sammettiger
Mitglied
Marlboro-Man
Über der grauen Stadt brütet jetzt, am Spätnachmittag, bleierne Hochsommerhitze.
Die Schritte einer von ihrer Arbeit heimkehrenden jungen Frau knirschen über den Kiesweg, als sie auf den sechsgeschossigen Wohnblock zugeht, in dem sie und ihr Mann seit einigen Jahren wohnen.
Im Hausflur sieht sie in den Postkasten. Sie tut dies immer, obwohl sie weiß, dass ihr Mann jeden Tag vor ihr von seinem Frühdienst bei einer Wach- und Schließgesellschaft kommt.
Nachdem sie den Postkasten wieder geschlossen hat, wendet sie sich um, und erblickt durch die verglaste Hintertür das grasende Pony ihres Mannes.
"Mistvieh!", murmelt sie und beginnt die Treppen zur vierten Etage hinaufzusteigen.
"Die Lehmann könnte auch mal putzen.", brummt sie, als sie an der Tür im dritten Stock vorübergeht. Die Absätze ihrer Stilettos klappern über das letzte Podest.
Plötzlich bleibt sie wie angewurzelt stehen; ihre rechte Hand umspannt das Treppengeländer so fest, dass ihre Knöchel hell hervortreten.
Wie oft hab' ich hier schon gestanden, überlegt sie, während sie wartet. Hundert Mal? Tausend Mal? Zehntausend Mal, sicher.
"Und jedes Mal derselbe Mist. Wozu überhaupt noch nach Hause kommen." seufzt sie; und lauscht in die bodenlose Stille, aus der, wie aus weiter Ferne, das Wiehern des Ponys heraufweht. Im Treppenaufgang stinkt es nach Staub und Fliegendreck.
Aus den Achseln der Frau löst sich ein Schweißtropfen. Sie spürt, dass er langsam wie ein Insekt an ihren Seiten herabkriecht. Sie schüttelte sich, rührt sich aber nicht von der Stelle. Zum Duschen würde sie sowieso erst sehr viel später kommen. Davor stand ihr Mann und dessen Westernmanie, zu der unter anderem sein sonderbares Abendessen gehörte. Dieser Westernlunch, wie er es nannte, bestand aus einer Steakscheibe, die sie so lange briet bis sie hart wie Leder war, aus einem Haufen graugedünstetem Mais und klebrigem Kartoffelpüree. Und das Abend für Abend, jahraus, jahrein. Übelkeit würgte die Frau, wenn sie nur an den Geruch des Bratfettes dachte. Und ihr Mann, der stets bewegungslos vor dem Fernseher hockte und Westernserien guckte, sah nicht einmal vom Bildschirm auf, wenn sie ihm den Teller hinstellte. Lass es dir schmecken Liebling!
Und erst dann, wenn das erledigt war, fand sie Zeit und Ruhe, um ausgiebig und hingebungsvoll zu duschen.
"Toller Mist!" zischt sie zur vierten Etage hinauf, und duckt sich noch etwas tiefer. Im selben Moment kracht ein Schuss durchs Treppenhaus. Und die Frau schnellt triumphierend empor.
"Idiot!", flucht sie lauthals in das davonrollende Echo und hämmert wutentbrannt die letzten Stufen zu ihrer Wohnung empor.
Ihr Mann fläzt währenddessen bequem in seinem Lieblingssessel und stiert in den Fernseher. Wildwestszenen flimmern über den Bildschirm. Seine Vorabendserie Silver Gun Girls läuft wie jeden Tag um diese Zeit. Genüsslich schlürft er seinen Feier-
abendwhisky. Eiswürfel klirren leise gegen das Kristall. Der Mann saugt den Rauch seiner Marlboro tief in seine Lunge.
Auf dem Bildschirm geht hinter der Saloontheke eine junge Frau in Deckung. Das Halfter ihres Revolvers eng um ihre schmale Hüfte geschnallt, scheint ihr praller Hintern die hautengen Lederhosen zu sprengen. Es ist Silver Gun Girl-Susan, die mit entsicherter Waffe auf Big Ars lauert. Der Desperado wird jeden Moment in der Schwingtür des Saloons erscheinen.
Der Mann vorm Bildschirm hat die Serie sooft gesehen, dass er, ohne es zu merken, seine Lippen synchron zu den Dialogen bewegt. Und genau jetzt, während diese Szene läuft, betritt seine Frau das Haus. Der Magen des Mannes macht sich schmerzhaft
bemerkbar. Seit Jahren, Tag für Tag immer zur selben Stunde, schneidet dieser Schmerz in seine Gedärme. Mit schauderhaft absehbarer Unerbittlichkeit. Ein Magengeschwür? Undenkbar! Er kommt nicht dahinter, woran es liegt. Ohne auf die Uhr sehen zu müssen, und ohne ein anderes Geräusch, als das des Fernsehers zu vernehmen, fühlt der Mann, das seine Frau heimkommt. Es ist ihm, als sei sie es, die ihn in den Magen tritt. Der Mann hält im Rauchen inne, starrt auf die Mattscheibe, lauscht zum Flur hin.
Silver Gun Girl-Susan hockt unverändert lauernd hinterm Tresen.
