Mehr als Tausend Worte

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ledsgo

Mitglied
Rein medizinisch betrachtet war es nicht das schlecht differenzierte Karzinom, das beinahe ihre gesamte Leber und Teile der Galle befallen hatte. Auch die Metastasen, die in ihrem Körperkreislauf zirkulierten führten letztendlich zu ihrem Tod.
Rein medizinisch war die Chemotherapie die letzte Möglichkeit, den äußerst agressiven Krebs noch zu stoppen, und wenn nicht ihr Leben zu retten, es zumindest deutlich zu verlängern. Man kann den Ärzten nichts vorwerfen, weil man ihnen nie etwas vorwerfen kann. Was tatsächlich passiert ist, ist rein medizinisch gesehen schnell erklärt: die Chemotherapie attackiert bekanntlich auch gesundes Zellgewebe, was zur Folge hatte, dass ihre Zellwände der roten Blutkörperchen zerfielen, woraufhin das Hämoglobin (der Blutfarbstoff) freigesetzt wurde, und die Sauerstoffanbindung an die roten Blutkörperchen - und somit der Sauerstofftransport im Körper - unterbunden wurde. Es handelte sich, wieder medizinisch gesprochen, um eine Hämolyse. Sie starb also bei voller Lungenfunktion an Sauerstoffmangel, sie erstickte bei vollem Atem, erstickte mit gefüllten Lungen.
Es tut mir sehr leid, sagte der rein medizinische Notarzt nach diesen Erläuterungen, ich kann nichts mehr für sie tun.

Ich bedanke mich, werfe ihn hinaus, sehne mich nach Menschlichkeit, nicht nach Medizin, will alleine sein, nur für 10 Minuten.

Als sie mir an jenem Morgen sagt, sie bekomme keine Luft, denke ich, vielleicht ein kleiner Asthmaanfall, leicht gereizte Bronchien.
Ihr Inhalator, sagt sie, nütze ihr nichts, und es werde schlimmer.
Ich erhahne nichts Schlimmes. Ruhig gehe ich zum Telefon, tippe die Nummer unseres Hausarztes ein. Plötzlich höre ich ein beständiges, immer lauter werdendes Husten, schwerfälliges Atmen; ich werde nervös, lege den Hörer beiseite, rufe nach nebenan, ob alles in Ordnung sei. Angestrengt, als fehlte den Worten ebenso die Luft, ruft sie nach Hilfe, nach schneller Hilfe.
Ich rufe den Notarzt, der in 5 Minuten dasei, und laufe in ihr Zimmer, und erblicke ein kreidebleiches Gesicht.
Mich starrt kein Mensch mehr an, ich sehe die pure Angst anstelle ihres Antlitz.
Es sei so weit, sagt sie, ihr Ton unwirklich gelassen, nicht zu ihrem Gesicht passen wollend.
Dass der Notarzt kommt gibt ihr keine Hoffnung mehr. Das Grauen in ihrem Gesicht, Ausdruck ihres Unverständnisses, ihrer Hilflosigkeit hat sich in mein Hirn gebrannt wie kein Bild noch so schönem oder schrecklichem Inhalt.
Ich reiche ihr meine Hand, zittrig, wie ein kleines Kind, wie damals im Kindergarten, als sie mich zum ersten Mal alleine hatte stehen lassen, steht meine Hand im Raum, um ihr Kraft zu geben, dabei ist sie völlig kraftlos.
Ihr Griff ist kalt, stark, als wüsste sie in diesem Augenblick, dass ihr Leiden bald vorbei sein würde, meines aber noch bevorstand.
Ich blicke in ihre blauen Augen, Spiegel meiner eigenen Augen; schöne, blaue, jugendliche Augen; das letzte, das junggeblieben war, sage ich mir heute, sind ihre Augen, ist der Spiegel ihrer Seele, ihrer ewig jungen Seele.

Die Klingel. Ich will mich erheben, will meine Hand von ihrer nehmen, doch ihr Blick- ihr Mund ist längst mit dem Kampf mit der Luft beschäftigt- sagt mir Nein, ihr Griff sagt mir Nein.

