Tag um diese Zeit. Genüsslich schlürft er seinen Feier-
abendwhisky. Eiswürfel klirren leise gegen das Kristall. Der Mann saugt den Rauch seiner Marlboro tief in seine Lunge.
Auf dem Bildschirm geht hinter der Saloontheke eine junge Frau in Deckung. Das Halfter ihres Revolvers eng um ihre schmale Hüfte geschnallt, scheint ihr praller Hintern die hautengen Lederhosen zu sprengen. Es ist Silver Gun Girl-Susan, die mit entsicherter Waffe auf Big Ars lauert. Der Desperado wird jeden Moment in der Schwingtür des Saloons erscheinen.
Der Mann vorm Bildschirm hat die Serie sooft gesehen, dass er, ohne es zu merken, seine Lippen synchron zu den Dialogen bewegt. Und genau jetzt, während diese Szene läuft, betritt seine Frau das Haus. Der Magen des Mannes macht sich schmerzhaft
bemerkbar. Seit Jahren, Tag für Tag immer zur selben Stunde, schneidet dieser Schmerz in seine Gedärme. Mit schauderhaft absehbarer Unerbittlichkeit. Ein Magengeschwür? Undenkbar! Er kommt nicht dahinter, woran es liegt. Ohne auf die Uhr sehen zu müssen, und ohne ein anderes Geräusch, als das des Fernsehers zu vernehmen, fühlt der Mann, das seine Frau heimkommt. Es ist ihm, als sei sie es, die ihn in den Magen tritt. Der Mann hält im Rauchen inne, starrt auf die Mattscheibe, lauscht zum Flur hin.
Silver Gun Girl-Susan hockt unverändert lauernd hinterm Tresen.
Jetzt hört er auch die Schritte seiner Frau im Treppenaufgang. Mist!, denkt er und wartet darauf, dass das Geklapper der Stilettos abbricht. Seine Frau muss auf dem vorletzten Treppenabsatz stehen geblieben sein - bei Lehmanns -, wie jeden Nachmittag.

"Blöde Kuh!", murmelt er, stellt den Whiskybecher ab und schnippt die Kippe der Marlboro in den Ascher. Als Big Ars jetzt durch die Schwingtür des Saloons tritt, erhebt sich der Mann.
Seltsam in den Hüften wiegend, geht er auf das Fernsehgerät zu. Reißt blitzartig seine Hand hervor, feuert einen imaginären Revolver ab, - und dreht den Fernseher lauter. Seine Hände in die Seiten gestemmt, bleibt er breitbeinig vor dem Kasten stehen.
Wippt auf seinen Zehenspitzen vor und zurück. Vor und zurück.
Als Silver Gun Girl-Susan hinter der Theke hervorspäht und sich dem schwarzen Big Ars gegenüber sieht, ballt der Mann vor dem Gerät die rechte Hand zur Faust.
Gebannt wartet er darauf, dass Big Ars brüllt: "He, Lady! Was Sie da in der Hand halten, ist kein Schwanz!" Und Susan: "Okay, Mann!" antwortet, um ihn dann mit einem
wummernden Schuss niederzustrecken.
"Yeah, Superweib!" Der Mann klatscht seine Faust in die linke Handfläche und fällt zurück in den Sessel. Und sofort ist dieses beißende Gefühl im Magen wieder da.
Jetzt, denkt er, muss die Alte gleich die letzten Stufen raufkommen - hoffentlich bricht sie sich heut' das Genick - und wird sofort ihr Scheiß Gezeter anfangen; wegen meiner
Serie, mei'n Whisky, mein' Stiefeln, mein' Socken und weiß der Geier was noch.