Jetzt hört er auch die Schritte seiner Frau im Treppenaufgang. Mist!, denkt er und wartet darauf, dass das Geklapper der Stilettos abbricht. Seine Frau muss auf dem vorletzten Treppenabsatz stehen geblieben sein - bei Lehmanns -, wie jeden Nachmittag.
"Blöde Kuh!", murmelt er, stellt den Whiskybecher ab und schnippt die Kippe der Marlboro in den Ascher. Als Big Ars jetzt durch die Schwingtür des Saloons tritt, erhebt sich der Mann.
Seltsam in den Hüften wiegend, geht er auf das Fernsehgerät zu. Reißt blitzartig seine Hand hervor, feuert einen imaginären Revolver ab, - und dreht den Fernseher lauter. Seine Hände in die Seiten gestemmt, bleibt er breitbeinig vor dem Kasten stehen.
Wippt auf seinen Zehenspitzen vor und zurück. Vor und zurück.
Als Silver Gun Girl-Susan hinter der Theke hervorspäht und sich dem schwarzen Big Ars gegenüber sieht, ballt der Mann vor dem Gerät die rechte Hand zur Faust.
Gebannt wartet er darauf, dass Big Ars brüllt: "He, Lady! Was Sie da in der Hand halten, ist kein Schwanz!" Und Susan: "Okay, Mann!" antwortet, um ihn dann mit einem
wummernden Schuss niederzustrecken.
"Yeah, Superweib!" Der Mann klatscht seine Faust in die linke Handfläche und fällt zurück in den Sessel. Und sofort ist dieses beißende Gefühl im Magen wieder da.
Jetzt, denkt er, muss die Alte gleich die letzten Stufen raufkommen - hoffentlich bricht sie sich heut' das Genick - und wird sofort ihr Scheiß Gezeter anfangen; wegen meiner
Serie, mei'n Whisky, mein' Stiefeln, mein' Socken und weiß der Geier was noch.
Die Frau stößt die Wohnungstür auf. Das Wummern eines erneuten Schusses rollt ihr entgegen.
Früher, erinnert sie sich, früher stand er halbnackt vor mir, wenn ich kam. Mit offenen Armen hat er mich empfangen. Ja, frisch geduscht, mit feuchten Haaren, und so geil gerochen. Es gab Tage, da haben wir's gleich im Flur... Und jetzt... ? Scheiß Glotze! Scheiß Western! Scheiß drauf! Sie schmettert die Wohnungstür so heftig ins Schloss, dass das Echo zurückrollt ins Wohnzimmer.
Sie blickt den Korridor entlang auf den Hinterkopf ihres Mannes.
Glatze kriegt er auch schon! Setzt den Cowboyhut nie ab! Murmelt sie und stolpert über ein Paar Stiefel. Mist! Ersticken soll er an den Dingern!
"Schatzi, kannst du mal die Glotze leiser stellen!?" Ihre Stimme schrillt.
Der Mann rührt sich nicht. No Lady, du kannst mich mal!
"Schatzi, deine Stiefel hättest du auch richtig hinstellen können, und deine Socken tu' nächstes Mal in die Maschine. Bitte!"
"Okay, Lady." Er nimmt einen kräftigen Schluck Whisky.
Nicht mal die Zähne kriegt er auseinander. Quatscht wie diese Westerntypen. Macho-Arsch! In ihrem Gesicht zuckt es.
Gleich steht sie vor mir, denkt er, und lauscht auf ihre Schritte, die sich vom Flur her nähern. Ihr Unterleib schiebt sich in sein Gesichtsfeld. Er starrt auf den Reißverschluss ihrer Jeans. Ihr Gesicht taucht herab, ihre Augen blicken einen Moment unverwandt in die seinen, dann küsst sie ihn auf den Mund.
"Hallo Schatz", sagt sie.
"Du versperrst mir die Sicht.", knurrt er und versucht mit geneigtem Kopf an ihrer Hüfte vorbei zu schielen. Einen Lidschlag lang hält sie die Luft an, erwidert jedoch nichts
und geht hinaus.
Gleich wird sie mir erklär'n, dass es in 'ner halben Stunde Essen gibt; und fragt mich, wie es in der Firma war. Anstatt sie ihre Arbeit so schnell und lautlos macht, wie man's erwarten kann.
"Schatzi?", ihre Stimme scheint meilenweit weg, irgendwo in der Küche, "Schatzi, in
einer halben Stunde gibt's Abendessen."
"Okay, Lady." brummt er und stiert weiter auf den Bildschirm.
"Wie war's heut in der Firma, Schatz?"
"Ja, ja, okay, Lady."
"Sagen die nichts, wenn du rumläufst wie der ...ähem... Marlboro-Mann. Bei der letzten Firma bist du doch deshalb rausgeflogen, oder...?"
Ihre Zunge, denkt er, wird sie eines Tages noch umbringen. Soll sie dran ersticken!
"Ja, ist okay Lady."
"Ich mein' immerhin arbeitest du am Empfang." - Pah von wegen Empfang, ist ja wohl doch eher ein Pförtnerjob.
"Hörst du mir zu Schatz?"