Sei bei mir, sagen ihre Augen, in meinem letzten Augenblick, du bist alles, was ich habe.
Also bleibe ich. Ihre Lippen zittern, Mein Sohn, bringen sie geschwächt noch hervor. Sie weiß in diesem Moment, dass sie stirbt.
Es sollten ihre letzten Worte sein, und sie sagte es trotz ihrer Schwäche mit einer solch eingebungsvollen Stimme, als wollte sie es sich selbst einprängen, als wollte sie dieses Wissen von meiner Existenz als ihr Lebenswerk über ihre eigene Endlichkeit hinaus in die Ewigkeit mitzunehmen.

Ich liebe dich, sage ich, aber sie hört nicht mehr. Sie weiß es, sage ich mir.

Wieder stehe ich da, in dem Kindergarten, von meiner Mutter alleine gelassen. Rundherum stehen Menschen, die mir einreden wollen, dass alles in Ordnung sei, der Lauf der Dinge, Schicksal. Dass ich bei ihnen gut aufgehoben sei, sie mich unterstützen werden.
Aber ich bin alleine unter ihnen und sie wissen es. Vielleicht sollte ich ihr gleich folgen, denke ich und spaziere zum See. Das Wasser dort gibt mir keine Hoffnung, auch nicht das Mondlicht, dass darauf ruht wie ein silberner Seidenvorhang; nein, einladend liegt der See vor mir, als wolle er mich aufnehmen in seine Ewigkeit, als wolle er mich zudecken, mit dem silbernen Vorhang.
Ich aber gehe nachhause und schreibe.

Tote wiegen mehr als Tausend Worte.
 

ledsgo

Mitglied
Rein medizinisch betrachtet war es nicht das schlecht differenzierte Karzinom, das beinahe ihre gesamte Leber und Teile der Galle befallen hatte. Auch die Metastasen, die in ihrem Körperkreislauf zirkulierten führten letztendlich nicht zu ihrem Tod.
Rein medizinisch war die Chemotherapie die letzte Möglichkeit, den äußerst agressiven Krebs noch zu stoppen, und wenn nicht ihr Leben zu retten, es zumindest deutlich zu verlängern. Man kann den Ärzten nichts vorwerfen, weil man ihnen nie etwas vorwerfen kann. Was tatsächlich passiert ist, ist rein medizinisch gesehen schnell erklärt: die Chemotherapie attackiert bekanntlich auch gesundes Zellgewebe, was zur Folge hatte, dass ihre Zellwände der roten Blutkörperchen zerfielen, woraufhin das Hämoglobin (der Blutfarbstoff) freigesetzt wurde, und die Sauerstoffanbindung an die roten Blutkörperchen - und somit der Sauerstofftransport im Körper - unterbunden wurde. Es handelte sich, wieder medizinisch gesprochen, um eine Hämolyse. Sie starb also bei voller Lungenfunktion an Sauerstoffmangel, sie erstickte bei vollem Atem, erstickte mit gefüllten Lungen.
Es tut mir sehr leid, sagte der rein medizinische Notarzt nach diesen Erläuterungen, ich kann nichts mehr für sie tun.

Ich bedanke mich, werfe ihn hinaus, sehne mich nach Menschlichkeit, nicht nach Medizin, will alleine sein, nur für 10 Minuten.

Als sie mir an jenem Morgen sagt, sie bekomme keine Luft, denke ich, vielleicht ein kleiner Asthmaanfall, leicht gereizte Bronchien.
Ihr Inhalator, sagt sie, nütze ihr nichts, und es werde schlimmer.
Ich erhahne nichts Schlimmes. Ruhig gehe ich zum Telefon, tippe die Nummer unseres Hausarztes ein. Plötzlich höre ich ein beständiges, immer lauter werdendes Husten, schwerfälliges Atmen; ich werde nervös, lege den Hörer beiseite, rufe nach nebenan, ob alles in Ordnung sei. Angestrengt, als fehlte den Worten ebenso die Luft, ruft sie nach Hilfe, nach schneller Hilfe.
Ich rufe den Notarzt, der in 5 Minuten dasei, und laufe in ihr Zimmer, und erblicke ein kreidebleiches Gesicht.
Mich starrt kein Mensch mehr an, ich sehe die pure Angst anstelle ihres Antlitz.
Es sei so weit, sagt sie, ihr Ton unwirklich gelassen, nicht zu ihrem Gesicht passen wollend.
Dass der Notarzt kommt gibt ihr keine Hoffnung mehr. Das Grauen in ihrem Gesicht, Ausdruck ihres Unverständnisses, ihrer Hilflosigkeit hat sich in mein Hirn gebrannt wie kein Bild noch so schönem oder schrecklichem Inhalt.
Ich reiche ihr meine Hand, zittrig, wie ein kleines Kind, wie damals im Kindergarten, als sie mich zum ersten Mal alleine hatte stehen lassen, steht meine Hand im Raum, um ihr Kraft zu geben, dabei ist sie völlig kraftlos.
Ihr Griff ist kalt, stark, als wüsste sie in diesem Augenblick, dass ihr Leiden bald vorbei sein würde, meines aber noch bevorstand.
Ich blicke in ihre blauen Augen, Spiegel meiner eigenen Augen; schöne, blaue, jugendliche Augen; das letzte, das junggeblieben war, sage ich mir heute, sind ihre Augen, ist der Spiegel ihrer Seele, ihrer ewig jungen Seele.