Die Frau stößt die Wohnungstür auf. Das Wummern eines erneuten Schusses rollt ihr entgegen.
Früher, erinnert sie sich, früher stand er halbnackt vor mir, wenn ich kam. Mit offenen Armen hat er mich empfangen. Ja, frisch geduscht, mit feuchten Haaren, und so geil gerochen. Es gab Tage, da haben wir's gleich im Flur... Und jetzt... ? Scheiß Glotze! Scheiß Western! Scheiß drauf! Sie schmettert die Wohnungstür so heftig ins Schloss, dass das Echo zurückrollt ins Wohnzimmer.
Sie blickt den Korridor entlang auf den Hinterkopf ihres Mannes.
Glatze kriegt er auch schon! Setzt den Cowboyhut nie ab! Murmelt sie und stolpert über ein Paar Stiefel. Mist! Ersticken soll er an den Dingern!
"Schatzi, kannst du mal die Glotze leiser stellen!?" Ihre Stimme schrillt.
Der Mann rührt sich nicht. No Lady, du kannst mich mal!
"Schatzi, deine Stiefel hättest du auch richtig hinstellen können, und deine Socken tu' nächstes Mal in die Maschine. Bitte!"
"Okay, Lady." Er nimmt einen kräftigen Schluck Whisky.
Nicht mal die Zähne kriegt er auseinander. Quatscht wie diese Westerntypen. Macho-Arsch! In ihrem Gesicht zuckt es.
Gleich steht sie vor mir, denkt er, und lauscht auf ihre Schritte, die sich vom Flur her nähern. Ihr Unterleib schiebt sich in sein Gesichtsfeld. Er starrt auf den Reißverschluss ihrer Jeans. Ihr Gesicht taucht herab, ihre Augen blicken einen Moment unverwandt in die seinen, dann küsst sie ihn auf den Mund.
"Hallo Schatz", sagt sie.
"Du versperrst mir die Sicht.", knurrt er und versucht mit geneigtem Kopf an ihrer Hüfte vorbei zu schielen. Einen Lidschlag lang hält sie die Luft an, erwidert jedoch nichts
und geht hinaus.

Gleich wird sie mir erklär'n, dass es in 'ner halben Stunde Essen gibt; und fragt mich, wie es in der Firma war. Anstatt sie ihre Arbeit so schnell und lautlos macht, wie man's erwarten kann.
"Schatzi?", ihre Stimme scheint meilenweit weg, irgendwo in der Küche, "Schatzi, in
einer halben Stunde gibt's Abendessen."
"Okay, Lady." brummt er und stiert weiter auf den Bildschirm.
"Wie war's heut in der Firma, Schatz?"
"Ja, ja, okay, Lady."
"Sagen die nichts, wenn du rumläufst wie der ...ähem... Marlboro-Mann. Bei der letzten Firma bist du doch deshalb rausgeflogen, oder...?"
Ihre Zunge, denkt er, wird sie eines Tages noch umbringen. Soll sie dran ersticken!
"Ja, ist okay Lady."
"Ich mein' immerhin arbeitest du am Empfang." - Pah von wegen Empfang, ist ja wohl doch eher ein Pförtnerjob.