"Ye', Lady." Scheiße -, in der Küche klappert Geschirr, eine Eisenpfanne scheppert zu Boden. Auf dem Fernsehschirm reitet Silver Gun Girl-Susan durch die weite Prärie. Ihr blondes Haar wippt im Takt des Pferderückens.
"Du, Schatzi!?" In die Stimme der Frau mischen sich überraschend hohe Zwitscherlaute.
"Ye', Lady." Und ihr Mann bemerkt es nicht einmal.
Ich hasse es, wenn er mich Lady nennt. "Du, Schatzi, heut war Susanne in der Firma. Du kennst doch Susanne?"
"Ye', Lady." - Wer zum Teufel, ist dies verdammte Susanne?
"Du, sie ist im Mütterurlaub. Sie hat 'nen ganz süßen Fratz. Sie war heute mit ihm in
der Firma." Dieser Idiot glotzt nur auf seine Revolverweiber und setzt zwitschernd fort: "Hörst du mir überhaupt zu?"
"Ye', Lady." knurrt er und schlürft von seinem Whisky.
"Ein ganz Süßer ist das, und so niedlich. Ich hätt' auch so gern ein Baby ..."
"Ye' Baby, ...äh, Lady." - Oh Scheiße, Mann, die bringt mich glatt um mit ihrem Balg!
"Wir sind beide fünfunddreißig, und jünger werden wir nicht, und immer noch keine
Kinder. Ich find' es wird langsam Zeit." ruft die junge Frau aus der Küche.
"Ja, ja Lady." Seit Jahren quatscht die immer denselben Scheiß.
"Du könntest mit den Kindern Spazieren gehen oder Cowboy spielen oder sie auf deinem Pony reiten lassen." schlägt sie halbherzig vor.
Ein Eiswürfel zerbirst zwischen den Zähnen des Mannes, während Silver-Gun-Girl-Susan auf ein Fort zu reitet.
"Dann ist das Vieh wenigstens zu was nütze.", flüstert sie entschieden leiser und hält in ihrer Arbeit inne. Sie lauscht, den Blick starr in die Bratpfanne gerichtet auf den Westernlärm der aus dem Wohnzimmer.
Susan hat zwischenzeitlich das Fort erreicht. Sie springt vom Pferd, die Bluse bis zum Nabel geöffnet. Der Mann schluckt und glotzt auf die sonnengebräunten Rundungen ihrer Brüste.
"Ye', Lady." - Kacke, Mann, ich hasse Kinder. Nur Lärm, nur Dreck, nur Gestank.
"Ein Kind wär' so schön. Hörst du, Schatz?" Die Stimme der Frau klingt seltsam spitz.
"Ye', Lady." brummt der Mann.
"Heute wär'n guter Tag."
"Ye', Lady."
"Ein sehr guter Tag ..."
"Ye', Lady."
"Meinst du nicht auch, wir sollten mal wieder miteinander ... Nur für ein Kind."
"Ye', Lady." - Oh, Mann, Scheiße, ich bring die wirklich um. Ich schwör's.
"Liebst du mich nicht mehr?"
"Ye', Lady."
"Warum nicht? Bin ich zu alt?"
"Ye', Lady."
"Zu fett? Zu hässlich?"
"Ye', Lady."
"Aber mit deinen Westernweibern würdest du gern mal. Stimmt's?" schnappt sie.
"Ye', Lady."
"Kotz ich dich an?" kreischt sie, kurz davor zu explodieren.
"Gott verflucht noch mal, du dämliches Weib, was heulst du dauernd rum! Lass mich endlich mit deinem beschissenen Balg in Ruhe!" - So'n Mist, hab glatt verpasst, wie Susan im Sheriff-Office verschwunden ist. Geiles Weib; die Susan! Schweigend stiert er auf die Mattscheibe. Raucht. Trinkt. Susan spricht mit dem Sheriff. Vor dem Office verbreitet sich hektischer Lärm. Die Postkutsche kommt an.
Wo bleibt die bloß mit meinem Essen? -, der Mann vorm Fernseher sieht in sein Glas -, Eis ist auch alle. Verdammt!
"He, Lady!" Keine Antwort. "Heee! Hallo!"
Die flennt wieder, überlegt er. Warum, verflucht nochmal, heult dieses Weib ständig?
Der Fernseher lärmt. Aus der Küche kommt kein Geräusch. Aber den eigenartigen Geruch nimmt er jetzt wahr.
"Hat die Steaks anbrenn' lass'n, die blöde Kuh?" flucht er leise. "Oder? Nein, dann riecht's anders." Vergeblich versucht er dahinter zu kommen, ohne nachschauen zu müssen. Mist! Stöhnend stemmt der Mann sich aus dem Sessel.
Mit seinem seltsam wiegenden Gang geht er hinüber in die Küche. Er sieht sich um; aber in der Küche ist sie nicht. Als er die qualmende Pfanne vom Herd nimmt, "Scheiße!", verbrennt er sich die Finger.
"He, Lady!" - Wo steckt dieses Weib nur?