Die Klingel. Ich will mich erheben, will meine Hand von ihrer nehmen, doch ihr Blick- ihr Mund ist längst mit dem Kampf mit der Luft beschäftigt- sagt mir Nein, ihr Griff sagt mir Nein.

Sei bei mir, sagen ihre Augen, in meinem letzten Augenblick, du bist alles, was ich habe.
Also bleibe ich. Ihre Lippen zittern, Mein Sohn, bringen sie geschwächt noch hervor. Sie weiß in diesem Moment, dass sie stirbt.
Es sollten ihre letzten Worte sein, und sie sagte es trotz ihrer Schwäche mit einer solch eingebungsvollen Stimme, als wollte sie es sich selbst einprängen, als wollte sie dieses Wissen von meiner Existenz als ihr Lebenswerk über ihre eigene Endlichkeit hinaus in die Ewigkeit mitzunehmen.

Ich liebe dich, sage ich, aber sie hört nicht mehr. Sie weiß es, sage ich mir.

Wieder stehe ich da, in dem Kindergarten, von meiner Mutter alleine gelassen. Rundherum stehen Menschen, die mir einreden wollen, dass alles in Ordnung sei, der Lauf der Dinge, Schicksal. Dass ich bei ihnen gut aufgehoben sei, sie mich unterstützen werden.
Aber ich bin alleine unter ihnen und sie wissen es. Vielleicht sollte ich ihr gleich folgen, denke ich und spaziere zum See. Das Wasser dort gibt mir keine Hoffnung, auch nicht das Mondlicht, dass darauf ruht wie ein silberner Seidenvorhang; nein, einladend liegt der See vor mir, als wolle er mich aufnehmen in seine Ewigkeit, als wolle er mich zudecken, mit dem silbernen Vorhang.
Ich aber gehe nachhause und schreibe.

Tote wiegen mehr als Tausend Worte.
 

ledsgo

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Rein medizinisch betrachtet war es nicht das schlecht differenzierte Karzinom, das beinahe ihre gesamte Leber und Teile der Galle befallen hatte. Auch die Metastasen, die in ihrem Körperkreislauf zirkulierten führten letztendlich nicht zu ihrem Tod.
Rein medizinisch war die Chemotherapie die letzte Möglichkeit, den äußerst agressiven Krebs noch zu stoppen, und wenn nicht ihr Leben zu retten, es zumindest deutlich zu verlängern. Man kann den Ärzten nichts vorwerfen, weil man ihnen nie etwas vorwerfen kann. Was tatsächlich passiert ist, ist rein medizinisch gesehen schnell erklärt: die Chemotherapie attackiert bekanntlich auch gesundes Zellgewebe, was zur Folge hatte, dass ihre Zellwände der roten Blutkörperchen zerfielen, woraufhin das Hämoglobin (der Blutfarbstoff) freigesetzt wurde, und die Sauerstoffanbindung an die roten Blutkörperchen - und somit der Sauerstofftransport im Körper - unterbunden wurde. Es handelte sich, wieder medizinisch gesprochen, um eine Hämolyse. Sie starb also bei voller Lungenfunktion an Sauerstoffmangel, sie erstickte bei vollem Atem, erstickte mit gefüllten Lungen.
Es tut mir sehr leid, sagte der rein medizinische Notarzt nach diesen Erläuterungen, ich kann nichts mehr für sie tun.