"Hörst du mir zu Schatz?"
"Ye', Lady." Scheiße -, in der Küche klappert Geschirr, eine Eisenpfanne scheppert zu Boden. Auf dem Fernsehschirm reitet Silver Gun Girl-Susan durch die weite Prärie. Ihr blondes Haar wippt im Takt des Pferderückens.
"Du, Schatzi!?" In die Stimme der Frau mischen sich überraschend hohe Zwitscherlaute.
"Ye', Lady." Und ihr Mann bemerkt es nicht einmal.
Ich hasse es, wenn er mich Lady nennt. "Du, Schatzi, heut war Susanne in der Firma. Du kennst doch Susanne?"
"Ye', Lady." - Wer zum Teufel, ist dies verdammte Susanne?
"Du, sie ist im Mütterurlaub. Sie hat 'nen ganz süßen Fratz. Sie war heute mit ihm in
der Firma." Dieser Idiot glotzt nur auf seine Revolverweiber und setzt zwitschernd fort: "Hörst du mir überhaupt zu?"
"Ye', Lady." knurrt er und schlürft von seinem Whisky.
"Ein ganz Süßer ist das, und so niedlich. Ich hätt' auch so gern ein Baby ..."
"Ye' Baby, ...äh, Lady." - Oh Scheiße, Mann, die bringt mich glatt um mit ihrem Balg!
"Wir sind beide fünfunddreißig, und jünger werden wir nicht, und immer noch keine
Kinder. Ich find' es wird langsam Zeit." ruft die junge Frau aus der Küche.
"Ja, ja Lady." Seit Jahren quatscht die immer denselben Scheiß.
"Du könntest mit den Kindern Spazieren gehen oder Cowboy spielen oder sie auf deinem Pony reiten lassen." schlägt sie halbherzig vor.
Ein Eiswürfel zerbirst zwischen den Zähnen des Mannes, während Silver-Gun-Girl-Susan auf ein Fort zu reitet.
"Dann ist das Vieh wenigstens zu was nütze.", flüstert sie entschieden leiser und hält in ihrer Arbeit inne. Sie lauscht, den Blick starr in die Bratpfanne gerichtet auf den Westernlärm der aus dem Wohnzimmer.
Susan hat zwischenzeitlich das Fort erreicht. Sie springt vom Pferd, die Bluse bis zum Nabel geöffnet. Der Mann schluckt und glotzt auf die sonnengebräunten Rundungen ihrer Brüste.
"Ye', Lady." - Kacke, Mann, ich hasse Kinder. Nur Lärm, nur Dreck, nur Gestank.
"Ein Kind wär' so schön. Hörst du, Schatz?" Die Stimme der Frau klingt seltsam spitz.
"Ye', Lady." brummt der Mann.
"Heute wär'n guter Tag."
"Ye', Lady."
"Ein sehr guter Tag ..."
"Ye', Lady."
"Meinst du nicht auch, wir sollten mal wieder miteinander ... Nur für ein Kind."
"Ye', Lady." - Oh, Mann, Scheiße, ich bring die wirklich um. Ich schwör's.
"Liebst du mich nicht mehr?"
"Ye', Lady."
"Warum nicht? Bin ich zu alt?"
"Ye', Lady."
"Zu fett? Zu hässlich?"
"Ye', Lady."
"Aber mit deinen Westernweibern würdest du gern mal. Stimmt's?" schnappt sie.
"Ye', Lady."
"Kotz ich dich an?" kreischt sie, kurz davor zu explodieren.
"Gott verflucht noch mal, du dämliches Weib, was heulst du dauernd rum! Lass mich endlich mit deinem beschissenen Balg in Ruhe!" - So'n Mist, hab glatt verpasst, wie Susan im Sheriff-Office verschwunden ist. Geiles Weib; die Susan! Schweigend stiert er auf die Mattscheibe. Raucht. Trinkt. Susan spricht mit dem Sheriff. Vor dem Office verbreitet sich hektischer Lärm. Die Postkutsche kommt an.

Wo bleibt die bloß mit meinem Essen? -, der Mann vorm Fernseher sieht in sein Glas -, Eis ist auch alle. Verdammt!
"He, Lady!" Keine Antwort. "Heee! Hallo!"
Die flennt wieder, überlegt er. Warum, verflucht nochmal, heult dieses Weib ständig?
Der Fernseher lärmt. Aus der Küche kommt kein Geräusch. Aber den eigenartigen Geruch nimmt er jetzt wahr.
"Hat die Steaks anbrenn' lass'n, die blöde Kuh?" flucht er leise. "Oder? Nein, dann riecht's anders." Vergeblich versucht er dahinter zu kommen, ohne nachschauen zu müssen. Mist! Stöhnend stemmt der Mann sich aus dem Sessel.
Mit seinem seltsam wiegenden Gang geht er hinüber in die Küche. Er sieht sich um; aber in der Küche ist sie nicht. Als er die qualmende Pfanne vom Herd nimmt, "Scheiße!", verbrennt er sich die Finger.
"He, Lady!" - Wo steckt dieses Weib nur?
Er geht über den Korridor zum Bad. Er klopft an die Tür. Einmal. Zweimal. Lauscht mit geneigtem Kopf nach drinnen, doch erhält keine Antwort. Er lässt seine Pranke auf die Klinke fallen. Die Tür fliegt auf. Er wirft einen kurzen Blick in den weißen Raum.
"Hier ist sie auch nicht." - Verdammt, ist die abgehau'n? Das wär' das erste Mal... Er macht einen Schritt zurück in den Korridor und lauscht erneut. Totenstille. Auch der gedämpfte Westernlärm ist verebbt.
Der Mann geht hinüber zum Kinderzimmer; mustert das akkurat hergerichtete Kinderbettchen, in dem nie ein Kind liegen wird, wenn es nach ihm ginge. Scheiße, wie in 'ner Möbelabteilung. Auch so'n Spleen von ihr. Wo ist die ? Hier stinkt's! Der Mann zieht geräuschvoll die Luft in die Nase; seine Nüstern blähen sich. Überall stinkt's hier so. Es stinkt wie..., wie nach 'nem beschiss'nen Gewitter. Ach, leck mich; das blöde Weib wird schon wieder auftauch'n. Er knallt die Kinderzimmertür zu.
Er holt sich neues Eis und kehrt in seinen Sessel vorm Fernseher zurück.