Er geht über den Korridor zum Bad. Er klopft an die Tür. Einmal. Zweimal. Lauscht mit geneigtem Kopf nach drinnen, doch erhält keine Antwort. Er lässt seine Pranke auf die Klinke fallen. Die Tür fliegt auf. Er wirft einen kurzen Blick in den weißen Raum.
"Hier ist sie auch nicht." - Verdammt, ist die abgehau'n? Das wär' das erste Mal... Er macht einen Schritt zurück in den Korridor und lauscht erneut. Totenstille. Auch der gedämpfte Westernlärm ist verebbt.
Der Mann geht hinüber zum Kinderzimmer; mustert das akkurat hergerichtete Kinderbettchen, in dem nie ein Kind liegen wird, wenn es nach ihm ginge. Scheiße, wie in 'ner Möbelabteilung. Auch so'n Spleen von ihr. Wo ist die ? Hier stinkt's! Der Mann zieht geräuschvoll die Luft in die Nase; seine Nüstern blähen sich. Überall stinkt's hier so. Es stinkt wie..., wie nach 'nem beschiss'nen Gewitter. Ach, leck mich; das blöde Weib wird schon wieder auftauch'n. Er knallt die Kinderzimmertür zu.
Er holt sich neues Eis und kehrt in seinen Sessel vorm Fernseher zurück.
Auf dem Bildschirm hockt Silver Gun Girl-Susan hinter einem Baum. Der Mann vorm Fernseher glotzt auf ihren straffen Hintern und gießt sich Whisky nach. Entspannt lässt er sich in die Polster sinken.
Susan hockt noch immer unbeweglich vor ihm. Sie scheint auf jemanden zu warten.
Der Mann stutzt einen Moment; er konnte sich nicht an diese Szene erinnern. "Hat mich die Alte wieder gestört. Wo bleibt die nur?"
Plötzlich erhebt sich Susan. Und die Kamera beginnt auf ihren Rücken zu zufahren.
Näher und näher. Rumpf und Schädel des Cowgirls füllen den Bildschirm. Und erst als der Hinterkopf Susans das Bild füllt, stoppt die Kamera. Der Mann starrt auf die blonden Haare, die unterm Cowboyhut der jungen Frau hervorquellen. Susan hatte doch keine blonden Haare, überlegt er, als sie sich plötzlich nach ihm umdreht, als hätte sie seinen Blick bemerkt. Der Mann zuckt unwillkürlich zurück. Das Cowgirl starrt ihm ins Gesicht. Der Mann glotzt mit offenem Mund zurück.
Mit ihrem Gesicht stimmt was nicht, schießt es dem Mann durch den Kopf. Es ist so..., so breit, und die Augen, die sind so...
Seine Mundwinkel zucken und das linke Augenlid beginnt zu flattern.
"Oh, nein.", flüstert er, "oh, nein."
"Doch!", erwidert die Frau auf dem Bildschirm, "Doch!" und verzieht ihre Lippen zu einem schmalen höhnischen Grinsen.
"Hee Lady, hee, das ist doch nicht möglich." Seine Stimme droht zu kippen. Panik steigt in ihm auf.
Das Gesicht seiner Frau auf dem Bildschirm wächst unaufhaltsam. Der Mann vor ihr überlegt fieberhaft, was er tun könnte. Er weiß, er brauchte nur den Apparat auszuschalten, kann sich aber keinen Millimeter weit aus dem Sessel bewegen.
"Nenn meinen Namen, Mann!" Überraschend groß taucht eine Revolvermündung vor ihrem Gesicht auf. Sie zielt genau zwischen seine Augen.
"Oh Baby, Lady, Mann, mach keinen Scheiß! Wie bist du da rein gekommen?" stottert der Mann.
Sie kichert, fängt sich aber sofort wieder.
"Du hast mir mein Leben versaut; jetzt nenn wenigstens noch meinen Namen!"
"Ye', Lady. Nein! Stopp!"; es ist zum Kotzen; "Was hast du vor?" fragt er mit belegter Stimme.
Er muss an diesen Scheiß Fernseher ran. Seine Gedanken überschlagen sich.
"Du sollst meinen Namen nennen! Nur einmal!" schreit sie.
"Susan... Silver... Girl...Verflucht!" krächzt er.
Vor seinen Augen verschwimmt das Gesicht seiner Frau wie hinter Milchglas. Er spürt den unbändigen Wunsch, sich über die Augen zu wischen. Doch er vermag es nicht. Seine Arme baumeln leblos herab; das Whiskyglas ist auf den Teppich gerollt.
"Nenn endlich meinen Namen; wenn du ihn überhaupt noch weißt!"
"Ich... kann... mich... nicht...", und bringt nur noch ein trockenes Würgen hervor.
Er starrt weiter in die pechschwarze Revolvermündung. Er sieht noch, wie seine Frau ihr linkes Auge zukneift, als schon das Feuer aus der Mündung spritzt. Das Projektil rast wie ein donnernder Zug auf ihn zu. Glas splittert. Sein Kopf federt zurück.
Blut sickert aus der Schusswunde in der Stirn, und mischt sich mit den Whiskyflecken auf dem Teppich. Dann ist es totenstill; nur das Wiehern eines Ponys verweht wie ein Rauchfetzen in der Ferne.