Ich bedanke mich, werfe ihn hinaus, sehne mich nach Menschlichkeit, nicht nach Medizin, will alleine sein, nur für 10 Minuten.

Als sie mir an jenem Morgen sagt, sie bekomme keine Luft, denke ich, vielleicht ein kleiner Asthmaanfall, leicht gereizte Bronchien.
Ihr Inhalator, sagt sie, nütze ihr nichts, und es werde schlimmer.
Ich erhahne nichts Schlimmes. Ruhig gehe ich zum Telefon, tippe die Nummer unseres Hausarztes ein. Plötzlich höre ich ein beständiges, immer lauter werdendes Husten, schwerfälliges Atmen; ich werde nervös, lege den Hörer beiseite, rufe nach nebenan, ob alles in Ordnung sei. Angestrengt, als fehlte den Worten ebenso die Luft, ruft sie nach Hilfe, nach schneller Hilfe.
Ich rufe den Notarzt, der in 5 Minuten dasei, und laufe in ihr Zimmer, und erblicke ein kreidebleiches Gesicht.
Mich starrt kein Mensch mehr an, ich sehe die pure Angst anstelle ihres Antlitz.
Es sei so weit, sagt sie, ihr Ton unwirklich gelassen, nicht zu ihrem Gesicht passen wollend.
Dass der Notarzt kommt gibt ihr keine Hoffnung mehr. Das Grauen in ihrem Gesicht, Ausdruck ihres Unverständnisses, ihrer Hilflosigkeit hat sich in mein Hirn gebrannt wie kein Bild noch so schönem oder schrecklichem Inhalt.
Ich reiche ihr meine Hand, zittrig, wie ein kleines Kind, wie damals im Kindergarten, als sie mich zum ersten Mal alleine hatte stehen lassen, steht meine Hand im Raum, um ihr Kraft zu geben, dabei ist sie völlig kraftlos.
Ihr Griff ist kalt, stark, als wüsste sie in diesem Augenblick, dass ihr Leiden bald vorbei sein würde, meines aber noch bevorstand.
Ich blicke in ihre blauen Augen, Spiegel meiner eigenen Augen; schöne, blaue, jugendliche Augen; das letzte, das junggeblieben war, sage ich mir heute, sind ihre Augen, ist der Spiegel ihrer Seele, ihrer ewig jungen Seele.

Die Klingel. Ich will mich erheben, will meine Hand von ihrer nehmen, doch ihr Blick- ihr Mund ist längst mit dem Kampf mit der Luft beschäftigt- sagt mir Nein, ihr Griff sagt mir Nein.

Sei bei mir, sagen ihre Augen, in meinem letzten Augenblick, du bist alles, was ich habe.
Also bleibe ich. Ihre Lippen zittern, Mein Sohn, bringen sie geschwächt noch hervor. Sie weiß in diesem Moment, dass sie stirbt.
Es sollten ihre letzten Worte sein, und sie sagte es trotz ihrer Schwäche mit einer solch eingebungsvollen Stimme, als wollte sie es sich selbst einprängen, als wollte sie dieses Wissen von meiner Existenz als ihr Lebenswerk über ihre eigene Endlichkeit hinaus in die Ewigkeit mitnehmen.

Ich liebe dich, sage ich, aber sie hört nicht mehr. Sie weiß es, sage ich mir.

Wieder stehe ich da, in dem Kindergarten, von meiner Mutter alleine gelassen. Ich bin wieder ein Kind, hilflos; Rundherum stehen Menschen, die mir einreden wollen, dass alles in Ordnung sei, der Lauf der Dinge, Schicksal. Dass ich bei ihnen gut aufgehoben sei, sie mich unterstützen werden.

Aber ich bin alleine unter ihnen und sie wissen es.
Vielleicht sollte ich ihr gleich folgen, denke ich und spaziere zum See. Das Wasser dort gibt mir keine Hoffnung, auch nicht das Mondlicht, dass darauf ruht wie ein silberner Seidenvorhang; nein, einladend liegt der See vor mir, als wolle er mich aufnehmen in seine Ewigkeit, als wolle er mich zudecken, mit dem silbernen Vorhang.
Ich aber gehe nachhause und schreibe.

Tote wiegen mehr als Tausend Worte.
 
K

KaGeb

Gast
Hallo!