Auf dem Bildschirm hockt Silver Gun Girl-Susan hinter einem Baum. Der Mann vorm Fernseher glotzt auf ihren straffen Hintern und gießt sich Whisky nach. Entspannt lässt er sich in die Polster sinken.
Susan hockt noch immer unbeweglich vor ihm. Sie scheint auf jemanden zu warten.
Der Mann stutzt einen Moment; er konnte sich nicht an diese Szene erinnern. "Hat mich die Alte wieder gestört. Wo bleibt die nur?"
Plötzlich erhebt sich Susan. Und die Kamera beginnt auf ihren Rücken zu zufahren.
Näher und näher. Rumpf und Schädel des Cowgirls füllen den Bildschirm. Und erst als der Hinterkopf Susans das Bild füllt, stoppt die Kamera. Der Mann starrt auf die blonden Haare, die unterm Cowboyhut der jungen Frau hervorquellen. Susan hatte doch keine blonden Haare, überlegt er, als sie sich plötzlich nach ihm umdreht, als hätte sie seinen Blick bemerkt. Der Mann zuckt unwillkürlich zurück. Das Cowgirl starrt ihm ins Gesicht. Der Mann glotzt mit offenem Mund zurück.
Mit ihrem Gesicht stimmt was nicht, schießt es dem Mann durch den Kopf. Es ist so..., so breit, und die Augen, die sind so...
Seine Mundwinkel zucken und das linke Augenlid beginnt zu flattern.
"Oh, nein.", flüstert er, "oh, nein."
"Doch!", erwidert die Frau auf dem Bildschirm, "Doch!" und verzieht ihre Lippen zu einem schmalen höhnischen Grinsen.
"Hee Lady, hee, das ist doch nicht möglich." Seine Stimme droht zu kippen. Panik steigt in ihm auf.
Das Gesicht seiner Frau auf dem Bildschirm wächst unaufhaltsam. Der Mann vor ihr überlegt fieberhaft, was er tun könnte. Er weiß, er brauchte nur den Apparat auszuschalten, kann sich aber keinen Millimeter weit aus dem Sessel bewegen.

"Nenn meinen Namen, Mann!" Überraschend groß taucht eine Revolvermündung vor ihrem Gesicht auf. Sie zielt genau zwischen seine Augen.
"Oh Baby, Lady, Mann, mach keinen Scheiß! Wie bist du da rein gekommen?" stottert der Mann.
Sie kichert, fängt sich aber sofort wieder.
"Du hast mir mein Leben versaut; jetzt nenn wenigstens noch meinen Namen!"
"Ye', Lady. Nein! Stopp!"; es ist zum Kotzen; "Was hast du vor?" fragt er mit belegter Stimme.
Er muss an diesen Scheiß Fernseher ran. Seine Gedanken überschlagen sich.
"Du sollst meinen Namen nennen! Nur einmal!" schreit sie.
"Susan... Silver... Girl...Verflucht!" krächzt er.
Vor seinen Augen verschwimmt das Gesicht seiner Frau wie hinter Milchglas. Er spürt den unbändigen Wunsch, sich über die Augen zu wischen. Doch er vermag es nicht. Seine Arme baumeln leblos herab; das Whiskyglas ist auf den Teppich gerollt.
"Nenn endlich meinen Namen; wenn du ihn überhaupt noch weißt!"
"Ich... kann... mich... nicht...", und bringt nur noch ein trockenes Würgen hervor.
Er starrt weiter in die pechschwarze Revolvermündung. Er sieht noch, wie seine Frau ihr linkes Auge zukneift, als schon das Feuer aus der Mündung spritzt. Das Projektil rast wie ein donnernder Zug auf ihn zu. Glas splittert. Sein Kopf federt zurück.
Blut sickert aus der Schusswunde in der Stirn, und mischt sich mit den Whiskyflecken auf dem Teppich. Dann ist es totenstill; nur das Wiehern eines Ponys verweht wie ein Rauchfetzen in der Ferne.


