Mein Freund der Fuchs

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Greta

Mitglied
Den Fuchs lernte ich kennen, als meine Arbeit schon ziemlich weit fortgeschritten war. Sylvia Plath war gerade von Ted Hughes verlassen worden und dachte in den Briefen an ihre Mutter über die Scheidung nach. Auf den Fotos waren die Augen geweitet und das Gesicht spitz. Ihr zweites Baby glotzte vergnügt. Bachmann indes meditierte über Wittgensteins Sprachphilosophie und das reine Sein und ließ den Knecht die Amsel kreuzigen. Ich begann mich zunehmend elend zu fühlen.
Um halb drei wusch der Fuchs. An den Bäumen seines Obstgärtchens hingen goldene Früchte. Eine Schildkröte sagte Hallo. Die Fische ließen Blasen an die Oberfläche steigen. Der Himmel war blassblau, was etwas unrealistisch war. Ich hatte am Computer alles genau eingegeben, Ort Berlin, mitteleuropäische Zeit. Über Berlin war der Himmel grau, der Fuchs hingegen erfreute sich schönsten Sonnenscheins.
Von nun an begleitete mich der Fuchs. Ich strich das letzte Kapitel meiner Arbeit \"Schlange und Drache bei Bachmann und Plath\" ersatzlos. Ich war nervös. Die Bienen hatten sich als sehr viel komplexer erwiesen, als ich erwartet hatte. Es wurde kalt. Der alltägliche Gang zum Supermarkt erforderte zunehmend mehr Kleidungsstücke. Ich kaufte mir bei H&M ein dicken Wollschal, den ich auch nachts nicht mehr auszog. Ich aß jede Menge Griesbrei. Die regelmäßigen Telefonate mit meinem Freund, dem Kunstgeschichtler drifteten in Psychoterror ab; erst wollte er nur seine Arbeit über Cézanne in der Spree versenken, schließlich sich selbst.
Der Fuchs blieb unbeirrt. Morgens um acht fing er Fische oder erntete Äpfel. Um elf Uhr fütterte er die Enten. Um ein Uhr picknickte er im Apfelhain. Ich beschloss, das Wochenende frei zu nehmen und fuhr nach Marburg. An den Fuchs dachte ich nicht. Ich irrte über die Buchmesse und unterhielt mich mit Buchhändlern aus Alabama. Ich bewunderte die katalanischen Menschentürme und aß Hot Dogs im Schatten der Lesebühne.
Sonntag nacht kehrte ich nach einer langen Autofahrt zurück. Plath und Bachmann hatten sich nicht gerührt. Unbeteiligt lagen sie in ihren Gräbern und ließen Feministinnen Feministinnen sein.
In der Nacht schaute der Fuchs durch sein Teleskop in den Sternenhimmel. Schlief er nie? Es ließ mir keine Ruhe. In der folgenden Nacht stand ich um vier Uhr auf. Würde er Nachtfischen? Doch er lag auf der Matte vor dem Teehaus und schlief.
Erleichtert kuschelte ich mich zur Katze, die zu schnurren begann. Ich fing an, mich mit dem Pferd zu beschäftigen, mit schwarzen Hengsten, Einhörnen und den Pferdebestien des Diomedes. Das Verhältnis von Bachmann und Plath zu Sexualität und Liebe war eher verzweifelt. Die Pferde flohen, wurden gestohlen oder schleiften Leute zu Tode. Ich begann zu reiten. Mein Pony hieß Atlanta. Ich kaufte ihm Pferdeleckerli in Hufeisenform, weil ich hoffte, dass es mich dann lieber mögen würde.
Nachmittags fuhr der Fuchs auf seinem Boot auf dem See. Er bekam nie Besuch. Ich schon. Einen Abend über dem Geruch von Kokosmakronen und Vanillekipferln war das Schicksalsgestöhn der Dichterinnen vergessen. Keine gestundeten Stunden, keine Stepford Super-Mamis. Plath schrieb sogar, dass sie sich auf ein Leben ohne Männer freute und dass die Bienen den Frühling herbeisehnten. Bachmanns Bienen gründeten einen neuen Staat.
Ich fragte mich, was der Fuchs wohl an Heiligabend machen würde und verlängerte meine Abgabefrist. Kein Nervenzusammenbruch unter Tannenzweigen. Die Tage wurden dunkler. Wenn der Fuchs bereits im Sonnenaufgang fischte, saß ich im Neuköllner Dunkel und erhöhte meinen Kaffeekonsum. Eine Freundin wurde arbeitslos. Ein Schicksal, das mich auch erwartet?
Das ist ungewiss. Doch gewiss ist, dass der Fuchs weiter Fischen und Äpfel ernten und Enten füttern wird und eines Tages, so hoffe ich, bekommt er auch Besuch, weil einem netten Programmierer bei I-Google aufgefallen ist, dass das so auch kein Leben ist.
 