Habe deinen Text gern gelesen und war betroffen von der Aussage. Sehr traurig und nicht schlecht geschrieben.
Ich hätte ein paar Vorschläge, wie Du (aus meiner Sicht) den Text stringenter machen könntest:


Rein medizinisch [strike]betrachtet[/strike] [blue]gesehen[/blue] war es nicht das [strike]schlecht differenzierte[/strike] Karzinom, von dem Leber und Galle befallen war. [strike]das beinahe ihre gesamte Leber und Teile der Galle befallen hatte.[/strike] Auch [blue]nicht[/blue] die Metastasen, die in ihrem Körperkreislauf zirkulierten [strike]führten letztendlich nicht zu ihrem Tod[/strike].
[strike]Rein medizinisch war die[/strike] Chemotherapie [blue]wäre[/blue] [blue]angeblich[/blue] die [strike]letzte[/strike] einzige Möglichkeit, den [strike]äußerst agressiven [/strike]Krebs noch zu stoppen[strike], und wenn nicht ihr Leben zu retten, es zumindest deutlich zu verlängern.[/strike] [blue]Nicht,um ihr Leben zu retten, sondern es wenigstens zu verlängern.[/blue]
Man kann den Ärzten nichts vorwerfen[strike], weil man ihnen nie etwas vorwerfen kann[/strike]. Was tatsächlich passiert ist, ist rein medizinisch gesehen schnell erklärt: die Chemotherapie attackiert bekanntlich auch gesundes Zellgewebe[strike], was zur Folge hatte[/strike] [blue]mit der Folge[/blue], dass [strike]ihre[/strike] [blue]die[/blue] Zellwände der roten Blutkörperchen [strike]zerfielen[/strike] zerfallen, [strike]woraufhin das[/strike] [blue]und [/blue]Hämoglobin (der Blutfarbstoff) freigesetzt [strike]wurde[/strike][strike],[/strike] und [strike]die Sauerstoffanbindung an die roten Blutkörperchen - und [/strike]somit der Sauerstofftransport im Körper - unterbunden [strike]wurde[/strike] wird. ("Cut"=neue Zeile)
Es handelte sich[strike], wieder medizinisch gesprochen,[/strike] [blue]wohl[/blue] um eine Hämolyse. ("Cut")
Sie starb also bei voller Lungenfunktion an Sauerstoffmangel, sie erstickte bei vollem Atem, erstickte mit gefüllten Lungen. [red]Hier greifst Du vor, obwohl Du erst nachfolgend den Plot schilderst. Würde ich (m.M.n.) umgehen. [/red]

Bis hierher erst mal (aus meiner Sicht), weil ich nicht weiß, wie Du zu derartigen Vorschlägen stehst.
Bin gespannt auf Deine Antwort, ob mehr ...

LG, KaGeb
 
G

Gelöschtes Mitglied 7520

Gast
in der tat,

ein beachtlicher, ergreifender text. wirklich gelungen.

grüße
nofrank
 

ledsgo

Mitglied
Rein medizinisch gesehen war es nicht das schlecht differenzierte Karzinom, das beinahe ihre gesamte Leber und Teile der Galle befallen hatte. Auch nicht die Metastasen, die in ihrem Körperkreislauf zirkulierten führten letztendlich zu ihrem Tod.
Eine Chemotherapie sei die letzte Möglichkeit, den äußerst agressiven Krebs noch zu stoppen. Nicht um ihr Leben zu retten, sondern um es wenigstens zu verlängern.

Man kann den Ärzten nichts vorwerfen. Was tatsächlich passiert ist, ist rein medizinisch gesehen schnell erklärt: die Chemotherapie attackiert bekanntlich auch gesundes Zellgewebe, mit der Folge, dass die Zellwände der roten Blutkörperchen zerfallen, woraufhin Hämoglobin (der Blutfarbstoff) freigesetzt wird, die Sauerstoffanbindung an die roten Blutkörperchen - und somit der Sauerstofftransport im Körper - unterbunden wird.
Es handelte sich um eine Hämolyse.
Sie starb bei voller Lungenfunktion an Sauerstoffmangel, sie erstickte bei vollem Atem, erstickte mit gefüllten Lungen.
Es tut mir sehr leid, sagte der rein medizinische Notarzt nach diesen Erläuterungen, ich kann nichts mehr für sie tun.