---(c)sammettiger 2001---
 

Renee Hawk

Mitglied
Hallo,

ich fand die Geschichte sehr gut erzählt, wollt ich mal sagen. Mir haben die "Dialoge im geiste" sehr gut gefallen. Was ein Mann und eine Frau doch so denken?! Das Ende fand ich sehr überraschend und gerne würde ich wissen wie heisst sie denn nun?

Gruß
Reneè
 

sammettiger

Mitglied
Wie heißt sie denn nun???

Hi Renee,

freut mich, dass dir der Marlboro-Man gefallen hat :)
Zu deiner Frage ...
...und gerne würde ich wissen wie heisst sie denn nun?
... kann ich dir leider auch nicht sehr viel mehr sagen als in der Geschichte steht. Silver-Gun-Girl Susan ist es jedenfalls nicht und seine Ehefrau, die ja im Fernseher auftaucht, um ihn zu erschießen, hat in der Geschichte keinen Namen.

Ist letztlich auch egal; wichtiger finde ich den Umstand, dass der Ehemann den Namen seiner Frau nicht sofort parat hat.

Pech für ihn ;)

Grüße vom sammettiger
 

Renee Hawk

Mitglied
jo recht hast'de, er hätte sich ein Spikzettel machen können oder sich den Namen hinter die Ohren schreiben können *lach*.

Es ist und bleibt eine schöne Geschichte die tief blicken läßt, Baby *grins*

Liebe Grüße
Reneè
 

Omar Chajjam

Mitglied
Für die sehr gut erzählte Geschichte ist mir der Schluß zu einfach, weil plausibel und leicht zu durchschauen. Da gibt es doch unendlich viele andere Schlüsse, die überraschender sind.

Gruß
Omar
 

sammettiger

Mitglied
Durchschaubarer Schluß???

Hi Omar,

danke für dein Lob :)

Deine Anmerkung ...
...ist mir der Schluß zu einfach, weil plausibel und leicht zu durchschauen
... vermag ich nicht so recht nachzuvollziehen. Plausibel sollte eine Geschichte - implizit ihrem Schluss - schon sein, sonst fühlt sich der Leser - platt gesagt - verarscht.

Für sooo leicht durchschaubar halte ich ihn auch nicht, da das Auftauchen der Ehefrau im Fernseher doch sehr irreal ist.

Dank deiner Kritik habe ich mich noch einmal mit dem Schluss auseinandergesetzt, werde ihn aber so lassen, wie er ist.

Beste Grüße vom sammettiger
 

Omar Chajjam

Mitglied
Lieber Freund,

es ist dies keine explizite Kritik am Schluß gewesen. Ich hatte nur einfach erwartet, daß das so kommt. Vielleicht hätte ich es auch so geschrieben. Sie mußte ja handeln auf seiner Ebene, im Western.

Ich hab dann hin und her überlegt, das Motiv noch einmal zu wenden. Bin dann drauf gekommen, man könnte das noch weiter treiben, daß sie vorm Fernseher sitzt sich schminkt und dabei zusieht wie er im Fernsehen von Indianern skalpiert wird. Ist nur so eine Idee.

Ich bleibe klar bei meinem Lob, egal, ob Du das oder das machst.