---(c)sammettiger 2001---
Über der grauen Stadt brütet jetzt, am Spätnachmittag, bleierne Hochsommerhitze.
Die Schritte einer von ihrer Arbeit heimkehrenden jungen Frau knirschen über den Kiesweg, als sie auf den sechsgeschossigen Wohnblock zugeht, in dem sie und ihr Mann seit einigen Jahren wohnen.
Im Hausflur sieht sie in den Postkasten. Sie tut dies immer, obwohl sie weiß, dass ihr Mann jeden Tag vor ihr von seinem Frühdienst bei einer Wach- und Schließgesellschaft kommt.
Nachdem sie den Postkasten wieder geschlossen hat, wendet sie sich um, und erblickt durch die verglaste Hintertür das grasende Pony ihres Mannes.
"Mistvieh!", murmelt sie und beginnt die Treppen zur vierten Etage hinaufzusteigen.
"Die Lehmann könnte auch mal putzen.", brummt sie, als sie an der Tür im dritten Stock vorübergeht. Die Absätze ihrer Stilettos klappern über das letzte Podest.
Plötzlich bleibt sie wie angewurzelt stehen; ihre rechte Hand umspannt das Treppengeländer so fest, dass ihre Knöchel hell hervortreten.
Wie oft hab' ich hier schon gestanden, überlegt sie, während sie wartet. Hundert Mal? Tausend Mal? Zehntausend Mal, sicher.
"Und jedes Mal derselbe Mist. Wozu überhaupt noch nach Hause kommen." seufzt sie; und lauscht in die bodenlose Stille, aus der, wie aus weiter Ferne, das Wiehern des Ponys heraufweht. Im Treppenaufgang stinkt es nach Staub und Fliegendreck.
Aus den Achseln der Frau löst sich ein Schweißtropfen. Sie spürt, dass er langsam wie ein Insekt an ihren Seiten herabkriecht. Sie schüttelte sich, rührt sich aber nicht von der Stelle. Zum Duschen würde sie sowieso erst sehr viel später kommen. Davor stand ihr Mann und dessen Westernmanie, zu der unter anderem sein sonderbares Abendessen gehörte. Dieser Westernlunch, wie er es nannte, bestand aus einer Steakscheibe, die sie so lange briet bis sie hart wie Leder war, aus einem Haufen graugedünstetem Mais und klebrigem Kartoffelpüree. Und das Abend für Abend, jahraus, jahrein. Übelkeit würgte die Frau, wenn sie nur an den Geruch des Bratfettes dachte. Und ihr Mann, der stets bewegungslos vor dem Fernseher hockte und Westernserien guckte, sah nicht einmal vom Bildschirm auf, wenn sie ihm den Teller hinstellte. Lass es dir schmecken Liebling!
Und erst dann, wenn das erledigt war, fand sie Zeit und Ruhe, um ausgiebig und hingebungsvoll zu duschen.
"Toller Mist!" zischt sie zur vierten Etage hinauf, und duckt sich noch etwas tiefer. Im selben Moment kracht ein Schuss durchs Treppenhaus. Und die Frau schnellt triumphierend empor.
"Idiot!", flucht sie lauthals in das davonrollende Echo und hämmert wutentbrannt die letzten Stufen zu ihrer Wohnung empor.
Ihr Mann fläzt währenddessen bequem in seinem Lieblingssessel und stiert in den Fernseher. Wildwestszenen flimmern über den Bildschirm. Seine Vorabendserie Silver Gun Girls läuft wie jeden Tag um diese Zeit. Genüsslich schlürft er seinen Feier-
abendwhisky. Eiswürfel klirren leise gegen das Kristall. Der Mann saugt den Rauch seiner Marlboro tief in seine Lunge.
Auf dem Bildschirm geht hinter der Saloontheke eine junge Frau in Deckung. Das Halfter ihres Revolvers eng um ihre schmale Hüfte geschnallt, scheint ihr praller Hintern die hautengen Lederhosen zu sprengen. Es ist Silver Gun Girl-Susan, die mit entsicherter Waffe auf Big Ars lauert. Der Desperado wird jeden Moment in der Schwingtür des Saloons erscheinen.
Der Mann vorm Bildschirm hat die Serie sooft gesehen, dass er, ohne es zu merken, seine Lippen synchron zu den Dialogen bewegt. Und genau jetzt, während diese Szene läuft, betritt seine Frau das Haus. Der Magen des Mannes macht sich schmerzhaft
bemerkbar. Seit Jahren, Tag für Tag immer zur selben Stunde, schneidet dieser Schmerz in seine Gedärme. Mit schauderhaft absehbarer Unerbittlichkeit. Ein Magengeschwür? Undenkbar! Er kommt nicht dahinter, woran es liegt. Ohne auf die Uhr sehen zu müssen, und ohne ein anderes Geräusch, als das des Fernsehers zu vernehmen, fühlt der Mann, das seine Frau heimkommt. Es ist ihm, als sei sie es, die ihn in den Magen tritt. Der Mann hält im Rauchen inne, starrt auf die Mattscheibe, lauscht zum Flur hin.
Silver Gun Girl-Susan hockt unverändert lauernd hinterm Tresen.