Ich bedanke mich, werfe ihn hinaus, sehne mich nach Menschlichkeit, nicht nach Medizin, will alleine sein, nur für 10 Minuten.

Als sie mir an jenem Morgen sagt, sie bekomme keine Luft, denke ich, vielleicht ein kleiner Asthmaanfall, leicht gereizte Bronchien.
Ihr Inhalator, sagt sie, nütze ihr nichts, und es werde schlimmer.
Ich erhahne nichts Schlimmes. Ruhig gehe ich zum Telefon, tippe die Nummer unseres Hausarztes ein. Plötzlich höre ich ein beständiges, immer lauter werdendes Husten, schwerfälliges Atmen; ich werde nervös, lege den Hörer beiseite, rufe nach nebenan, ob alles in Ordnung sei. Angestrengt, als fehlte den Worten ebenso die Luft, ruft sie nach Hilfe, nach schneller Hilfe.
Ich rufe den Notarzt, der in 5 Minuten dasei, und laufe in ihr Zimmer, und erblicke ein kreidebleiches Gesicht.
Mich starrt kein Mensch mehr an, ich sehe die pure Angst anstelle ihres Antlitz.
Es sei so weit, sagt sie, ihr Ton unwirklich gelassen, nicht zu ihrem Gesicht passen wollend.
Dass der Notarzt kommt gibt ihr keine Hoffnung mehr. Das Grauen in ihrem Gesicht, Ausdruck ihres Unverständnisses, ihrer Hilflosigkeit hat sich in mein Hirn gebrannt wie kein Bild noch so schönem oder schrecklichem Inhalt.
Ich reiche ihr meine Hand, zittrig, wie ein kleines Kind, wie damals im Kindergarten, als sie mich zum ersten Mal alleine hatte stehen lassen, steht meine Hand im Raum, um ihr Kraft zu geben, dabei ist sie völlig kraftlos.
Ihr Griff ist kalt, stark, als wüsste sie in diesem Augenblick, dass ihr Leiden bald vorbei sein würde, meines aber noch bevorstand.
Ich blicke in ihre blauen Augen, Spiegel meiner eigenen Augen; schöne, blaue, jugendliche Augen; das letzte, das junggeblieben war, sage ich mir heute, sind ihre Augen, ist der Spiegel ihrer Seele, ihrer ewig jungen Seele.

Die Klingel. Ich will mich erheben, will meine Hand von ihrer nehmen, doch ihr Blick- ihr Mund ist längst mit dem Kampf mit der Luft beschäftigt- sagt mir Nein, ihr Griff sagt mir Nein.

Sei bei mir, sagen ihre Augen, in meinem letzten Augenblick, du bist alles, was ich habe.
Also bleibe ich. Ihre Lippen zittern, Mein Sohn, bringen sie geschwächt noch hervor. Sie weiß in diesem Moment, dass sie stirbt.
Es sollten ihre letzten Worte sein, und sie sagte es trotz ihrer Schwäche mit einer solch eingebungsvollen Stimme, als wollte sie es sich selbst einprängen, als wollte sie dieses Wissen von meiner Existenz als ihr Lebenswerk über ihre eigene Endlichkeit hinaus in die Ewigkeit mitnehmen.

Ich liebe dich, sage ich, aber sie hört nicht mehr. Sie weiß es, sage ich mir.

Wieder stehe ich da, in dem Kindergarten, von meiner Mutter alleine gelassen. Ich bin wieder ein Kind, hilflos; Rundherum stehen Menschen, die mir einreden wollen, dass alles in Ordnung sei, der Lauf der Dinge, Schicksal. Dass ich bei ihnen gut aufgehoben sei, sie mich unterstützen werden.

Aber ich bin alleine unter ihnen und sie wissen es.
Vielleicht sollte ich ihr gleich folgen, denke ich und spaziere zum See. Das Wasser dort gibt mir keine Hoffnung, auch nicht das Mondlicht, dass darauf ruht wie ein silberner Seidenvorhang; nein, einladend liegt der See vor mir, als wolle er mich aufnehmen in seine Ewigkeit, als wolle er mich zudecken, mit dem silbernen Vorhang.
Ich aber gehe nachhause und schreibe.

Tote wiegen mehr als Tausend Worte.
 



 
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