Gruß
Omar
 

Markus Veith

Mitglied
Hallo, Ammettinger!
Ich finde deine Geschichte okay. Sie hat mich nicht übermäßig vom Hocker gehauen, doch der Plot ist sehr interessant und die Wendung des Rollenwechsels der Frauen wirkte auf mich ehrlich erfrischend. Ich war zumindest nicht auf ihn vorbereitet und kann auch nicht behaupten, ihn vorausgesehen zu haben.
Nach dem Lesen blieben für mich jedoch einige Dinge unklar und krumm. Bei dem Pony dachte ich mir noch, gut, hat der Typ halt ein Pony im Hof stehen, warum auch nicht? Zumindest sein Grund dafür ist klar. Warum Hausgemeinschaft und Tierschutzverein diese Haltung auf sich sitzen lasst, ist mir allerdings schleierhaft. ;-) Spaß beiseite. Die Geschichte hat durch ihre Schlußpointe sehr weitgesteckte Grenzen. Daher bin ich im Hinblick auf das Pony unsicher, doch empfinde ich, der Text kommt ohne dem ungewöhnlichen Haustier besser aus.
Das ‚Hämmern' beim Heraufeilen der Stufen finde ich sehr mutig. Ich bin sehr dafür, Wortwendungen auszuprobieren und ich kann mit dem Begriff als neues Synonym für Poltern oder Stampfen genügend anfangen. Doch erfahrungsgemäß wird ein solch neuer Begriff von Lesern häufig als störend empfunden. Hier fand ich ihn in Ordnung.
Was mich mehr verwirrt, ist der häufige Perspektivenwechsel in deiner Geschichte. Vielleicht ist das nur mein Empfinden und ich weiß nie so recht, was besser ist: zwischen den Figuren hin und her zu springen oder aber bei einer Perspektive zu bleiben. Hier ist letzteres sicherlich schwierig. Ich habe überlegt, ob es möglich wäre, in den Passagen etwas länger bei den Gedanken einer Person zu bleiben und den Wechsel dann mit einem harten Absatz zu wechseln.
Schön finde ich ihre Gedanken nach dem Öffnen der Wohnungstür, ihre Beschreibung davon, wie ihr Mann sie früher empfangen hat. Es hätte mich interessiert, etwas ähnliches, bzw, entsprechendes auch bei ihm zu lesen. Wie hat sie sich für ihn verändert?
Fraglich finde ich allerdings ihren Kinderwunsch. Die Frau kommt mir nicht so vor, als liebe sie ihren Mann noch so sehr, dass sie ein Kind mit ihm haben wolle. Und ich habe meine Zweifel, ob diese Frau, so, wie ich sie verstehe, ihre Ehe mit einem Kinderwunsch zu kitten versuchen würde. Oder will sie ihn damit nur provozieren? Mag sein, dass ich diese Stelle nicht richtig verstanden habe.
Bin gespannt auf deine Antwort und hoffe, nicht zu viel gemeckert zu haben.
Mit literarischen Grüßen
Markus Veith
 

sammettiger

Mitglied
Neue Wendung???

Hallo Omar,

ich fand erst jetzt die nötige Ruhe, um auf deinen Beitrag zu antworten.
...daß sie vorm Fernseher sitzt sich schminkt und dabei zusieht wie er im Fernsehen von Indianern skalpiert wird.
Diese Idee würde IMHO nicht sehr gut funktionieren, sie würde die Protagonistin in eine passive Rolle drängen und sie selbst und letztlich die ganze Geschichte schwächen.

Beim sogenannten "Showdown", egal wie er aussieht, müssen sich Protagonist und Antagonist allein gegenüberstehen. Nur die Frau selbst kann die Initiative übernehmen und sich von ihrem Mann befreien, um ihre Stärke zu beweisen und zu siegen. Stellvertreter können dies nicht übernehmen, ohne dass die Frau ihr Gesicht verliert.

Deine Idee wäre in diesen Sinne umsetzbar, wenn ich den Mann in den Fernseher steigen lassen würde, damit er seine Erfüllung in der Nähe seiner Westerngirls finden kann. Im schönsten Augenblick aber müsste ich ihn aus dem Fernseher ins Wohnzimmer schauen lassen und was er dann sieht, würde ihm den kalten Angstschweiß auf die Stirn treiben: Er beobachtet nämlich, wie seine Frau auf das Fernsehgerät zugeht, um es auszuschalten. Damit versperrt sie ihm jeden Weg zurück in die reale Welt. Es wäre sozusagen sein Todesurteil.