Jetzt hört er auch die Schritte seiner Frau im Treppenaufgang. Mist!, denkt er und wartet darauf, dass das Geklapper der Stilettos abbricht. Seine Frau muss auf dem vorletzten Treppenabsatz stehen geblieben sein - bei Lehmanns -, wie jeden Nachmittag.
"Blöde Kuh!", murmelt er, stellt den Whiskybecher ab und schnippt die Kippe der Marlboro in den Ascher. Als Big Ars jetzt durch die Schwingtür des Saloons tritt, erhebt sich der Mann.
Seltsam in den Hüften wiegend, geht er auf das Fernsehgerät zu. Reißt blitzartig seine Hand hervor, feuert einen imaginären Revolver ab, - und dreht den Fernseher lauter. Seine Hände in die Seiten gestemmt, bleibt er breitbeinig vor dem Kasten stehen.
Wippt auf seinen Zehenspitzen vor und zurück. Vor und zurück.
Als Silver Gun Girl-Susan hinter der Theke hervorspäht und sich dem schwarzen Big Ars gegenüber sieht, ballt der Mann vor dem Gerät die rechte Hand zur Faust.
Gebannt wartet er darauf, dass Big Ars brüllt: "He, Lady! Was Sie da in der Hand halten, ist kein Schwanz!" Und Susan: "Okay, Mann!" antwortet, um ihn dann mit einem
wummernden Schuss niederzustrecken.
"Yeah, Superweib!" Der Mann klatscht seine Faust in die linke Handfläche und fällt zurück in den Sessel. Und sofort ist dieses beißende Gefühl im Magen wieder da.
Jetzt, denkt er, muss die Alte gleich die letzten Stufen raufkommen - hoffentlich bricht sie sich heut' das Genick - und wird sofort ihr Scheiß Gezeter anfangen; wegen meiner
Serie, mei'n Whisky, mein' Stiefeln, mein' Socken und weiß der Geier was noch.
Die Frau stößt die Wohnungstür auf. Das Wummern eines erneuten Schusses rollt ihr entgegen.
Früher, erinnert sie sich, früher stand er halbnackt vor mir, wenn ich kam. Mit offenen Armen hat er mich empfangen. Ja, frisch geduscht, mit feuchten Haaren, und so geil gerochen. Es gab Tage, da haben wir's gleich im Flur... Und jetzt... ? Scheiß Glotze! Scheiß Western! Scheiß drauf! Sie schmettert die Wohnungstür so heftig ins Schloss, dass das Echo zurückrollt ins Wohnzimmer.
Sie blickt den Korridor entlang auf den Hinterkopf ihres Mannes.
Glatze kriegt er auch schon! Setzt den Cowboyhut nie ab! Murmelt sie und stolpert über ein Paar Stiefel. Mist! Ersticken soll er an den Dingern!
"Schatzi, kannst du mal die Glotze leiser stellen!?" Ihre Stimme schrillt.
Der Mann rührt sich nicht. No Lady, du kannst mich mal!
"Schatzi, deine Stiefel hättest du auch richtig hinstellen können, und deine Socken tu' nächstes Mal in die Maschine. Bitte!"
"Okay, Lady." Er nimmt einen kräftigen Schluck Whisky.
Nicht mal die Zähne kriegt er auseinander. Quatscht wie diese Westerntypen. Macho-Arsch! In ihrem Gesicht zuckt es.
Gleich steht sie vor mir, denkt er, und lauscht auf ihre Schritte, die sich vom Flur her nähern. Ihr Unterleib schiebt sich in sein Gesichtsfeld. Er starrt auf den Reißverschluss ihrer Jeans. Ihr Gesicht taucht herab, ihre Augen blicken einen Moment unverwandt in die seinen, dann küsst sie ihn auf den Mund.
"Hallo Schatz", sagt sie.
"Du versperrst mir die Sicht.", knurrt er und versucht mit geneigtem Kopf an ihrer Hüfte vorbei zu schielen. Einen Lidschlag lang hält sie die Luft an, erwidert jedoch nichts
und geht hinaus.
Gleich wird sie mir erklär'n, dass es in 'ner halben Stunde Essen gibt; und fragt mich, wie es in der Firma war. Anstatt sie ihre Arbeit so schnell und lautlos macht, wie man's erwarten kann.
"Schatzi?", ihre Stimme scheint meilenweit weg, irgendwo in der Küche, "Schatzi, in
einer halben Stunde gibt's Abendessen."
"Okay, Lady." brummt er und stiert weiter auf den Bildschirm.
"Wie war's heut in der Firma, Schatz?"
"Ja, ja, okay, Lady."
"Sagen die nichts, wenn du rumläufst wie der ...ähem... Marlboro-Mann. Bei der letzten Firma bist du doch deshalb rausgeflogen, oder...?"
Ihre Zunge, denkt er, wird sie eines Tages noch umbringen. Soll sie dran ersticken!
"Ja, ist okay Lady."
"Ich mein' immerhin arbeitest du am Empfang." - Pah von wegen Empfang, ist ja wohl doch eher ein Pförtnerjob.
"Hörst du mir zu Schatz?"