G

Gelöschtes Mitglied 7520

Gast
hallo greta,

herzliches willkommen in der leselupe. da mach ich wohl einfach mal den anfang.

klasse text, toll geschreiben. das ist doch mal ein einstand.

klasse, dass der text mitten im leben anfängt und ich mich dauernd fragte, was soll denn das jetzt, aber des weiterlesens nicht überdrüssig wurde. nein, im gegenteil, fast war ich enttäuscht als es zuende war. genauso offen wie der anfang. der tonfall ist wirklich gelungen.

einzig die einleitende frage zum letzten absatz und die ungewissheit hätte ich erstzlos weggelassen. (vielleicht auch die auflösung?) aber das ist nur eine meinung.

klasse story.

liebe grüße
nofrank
 
K

KaGeb

Gast
Auch von mir ein Herzliches Willkommen, Greta. Mögest Du Dich wohlfühlen unter all uns Irrlichtern hier (hähähä)...

Zum Text. Ein wahres Stakkato, das Mitdenken herausfordert.
Mitunter wäre es (für mich) glücklicher zu lesen, gäbe es mehr Absätze.
Das ist (für mich) einfach zu sehr aneinandergefädelt, was das Folgen des Plots. erschwert. Da steckt viel Kopfkino drin - ohne Zweifel gut geschrieben - aber das Übergangslose ist (m.M.n.) zuviel.

LG und beobachtend grüßt

KaGeb
 
G

Gelöschtes Mitglied 7520

Gast
hi karsten, hallo greta,

da sind schon absätze drin, nur keine leerzeile dazwischen, ist meines erachtens nur eine sache des editierens.

grüße
nofrank
 

nisavi

Mitglied
hallo greta,

ich finde des text überaus spannend. vielschichtig und surreal. schwer zu entschlüsseln, aber eine bilderlandschaft bildend.

der fuchs scheint die konstante z usein, der dreh-und angelpunkt. woher kommt er? aus "le petit prince"? steht er für das simple, einfache, immerwährende? ist der der gegenpol zu den komplizierten lebenswegen von i.b. und s.p.? ich weiß es nicht, aber es macht spaß, darüber zu spekulieren.

kleine anmerkungen am rande:

- einen wollschal zieht man nicht an/aus. man bindet ihn um. schlingt ihn sich um den schwanenhals. whatever.

- nach dem kunstgeschichtler fehlt ein komma.

lg
n.
 
G

Gelöschtes Mitglied 7520

Gast
hi nisavi,

ich glaube die enigma für den fuchs ist schon im netz. das ende lässt sowas erahnen.

nur so'ne idee.

grüße
nofrank
 

Pola Lilith

Mitglied
Hallo Greta,

auch von mir ein Herzliches Willkommen - da ist ja wohl Einiges von Dir zu erwarten !!

Im Gegensatz zu Kageb finde ich die Absätze gerade richtig placiert.

Kleine Störfaktoren gibt es für mich zwar auch - was ist schon so grenzenlos perfekt ! (z.B. den plakativen "Feministinnen"-Hinweis; Hinweis auch darauf, daß Du dich damit beschäftigst, was aber nicht nötig ist, wenn der Bezug zum Fuchs damit nicht greifbar wird - und Plath und Bachmann da in einen Topf zu werfen, ist für mich nicht nachvollziehbar).

Aber sonst und im Gleichklang zu Kageb viel Lob - ein köstliches, interessantes Stück Kurzprosa, mit dem ich mich gern mehr beschäftigen würde, hätte ich die Zeit dazu.

Gruß, Pola
 



 
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