Mein Ballon

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Timaro

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Neun Monate ist es nun her, dass ich Mamas Bauch verlassen musste und mich seitdem mit den Widrigkeiten des Lebens auseinandersetze.
Eine dieser Widrigkeiten sind die Versuche, meinen Eltern die Wünsche und Bedürfnisse so mitzuteilen, dass auch sie dies verstehen. Eigentlich sind sie ja ganz nett, Mama und Papa, aber manchmal, so dünkt es mich, nicht ganz die Hellsten. Sie reden mit mir, als wäre ich ein Baby. Also gut, ich bin ein Baby, aber “buuu..buuuu...buuuuu....” ist selbst für mein, zugegeben, noch nicht ganz voll entwickeltes Gehirn etwas gar banal. Richtig peinlich wird’s aber dann , wenn mein Papi behauptet, ich hätte beim Treffen mit der zwei Monate jüngeren , richtig süssen Nachbarin, nur Augen für den Ballon gehabt, welchen ihr die Eltern ums Handgelenk banden. Und er sagt dies auch noch vor meiner potenziellen Geliebten. Diese hat sich daraufhin natürlich desinteressiert abgewendet, obwohl ich (nebst dem Ballon) ein ehrliches, wenn auch platonisches Interesse an ihr selbst habe.
Für mich zählen nämlich die inneren Werte.
Obwohl...der Ballon war schon toll.

Wir planten an diesem Tag einen Ausflug zum Bodensee. Ohne die Nachbarstochter, und leider auch ohne den Ballon. Aber vielleicht wird’s ja trotzdem ein ganz lustiger Tag (obwohl ohne B..., na gut, lassen wir das). Jedenfalls kaum im Auto, beginnt meine Mami wieder in diesem wirklich schwer verständlichen Kauderwelsch mit mir zu sprechen. Nach endlos langen zwei Minuten versuche ich ihr klar zu machen, dass ich eigentlich in Ruhe die Aussicht geniessen möchte. Das Nichtverstehen scheint gegenseitig. Sie beginnt mit Papi darüber zu diskutieren, welche Gründe meine Unmutsbekundungen wohl hätten.
Bauchweh, Zahnen, Langeweile, zu wenig Schlaf, ein Zuviel an Eindrücken vom Vortag, Zahnen, Bauchweh...!?

Ein Aufschrei meinerseits lässt ihre bislang fruchtlose Konversation jäh enden, um kurz darauf ebenso jäh wieder von vorne zu beginnen.

Am Bodensee angekommen, haben sie sich auf Langeweile geeinigt. So geht’s damit weiter, dass nun beide auf mich einreden:
“buuu..buuuu...buuuuu....”
Es ist nicht zum Aushalten.
Ich beschliesse, mich während des Entenfütterns (Mami und Papi haben unglaublich Freude daran) zu verdrücken und mir eine neue Familie zu suchen.
Das war natürlich ein Witz. Wie soll ich das auch schaffen, ohne Motörchen, eingepfercht und mit noch fehlender Koordination meiner Beinchen.

Dann geschieht es. Ich sehe ihn ! Ein ganz ähnlicher Ballon, welcher schon die süsse Nachbarstochter geschmückt hat, hängt nur wenige Meter von mir entfernt an einem fremden, nun aber plötzlich so unglaublich vertrauten Brückengeländer. Verwahrlost, einsam, nach Liebe und Geborgenheit dürstend. Mir steigen die Tränen in die Augen. Ich versuche, Mami und Papi meine Gefühle, welche ich diesem runden, wunderschönen, weichen Ding entgegenbringe, klar zu machen.

Zahnweh, Bauchweh, Langeweile....!?

Ich habe mit meinen Liebesbezeugungen nur eines geschafft: Sie einigen sich schneller. Diesmal aufs Zahnen. Fluchtartig verlassen wir die Bodenseegegend.

Na ja, vielleicht sehe ich ihn ja bald wieder. Meinen Ballon mit der süssen Nachbarstochter dran...
 

Timaro

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Hoi Flammarion

Schön, dass du meine kleine Geschichte gelesen, und noch schöner, dass sie dir gefallen hat !

Grüsse Rolf
 



 
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