So oder so ähnlich könnte es funktionieren und wäre möglichweise eine neue Geschichte ;)

Beste Grüße von Peter alias sammettiger
 

sammettiger

Mitglied
Nicht vom Hocker fallen

Hallo Markus,

danke für deinen langen Beitrag :) Er hat mir geholfen mich noch mal aus einer anderen Sicht intensiv mit der Geschichte auseinanderzusetzen.
Ich finde deine Geschichte okay. Sie hat mich nicht übermäßig vom Hocker gehauen
Das tät mir auch leid. Solche Auswirkungen wünschte ich mir auch nicht ;)

...der Text kommt ohne dem ungewöhnlichen Haustier besser aus
IMHO kommt der Text ohne Pony überhaupt nicht aus, weil das Tier zur Charakterisierung des Mannes zwingend notwendig ist, ja, um die Charakterisierung im gewissen Maße auch zu überhöhen.
Ich habe überlegt, ob es möglich wäre, in den Passagen etwas länger bei den Gedanken einer Person zu bleiben
Ich habe mich beim Schreiben bewusst nicht für diesen Weg entschieden, weil es mir nicht um die psychologische Auslotung der Figuren ging. Überdies lasse ich dem Leser dadurch Raum, sich selbst mit Gedanken und Gefühlen einzubringen.

Die Geschichte "gehört" insgesamt der Frau; sie ist meine Protagonistin, die Gedanken und Gefühle des Mannes sind dabei eher zweitrangig.

Ihr Kinderwunsch erscheint durchaus plausibel, da sie somit ein menschliches Wesen hätte, auf das sie all ihre Liebe fokussieren kann. Es wäre auch die Chance für sie, eine angemessene Erwiderung ihrer Liebe zu erfahren.
Um es etwas zynisch auszudrücken: Der Mann soll sie befruchten und dann kann er, wenn's nach ihr ginge, tun und lassen, was er will.(Anmerkung: Zur Zeugung eines Kindes ist nicht unbedingt Liebe notwendig. Siehe: künstliche Befruchtung)

Als Meckerei habe ich deinen Beitrag ganz und garnicht empfunden. Er war durchaus konstruktiv. Danke :)

Beste Grüße von Peter alias sammettiger
 

Ralph Ronneberger

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo sammettiger,

erst mal das Wichtigste: Auch mir hat die Geschichte gefallen. Zumindest ab dem Moment, wo der Mann ins Spiel kommt, habe ich angefangen, mich köstlich zu amüsieren. Beide (Mann und Frau) werden in ihren Charakteren so krotesk überzogen dargestellt, daß ich den Text als gelungene Satire betrachte, die auf (natürlich in abgeschwächter Form) auf nicht wenige sogenannte Partnerschaften übertragbar wäre. Der Schluß ist gut und stellt die Gerechtigkeit wieder her. Übrigens ist die andere, von dir vorgeschlagene, Schlußvariante auch nicht uninteressant. Man könnte da sogar noch einen drauf setzen, idem man sie ihren Liebhaber bitten läßt, doch den blöden Fernseher auszumachen, weil es nun an der Zeit wäre, ungestört an die Kindeszeugung zu gehen. Du siehst, deine Geschichte weckt sogar die Phantasie deiner Leser.

Gruß Ralph
 

sammettiger

Mitglied
Eins draufsetzen???

Hallo Ralph,

schön, dass dir die Geschichte gefallen hat und danke für dein Feedback :)
...könnte da sogar noch einen drauf setzen, idem man sie ihren Liebhaber bitten...
Die Sache mit dem Liebhaber würde nicht funktionieren. Denn wenn sie eine andere Beziehung hätte, wozu bräuchte sie dann noch ihren Mann?

Es wäre eine ganz andere Geschichte und nicht mehr die zwischen den Beiden, die ich erzählen wollte.

Beste Grüße von Peter alias sammettiger
 

Ralph Ronneberger

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo sammettiger,
stimmt. Du hast Recht. Um einen Liebhaber mit ins Spiel zu bringen, müßte eine völlig neue Geschichte her. Aber das ist nicht nötig. Schließlich ist deine Story, so wie sie ist, sehr gut.

Gruß Ralph
 



 
Oben Unten