"Ye', Lady." Scheiße -, in der Küche klappert Geschirr, eine Eisenpfanne scheppert zu Boden. Auf dem Fernsehschirm reitet Silver Gun Girl-Susan durch die weite Prärie. Ihr blondes Haar wippt im Takt des Pferderückens.
"Du, Schatzi!?" In die Stimme der Frau mischen sich überraschend hohe Zwitscherlaute.
"Ye', Lady." Und ihr Mann bemerkt es nicht einmal.
Ich hasse es, wenn er mich Lady nennt. "Du, Schatzi, heut war Susanne in der Firma. Du kennst doch Susanne?"
"Ye', Lady." - Wer zum Teufel, ist dies verdammte Susanne?
"Du, sie ist im Mütterurlaub. Sie hat 'nen ganz süßen Fratz. Sie war heute mit ihm in
der Firma." Dieser Idiot glotzt nur auf seine Revolverweiber und setzt zwitschernd fort: "Hörst du mir überhaupt zu?"
"Ye', Lady." knurrt er und schlürft von seinem Whisky.
"Ein ganz Süßer ist das, und so niedlich. Ich hätt' auch so gern ein Baby ..."
"Ye' Baby, ...äh, Lady." - Oh Scheiße, Mann, die bringt mich glatt um mit ihrem Balg!
"Wir sind beide fünfunddreißig, und jünger werden wir nicht, und immer noch keine
Kinder. Ich find' es wird langsam Zeit." ruft die junge Frau aus der Küche.
"Ja, ja Lady." Seit Jahren quatscht die immer denselben Scheiß.
"Du könntest mit den Kindern Spazieren gehen oder Cowboy spielen oder sie auf deinem Pony reiten lassen." schlägt sie halbherzig vor.
Ein Eiswürfel zerbirst zwischen den Zähnen des Mannes, während Silver-Gun-Girl-Susan auf ein Fort zu reitet.
"Dann ist das Vieh wenigstens zu was nütze.", flüstert sie entschieden leiser und hält in ihrer Arbeit inne. Sie lauscht, den Blick starr in die Bratpfanne gerichtet auf den Westernlärm der aus dem Wohnzimmer.
Susan hat zwischenzeitlich das Fort erreicht. Sie springt vom Pferd, die Bluse bis zum Nabel geöffnet. Der Mann schluckt und glotzt auf die sonnengebräunten Rundungen ihrer Brüste.
"Ye', Lady." - Kacke, Mann, ich hasse Kinder. Nur Lärm, nur Dreck, nur Gestank.
"Ein Kind wär' so schön. Hörst du, Schatz?" Die Stimme der Frau klingt seltsam spitz.
"Ye', Lady." brummt der Mann.
"Heute wär'n guter Tag."
"Ye', Lady."
"Ein sehr guter Tag ..."
"Ye', Lady."
"Meinst du nicht auch, wir sollten mal wieder miteinander ... Nur für ein Kind."
"Ye', Lady." - Oh, Mann, Scheiße, ich bring die wirklich um. Ich schwör's.
"Liebst du mich nicht mehr?"
"Ye', Lady."
"Warum nicht? Bin ich zu alt?"
"Ye', Lady."
"Zu fett? Zu hässlich?"
"Ye', Lady."
"Aber mit deinen Westernweibern würdest du gern mal. Stimmt's?" schnappt sie.
"Ye', Lady."
"Kotz ich dich an?" kreischt sie, kurz davor zu explodieren.
"Gott verflucht noch mal, du dämliches Weib, was heulst du dauernd rum! Lass mich endlich mit deinem beschissenen Balg in Ruhe!" - So'n Mist, hab glatt verpasst, wie Susan im Sheriff-Office verschwunden ist. Geiles Weib; die Susan! Schweigend stiert er auf die Mattscheibe. Raucht. Trinkt. Susan spricht mit dem Sheriff. Vor dem Office verbreitet sich hektischer Lärm. Die Postkutsche kommt an.
Wo bleibt die bloß mit meinem Essen? -, der Mann vorm Fernseher sieht in sein Glas -, Eis ist auch alle. Verdammt!
"He, Lady!" Keine Antwort. "Heee! Hallo!"
Die flennt wieder, überlegt er. Warum, verflucht nochmal, heult dieses Weib ständig?
Der Fernseher lärmt. Aus der Küche kommt kein Geräusch. Aber den eigenartigen Geruch nimmt er jetzt wahr.
"Hat die Steaks anbrenn' lass'n, die blöde Kuh?" flucht er leise. "Oder? Nein, dann riecht's anders." Vergeblich versucht er dahinter zu kommen, ohne nachschauen zu müssen. Mist! Stöhnend stemmt der Mann sich aus dem Sessel.
Mit seinem seltsam wiegenden Gang geht er hinüber in die Küche. Er sieht sich um; aber in der Küche ist sie nicht. Als er die qualmende Pfanne vom Herd nimmt, "Scheiße!", verbrennt er sich die Finger.
"He, Lady!" - Wo steckt dieses Weib nur?
Er geht über den Korridor zum Bad. Er klopft an die Tür. Einmal. Zweimal. Lauscht mit geneigtem Kopf nach drinnen, doch erhält keine Antwort. Er lässt seine Pranke auf die Klinke fallen. Die Tür fliegt auf. Er wirft einen kurzen Blick in den weißen Raum.
"Hier ist sie auch nicht." - Verdammt, ist die abgehau'n? Das wär' das erste Mal... Er macht einen Schritt zurück in den Korridor und lauscht erneut. Totenstille. Auch der gedämpfte Westernlärm ist verebbt.
Der Mann geht hinüber zum Kinderzimmer; mustert das akkurat hergerichtete Kinderbettchen, in dem nie ein Kind liegen wird, wenn es nach ihm ginge. Scheiße, wie in 'ner Möbelabteilung. Auch so'n Spleen von ihr. Wo ist die ? Hier stinkt's! Der Mann zieht geräuschvoll die Luft in die Nase; seine Nüstern blähen sich. Überall stinkt's hier so. Es stinkt wie..., wie nach 'nem beschiss'nen Gewitter. Ach, leck mich; das blöde Weib wird schon wieder auftauch'n. Er knallt die Kinderzimmertür zu.
Er holt sich neues Eis und kehrt in seinen Sessel vorm Fernseher zurück.
Auf dem Bildschirm hockt Silver Gun Girl-Susan hinter einem Baum. Der Mann vorm Fernseher glotzt auf ihren straffen Hintern und gießt sich Whisky nach. Entspannt lässt er sich in die Polster sinken.
Susan hockt noch immer unbeweglich vor ihm. Sie scheint auf jemanden zu warten.
Der Mann stutzt einen Moment; er konnte sich nicht an diese Szene erinnern. "Hat mich die Alte wieder gestört. Wo bleibt die nur?"
Plötzlich erhebt sich Susan. Und die Kamera beginnt auf ihren Rücken zu zufahren.
Näher und näher. Rumpf und Schädel des Cowgirls füllen den Bildschirm. Und erst als der Hinterkopf Susans das Bild füllt, stoppt die Kamera. Der Mann starrt auf die blonden Haare, die unterm Cowboyhut der jungen Frau hervorquellen. Susan hatte doch keine blonden Haare, überlegt er, als sie sich plötzlich nach ihm umdreht, als hätte sie seinen Blick bemerkt. Der Mann zuckt unwillkürlich zurück. Das Cowgirl starrt ihm ins Gesicht. Der Mann glotzt mit offenem Mund zurück.
Mit ihrem Gesicht stimmt was nicht, schießt es dem Mann durch den Kopf. Es ist so..., so breit, und die Augen, die sind so...
Seine Mundwinkel zucken und das linke Augenlid beginnt zu flattern.
"Oh, nein.", flüstert er, "oh, nein."
"Doch!", erwidert die Frau auf dem Bildschirm, "Doch!" und verzieht ihre Lippen zu einem schmalen höhnischen Grinsen.
"Hee Lady, hee, das ist doch nicht möglich." Seine Stimme droht zu kippen. Panik steigt in ihm auf.
Das Gesicht seiner Frau auf dem Bildschirm wächst unaufhaltsam. Der Mann vor ihr überlegt fieberhaft, was er tun könnte. Er weiß, er brauchte nur den Apparat auszuschalten, kann sich aber keinen Millimeter weit aus dem Sessel bewegen.
"Nenn meinen Namen, Mann!" Überraschend groß taucht eine Revolvermündung vor ihrem Gesicht auf. Sie zielt genau zwischen seine Augen.
"Oh Baby, Lady, Mann, mach keinen Scheiß! Wie bist du da rein gekommen?" stottert der Mann.
Sie kichert, fängt sich aber sofort wieder.
"Du hast mir mein Leben versaut; jetzt nenn wenigstens noch meinen Namen!"
"Ye', Lady. Nein! Stopp!"; es ist zum Kotzen; "Was hast du vor?" fragt er mit belegter Stimme.
Er muss an diesen Scheiß Fernseher ran. Seine Gedanken überschlagen sich.
"Du sollst meinen Namen nennen! Nur einmal!" schreit sie.
"Susan... Silver... Girl...Verflucht!" krächzt er.
Vor seinen Augen verschwimmt das Gesicht seiner Frau wie hinter Milchglas. Er spürt den unbändigen Wunsch, sich über die Augen zu wischen. Doch er vermag es nicht. Seine Arme baumeln leblos herab; das Whiskyglas ist auf den Teppich gerollt.
"Nenn endlich meinen Namen; wenn du ihn überhaupt noch weißt!"
"Ich... kann... mich... nicht...", und bringt nur noch ein trockenes Würgen hervor.
Er starrt weiter in die pechschwarze Revolvermündung. Er sieht noch, wie seine Frau ihr linkes Auge zukneift, als schon das Feuer aus der Mündung spritzt. Das Projektil rast wie ein donnernder Zug auf ihn zu. Glas splittert. Sein Kopf federt zurück.
Blut sickert aus der Schusswunde in der Stirn, und mischt sich mit den Whiskyflecken auf dem Teppich. Dann ist es totenstill; nur das Wiehern eines Ponys verweht wie ein Rauchfetzen in der Ferne.
---(c)sammettiger 2001---